Zusammenfassung
Als Zeichen für die Demokratisierung einer Gesellschaft werden häufig freie und faire Wahlen genannt. Die von der OSZE bei ihren Wahlbeobachtungen angewandte Kategorisierung „free and fair“ konnte sich bisher in Zentralasien und im Kaukasus noch keine der Wahlen der letzten Jahre verdienen. Es waren schließlich die Parlamentswahlen am 20.1.2000 in Kirgistan, deren undemokratischer Charakter in westlichen Kommentaren grundsätzliche Zweifel darüber aufkommen ließ, ob in den Staaten des Kaukasus und Zentralasiens Demokratie verwirklicht werden kann bzw. überhaupt gewollt wird. In zehn Jahren Unabhängigkeit scheint die Demokratisierung kaum ein Schritt vorangekommen zu sein. Während Usbekistan und Turkmenistan, dessen Präsident Nijasow sich zum Präsidenten auf Lebenszeit hat erklären lassen, sowieso als diktatorisch eingeschätzt werden, galt Kirgistan bislang als „Insel der Demokratie“. Heute scheint es, dass die Unterschiede eher graduell sind; in allen Staaten Zentralasiens sowie im ebenfalls muslimischen Aserbaidschan bestehen autoritäre Systeme, in denen die uneingeschränkte Macht in den Händen des Präsidenten liegt. Die Verbindung patrimonialer Strukturen mit dem kommunistischen System in einer Region ohne demokratische Traditionen scheint das alte System hier besonders resistent gemacht zu haben. Nicht Parteien oder Ideen schaffen politische Identifikation, sondern regionale Loyalitäten. Das Sowjetsystem war auf Netzwerken bürokratischer Interessen entlang traditioneller familiärer und regionaler Linien aufgebaut. Auf ihnen basiert immer noch politische Herrschaft, sie sind die Hauptakteure im politischen Leben, die den Aufbau unabhängiger ziviler und politischer Institutionen behindern. Dabei entscheidet der bürokratische Kontrollapparat, welche Interessen der Bevölkerung an das Herrschaftszentrum weitergegeben werden. Das Hauptproblem in den postkommunistischen Gesellschaften ist die Kluft zwischen der Bevölkerung und den Entscheidungsträgern, den noch weitgehend in der Sowjetzeit ausgebildeten Eliten, aufgrund fehlender intermediärer Strukturen, d.h. vermittelnder Institutionen.
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Freitag-Wirminghaus, R. (2001). Ein Wahljahr in Zentralasien und im Kaukasus. In: Koszinowski, T., Mattes, H. (eds) Nahost Jahrbuch 2000. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-322-97532-4_29
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DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-322-97532-4_29
Publisher Name: VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden
Print ISBN: 978-3-8100-3143-3
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