Die private Motorisierung in der DDR

Zusammenfassung

Entgegen den überkommenen, leidlich bekannten ideologischen Abgrenzungen zwischen den beiden dominanten Entwicklungsmodellen des 20. Jahrhunderts, dem »westlichen«, kapitalistischen und dem »östlichen«, real-sozialistischen Entwicklungspfad, bedarf es einer Sicht, die starker die Parallelen zwischen beiden Gesellschaftsformationen herausarbeitet. Und das aus zwei Gründen: einmal, weil die langen Fristen und die Mühen, mit denen Westdeutschland sich auf den Weg in die motorisierte »Wirtschaftswundergesellschaft« begab, heute einem insbesondere von der verklärenden Sicht auf die »Motorisierungswelle« geprägten Prozeß genereller Unterschätzung unterliegen (vgl. auch Zapf 1991a:30f), und zum zweiten, weil auch der östliche Entwicklungspfad seiner Asphaltierung nicht entging. Trotz eines von der Ideologie her abgesicherten und von der Parteiführung kultivierten Primats des Massenverkehrs gelang es nicht, die Modernisierung der Verkehrsanlagen von Eisenbahn und öffentlichen Nahverkehrsbetrieben rechtzeitig und in ausreichendem Maße sicherzustellen, so daß sich die Relation zwischen Massenverkehr und motorisiertem Individualverkehr auch in der DDR kontinuierlich zugunsten des letzteren verschob. Ähnlich wie in der BRD diente das Krad, wie Motorrad und Moped in Ostdeutschland genannt wurden, als Einstiegsvehikel in die private Motorisierung; und ähnlich wie in der BRD erkannte man in der DDR seit Mitte der 60er Jahre einen Zusammenhang zwischen sozialer Zufriedenheit, politischer Stabilität und um das Automobil herum gruppiertem Massenkonsum, wenngleich die verspätete Reorganisation des Straßenbauwesens und die Unzulänglichkeiten einer unter Modernisierungsdefiziten leidenden Automobilindustrie zu einem gegenüber dem Westen nicht mehr aufzuholenden Entwicklungsrückstand führten.