Zusammenfassung
Pädagogische Arbeit, die sich gezielt und speziell rechtsorientierten Jugendlichen zuwendet, hat es in der Geschichte der Bundesrepublik sehr lange überhaupt nicht gegeben, denn rechtsorientierte Jugendliche stellten lange kein Problem dar, das besondere Beachtung verdiente.1 Galt doch Rechtsextremismus lange Zeit als ein gesellschaftliches Problem, das sich primär unter Erwachsenen finden lasse. So machte die berühmt gewordene Sinus-Studie von 1981 unter der Wahlbevölkerung 13 Prozent mit einem geschlossenen rechtsextremistischen Weltbild aus. Dieses fände sich besonders häufig bei älteren Menschen, während »alle Altersgruppen unter 40 Jahren überdurchschnittlich resistent gegenüber rechtsextremistischer Ideologie« seien.2 Erst als sich diese Situation »normalisierte« und im Laufe der 80er-Jahre unter jungen Menschen rechtsextremistische Orientierungen allmählich ähnlich häufig Anklang fanden wie unter älteren Erwachsenen, da wurde aus dem gesellschaftlichen Problem zunehmend ein pädagogisches Problem gemacht. Gerade aus denjenigen gesellschaftlichen und politischen Ecken, die traditionell den Nationalsozialisten vergleichsweise näher gestanden hatten und die traditionell eher zu einer Verharmlosung des Rechtsextremismus neigten3, wurden nun vielfach besonders vehement pädagogische Maßnahmen gegen eine Ausbreitung rechtsextremistischer Orientierungen unter jungen Menschen eingefordert.
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Anmerkungen
Der Begriff »rechtsorientierte Jugendliche« wird hier als übergreifender Sammelbegriff verwandt, der erst einmal nicht nach dem Ausmaß oder der Extremität rechter Orientierungen, nach deren Durchgängigkeit oder Verfestigung oder nach entsprechenden Organisationsformen fragt. Solcherlei Differenzierungen sind allerdings im Weiteren vor allem da notwendig, wo es um Entscheidungen über Grenzen pädagogischer Arbeit geht.
Sinus-Institut, 5 Millionen Deutsche: »Wir sollten wieder einen Führer haben...« Die Sinus-Studie über rechtsextremistische Einstellungen bei den Deutschen, Reinbek 1981, S. 8.
Vgl. Immanuel Geiß/Volker Ulrich (Hrsg.), 15 Millionen beleidigte Deutsche oder Woher kommt die CDU? Beiträge zur Kontinuität der bürgerlichen Parteien, Reinbek 1970.
Vgl. Titus Simon, Raufhändel und Randale. Eine Sozialgeschichte aggressiver Jugendkulturen und pädagogischer Bemühungen von 1880 bis 1995. Fachhochschule Wiesbaden (Hrsg.), Wiesbaden 1995, S. 311ff.
Vgl. Kurt Möller, Zwei Dutzend Gründe für die aktuelle Hilflosigkeit des politischen und pädagogischen Antifaschismus, in: neue praxis, 19 (1989) 6, S. 480–496.
Wilhelm Heitmeyer/Heike Buhse/Joachim Liebe-Freund/Kurt Möller/Joachim Müller/Helmut Ritz/Gertrud Silier/Johannes Vossen, Die Bielefelder Rechtsextremismus-Studie. Erste Langzeituntersuchung zur politischen Sozialisation männlicher Jugendlicher, Weinheim-München 1992, S. 13 f.
Vgl. Verein Jugend und Sporte, V. (Hrsg.), »Der zwölfte Mann...« Soziale Arbeit mit Fußballfans in Hamburg, Hamburg 1993.
Verein Jugend und Sport e.V. (Hrsg.), Projekt offside. Konzeptionelle Vorstellungen und Bilanz nach zwei Jahren Projektarbeit — wie weiter?, Hamburg 1988.
Benno Hafeneger, Einspruch gegen das Verstehen um jeden Preis, in: sozial extra, 17 (1993) 1–2, S. 3.
Monika Hartwig, Skinheads in der offenen Jugendarbeit, in: deutsche Jugend, 38 (1990) 7–8, S. 325–329.
Gerold Hartmann, Zuerst der Club, dann der Alkohol, dann die Autos, zuletzt die Mädchen, in: Sozial Extra, 13 (1989) 10, S. 12–14;
Michael May, »Nazis raus« oder was sonst?, in: Sozial Extra, 13 (1989) 10, S. 24–27.
Uli Piaszcsynsky, Erfahrungen aus der Mobilen Jugendarbeit »Parksiedlung« in Ostfildern, in: Rechtsextremismus und wachsende Gewaltbereitschaft bei Jugendlichen. Eine Dokumentation des SPD-Fachgesprächs der SPD-Landtagsfraktion Baden-Württemberg vom 22. Februar 1991. SPD-Landtagsfraktion Baden-Württemberg (Hrsg.), Stuttgart 1991.
Thomas Mücke, Bericht über das Projekt »Miteinander statt gegeneinander« — Dialogversuch mit rechtsextrem orientierten Jugendlichen, in: sozialmagazin, 15 (1990) 5, S. 38–46.
Zusammengefasst sind fünf ursprünglich 1991 in verschiedenen Zeitschriften erschienene Beiträge in: Franz Josef Krafeld (Hrsg.), Akzeptierende Jugendarbeit mit rechten Jugendcliquen, Bremen 1992.
Bodo Morsheuser, Hauptsache Deutsch, Frankfurt/M. 1992, S. 128 f.
Diese Bildungsstätte ist auch wohl bis heute die einzige, die es immer wieder riskiert hat, randaleauffällige rechtsextremistische Jugendcliquen ins Haus zu holen.
Vgl. Franz Josef Krafeld/Kurt Möller/Andrea Müller, Jugendarbeit in rechten Szenen. Ansätze — Erfahrungen — Perspektiven, Bremen 1993.
Josef Held/Hans Horn/Rudolf Leiprecht/Athanasios Marvakis, »Du mußt so handeln, dass Du Gewinn machst...« Wohlstands-Chauvinismus jugendlicher Arbeitnehmer, in: deutsche Jugend, 39 (1991) 11, S. 482–495.
Unter Jugendlichen in rechten Cliquen scheint übrigens nichts, weder prekäre soziale Lagen noch geringe Bildung, fehlende berufliche Integration oder schlechte Zukunftsaussichten so durchgängig zu finden zu sein, wie derartig extreme Erfahrungen sozialer Isolation und Geringschätzung.
Vgl. Albert Scherr, Subjektorientierte Jugendarbeit. Eine Einführung in die Grundlagen emanzipatorischer Jugendpädagogik, Weinheim — München 1997.
Vgl. F. J. Krafeld u. a. (Anm. 17) S. 49 ff.
Vgl. Informations-, Forschungs- und Fortbildungsdienst Jugendgewaltprävention (IFFJ) (Hrsg.), Jugendarbeit mit Skinheads. Dokumentation eines Seminars. IFFJ-Schriften 3, Berlin 1993.
Helmut Lukas/Ute Krieter/Anita Füner/Brigitte Ayllón-Wriedt, Lernziel: Gewaltfreiheit. Pädagogische Konzepte und Praxiserfahrungen in Schule und Jugendhilfe. AgAG-Pro-gramm, Berichte und Materialien Nr. 3, Berlin 1993.
Jugendarbeit live und in action. Gewaltprävention in den Ländern. Informationsdienst AgAG, Informations-, Forschungs- und Fortbildungsdienst Jugendgewaltprävention (IFFJ) (Hrsg.), 5 (1996) 2.
Bernd Wagner, Rechtsextremismus und kulturelle Subversion in den neuen Ländern, Zentrum Demokratische Kultur (Hrsg.), Berlin 1998, S. 51.
Eine wichtige Ausnahme stellt z. B. das Mobile Beratungsteam Brandenburg in Potsdam dar, das nicht nur in unmittelbaren pädagogischen Zusammenhängen, sondern ebenso bei politischen Einmischungen in die lokale Umwelt berät und unterstützt.
Zu dieser Feststellung kommt u. a. auch der Neunte Jugendbericht der Bundesregierung. Vgl.: Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Neunter Jugendbericht. Bericht über die Situation von Kindern und Jugendlichen und die Entwicklung der Jugendhilfe in den neuen Bundesländern, Bonn 1994, S. 336.
Franz Josef Krafeld, Die Praxis Akzeptierender Jugendarbeit. Konzepte, Erfahrungen, Analysen aus der Arbeit mit rechten Jugendcliquen, Opladen 1996, S. 18.
Vgl. Arno Klönne, Soziale Gerechtigkeit in der Konkurrenzgesellschaft, in: Akademie für Sozialarbeit und Sozialpolitik e.V. (Hrsg.), Soziale Gerechtigkeit. Lebensbewältigung in der Konkurrenzgesellschaft. Verhandlungen des 1. Bundeskongresses Soziale Arbeit, Bielefeld 1994, S. 21–29.
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Krafeld, F.J. (2001). Zur Praxis der pädagogischen Arbeit mit rechtsorientierten Jugendlichen. In: Schubarth, W., Stöss, R. (eds) Rechtsextremismus in der Bundesrepublik Deutschland. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-322-97526-3_11
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