Zusammenfassung
Die Ausrufung der Republik Türkei am 29. Oktober 1923 wurde von einem profunden Kenner universalgeschichtlicher Zusammenhänge als „ein Denkmal zur Vormachtstellung der westlichen Zivilisation in der modernen Welt“ charakterisiert (Arnold Toynbee). In der Tat kann der Übergang vom osmanischen Vielvölkerreich zum Nationalstaat des 20. Jahrhunderts durchaus als Folge spätosmanischer Bemühungen um die Reformierung von Staat und Gesellschaft nach europäischen Vorbildern gesehen werden. Schon 1876 hatte die Reformbewegung Tanzimat die Gewährung einer Verfassung durchgesetzt und somit das Reich in eine konstitutionelle Monarchie umgewandelt. Die Reformer waren dabei von der Hoffnung getragen, die auseinanderstrebenden Interessen einzelner Reichsvölker im Rahmen eines parlamentarischen Systems versöhnen zu können. Alle Untertanen des Sultans sollten unabhängig davon, welcher Religion oder ethnischen Gruppe sie angehörten, rechtlich gleichgestellte Bürger ein und desselben osmanischen Vaterlandes sein.
Im Gefolge des Ersten Weltkrieges schrumpfte das Osmanische Reich zur Türkei. Modernisierungsströmungen hatte es zwar schon vorher gegeben. Doch erst jetzt konnte der Weg zu einem modernen säkularen Staat konsequent und radikal gegangen werden, unter Führung von Kemal Pascha, der den Beinamen Atatürk erhielt: Vater der modernen Türkei. Letztlich vollzog er mit Hilfe einer „Erziehungsdiktatur“ eine Kulturrevolution, die jedoch nicht unwidersprochen hingenommen wurde, bis zum heutigen Tag. Die Entwicklung des türkischen Parteien-systems, die politischen Krisen wie auch die Interventionen des Militärs sind letztlich zu begreifen vor der Auseinandersetzung darum, ob sich die Türkei als islamischer oder moderner säkularer Staat definieren soll. Der Anschluss an die EU würde das vollenden, wovon die türkische Elite seit rund 200 Jahren träumt: die Türkei als moderner europäischer Staat.
Red.
lehrt Geschichte Südosteuropas (mit besonderer Berücksichtigung der osmanisch-türkischen Geschichte)
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© 2002 Leske + Budrich, Opladen
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Adanir, F. (2002). Der Weg der Türkei zu einem modernen europäischen Staat. In: Wehling, HG. (eds) Türkei. Reihe: Der Bürger im Staat, vol 4. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-322-97517-1_2
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Publisher Name: VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden
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