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Eine Theorie der totalitären Diktatur

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Zusammenfassung

In der Politikwissenschaft und bei einem breiteren Publikum ist Carl Joachim Friedrich in erster Linie als Begründer Die „klassische“ Totalitarismustheorieder „Totalitarismustheorie“ bekannt geworden. Er gilt als der zentrale Vertreter dieser Theorie. Und er gilt als verantwortlich für den Erfolg dieser Theorie, sowohl in Hinsicht auf ihre Eigenschaft als wissenschaftliche Synthese einer spezifischen Regierungsform, als auch bezüglich ihrer Durchsetzung als Kern einer allgemeinen politischen Argumentationsfigur der Nachkriegszeit.

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Literatur

  1. Wichtige Aufschlüsse gibt zu diesem Aspekt die in den 90er Jahren neu angestoßene Debatte, die wichtige Impulse aus der Emigrationsforschung erhielt: Söllner 1993; Kraushaar 1993. Dagegen Hornung 1990, der eher eine Wiederaufnahme der Debatte der 50er Jahre anregt.

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  2. Man beachte nur die Teilnehmerlisten jener beiden frühen, an der Wiege des institutionalisierten wissenschaftlichen Totalitarismusdiskurses stehenden Konferenzen, die selbst in engeren fachwissenschaftlichen Kreisen kaum mehr zur Kenntnis genommen werden. Sie verlieren sukzessive ihren Charakter als Initialzündung einer jahrzehntelangen Diskussion. Dies obwohl (oder besser: gerade weil) sich ihre Teilnehmerschaft als ein „Who is who?“ der europäischen Immigration in den Vereinigten Staaten liest: Die erste der drei wichtigsten Konferenzen, eine Tagung, die die Zeitschrift „Social Research” (4. Jg., 1937, Heft 3) bereits 1937 organisiert hatte, führt als Teilnehmer u.a. Thomas Mann, Emil Lederer, Hans Speier, Paul Tillich, Eduard Heimann, Arnold Brecht, Max Ascoli und Arthur Feiler auf. Die zweite Konferenz, „The Symposium an the Totalitarian State“ der „American Philosophical Society” im November 1939, ist dokumentiert in deren „Proceedings“ (Vol. 82, 1940, S. 1–103) u.a. mit beachtenswerten, aber in der Totalitarismusdebatte weitgehend vergessenen, Beiträgen von Fritz Morstein Marx (1940) und Hans Kohn (1940). Die dritte Konferenz ist schließlich jene, von C.J.F. gemeinsam mit der „American Academy of Arts and Sciences” im März 1953 organisierte, an der u.a. Hannah Arendt (wenngleich nur als mitdiskutierende Teilnehmerin, die anschließend zur Veröffentlichung geladen wurde!), Karl W. Deutsch, Else Frenkel-Brunswik, Waldemar Gurian, Marie Jahoda, Paul Kecskemeti, Leo Löwenthal, Sigmund Neumann teilnahmen (C.J.F. 1954b). Vgl. a. Jänicke 1971, 77; Hassner 1984.

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  3. Zum Beispiel Franz Leopold Neumanns Buch „Behemoth“ aus dem Jahre 1944, das auf Deutsch erst in den sechziger Jahren greifbar wurde. Hierzu zählt auch Emil Lederers glänzendes Buch über den „Massenstaat” („The state of the masses”) von 1940, das sogar erst 1995 in deutscher Übersetzung verlegt wurde.

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  4. Dies betrifft z.B. so zentrale Werke wie Sigmund Neumanns „Permanent Revolution“ von 1942 (es wurde immerhin 1965 von Hans Kohn auf Englisch neu herausgegeben) oder Franz Borken-aus „The Totalitarian Enemy” von 1940. Sie und viele weitere Bücher sind in Deutschland deshalb nur in Ausnahmefällen rezipiert worden, fast überhaupt nicht in jener Generation von PolitikwissenschaftlerInnen (von „StaatswissenschaftlerInnen“ mit ihrer eher öffentlich-rechtlichen Orientierung ganz zu schweigen) der fünfziger und sechziger Jahre, die generell englischsprachige Literatur nur in marginalem Umfang berücksichtigte.

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  5. Diesem Aspekt sehr nahe kommt Jänickes begriffsanalytische Studie über „Totalitäre Herrschaft“ (1971), die zwangsläufig Hinweise auf eine Vielzahl von Autorinnen gibt. Begriffsgeschichte ist freilich auch ein enges Prokrustesbett, aus dessen Rahmen sowohl die genaueren theoriegeschichtlichen Zuordnungen fallen, als auch jene Studien, die dem Begriff des „Totalitarismus” (i.w.S.) aus vielleicht gutem Grund gerade ausweichen möchten. Vgl. auch den viel zu wenig wahrgenommenen Band von Guy Hermet über die „Totalitarianismes“ (1984); ebenso Irving Howe (1984) und den Sammelband „Totalitarian Democracy and After” (1984).

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  6. Zu einer Vielzahl von Studien hat insbesondere die Emigrationsforschung beigetragen. Als Ubersicht vergleiche Söllner 1991. Zum Prozeß der Historisierung der Politikwissenschaft auch Buchstein (1992, 13ff).

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  7. Dieses Defizit verschärft noch einmal Achim Siegel (1998) in einer neuen Studie. Ohne Bezug auf Friedrichs reale politikwissenschaftliche Argumentation versucht er eine „rettende Interpretation“ der Totalitarismustheorie. Das hat mit Theoriegeschichte wenig im Sinn. Siegel entlehnt von Carl J. Friedrich den Namen der Theorie und gibt ihr einen eigenen Inhalt. Seine Ausgangsthese, daß Friedrich selbst „kein Kriterium erkennen” lasse, das einer Theorie zentral zugrunde liege, wird in der hier vorliegenden Untersuchung widerlegt. Mehr soll an dieser Stelle zu Siegels „Neuinterpretation“, die erst nach Drucklegung dieses Buches erscheint und mir nur in Form eines vorläufigen Manuskripts vorliegt, nicht gesagt sein.

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  8. C.J.F. und Zbigniew Brzezinski veröffentlichten 1956 ihre (aus gemeinsamer College-Arbeit entstandene) Studie „Totalitarian Dictatorship and Autocracy“. Diese sei „ungleich vielen anderen Büchern, die von zwei Verfassern stammen,… aus gemeinsamer Arbeit hervorgegangen. Jedes Kapitel wurde von beiden geschrieben…” (C.J.F. 1957, 8). Allerdings stammt „die große Gesamtkonzeption, wie sie im ersten Kapitel umrissen“ ist (C.J.F. 1957, 8), von C.J.F. alleine und wurde bereits 1953 (C.J.F. 1954) vorgetragen. Abgeschlossen wurde das Manuskript Ende 1955 (C.J.F. 1957, 9).

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  9. Vgl. Bracher 1982, 1995; Söllner 1993; Kraushaar 1993; Hassner 1984. Jetzt vor allem Söllner 1997. Zu erwähnen ist auch die Wiederaufnahme des Totalitarismusaspektes nach der deutschen Einheit durch die politische Wissenschaftsförderung (vgl. das 1993 in Dresden von der dortigen Landesregierung gegründete „Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismusforschung“ und dessen Schriftenreihe bzw. als Stellungnahme der PDS: Lozek 1991), durch das Hamburger Institut für Sozialforschung (Fritze 1994) oder die Volkswagenstiftung (Wolfgrum 1992).

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  10. Luks 1988, 97; vgl. auch Stephen F. Cohen 1985, 36:,Jede neue detaillierte Untersuchung der Realität des Lebens in Nazideutschland unterstreicht die Mangelhaftigkeit des Totalitarismusbegriffs.“ chon früh die Debatte hierzu: Von Ludz (1964) über Curtis (1969) und Mommsen (1981) zu Löw (1990).

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  11. So der erstaunte Hinweis Franz L. Neumanns (1957, 147), — aufgeschrieben in den letzten Notizen vor seinem frühen und tragischen Unfalltod im Jahr 1954. Angesichts des Mangels an einer ausformulierten Diktaturtheorie erwägt er deren Abfassung. Sein Konzept sieht eine Dreistufigkeit aus „einfacher“, „cäsaristischer” und „totalitärer“ Diktatur vor. Neumann betont ausdrücklich, daß es sich bei diesen Ausformungen einzig um „Idealtypen” handele, die „den Realitäten nur annähernd gerecht werden“ könnten. (1967, 147ff, 149f) Er zeigt in der Abfassung dieser skizzenhaften Vorbereitungen bereits ein höheres theoretisches Niveau als die meisten der bald nachfolgenden Theorieversuche. llerdings liegen auch von anderen Autoren mehr oder minder vorläufige Äußerungen zu Fragen der „Diktatur” vor: so z.B. Grabowskis zur Zeit des Nationalsozialismus verfasstes, aber erst nachträglich (und überarbeitet) veröffentlichtes Buch über „Diktatur und Demokratie“ (Grabowski 1949) sowie auch Ferdinand A. Hermens bereits sehr frühzeitiger „Versuch einer Soziologie der Staatsformen” unter dem Titel „Demokratie und Kapitalismus“ von 1931.

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  12. George F. Kennan auf besagter Konferenz von 1953 (1954, 19); vgl. a. Timasheff bei der gleichen Gelegenheit (1954, 40/41), der sich zumindest mit Talmons „The Rise of the Totalitarian Democracy“ von 1952, einer wiederum eigenwilligen Sicht auf die Demokratie, auseinandersetzt. Das Buch der auf der Konferenz anwesenden Hannah Arendt von 1951 (1955) fällt ganz aus dieser Perspektive heraus.

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  13. Abgesehen werden soll von Fritz Morstein Marx’ interessantem, aber noch eher vorläufigem Versuch (1940). Auch Hannah Arendts Buch muß eher als eine gesellschafts-orientierte und weniger als eine institutionen-kritische Untersuchung aufgefasst werden. Es folgt damit ganz anderen Perspektiven und kommt auch zu signifikant anderen Ergebnissen. änzlich fragwürdig bleibt die genannte Einschätzung freilich angesichts von Büchern wie z.B. Franz Leopold Neumanns „Behemoth“ (1977; 1.Aufl. 1942), Franz Borkenaus „Totalitarian Enemy” (1940) und Waldemar Gurians „Bolschewismus“ (1931), die manches benannten und vorwegnahmen.

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  14. Um diese Frage kreist verständlicherweise eine ausgiebige Debatte, die zunächst in die Phase einer allgemeinen Kritik an der Totalitarismustheorie fiel (vgl. Barber 1969, 10ff; Ludz 1964, 540ff; Jänicke 1971, 92ff; Schlangen 1976, 49ff). Sie lebt in Zeiten des gegenwärtigen Revivals der Totalitarismustheorie allerdings wieder auf. Die Totalitarismustheorie wird zum Thema besonders intensiver methodischer Erörterungen: Fritze 1995, Siegel 1996.

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  15. Dies im Rahmen eines als „philosophisch-synthetisch“ charakterisierten Wissenschaftsverständnisses, das C.J.F. bis in die Formulierung hinein an seine frühe Heidelberger Schaffensstätte sowie deren Platzhalter im Nachkriegsdeutschland, wie z.B. Alfred Weber, Edgar Salin, Arnold Bergsträsser, zurückbindet. Vgl. zu Alfred Weber: Lietzmann 1993b, 1995; zu Bergsträsser und der von ihm propagierten „synoptischen” Wissenschaft: Schmitt 1995, 137f,138. Schmitt erläutert auch die synonyme Verwendung von „Synopse“, „Synthese” und anderen Titulierungen. Diese Rückbindung dementiert damit zugleich auch jede empirische Bornierung und deutet eher in Richtung auf eine „kulturwissenschaftliche“ Verallgemeinerung.

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  16. Sowohl Jänicke (1971, 100) als auch Schlangen (1976, 52f) weisen auf dieses methodische „Self-restraint“ bei C.J.F. (C.J.F. 1961, 19ff) hin; mir scheinen Zweifel angebracht, ob man solche Äußerungen wirklich zum Nennwert nehmen oder ob man sie nicht eher als „symbolische” Wissenschaftspolitik in Zeiten des Behaviorismus verstehen sollte.

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  17. Das vollständige Schmitt-Zitat lautet: „Daß aber in der Bezugnahme auf eine konkrete Gegensätzlichkeit das Kennzeichen politischer Betätigung enthalten ist, bringt der landläufige Sprachgebrauch selbst dort zum Ausdruck, wo das Bewußtsein des,Ernstfalles` ganz verloren ging… Alle politischen Begriffe, Vorstellungen und Worte haben einen polemischen Sinn; sie haben eine konkrete Gegensätzlichkeit im Auge, sind an eine konkrete Situation gebunden, deren letzte Konsequenz eine… Freund-Feind-Konstellation ist… (Solche) Worte… sind unverständlich, wenn man nicht weiß, wer in concreto durch ein solches Wort getroffen, bekämpft, negiert und widerlegt werden soll“ (Schmitt 1933, 13. Hervorh. im Original.).

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  18. In diesen Zusammenhang gestellt verleiht C.J.F.s Berufung auf Carl Schmitt der Totalitarismusdebatte einen ganz eigenen Zug. Die Berührungspunkte mit C.J.F.s Propagandatheorie, seinem Wunsch, eine verbindliche und polarisierende westliche Ideologie zu begründen, die mit den Erweckungslehren des Stalinismus und vor allem des Faschismus sich messen kann, werden deutlich.

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  19. So der Wortlaut der — von C.J.F. besorgten — Übersetzung eines Auszugs aus dem amerikanischen Vorwort in der deutschen Ausgabe (C.J.F. 1957, 7/8). aß die Rohfassung der Theorie bereits 1950 gedruckt vorlag (C.J.F. 1950), erwähnt C.J.F. nicht. Vgl. unten 6. Kapitel, E.

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  20. In diesem Punkt liegt deshalb auch ein zentraler und wesentlicher Kritikpunkt am Theoriegehalt der Totalitarismustheorie aus heutiger Sicht. Er ist argumentativ auch deshalb so bedeutsam, weil er in der Perspektive der „klassischen“ Totalitarismustheorie gerade jene Haltung deutlich macht, die heute mit Vorliebe ihren Kritikern unterstellt und vor allem vorgworfen wird: diese hätten in politisch vorwerfbarer Weise, so formulieren Löw, Jesse und manch anderer heftiger Verteidiger der Totalitarismustheorie, mit der Dauerhaftigkeit der östlichen Regime gerechnet und auf diese sich resignierend eingestellt. Das mag ja vorwerfbar sein; es trennt aber gerade nicht (!) die Totalitarismustheorie von ihren Opponenten. So verwirrend es sein mag: gerade die Totalitarismustheorie neigte dazu, das diktatorische Regime auf Dauer für unüberwindbar zu halten. Eine Folge des eigenen Vertrauens in die Möglichkeiten autoritären Regierens. ichtig und in diesem Sinne v.Beyme 1997a.

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  21. Zu den — ganz wenigen — explizit geäußerten Einwänden gegen die Annahme einer solchen Statik zählt das Referat von K.W. Deutsch auf der Bostoner Konferenz 1953, das sich den „cracks in the monolith“ widmete und mögliche Formen der politischen Desintegration totalitärer Regime durchaus weitsichtig thematisierte (Deutsch 1954).

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  22. Brzezinski 1956, 273. Auch Barber weist (in sehr allgemeiner Form) auf die Differenzen hin: „Despite their early collaboration, Friedrich and Brzezinski appear to have moved in increasingly incompatible directions in the last decade; their present positions have little in common“ (Barber 1969, 46, FN 54). emgegenüber versuche ich im Folgenden zu verdeutlichen, daß der Dissens bereits von Anfang an angelegt war, daß er sowohl theoretisch (Institutionalismus versus Bewegungsorientierung) wie politisch (Statik versus Entwicklungsfähigkeit) grundlegend war.

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  23. Brzezinski 1956: hier als eigene Übersetzung aus der APSR, 50. Jg. (1956), S. 751f und nicht aus der Übersetzung des, sonst der Einfachheit halber benutzten, Sammelbandes von Seidel und Jenkner. Vgl. die nächste Fußnote.

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  24. Dazu, daß diese tiefgreifende Differenz in der deutschen Debatte nicht zur Kenntnis genommen wurde, mag es auch durch die fehlerhafte Übersetzung des zentralen Passus von Brzezinskis Kritik durch Toni Westermeyer in dem Band von Seidel/Jenkner gekommen sein: „The definition goes beyond Friedrichs descriptive syndrome and attempts to point also to its essence…“ wird dort übersetzt mit: „Diese Definition greift damit über Friedrichs deskriptives Syndrom… und über Versuche hinaus, auch in sein Wesen einzudringen.” (Seidel/Jenkner 1974, 273). „Attempts“ wird also fälschlicherweise als Substantiv („Versuche”) anstelle als Verb („und versucht, zu seinem Wesen vorzudringen“), was dem Satz nicht nur seinen sachlichen Gehalt, sondern seine essentialistische Pointe raubt!

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  25. Daß C.J.F. diese offensive Distanzierung Brzezinskis auch genauso verstanden hat, wird in seinem Aufsatz über „Changing Theory and Practice of Totalitarianism“ deutlich. Er schreitet sofort zur Gegenkritik: „Brzezinski, while retaining the syndrome of operational features, would add its end or telos.… But it is doubtful whether such an essentialist or teleological theory will remain tenable as totalitarianism matures…. Ultimately, totalitarian regimes will probably resemble other governments as far as their ends or objectives are concerned.” (C.J.F. 1968b, 54/55. Hervorh. im Original) it dieser Sichtweise hebt er vor allem die Dynamik, Anpassungs- und Überlebensfähigkeit totalitärer Regime hervor („mit ihrem Verschwinden kann in absehbarer Zeit nicht gerechnet werden”, C.J.F. 1968b, 76); hierin lag ja, wie bereits oben erwähnt, die theoretische und politische Hauptdifferenz zwischen C.J.F. und Brzezinski, die auch zur Alleinherausgabe der deutschen Ausgabe des gemeinsamen Textes durch C.J.F. geführt hatte.

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  26. Stoll (1980) baut ihre gesamte Argumentation zur Verteidigung der Totalitarismuskonzeption auf C.J.F.s Kriterium des „basically alike“ auf, ohne den beständigen Wandlungsprozeß in der Argumentation selbst adäquat zur Kenntnis zu nehmen.

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  27. Spätestens mit der Debatte auf der Tagung der „American Political Science Association“ 1967 in Chicago ist dieser Entwicklungsgrad erreicht. Die dortigen Vorträge sind teilweise veröffentlicht in Friedrich/Curtis/Barber 1969. Beteiligt an der Diskussion in Chicago war darüber hinaus auch Herbert Spiro, der an der Veröffentlichung namentlich nicht beteiligt wurde (vgl. deshalb Spiro 1968). Schon der Titel „The Evolving Theory and Practice of Totalitarian Regimes”, den C.J.F. wählte, macht die Tendenz der Tagung deutlich: sowohl den Wandel der Theorie als auch den Zusammenhang dieses Wandels mit den Metamorphosen der politischen Realität. Vgl. a. Burrowes 1969 und seine Sicht: „Totalitarianism — The Revised Standard Version“.

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  28. Obwohl erfahrungsgemäß den meisten Diskutanten die Totalitarismustheorie bedauerlicher Weise nur aus „zweiter Hand“ bekannt ist, kann es bei der hier erfolgten Entscheidung keine Rolle spielen, daß ausgerechnet diese Theorievariante aus rätselhaften Gründen nicht in den von Seidel und Jenkner herausgegebenen Sammelband der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft aus dem Jahr 1974 aufgenommen wurde.

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  29. Die unterschiedliche Zusammensetzung der als „Staatswissenschaften“ verstandenen Teildisziplinen und deren Wandel ist überblicksweise dargestellt bei Wagner 1990.

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  30. Lasswell, der als „one of the most creative minds the discipline has ever known“ bezeichnet wird (Steven A. Petersen 1993, 173), wurde 1956 Präsident der amerikanischen Politologenvereinigung, war Mitglied sowohl der „Academy of Arts and Sciences”, unter deren Schirmherrschaft die Konferenz stattgefunden hatte, und war wie C.J.F. in verschiedenen Regierungskomissionen im 2. Weltkrieg als intellektueller Berater tätig gewesen. C.J.F. gehörte mit Sicherheit zu den letzten, die solche Zusammenhänge nicht berücksichtigt hätten. Inhaltlich trennte ihn von Lasswell Erhebliches; eine Differenz, die sowohl seiner staatswissenschaftlichen Orientierung geschuldet war, wie auch Lasswells (von C.J.F. nicht geteiltem) Interesse an sozialpsychologischen, und damit eher gesellschaftsbezogenen, Fragestellungen.

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  31. C.J.F. beruft sich im Vollzug dieser Synthetisierung auf (damals) neuere systemtheoretische Sichtweisen, vor allem auf Bertalauffy-Livon, General System Theory. A New Approach to the Unity of Science, 1951 (C.J.F. 1957, 273 FN. 9). Ein Versuch der Integration neuer wissenschaftlicher Zugänge, der im Rahmen seines eher konventionellen Government-Vergleichs sehr fremdartig wirkt.

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  32. Daß Gransow (1980) den Begriff des „Syndroms“ auch schon auf C.J.F.s frühere Theorie anwendet, ist falsch und unangemessen. Dieses Mißverständnis deutet auf eine ungenaue Textanalyse; wäre sie vermieden worden, hätten auch weitere Mißverständnisse und Ratlosigkeiten Gransows nicht zu entstehen brauchen. Zwar will ich nicht generell seinen Wertungen widersprechen (anders: Backes/Jesse 1984, 79–82, 86); sie würden allerdings weniger holzschnittartig und hemdsärmelig wirken, wenn sie sich auf eine solidere Informationsbasis stützten. Etwas anders liegt der Fall bei den historisch-begrifflichen Recherchen Jänickes (1971). Auch er spricht C.J.F. schon früh den Gebrauch des Wortes „Syndrom” zu (Jänicke 1971, 129/30), bezieht sich aber auf den gemeinsamen Text von C.J.F. und Brzezinski von 1956 (wenn auch in der unrevidierten Neuauflage von 1965). Jänicke entgeht, obwohl sonst ungemein genau und (bis auf Kleinigkeiten) vorbildlich präzise in der Textanalyse, daß C.J.F. diesen Begriff aus „seiner“ deutschen Ausgabe (1957) wieder ausmistet, — wie ich meine, mit (für ihn) guten „phänomenologischen” Gründen. Auch Stoll (1980, 18/408), deren Dissertation ganz auf die Interpretation von C.J.F.s Totalitarismusmodell sich zu konzentrieren verspricht, wirft die Zitate von 1957 und 1965 unkontrolliert zusammen (so daß ihr selbst die Fußnoten durcheinander geraten), um zu zeigen, daß C.J.F. bereits 1957 von einem „Syndrom“ spricht. Das ist, wie gezeigt, nicht nur falsch, sondern von C.J.F. strikt und bewußt vermieden worden. C.J.F. hält bis 1965 am Phänomenologismus strikt fest. 1957 führt er (neu gegenüber 1953) nur eine „Gesamtsicht” aller Phänomene ein. Den Begriff des „Syndroms“ verwendet er erst 1965 als Topos zur Kennzeichnung seiner Merkmalsfolge. — Dies alles sind nur kleine Nuancen; für den Verlauf und die Rekonstruktion der Theoriegeschichte sind sie allerdings folgenreich.

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  33. Zu der lebensphilosophischen Ader der deutschen Sozialwissenschaft: Lenk 1964; Rehberg 1986; Lietzmann 1993a, 1995.

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  34. Syndrome i.e. „set of signs or symptoms that together indicate the presence of a disease or abnormal condition“. Der amerikanische Sprachgebrauch (hier nach Oxford American Dictionary 1986) entspricht also ganz dem deutschen.

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  35. „Syndrome… is (a term) sometimes referred to as a symptom-complex… to indicate… classes of diseases and clinical pictures. Some contain so many features as to hardly allow an adequate scientific term to be applied to them, since the basic pathology is often extremely complicated and often not even thoroughly understood.“ (Encyclopedia Americana Bd. 26, 1957, 171; Hervorh. von mir, H.J.L.)

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  36. C.J.F. steht damit vor allem im Gegensatz zu der gängigen liberalen, das Individuum rettenden, Kritik am Faschismus und Kommunismus als „Totalitarismus“. Für sie steht prototypisch Orwells Modell „1984” als die Knechtung und Entindividualisierung durch einen übermächtigen Kontrollapparat; dessen politisches Programm, seine „policy“, wird dabei in Anbetracht der Leiden der Individuen zur vernachlässigten Größe. Vgl. als eine der reflektierteren Vertreterinnen dieser Position: Mandt 1982, 39f, 40.

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  37. Die meisten Interpretationen des Friedrichschen Totalitarismusmodells gehen deshalb fehl in dieser Annahme. Sie unterlegen allzu schnell ihre eigene wertende Position dem Katalog der von C.J.F. vorgelegten Merkmale; dieses gängige Klischee des kalten Krieges liegt tatsächlich aber sogar gänzlich quer zu C.J.F.s Ambitionen. Vgl. als eine von vielen dieser Fehlinterpretationen Buchheim 1960, 170 oder 1962, 16. Die Tatsache, daß sich Stoll auf Buchheim als einen Zeugen für ein C.J.F. authentisch interpretierendes Totalitarismusverständnis beruft, bedeutet lediglich, daß sie mit ihm gemeinsam irrt. Vgl. Stoll 1980, 22.

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  38. Diese Interpretation liegt jenen Totalitarismustheorien zugrunde, die in der Kritik der Massendemokratie ihr inhaltliches Zentrum besitzen. Fast alle Totalitarismustheorien umfassen diesen Aspekt als einen unter anderen, aber nur bei wenigen bildet er den argumentativen Kern. So z.B. bei Tucker 1961 und als ein Aspekt unter anderen bei Voegelin 1953. Vor allem aber folgt Carl Schmitt in seiner frühen Kennzeichnung eines „totalen Staats aus Schwäche“ dieser Argumentation (Schmitt 1933, 187; ebenso 1931 sowie 1932, 84). Er sieht den „Staat” in modernen Gesellschaften von deren Pluralismus in Beschlag genommen und glaubt ihn seiner dezisionistischen Handlungsfähigkeit beraubt. Der Etatist Schmitt perhorresziert hier die Entwicklung des Staates zu einer „Selbstorganisation der Gesellschaft“ (1931, 147), die ihn seiner wesentlichen Bestimmung, nämlich der Abgehobenheit von allen pluralistischen Prozessen und damit seiner Fähigkeit zur einsamen Dezision, beraubt. Näheres hierzu mit weiteren Hinweisen Lietzmann 1994; dort behandle ich auch den paradoxen Befund, daß sowohl Franz L. Neumann wie auch Hannah Arendt in ihrer Totalitarismuskritik von einem mit Schmitt identischen Krisenverständnis ausgehen. Sie folgen dem gleichen „Totalitarismusbegriff` und der Vorstellung von einem seiner Souveränität beraubten Staat. Dieser wird von der Gesellschaft okkupiert, von deren Ressentiments gelähmt und seiner Souveränität beraubt. Arendt und Neumann ziehen hieraus freilich ganz andere Schlußfolgerungen als Carl Schmitt mit seinem panischen Autoritarismus. In diese Kategorie gehören auch Emil Lederers „The State of the Masses” (1940), Max Lerners „The Pattern of Dictatorship“ (1935) sowie vor allem Karl Mannheims zwischen 1935 und 1940 entstandenes Buch „Mensch und Gesellschaft im Zeitalter des Umbaus” (1958). Näheres hierzu, besonders zu den bemerkenswerten Gemeinsamkeiten der Situationsanalyse von Carl Schmitt und Karl Mannheim, Lietzmann 1996.

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  39. Dies bildet den Hintergrund jener politikwissenschaftlichen Debatte, in der der Totalitarismus mit dem Normalzustand westlicher Demokratien kontrastiert wird. Sie betrachtet die totalitäre Herrschaft als ein Ausbrechen „aus den administrativen und parlamentarischen Gehegen“ (Maier 1965, 390). Ähnlich auch Karl D. Bracher (1964, 328f), der vor allem die Aufhebung des institutionellen wie personellen Pluralismus zum Thema seiner Kritik des Totalitarismus macht. Die Debatte „Totalitarismus versus Demokratie” wird hier besonders kämpferisch geführt.

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  40. Hierher gehören Ansätze, die — aus unterschiedlichen Motivationen — dem Totalitarismus eine falsche Sakralisierung von Politik und Alltag vorwerfen. Ausgehend von Eric Voegelin (1938), der dem Totalitarismus die falsche Göttlichkeit vorwirft (so auch Gurian 1952 und 1954) bis hin zu anderen, die Anstoß nehmen an einer falschen Göttlichkeit profaner und profanster gesellschaftlicher und politischer Prozesse in totalitären Regimen (etwa Eduard Heimann 1948/49). Gemeint ist also einmal eine Kritik der Säkularisierung,das andere mal aber eine Kritik der Rücknahme der Säkularisierung Man kann sich unterschiedlichere Positionen unter einem gemeinsamen Begriff kaum vorstellen. Auch Fritz Morstein Marx (1954), der später als Verwaltungswissenschaftler Karriere macht und dessen Totalitarismusanalyse in deutscher Übersetzung nie vorgelegt und deshalb in den hiesigen Debatten kaum beachtet wurde, geht von einer ähnlichen Wurzel aus: der unzureichenden Rationalität der neuen Träger politischer Entscheidungen in der Demokratie. Der Totalitarismus ist in seiner Sicht die negative Antwort des 20. Jahrhunderts auf die sich im 18. und 19. Jahrhundert herausbildende Frage nach einem Ersatz der, durch Säkularisierung und Industrialisierung verloren gegangenen, moralischen Bindungen (Morstein Marx 1954, 1f). Originell, spannend und zutreffend ist sein Bezug auf Schumacher (1937) als einer vorzüglichen Referenz für die Analyse jenes aus der Panik sich ergebenden Verlangens nach aggressiver und metarationaler Sinnstiftung.

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  41. Greiffenhagens (1972, 27ff) Kategorisierung der „fünf Bedeutungen von Totalitarismus“ war wohl ein noch unzureichender Versuch, klärende Schneisen in das bunte Gemisch von Totalitarismustheorien zu schlagen. Auch Jänicke (1971) erhebt sinnvollerweise nicht den Anspruch, die gesamte Breite der Begriffsangebote zur Totalitarismustheorie in ein ordnendes Schema zu zwingen. Auch die hier genannten vier Aspekte einer Kritik des Totalitarismus (Verlust der Individualität, Kritik der Massendemokratie, Erhaltung der Gewaltenteilung und der pluralistischen Institutionen und — in der folgenden Fußnote — Kritik der Ideologisierung von Staat und Gesellschaft) beanspruchen nur, einen vorläufigen Rahmen für die politikwissenschaftliche Systematisierung zu liefern.

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  42. Vgl. Gransow 1980; Stoll 1980; Backes/Jesse 1984 u.v.m.; in den letzten Jahren Fritze 1995 und Siegel 1996. Die Ratlosigkeit überwindet Schlangen (1976, 49ff, 54), der richtigerweise den von C.J.F. behaupteten Wirkungszusammenhang der totalitären Regimemerkmale normativ bewertet und als zentrale Schlüsselstelle der Theorie benennt. Ihm gelingt es aber nicht, den spezifisch totalitären Gehalt der totalitären Politik zu dechiffrieren. Er interpretiert deshalb C.J.F. so, als ob diesem „offensichtlich weniger die Grundstruktur jener Herrschaftssysteme, als vielmehr die Wirkungsweise bestimmter Elemente maßgeblich für die Bestimmung des Totalitären“ wäre (Schlangen 1976, 56). Diese Interpretation ist noch sehr unzulänglich, wie sich in der Folge noch ergeben wird. Schlangen ist aber gegen Adam (1975, 81 FN 71) schon hier recht zu geben, daß sich C.J.F. mit der Behauptung eines interdependenten Modells stark in Richtung einer idealtypischen Orientierung bewegt. Diese Erkenntnis folgt (spätestens) aus Adams eigenem Hinweis darauf, daß „Modelle immer idealtypisch sind, sofern sie in den Sozialwissenschaften gebildet werden” (Adam 1975, 81). So ist dann nicht nur die Relativität der Kriterien in der klassischen Totalitarismustheorie ein Indiz dafür, daß C.J.F. idealtypisierend vorgeht. Falsch ist dagegen Adams Hinweis, C.J.F. „halte daran fest, keinen Idealtypus” entwickelt zu haben (Adam 1975, 63 und FN. 104). C.J.F. ist da selbst wesentlich zurückhaltender.

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  43. Vgl. a. Albert (1973, 84f), der darauf hinweist, daß solche „Modellbildungen“ mit Vorliebe in der Nationalökonomie betrieben und für ausdrucksstark gehalten werden. Albert meinte hier vor allem Max Webers „Idealtypen”; das gleiche gilt aber auch für Alfred Weber und seine Schule, der C.J.F. bekanntlich grundlegende heuristische Orientierungen verdankt. Vgl. oben 3. Kapitel.

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  44. So Jänicke (1971, 131), der mit spröder geschichtswissenschaftlicher Professionalität den Kategorien von C.J.F.s Totalitarismustheorie ihre mangelnde Erklärungskraft vorhält. Bei der Bestimmung jener zusätzlichen Elemente bleibt er freilich ratlos. Ihm fehlt jede Sensibilität für die widersprüchliche Entwicklung der Theorie und für die taktischen Finessen ihrer Entstehungsgeschichte. Er orientiert sich deshalb an Brzezinskis Revolutionsbegriff (Jänicke 1971, 218ff).

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  45. C.J.F. gesteht allerdings gewisse Ausnahmen in diesem Gleichschaltungsprozeß zu. Er spricht davon, daß es in diesen Gesellschaften gewisse „Inseln der Absonderung“ gäbe. Sie gelten ihm als Nischen, die sich in einem gleichwohl übermächtigen Gefüge komplexer Überwachung bilden (C.J.F. 1957, 214ff).

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  46. Vgl. die aus den dortigen Vorträgen hervorgegangenen Veröffentlichungen: Barber/Spiro 1970; Spiro 1968; Barber 1969; C.J.F. 1968a; 1968b; 1968c; 1970b. Die gemeinsame Veröffentlichung (C.J.F./Curtis/Barber 1969) versammelt weniger die wirklich vorgetragenen Thesenpapiere (diese finden sich in: C.J.F. 1968b bzw. Barber/Spiro 1970) als eine nachträgliche Debatte über die Relevanz der Totalitarismustheorie.

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  47. Nicht nur zu diesem Begriff, sondern auch zur Analyse der stattfindenden Veränderungen der Totalitarismustheorie vgl. Burrowes 1969: „Totalitarianism — The Revised Standard Version“.

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  48. Daß es in der Debatte der 60er Jahre cum grano salis nur noch um die Anwendung der Totalitarismustheorie auf die Sowjetunion bzw. die Anpassung der totalitarismustheoretischen Paradigmata an die dortige Entwicklung ging, braucht wohl nicht hervorgehoben zu werden. Es gehört zu den Standardeinwänden gegen das „basically alike“, die behauptete Wesensähnlichkeit von Nationalsozialismus, Faschismus, Sowjetunion und China zu bestreiten. Vgl. Schlangen 1976, 63ff; Gransow 1980, 33; Jänicke 1971.

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  49. Der Terror findet in den Totalitarismustheorien von den frühesten Anfängen an zentrale Beachtung. Etwa bei Beckerath 1927 (als die Begrifflichkeit des „Totalitarismus“ noch kaum durchgesetzt war) über Gurian 1932, S. Neumann 1942 vor allem zu Hannah Arendt mit ihrem Untersuchungsschwerpunkt auf „Ideologie und Terror: Eine(r) neue Staatsform”, dem zentralen Kapitel ihrer Analyse (Arendt 1955, 703ff).

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  50. Vgl. Backes und Jesse (Sackes/Jesse1984, 72), die nun ihrerseits wieder Kritik an Stoll (Stoll 1980) üben, die diese Wandlung kritiklos mit vollzieht. Natürlich ist es für Vertreter der Totalitarismustheorie kaum nachzuvollziehen, daß ausgerechnet jene Regime, auf deren Herrschaftspraxis hin das Paradigma entworfen wurde, nun zum Teil außerhalb dessen Reichweite liegen sollen.

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  51. So die Formulierung in C.J.F. 1969, 43 (meine Übersetzung, H.J.L.). Ähnlich C.J.F. 1968b, 72, 75; 1968a, 4.

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  52. Das trifft vor allem Adam 1975, abgemildert auch Backes/Jesse 1984, Stoll 1980 u.v.a.m.

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  53. Diese unterschiedlichen methodologischen Kapitel entstanden vorwiegend aus professionsstrategischen Gründen gegenüber den amerikanischen Behavioristen, (auch) deren APSA-Präsident C.J.F. 1962 sein wollte. Vgl. Vilé 1985, 179, 183f; Somit/Tanenhaus 1967, Kap. 11; Ball 1993.

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  54. Adam (Adam 1975, 63/64) kommt letztlich auch zu dem Schluß, man müsse C.J.F.s Vorgehen wohl contre coeur als idealtypisch ansehen. Er schließt dies freilich erst aus den allerletzten Weiterungen der Totalitarismustheorie, sozusagen der Theorie „letzter Hand“ vom Stand der Jahre 1969/70. Für die Phasen davor nimmt er C.J.F.s Bekenntnisse zum Nennwert, übergeht die Indizien gegenläufiger Art (beispielsweise C.J.F. 1957, 9) und kritisiert die Gegenmeinung (z.B. von Schlangen; vgl. Adam 1975, 81 FN 71).

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  55. Dem widerspricht auch nicht, daß er gegenüber Erwin Faul geäußert haben soll, in der Totalitarismustheorie einen Realtypus vorgestellt zu haben (vgl. Adam 1975, 83 FN. 101); auch wenn Selbsteinschätzungen ein Indiz geben können, bleibt eine endgültige Beurteilung von ihnen unabhängig.

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  56. Daß er insgesamt seine Art der Wissenschaft in der Tradition von Aristoteles sieht und sich auch selbstbewußt in eine Reihe mit diesem stellt (sic!), sei nur am Rande notiert. Vgl. hierzu das Vorwort zu seinem Buch „Politik als Prozeß der Gemeinschaftsbildung“ vom Beginn der 60er Jahre: „Natürlich möchte ich gleich hier betonen, daß dieses Werk (sein vorliegendes H.J.L.) weder der erste noch der letzte Versuch ist, die gesamte Erfahrung des Menschen im politischen Bereich zu verarbeiten. Von der „Politik” des Aristoteles bis zu Arbeiten der Zeitgenossen haben die Fragen, um die es hier geht, die besten Denker beschäftigt…“ (C.J.F. 1970a, 7).

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  57. So sehen das auch Wolfgang Mommsen (Mommsen 1974, 224) und, in seiner Nachfolge, Adam (Adam 1975, 63); zu dieser — C.J.F.s — Einschätzung s.o. sowie C.J.F. 1961, 19.

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  58. Mommsen 1974, 224; auch Max Weber selbst ist sich zeitlebens keines Wandels in der Bedeutung seiner methodischen Position bewußt. So bezieht er sich auch noch in seinem Vorwort zu „Wirtschaft und Gesellschaft“ von 1919 auf seine 1904 entwickelten Kriterien zum „Idealtypus” (vgl. Mommsen 1974, 224 sowie 280, FN. 56).

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  59. Es ist in diesem Zusammenhang nicht notwendig, auf den Streit einzugehen, den Mommsen und andere über die Frage führen, ob es bei Max Weber im Laufe der Zeit zu einer Abwendung von der Kulturwissenschaft und einer Hinwendung zur Sozialwissenschaft im Sinne einer Neuorientierung zu eher materialen Fragestellungen gegeben hat. Vgl. hierzu Burger 1994, 29ff m.w.N.

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  60. In einem Teil der Literatur wird an Stelle des Begriffs „Essentialistisches“, den ich in diesem Zusammenhang bevorzuge, der Begriff „Emergentismus” als einer „Hervorhebung wesentlicher Eigenschaften im Zusammenhang der Phänomenologie“ verwandt. Der gedankliche Bedeutungskern taucht in dieser Begrifflichkeit „aus der verwirrenden Vielfalt… in seinen Umrissen” auf (Helle 1992, 27ff; Buhl 1972, 11).

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  61. Tenbruck weist zu Recht auf den engen Zusammenhang von Max Webers „Idealtypus“ mit Carl Mengers Lehre der Nationalökonomie hin. Dieser hatte die Nationalökonomie in die praktische, die historische und die theoretische, sowie letztere in die realistische und die exakte Richtung unterteilt. Die letzte Unterscheidung liegt auch der Weberschen Trennung von „Real”- und „Idealtypus“ zugrunde (vgl. Tenbruck 1959, 588f). Jetzt auch Tenbruck 1994, 367ff, Hennis 1994, 105ff.

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  62. Diesen Aspekt hebt besonders Tenbruck (Tenbruck 1959, 591ff) hervor. Er sieht darin Webers Attacke gegen den Naturalismus und Positivismus sowie ein offensives neues Verständnis der Wirklichkeitswissenschaft: „Wirklichkeitswissenschaft ist also (im Sinne Max Webers, H.J.L.) mitnichten eine Wissenschaft von der Wirklichkeit. Sie meint vielmehr ein Verfahren, das aus dem Chaos der Erscheinungen willkürlich Momente herausgreift, zusammenbindet und willkürlich einigen Kausallinien dieses Komplexes folgt.… Und um gleich die Konsequenz zu ziehen, die Weber selber zieht: Es ist sinnlos, von der Kulturwissenschaft Objektivät zu verlangen.“ (Tenbruck 1959, 601).

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  63. „Die Typenbildung versucht, wie schon Aristoteles klar ausgesprochen hat, aus einer Vielzahl von Dingen, die etwa als Demokratie angesprochen werden, dasjenige herauszustellen, was mit allen anderen zu dieser Gattung gehörenden die meisten Eigenschaften gemeinsam hat, und charakterisiert dann diese Gattung durch die Angabe dieser Eigenschaft(en).“ (C.J.F. 1961a, 19).

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  64. Das Gleiche gilt für die (alle einem gleichen Ursprungstext entspringenden, nämlich C.J.F. 1963a) Fassungen: C.J.F. 1963a, 11ff; 1967, 9ff; 1970a, 11ff. Vilé wertet „Man and His Government“ (1963a) ausdrücklich als C.J.F.s Vermächtnis in Anpassung an den behavioristischen Zeitgeist (Vilé 1985, 183).

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  65. Im Rahmen der deutschen Ausgabe von 1953 bekam es die Form eines methodischen „Anhangs“ mit dem Hinweis auf eine „in absehbarer Zeit” erfolgende Überarbeitung, die die neuere Literatur in die Überlegungen einbeziehen sollte (C.J.F. 1953, 698, FN) Dazu ist es nicht gekommen.

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  66. Es ist im höchsten Grad verwunderlich, daß diese methodischen Erwägungen in keine der eigentlich methodologischen Untersuchungen zur Totalitarismustheorie (z.B. Adam 1975; Stoll 1980) auch nur ansatzweise eingegangen sind.

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  67. Max Weber und Alfredo Pareto werden hierbei sowohl Unsicherheiten ihrer Ergebnisse wie Verdienste gegenüber dem Vormarsch des Marxismus zugebilligt. In Ihrem Ziel, „den Ansturm des Marxismus denkerisch zu bewältigen“, und dem Versuch, „dem Propheten der sozialen Gerechtigkeit und seiner grimmigen gesellschaftswissenschaftlichen Dogmatik eine,wissenschaftlichere Wissenschaft’ entgegen zu setzen”, liege ihr Verdienst wie auch das Feld mancher ihrer Irrtümer (C.J.F. 1953, 698f).

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  68. Eine Formulierung, der man die holperige Übersetzung (durch H. Hund) noch allzu deutlich anmerkt. Im Original lautet dies: „a description of what are believed to be observed phenomena“ (C.J.F. 1937, 4).

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  69. An dieser Stelle liegt der deutschen Übersetzung ein (nicht der einzige!) Übertragungsfehler zugrunde, indem dieser Satz zum zuvor zitierten durch ein „hingegen“ alternativ gesetzt wird. Ein Blick ins amerikanische Original bezeugt aber, daß in ihm gerade die Erklärung und Erweiterung des ersten liegt: Die Erläuterung der eingenommenen Perspektive auf die Wirklichkeit.

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  70. Darauf weist auch Tenbruck hin (1959, 599). Tenbruck spricht deshalb in Bezug auf Max Weber von dem „seltsamen Schauspiel eines leidenschaftlichen Angriffs auf den Naturalismus von naturalistischen Positionen aus“ (1959, 598). Vgl. a. Rehberg 1994.

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  71. So die plakative Kapitelüberschrift über dem gesamten Abschnitt (C.J.F. 1953, 707).

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  72. Vgl. C.J.F.s Diktum, daß der „common man“ kraft seines gesunden Menschenverstandes schon freiwillig auf Entscheidungsgewalt dort verzichte, wo er wisse, daß die Entscheidung ihn überfordere. Dies ist vor allem gegenüber den von C.J.F. geschützten Arealen der „responsibel bureaucracy” der Fall. Hier und in ähnlichen Bereichen des öffentlichen Lebens vertraut sich der „common man“ bereitwillig den Kompetenzen einer eventuell auch autoritären Führung an.

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  73. „Besonnene Beobachtung muß allerdings feststellen, daß diese „Hypothese“ („daß man überall in der Welt die Regierungsform der Demokratie einführen könne”, H.J.L.) falsch ist.“ (C.J.F. 1953, 708).

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  74. Zu vermuten ist angesichts der von Demokratie und Verhältniswahl handelnden Beispielen, daß es sich weniger um politikwissenschaftiche Bedenken, denn um politische Vorlieben C.J.F.s handeln könnte.

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  75. Zur näheren Erläuterung der „objektiven Möglichkeit” und der „adäquaten Verursachung“ vgl. auch M. Webers „Kritische Studien auf dem Gebiet der kulturwissenschaftlichen Logik” (1906, 266fí).

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  76. C.J.F. 1953, 700 FN. 2 (die Fußnoten sind dem Band als Sonderdruck beigelegt). Vgl. Tenbruck und seine Hinweise auf die zeitgeistige Verankerung einer Theorie des „Als-Ob“ (1959, 630 FN. 30). Bemerkenswert ist, daß C.J.F. in den Fußnoten ein wahres Potpourri der Erkenntnistheorie versammelt: aus Kant und Scheler, Schopenhauer, Peirce, Dewey, Maclver u.a.. Identifiziert werden will er freilich nur mit Morris Cohen (Cohen 1931). Die Ernsthaftigkeit seines Hinweises auf Vaihinger ergibt sich auch aus der Tatsache, daß er erst nachträglich in die Neuauflagen des Methodenvorwortes aufgenommen wurde (vgl. C.J.F. 1957, 505).

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  77. Vgl. hierzu auch die Ausführungen Adams (Adam 1975, 630 sowie Alberts, der von einer „kontinuierlichen Approximation der Gegebenheiten spricht“ (zitiert bei Adam a.a.O.). Hierin liegt eine verblüffende Parallele zu C.J.F.s Forderung nach einer Rede des „more or less” (s.o.).

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  78. Die Verlockung ist groß, dem Ideologiebegriff die je eigene Auffassung vom Totalitarismus zu unterlegen: vgl. z.B. Lieber (1993, 885; 1985, 108f, 111ff), der den „Ausschließlichkeitscharakter politischer Herrschaft“ zum Zentrum der Ideologie erklärt. Oder Buchheim (1960, 170), der die Ideologie als die „Dogmatik der absolut gesetzten Idee” bezeichnet, die „als solche ihrer Struktur nach totalitär sei, ganz gleich welche Inhalte ihr zugrundeliegen.“ Ebenso Stoll (1980, 22). Alle argumentieren mit dem Anspruch, C.J.F. authentisch zu interpretieren; sie verfehlen sein Verständnis des Totalitarismus und der Rolle der Ideologie vollständig.

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  79. Zum Kriterium der Nichtübereinstimmung der Ideologie mit der Realität beispielsweise im marxistischen Ideologieverständnis vgl. Lenk 1961, 37ff. Anders als das marxistische Verständnis, das vom „notwendig falschen Schein“ ausgeht, dem das ideologische Bewußtsein folgt, geht die traditionelle Lehre vom „Priester- und Herrentrug” von der interessengeleiteten und bewußten Manipulation mittels falscher Tatsachenbehauptungen aus. Auch hier ist die Nichtübereinstimmung mit der Wahrheit konstitutiv. Sie ist aber nicht — wie im marxistischen Verständnis — objektiv bedingt, sondern subjektiv beabsichtigt und herbeigeführt (Spinner 1986, 128; Lieber 1985, 27ff).

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  80. Die Ideologie ist bei Parsons definiert „als ein allgemeines System von Ansichten, die die Mitglieder eines Kollektivs, d.h. einer Gesellschaft, für wahr halten, wobei auch ein Subkollektiv, einschließlich einer von dem Hauptkurs dieser Gesellschaft abweichenden Bewegung, als Träger dieser Ideologie auftreten kann. Eine solche Ideologie wäre dann ein System von Ideen, das ausgerichtet ist auf eine wertende Integration dieses Kollektivs und der Lage, in welche es hineingestellt ist, wie auch der Vorgänge oder Prozesse, mit Hilfe derer die Gesellschaft den gegenwärtigen Zustand erreicht hat, der Zwecke, auf die das Wollen der Mitglieder des Kollektivs gerichtet ist, und deren Beziehung zur Zukunft.“ (Parsons, The Social System, Glenco/I11., 1951, S. 349; zit. b. C.J.F. 1957, 26, 274; vgl. a. C.J.F. 1967, 137f).

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  81. Hinzu tritt freilich auch eine grobe Fehlinterpretation des Mannheimschen „Ideologiebegriffs“, den dieser in einen „partikularen” und in einen „totalen“ unterscheidet. Während der zweite von Mannheim in den Vordergrund gerückt wird, bleibt sein wissenschaftliches Interesse gegenüber den „partikularen” Ideologien, die auf einer „gewollten oder ungewollten, bewußten, halbbewußten oder unbewußten Fremd- und Selbsttäuschung“ basieren, marginal. Sie haben für ihn den Charakter von „Verfälschungen oder… Lügen” (Mannheim 1929, 228). Sie sind wissenssoziologisch uninteressant weil sie gesellschaftlich eher kontingent sind. Anknüpfend an diese Kennzeichnung der „partikularen“ Ideologie als „Lüge” — so als bezöge sie sich auf alle Ideologien — bringt C.J.F. die Systematik von Mannheims Ideologiebegriff insgesamt durcheinander (C.J.F. 1956, 74/75). Zwar wird dieses Mißverständnis in der späteren Ausgabe (C.J.F. 1957) stillschweigend korrigiert; doch wird diese Korrektur in der von C.J.F. „revidierten“ Ausgabe von 1965 wieder zurückgenommen und das Mißverständnis bzw. die Fehlinterpretation erneut — und nun muß man sagen: wider besseren Wissens — wiederbelebt, verschärft und zugespitzt. Die Auseinandersetzung mit Mannheims Buch „Ideologie und Utopie”, das C.J.F. zunächst als dessen „well-known work“ bezeichnet (C.J.F. 1956, 73), später dann aber von oben herab als „this overrated work” abtut (C.J.F. 1965, 85), zugleich in einer Weise falsch zitiert, daß es seiner unmittelbar Kritik zugänglich wird, — diese Auseinandersetzung kann insgesamt kaum als ernsthaft bezeichnet werden.

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  82. „Daß ein für die bestehende geltende Sozialordnung bewußt oder unbewußt optierender Betrachter einen den Umfang nach so umfassenden, unbestimmten und undifferenzierten Begriff des Utopischen hat, in dem der Unterschied des absolut und nur relativ Unverwirklichbaren verwischt wird, ist kein Zufall. Von diesem Standort will man einfach nicht über den gegebenen Seinsstatus hinauskommen.“ (Mannheim 1929, 173).

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  83. Mannheim führt diesen Gedanken an anderer Stelle weiter aus (Mannheim 1927). Vgl. hierzu auch Lieber 1985, 87ff.

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  84. In den englischsprachigen Ausgaben ist die Rede von „traditional notions, believes, and customs“ (C.J.F. 1956, 74; 1965, 89), die allerdings einmal „older traditional societies” (C.J.F. 1956), später dann „more mature societies“ (C.J.F. 1965) zugesprochen werden. Darin liegt ein neuer Zungenschlag, der zum wiederholten Mal die „Unreife” der Ideologien mit dem reifen Traditionalismus der „common men“ konfrontiert.

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  85. Vgl. Lieber 1993; 1985; Buchheim 1960; Stoll 1980. Auch Gransow (Gransow 1980, 31) erscheint C.J.F.s Bemerkung von der „Verwerfung der bestehenden Gesellschaft“ als „logischer Widerspruch” und daher unerklärlich. Als ob logische Brüche nicht aus dem Vorverständnis ableitbar wären.

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  86. Neben Jänicke verweist auch Ludz darauf, daß C.J.F. die „totalitäre Herrschaft am Begriff des abendländischen Konstitutionalismus“ (Ludz 1961, 478) mißt. Er formuliert damit positiv, was im Begriff der „totalen Umwälzung” negativ vorgegeben ist. Dazu unten mehr. Der Begriff der „totalitären Ideologie“ bleibt auch bei Ludz unbeachtet.

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  87. Jänicke stellt fest, C.J.F. stelle es auf ein „organisiertes Handeln“ als einen Kerngehalt der Ideologie ab; und er verknüpft dies mit dem Vorwurf, C.J.F.s Ideologiebegriff „kränkele” an seiner konservativen Einseitigkeit. An dieser Einschätzung ist richtig, daß C.J.F.s Theorie von einer allgemeinen Handlungsvorstellung geprägt ist; diese ist auch nicht an Organisationen gebunden. Diese „Einseitigkeit“ ist freilich von C.J.F. bewußt gewollt und wird politisch zielgerichtet eingesetzt. Insoweit Jänicke allerdings zu unterstellen scheint, eine Status-quo-Orientierung ließe sich nur gegen kommunistische, nicht gegen faschistische Regime einsetzen, täuscht er sich sowohl in C.J.F.s Position wie auch in der Einschätzung der Regime.

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  88. Dem heutigen Beobachter kommt gegenüber Jänicke und seiner ansonsten bemerkenswert ge- nauen Analyse natürlich das Wissen um die weitere Debatte der Totalitarismustheorie zugute.

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  89. Leibholz 1954, 156. Er war freilich mitnichten unbeteiligt daran, daß sich die Idee des „totalen Staates“ in Deutschland hatte durchsetzen können. Auch er hatte seinen konservativen Ruf erschallen lassen zum Zweck einer Autorisierung der gouvernementalen Gewalt gegen „glaubenslose” Liberalisierung und gegen die „Ochlokratie“ (Leibholz 1933). Die Tatsache, daß auch Gerhard Leibholz dann unter den Nationalsozialisten Gegner hatte und auf den Leidensweg der Emigration gezwungen wurde, können diese Schriften und ihre Bewertung nicht aus der Welt schaffen (entgegen Wiegandt 1995 und anderer Festschriftenliteratur).

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  90. Bei Kecskemeti (1954) geht es auch um die Umbrüche der Siegerpolitik der Nachkriegszeit.

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  91. Es handelt sich bei der „Revolutionstheorie“ Vierkandts um die Ausformulierung seines Vortrags auf dem 3. Soziologentag 1922. Dieser hatte sich das „Wesen der Revolution” zum Thema gemacht.

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  92. Spranger in seiner Akademierede über „Die Kulturzyklentheorie und das Problem des Kulturverfalls“ Spranger 1926. Vgl. a. den „Heidelberger” Lederer 1919 und 1936. Widersprochen hat diesem Revolutionsverständnis L.v.Wiese in seinem Beitrag vor dem Soziologentag (Wiese 1923). Hierzu auch der Wiese-Schüler Vleugels 1922. Unter dem Aspekt dieser Diskussion wird auch der seit 1930 in Harvard lehrende Sorokin interessant. (Sorokin 1928/amerik. 1925).

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  93. Andererseits sind zeitgleich eine ganze Reihe von Monographien über Revolutionen entstanden. Vgl. Dahrendorf 1961.

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  94. Unerklärlich bleibt, warum Jänicke (1971, 207 FN. 24) die (nachweislich falsche) Behauptung aufstellt, daß C.J.F. diesen Begriff erst in der Ausgabe seines Buches von 1941 einführt.

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  95. Eugen Rosenstock, der seit 1925 angesichts des zunehmenden Antisemitismus und um seine Assimilation zu unterstreichen den Namen seiner Frau zusätzlich annahm, sich Rosenstock-Huessy nannte, war Gründer und Leiter der Akademie der Arbeit in Frankfurt und zu der Zeit, als C.J.F. ihn im Rahmen seiner Recherchen für die Althusius-Edition kennenlernte, Professor für Rechtswissenschaft in Breslau. Er bediente zugleich einen Lehrauftrag für Soziologie und stand C.J.F. in seiner sozial-romantischen und gemeinschaftsorientierten Sichtweise sehr nahe. Beide verband eine enge Freundschaft, worauf nicht nur C.J.F.s Widmung seiner „Philosophie des Rechts“ (1955b) an Rosenstock-Huessy, sondern auch eine Vortragseinladung Rosenstocks an C.J.F. schon 1931 (C.J.F. 1931a; 1932/33) nach Breslau hinweist. Vor allem verbindet Rosenstock und C.J.F. ein angeregter und politisch unverstellter Briefwechsel über ihr gemeinsames persönliches, wissenschaftliches und politisches Umfeld, z.B. bezüglich des „Tat”-Kreises, bezüglich H. von Einsiedel, Ernst von Salomons „Die Geächteten“, u.v.a. Der Kommentar Rosenstocks, der sein Hauptwerk immerhin auch bei (C.J.F.s Onkel) Eugen Diderichs verlegen ließ, zum Zeitgeschehen der 30er Jahre lautete lapidar: „Wir leben unter Heiden und Negern.” Womit sowohl über das kulturelle Umfeld beider Herren wie auch über Rosenstocks Kriterien etwas ausgesagt sei. Später lebte er wie C.J.F. in Harvard. (Vgl. HUG-FP-17.10, Box 7) Zu Eugen Rosenstock-Huessy vgl. Zakravsky 1995 sowie das Themenheft zu seiner Person und seinem Werk der Zeitschrift „Tumult. Zeitschrift für Verkehrswissenschaft“, Nr. 20, 1995.

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  96. Ansätze einer Theorie der Revolutionen finden sich auch schon in seinem Buch „Soziologie I“ aus dem Jahr 1925. Hierin verdeutlicht sich der enge Kontext von Rosenstocks Revolutionstheorie zu der soziologischen Debatte vom Anfang der zwanziger Jahre bzw. den Veröffentlichungen rund um den 3. Soziologentag von 1922.

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  97. Es ist zuzugeben, daß auch Rosenstock den Heroismus der Totalrevolution für die europäischen Nationen als überholt ansieht: „Der Europäer kann Zuflucht nur auf einem nachrevolutionären Weg mit anderen Zielen und Methoden finden“, da sich für ihn die revolutionäre „Vernunft… nicht mehr neu entdecken läßt.” (Rosenstock 1931, 67) Die Gespaltenheit aber, die den Romantiker Rosenstock von dem Konstitutionalisten gleichen Namens trennt, bleibt hier in tragischer Form erhalten.

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  98. Mit dieser Vorstellung einer „aufs Ganze“ gehenden Massenbewegung greift Geiger Sombarts Auseinandersetzung mit dem „gewaltsamen sozialen Kampf” auf (Sombart 1924). An anderer Stelle spricht Geiger davon, der „absolute Revolutionismus“ fordere die „restlose Zerstörung” der vorhandenen Gesellschaft und halte es für nötig, „auf einer tabula rasa,von vorn’ zu beginnen“. Hierfür findet er weitere zusätzliche Begriffe wie „naiver Radikalismus”, „kulturphilosophischer Nihilismus“, die an manche Äußerungen C.J.F.s erinnern. Geiger ist (1931!) der Meinung, diese „panrevolutionären Haltungen” entsprächen einem „schlechthin a-historischen Weltbild“, das er letztlich nur bei Literaten wie Toistoi zu reidentifizieren vermag. Geiger 1931, 513.

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  99. Es handelt sich bei dem genannten Zitat bemerkenswerterweise um eine Anlehnung an Freuds Massenpsychologie (Freud 1921, 27). Hieraus wird, zum einen, die Offenheit Geigers in dieser Diskussion nachdrücklich deutlich; zum anderen läßt sich auch der Kontext der Freudschen Theoriebildung aus dem Nachklang der Revolutionen am Anfang des Jahrhunderts informativ illustrieren.

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  100. Zum Totalismus treten in Geigers Theorie der „Masse“ noch zwei weitere Elemente hinzu, nämlich das Homogenitätsbedürfnis der Massen und die aus einem religiösen Massenwahn entstehende Gewaltsamkeit, die für unsere Analyse nicht weiterführend sind. Geiger 1926, 108ff, 113ff.

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  101. C.J.F. 1966a, 4. In seinem Band über die „Revolution“, einem der von C.J.F. herausgegebenen Jahrbücher der „American Society for Political and Legal Philosophie” aus dem Jahre 1966, hebt er noch einmal hervor, daß er Rosenstocks Ansatz nach wie vor als zentralen Zugang zum genannten Problemkreis betrachtet (C.J.F. 1966a, V).

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  102. Ausführliche Äußerungen zur Revolutionstheorie gehören zu C.J.F.s Standard (C.J.F. 1937, 125ff; 1953, 164ff; 1963; 1970, Kap. 26; 1966a passim; 1967a, 29ff, 1973, Kap. 3 u.ö.). Es gehört auch zum Standard dieser Veröffentlichungen, bis in die Details redundant zu sein. Umso naheliegender ist deshalb die Schlußfolgerung auf den hohen Stellenwert, den die Revolution als zentrales Phänomen „politischer Pathologie“ bei C.J.F. zuerkannt bekommt. Die Wendung von der Erforschung der „Ursachen der Revolution”, für die er z.B. Aristoteles, Polybios, Machiavelli und Harrington in Anspruch nimmt, zur Erforschung der „Ziele“ ist für ihn zentral. (C.J.F. 1973, 42; 1970a, 489, 1967a, 360.

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  103. C.J.F. vermeidet weitgehend die Konnotation von Totalitarismus und Revolution. Dies gilt zu-mindestens für seine Erörterungen des Totalitarismus. In anderen Schriften (z.B. zur Revolution usw.) wiederum benutzt er beständig Rosenstocks Terminologie. Eine Ausnahme stellt eine singuläre Äußerung in seinem Buch über die „totalitäre Diktatur“ dar: „Der Totalitarismus ist ein revolutionäres System, eine radikale Umwälzung. Er will nach Zerstörung der bestehenden Ordnung Wirtschaft und Gesellschaft, Staat und Kultur revolutionieren. Die totalitären Bewegungen haben sich deshalb im Sinn ihrer ideologischen Zielsetzungen nicht mit der Machtergreifung begnügt, wie es so oft in der Vergangenheit bei Diktaturen, die nur mit der Aufrechterhaltung des Status quo rechneten, der Fall war.” (C.J.F. 1957, 122) Einerseits erfolgt diese Bemerkung sehr entlegen im Kapitel über den „Terror“; andererseits bestätigt sie natürlich die hier vorgenommene Analyse. In der revidierten Ausgabe des gleichen Buches von 1965 rückt C.J.F. die totalitären Regime noch näher an die von Rosenstock behandelten „Totalrevolutionen”, „the great revolutionary dictatorships of Cromwell and Napoleon“, heran.

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  104. S. Neumann 1942, 142ff, Kap. VI. Neumann faßt unter diesen Oberbegriff fast alle wichtigen Merkmale C.J.F.s zusammen sowie noch weitere darüber hinaus: (a) institutionalisierter Symbolismus, worunter eine Betrachtung der ideologischen Komponenten zu verstehen ist; (b) bürokratische Organisation; (c) ökonomische Lenkung; (d) der Einfluß der Armee; (e) Einbindung der Kirchen; (f) die Rolle der Familie und (g) die Manipulation der Erziehung; sowie (h) die Angst als Bindeglied des gesamten Netzwerkes (was bei C.J.F. weitgehend der Rolle des Terrors entspricht); signifikant ist allerdings die unterschiedliche Perspektive: C.J.F. analysiert „Terror“ mit institutionellem Blick „von oben”. Neumann betrachtet die „Angst“ mit empathischer Perspektive von unten. (Vgl. a. Franz L. Neumann 1954). Auch Sigmund Neumann hebt die Partei sowie die Propagandapolitik besonders hervor. Er verfolgt insgesamt aber einen wesentlich soziologischeren Ansatz, der den Totalitarismus aus der sozial-strukturell bestimmten und historisch-spezifischen Situation in Europa analysiert („These ‚Children of War’ were called upon to make post-war history”, S. Neumann 1942, 236). Sie und ihre Einstellung („Living dangerously”, S. Neumann 1942, 250) geben — ihrerseits geprägt vom Kriegserlebnis des ersten Weltkrieges — einer Politik des fortgesetzten Putsches, der „permanenten Revolution”, ihren Ausdruck.

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  105. Es ist bereits von anderen Autoren darauf hingewiesen worden, wie sehr (trotz unterschiedlichster analytischer Zuspitzung) die Merkmalskataloge von C.J.F. (C.J.F. 1954c, 1957) denen von z.B. Waldemar Gurian (Gurian 1935; vgl. Stoll 1980, 17f; Härten 1972, 55ff, 135ff; Ender 1984, 138) und z.T. Sigmund Neumann (S. Neumann 1942; vgl. die vorherige Fußnote) entsprechen. Im übrigen haben die Analysen in ganz bemerkenswerter Weise Gemeinsamkeiten zwischen C.J.F. und Erwin von Beckerath hervorgehoben, der die Gemeinsamkeit von Faschismus und Bolschewismus in deren struktureller Symethrie aufweist (i.v. Beckerath 1927, 1929; vgl. a. Schlangen 1976, 26f). Beckerath verband die beiden Regime durch die ihnen gemeinsame Bereitschaft, im Sinne ihres „revolutionären Ursprungs“ politische Lösungen auch außerhalb der bestehenden Staatsordnung anzustreben. In der strukturell-funktionalen Gleichsetzung einer beiden Regimen gemeinsamen „typischen Struktur” erkennt Beckerath einen Trend dahin, daß der autoritäre Staat innerhalb der abendländischen Kultur Terrain zurückgewinnt (Beckerath 1929, 134). Erwin von Beckerath hebt allerdings, im Gegensatz zu C.J.F., die völlig unterschiedliche politische Programmatik der beiden politischen Systeme hervor und er kritisiert den Totalitarismus besonders als antiparlamentarische Bewegung. Auch hierin eine Differenz zu C.J.F. Die verbleibenden Gemeinsamkeiten von C.J.F. und Beckerath, vor allem ein strukturfunktionalistischer Blick, sind interessant im Hinblick auf ihre gemeinsame Heidelberger Wissenschaftstradition.

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  106. C.J.F. hat seine Ausführung zum „totalitären“ Aspekt politischer Führung seit der ersten umfangreichen Erörterung (C.J.F. 1957) nicht mehr wesentlich erweitert oder verändert. Lediglich seine Auseinandersetzung mit Max Weber und dessen Typen politischer Führung hat er im Zuge seiner Analyse politischer Autorität erheblich verbreitert (C.J.F. 1958a/b; 1960b/c; 1961a). Er hat seiner Untersuchung aber keine grundsätzlich neuen Aspekte hinzugefügt. Wesentliche Etappen dieser Debatte werden durch seine Auftritte auf dem „Annual Meeting of the American Political Science Association” in New York, 1960 (C.J.F. 1961a) markiert sowie durch die Leitung einer Diskussion über Max Weber auf dem 15. Deutschen Soziologentag, wo er den unmittelbar zuvor verstorbenen Arnold Bergsträsser vertrat (C.J.F. 1965c).

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  107. Ich habe oben auf diesen Aspekt des Friedrichschen Deutschlandbildes der Jahre 1929 bis 1937 wiederholt hingewiesen. Vgl. hierzu C.J.F. 1932b, 1933c, 1934, sowie, als zaghaftes Eingeständnis des eigenen Fehlurteils, das Vorwort zu „Constitutional Government and Politics“ (C.J.F. 1937, XVI).

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  108. Zu Webers Herrschaftssoziologie vgl. Breuer 1993, Käsler 1991, Hennis 1987a, Beetham 1993. (eben ontologische) Grund dafür, daß spezifische Argumentationen, Mitteilungen („Wissen, Glauben, Werte…“, C.J.F. 1960b, 7) als Begründung akzeptiert werden: „Die Gemeinsamkeit, die Gemeinschaft, ist Grundlage der Autorität. In dieser Gemeinschaft, die in der Autorität ihren sichtbaren Ausdruck findet, ist die Macht (und die Herrschaft), die Autorität besitzt, notwendig Macht, die auf Konsensus beruht.” (C.J.F. 1960b, 7).

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  109. Der gleiche Gedanke findet sich bei C.J.F. allenthalben. Vgl. C.J.F. 1955b, 47ff, 124ff; 1959b.

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  110. Sehr plausibel ist deshalb Käslers Weber-Interpretation, die das Webersche Wertfreiheitspostulat als Programmsatz auffaßt. Dieser ist geprägt vom pragmatischen und modernen Wissen um mögliche Verfehlungen, Kontingenzen und Unvollständigkeiten. Er ist verfasst im Bewußtsein eigener Fehlbarkeit (Käsler 1988, 163f).

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  111. „Staatsformen sind für mich Techniken wie jede andere Maschinerie.“, sagt Max Weber in einem Brief an Ehrenberg aus dem Jahre 1917. (M. Weber Ges. Pol. Schriften, 1. Aufl., 1921, 470; zit. bei Eliaeson 1991, 29). Vgl. auch Eliaeson 1991, 28ff; Mommsen 1959, 30ff.

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  112. Vgl. Hübinger 1988, 143; dort ist auch Schmoller entsprechend zitiert: 156ff; H. Maier 1964, 73f.

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  113. Smend 1928, 184 FN. 22; 185 FN. 24. Als folgerichtige Interpretation, die Webers Versuch einer „soziologischen Verfassungslehre“ in deutlicher Oppositon zu den Versuchen Jellinecks interpretiert, vgl. Breuer 1993, 216.

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  114. Hennis hält am Vorwurf der Entpolitisierung der Politikwissenschaft durch Max Weber lange fest; er etabliert diese Sicht nachgerade für die Bundesrepublik (vgl. a. Maier 1964, 88). Die Widmung seines Artikels „Ende der Politik? Zur Krisis der Politik in der Neuzeit“ (Hennis 1971) an C.J.F. „in Verehrung” verdeutlicht die theoretischen und normativen Querverbindungen. Hennis allerdings wird in späteren Veröffentlichungen immer zurückhaltender in Bezug auf die Kritik an Weber und entschließt sich 1987 sogar zur Rücknahme seiner „Sicht der 60er Jahre“ (Hennis 1987, 231 FN. 74). Er hält allerdings fest an seinem Verdikt, Weber mache sich „des Nichterkennen(s) des Ernstes, der ethischen Verbindlichkeit von Staat und Religion” schuldig (ebda.).

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  115. Statt vieler anderer sei auf Leonard Nelsons Vorwurf verwiesen, der allen demokratischen und republikanischen Formalismus als „Willenlosigkeit“ geißelt. Vgl. Schürgers (nicht sehr originelle, aber informative) Darstellung mit vielen Nachweisen (1989, 54, 61ff).

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  116. Vgl. auch Strauss 1956, 10ff; Voegelin 1959, 33ff; Aron 1964. Dem Aufsatz von Raymond Aron „Max Weber und die Machtpolitik“ liegt im übrigen ein Vortrag auf dem 15. Deutschen Soziologentag zugrunde. Die Leitung der Sitzung hatte C.J.F.. Vgl. C.J.F. 1965c.

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  117. Wie Leo Strauss äußert sich auch C.J.F.: „Nun sind nach Webers Ansicht Moses, Christus und Mohammed typisch charismatische Führer, woraus sich doch wohl recht eindeutig ergibt, daß Hitler diesem Typus nicht angehört.“ (C.J.F. 1957, 61) So „entscheidet” C.J.F. immer wieder Meinungsverschiedenheiten nicht nach dem Muster praktizierter Toleranz, sondern rigoros nach dem Muster eines „richtig“ (für sich selbst) und „falsch” (für den jeweils anderen). Als Beispiel dient insofern auch die Abfertigung des Weberschen Begriffs „charismatische Führung“ als „politwissenschaftliche (sic!) Fehlleistung Webers”, die „scharf und deutlich als solche“ zu bezeichnen sei (C.J.F. 1965c, 122; 1970b).

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  118. C.J.F. 1957, 63. „Im psychologischen Sinn“ ist bei C.J.F. immer zu interpretieren im Sinne von: „aber nicht in Wirklichkeit”. Ontologische Werthaftigkeit und Realität verschmelzen bei ihm regelmäßig zu einem festen Amalgam von „Wirklichkeit“, während die nicht den Werten entsprechenden (nur „naturwissenschaftlichen” oder eben „psychologischen“) Realitäten ihren Wirklichkeitscharakter bestritten bekommen.

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  119. Diese Adaption hindert ihn nicht, Neumann neben M.B. Sweezy (The Structure of the Nazi Economy, 1941), R. A. Brady (The Spiritual Structure of German Fascism) und Karl Löwenstein (Hitlers Germany, 1940) jenen Autoren zuzurechnen, die entweder „Marxisten, marxistischer Vergangenheit… (oder) einfach von Sinnen (seien, weil sie) den deutschen Totalitarismus entweder als,Endphase des Kapitalismus’ oder als,militärischen Imperialismus` (im Sinne Veblens)“ betrachteten (C.J.F. 1954d, 183).

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  120. Auch C.J.F. hebt die Vernachlässigung der „Rolle der Unterführer“ hervor (C.J.F. 1957, 55, 56).

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  121. Erst in seiner neuerlichen Zusammenfassung der Politikwissenschaft Mitte der sechziger Jahre gibt C.J.F. dieses holzschnittartige Definitionsschema politischer Parteien auf und baut seine Parteientheorie in das qualitativ geprägte Bild seiner politischen Gemeinschaft ein (C.J.F. 1963a, 1970a). Er schreibt den politischen Parteien dann in erster Linie programmatische (sic!) Integrationsaufgaben auf einer Ebene zu, die der politischen Machtausübung vorgelagert ist. Und erverbindet mit diesem theoretischen Wandel eine knappe Kritik solcher (auch seiner eigenen) Ansätze, die Parteipolitik auf Machtpolitik reduzierten. (C.J.F. 1970a, 360 FN. 1).

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  122. Zu der in den zwanziger Jahren noch gängigen Ausrichtung der politischen Metaphorik und Theoriebildung am Begriff des Kampfes und einem fast allgemein gewordenem Bewußtsein essentieller Auseinandersetzung kann hier nicht Stellung genommen werden. Carl Schmitt, Ernst Jünger, aber auch Arnold Bergsträsser, Karl Mannheim und tutti quanti stehen für diese Sicht der Dinge (vgl. Lietzmann 1995a). Daß selbst solche Heroen der Aufklärung wie Max Weber davor nicht gefeit, sondern sozialdarwinistisch oder Nietzscheanisch geprägt waren, zeigt Breuer 1993, 212; a. Vollrath 1990, 105ff. Trotz seiner früheren Nähe zur Jugendbewegung und speziell deren romantisierenden Elementen und trotz seiner kollegialen (Bergsträsser) wie familiären (C.J.F. war Neffe Eugen Diederichs) Beziehungen hat sich C.J.F. von Ernst Jünger und Ernst von Salomon und ihrer heroisierenden Militanz empört abgewandt (C.J.F. 1932). Daß er dies in Korrespondenz mit Carl Schmitt tat und bei diesem Rat in der Auseinandersetzung suchte, überrascht vielleicht. Daß er von Schmitt keinen Rat, sondern nur Ausweichendes, Hinhaltendes erfuhr, überrascht vielleicht weniger. Andererseits erscheint dies beim Etatisten Schmitt aber auch nicht so selbstverständlich, sondern nachdenkenswert. (HUG-FP 17.10, Box 9; HStA RW 265–13010).

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  123. Zu den letzteren zählt er die NSDAP. Mit Bezug auf den sogenannten „Röhmputsch“ bzw. die Hitlersche Säuberung in den Reihen der SA macht C.J.F. den Unterschied zur autoritären Gruppe, die die politische Linie auch für die Partei vorgibt (C.J.F. 1953, 490). Eindeutig allerdings die Zuordnung: C.J.F. 1957, 63.

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  124. In große Rechtfertigungsprobleme gerät C.J.F. angesichts der massenhaften „demokratischen“ Mitgliederwerbung der NSDAP (C.J.F. 1957, 72). Notgedrungen erklärt er deshalb die SS (für die Zeit spätestens nach dem Juni 1934) zur „eigentlichen” Partei des deutschen Totalitarismus: „So hatte sich die NSDAP im Wettbewerb mit den demokratischen Parteien in der Weimarer Republik eifrig bemüht, Mitglieder zu werben und war daher sehr groß geworden… Es ist kein Wunder, daß unter diesen Umständen die Partei ein verhältnismäßig farbloses Konglomerat wurde, dem es an echter Begeisterung fehlte. Daher trat im Hitler-Deutschland die SS unter Heinrich Himmler funktionsmäßig an die Stelle der Partei und wurde zu jener das System tragenden Elite, wie es die Kader der Partei in der Sowjetunion sind.“ (C.J.F. 1957, 72/73) Mittelbar stellt sich damit die Frage, ob die NSDAP in C.J.F.s Verständnis keine totalitäre oder autokratische Partei (mehr) war, sondern nur eine normale (?) demokratische (?) Partei allgemeiner Art.

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  125. Der „common man“ ist als geradezu antitotalitärer Garantieträger in C.J.F.s Theoriegebäude zu sehen. Er ist pragmatisch, er ist moralisch wenig reflektiert, aber ethisch zuverlässig im Sinne konstitutioneller Kontinuität und er ist bei aller kommunitären Gleichsamkeit der Moral und Ethik „unterschiedlich”. D.H. er differiert in der Beurteilung politischer Meinungen und politischer Richtungsentscheidungen: Er ist ein pluralistisches Wesen. Vgl. hierzu oben 3. Kapitel.

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  126. Zu dem vergleichsweise marginalen politischen Gewicht der Plebiszite und vor allem zu ihrer relativen Erfolglosigkeit vgl. Jung 1989. Die umfangreiche neuerliche Debatte dazu resümiert Niclauß 1996.

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  127. Tatsächlich kann man die Kritik des totalitären Homogenitätsidee als als eine mittelbare Kritik des Carl Schmittschen Demokratiebegriffs lesen. Dessen Behauptung, Demokratie brauche zu ihrem Bestand gesellschaftliche Homogenität (Schmitt 1928, 228), d.h. „substantielle Gleichheit“, sowie seine Forderung, diese Homogenität „— nötigenfalls — durch die Ausscheidung oder Vernichtung des Heterogenen” herzustellen (Schmitt 1923, 14) stehen hier unmittelbar in der Kritik. Daß Schmitt auch bestens in den Zusammenhang einer Kritik pseudoreligiöser Doktrinen gehört, versinnbildlicht sein beständiger Bezug auf das hierarchische Denken der katholischen Amtskirche und sein Diktum, daß alle politischen Begriffe säkularisierte theologische Begriffe seien. Vgl. hierzu Meuter 1994. Im Zusammenhang seines Konstitutionalismusverständnis propagiert auch C.J.F. das Erfordernis homogener Wertorientierungen (C.J.F. 1933a, 193f).

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  128. Hannah Arendt nennt das Kapitel, mit dem sie ihre Theorie zusammenfaßt: „Ideologie und Terror“. In ihm bestimmt sie den „Terror als das eigentliche Wesen der totalitären Herrschaft” (Arendt 1955, 710), weil er als generelles Handlungs-“Prinzip”, als „Maßstab“ des Verkehrs der Menschen untereinander, das politische Handeln der Gesellschaft entscheidend vorbestimmt. Nach Hannah Arendt tritt in der totalitären Herrschaft „an die Stelle des Prinzips des Handelns… die Präparierung der Opfer” (Arendt 1955, 716): „Das Wesen der totalitären Herrschaft liegt… darin, daß sie die Menschen, so wie sie sind, mit solcher Gewalt in das eiserne Band des Terrors schließt, daß der Raum des Handelns, und dies allein ist die Wirklichkeit der Freiheit, verschwindet.“ Wie zu sehen ist, liegt Arendts Kritik des Totalitarismus ein gänzlich anderer Ansatz zugrunde als C.J.F.. Sie kritisiert die Lähmung der Gestaltungsfähigkeit der zu selbstverantwortlichen politischen Zielen aufgerufenen Menschen. C.J.F. hingegen kritisiert die falschen Ziele des Totalitarismus sowie, erst daraus folgend, eine autoritäre Politik der exekutiven Zentrale zum Zwecke falscher Ziele. Er kritisiert die zwangsweise Unterwerfung der Menschen unter diese falsche Doktrin. Bei Arendt hat daher der Terror seinen wichtigsten Aspekt von vornherein bereits in quasi „internen” Wirkungen auf alle politisch selbstveranwortlich aktiven Bürger. Die — quasi „externe“ — Disziplinierung der Regimegegner von außen hat im Rahmen ihrer politischen Theorie keine andere Qualität als die Domestizierung der eigenen Anhänger. Die Gewalt des Regimes strahlt auf beide Gruppen aus, von Anbeginn.

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  129. Dies ist so trotz des ganz andere Assoziationen weckenden Titels der Schrift „The Permanent Purge“ von Z. Brzezinski. Auf die Perspektive der Unauthebbarkeit totalitärer Diktaturen und auf seine diesbezügliche Differenz zu Brzezinski weist C.J.F. im Vorwort zur, von ihm allein verantworteten, deutschen Ausgabe des gemeinsamen Buches hin (C.J.F. 1957, 8). Vgl. Näheres hierzu oben Kapitel 5. Kapitel, A.I.

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  130. Die von C.J.F. als drittes Element hervorgehobenen „Geständnisse“ bleiben in seiner Skizzierung ungenau und phänomenologisch. Gleichwohl ist naheliegend, daß C.J.F. mit ihnen besonders das sowjetische System der „Selbstkritik” kennzeichnen und kritisieren wollte. Angesichts der Unschärfe der Darstellung, werden die „Geständnisse“ trotz ihrer erheblichen Bedeutung in der Renegatenliteratur (die handelnden und leidenden Subjekte/Opfer) hier ausgespart. Insgesamt handelt es sich bei dem hier behandelten Abschnitt ursprünglich um einen Text (C.J.F./Brzezinski 1956), den Brzezinski später als „The Permanent Purge” veröffentlichte.

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  131. Daß C.J.F. Heinrich Brüning sogar als Chef einer Exilregierung für Deutschland vorgesehen habe, teilen Berghahn/Friedrich (1993, 25) aufgrund eigener Gespräche mit C.J.F. mit. Ich habe für einen solchen Plan bei meinen Forschungen keinerlei Anhaltspunkt gefunden.

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  132. Selbst die beiden Biographen Otto Alva Friedrichs, nämlich dessen Sohn Paul J. Friedrich und der Historiker Volker R. Berghahn, sind sich darin einig, daß an diesem Punkt die Vergangenheit Otto A. Friedrichs und damit die Familiengeschichte nachdrücklich bereinigt wurde. Sie gestehen dies zu, obwohl sie sonst um freundlichste Darstellung, bis an die Grenze der Verharmlosung, der Lebensführung ihres biographischen Objektes bemüht sind. Bereits die Entscheidung, die Biographie Otto A. Friedrichs erst 1945 beginnen zu lassen, kann als ein Akt der Schadensbegrenzung begriffen werden. Diese Einschätzung gilt gerade wegen der Probleme der Quellenlage: Daß der 1945 bereits 43jährige Otto A. Friedrich seine Tagebuchaufzeichnungen bis einschließlich dieser Tage anno 1945 vernichtete, ist für Biographen tragisch. Sie könnte aber auch zusätzlicher Ansporn sein, nach Gründen und Hintergründen zu forschen. Otto A. Friedrich, späterer Präsident der Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände (BDA), „Rohstoffberater“ der westdeutschen Bundesregierung während der Korea-Krise, persönlich haftender Gesellschafter der Flick-Gruppe und sozialpolitisch engagierter Unternehmervertreter im Konflikt mit Wirtschaftspolitikern (fast) jeder Couleur (vgl. Helmut Schmidts Vorwort zu Berghahn/Friedrich 1993), konnte sich für seine Tätigkeiten auf ausgeprägte Erfahrungen aus der Zeit der Kriegswirtschaft des Nationalsozialismus berufen. Die Haltung Otto A. Friedrichs, seit 1941 Mitglied der NSDAP, beschreiben Berghahn und Friedrich als zuletzt beseelt von jenem „Geiste unbürokratischen Effizienzdenkens und zielstrebigen,Durchgreifens` von dem die Speersche Rüstungsorganisation geprägt war” (unter Verwendung eines Zitats von K.-D. Henke, Berghahn/Friedrich 1993, 20). Diesem Befund ist hohe Plausibilität und stimmiges Einfühlungsvermögen zuzugestehen. Ein ähnliches Bild ergibt sich auch aus den (wenigen) Einschätzungen C.J.F.s. Die Brüder sind sich jenseits politischer Differenzen und „Lager“ ausgesprochen ähnlich in ihrer rigorosen und bisweilen rücksichtslosen Orientierung auf „responsibility”, d.h. auf die Durchsetzung der einmal vor ihrem eigenen (!) Gewissen für richtig befundenen Ziele. Die von den in der Industrie und ihren Beauftragten gerne verdrängte Mitverantwortung an der tödlichen Ausbeutung der Arbeitslager ist wieder in die Diskussion geraten durch die Veröffentlichungen von Hans Deichmann (Deichmann 1990; Deichmann /Hayes 1995) und die von ihnen angestoßene Debatte (Hayes 1987, 1992; Sandkühler /Schnabel 1993).

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  133. Es gibt weder für bösen Willen und gespielte Scheinheiligkeit, noch für echte Naivität in Bezug auf die Struktur der Buna-Werke auf Seiten C.J.F.s schlüssige Nachweise. Alles weitere wären Hypothesen; diese allerdings sind wohlfeil.

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  134. Auf die Ausnahme hiervon, die ersten Ausformulierungen (C.J.F. 1954b, 186) sowie die spätere Rücknahme des Geheimdienstterrors aus der virtuellen Realität des Totalitarismus, wurde bereits eingegangen (s.o.) und wird z.T. noch einmal zurückzukommen sein (s.u. Abschnitt C).

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  135. Z.B. Aron 1970; Tucker 1961a; vgl. Moore 1958, 76; ebenso auch Jänicke 1971, 137f.

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  136. Hannah Arendt spricht in der 1968 neu formulierten Einleitung ihres Buches von dem „Abbau der totalen Herrschaft“ in der Sowjetunion, nachdem sie früher den Terror zum entscheidenden Kriterium des Totalitarismus erhoben hatte („sowohl die Geschichte der Nazis als auch die der Sowjets belegt eindeutig, daß keine totalitäre Regierung ohne Terror auskommen kann und kein Terror ohne Konzentrationslager effektiv sein kann.”). Vgl. hierzu Young-Bruehl 1986, 290ff, 300.

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  137. Die Texte, in denen C.J.F. diese Neubestimmung der Theorie vornimmt, sind über weite Passagen wortgleich und im Aufbau identisch (C.J.F. 1968a; 1968b; 1969). Sie dokumentieren seine auf der APSA-Konferenz von 1967 in Chicago gezogene Konsequenz, die ihm in der Auseinandersetzung um die Totalitarismustheorie abverlangt worden war (vgl. Barber 1969; Curtis 1969). Daß er die Notwendigkeit dieser Anpassung seines Theoriekorpus bereits (nach dem XX. Parteitag der KPdSU) 1957 nahen sah, darauf deuten die Formulierungen von dem „Auf-und-Ab“ im Vorwort zur deutschen Ausgabe hin. Bis zu einer theoretischen Konsequenz aus der Veränderung der diktatorischen Realität in der Sowjetunion ließ er allerdings noch zehn weitere Jahre verstreichen; erst das langsame Abflauen des kalten Krieges macht den Wandel möglich. Er deutet sich 1965 vorsichtig an (C.J.F. 1965, 629).

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  138. Die Rede vom „natural cycle of a gradual increase in violence“ (C.J.F. 1969, 130 u.ö.) widerspricht der deutschen Übersetzung Westermayers in Seidel/Jenkner, diese „Schwankungen” der Gewaltsamkeit seien „nicht bloß zyklisch“ (C.J.F. 1965b, 629) (… was auch immer das im Deutschen bedeuten soll, H.J.L.). Auf jeden Fall kommen darin weder der Sinn noch der suggestive Gehalt zum Ausdruck.

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  139. Darüber, daß sich hinter den „modern political conditions“ die demokratische Organisation der Meinungsbildung und der Politik sowie die demokratische Legitimation der Regierung verbergen, wird noch zu reden sein. Siehe unten.

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  140. Vgl. etwa Aron (1970), der den Totalitarismus generell als ein „monopolistisches Parteiregime“ definiert (diese Formulierung stammt aus dem Jahre 1957/58) Ähnlich Lederer 1940 oder Stammer 1955; 1969. Weitere Beispiele für Theorien des Einparteienstaates in dem hier einschlägigen Sinne (rsp. „single party approach”) bringt unter begriffstheoretischem Aspekt Jänicke (1970, 132ff, 133).

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  141. Vgl. Stoll 1980, 50ff, Schlangen 1976, 55f, Jänicke 1970, 107. Von C.J.F. werden vorwiegend seine Abhandlungen zum Propagandamonopol zitiert, da hier die Verbindung zur Ideologie am nächsten liegt und deshalb auch die Kritik dieses Monopols am deutlichsten ausfällt. Schon zur Frage der ökonomischen Monopolisierung gibt es in der Sekundärliteratur nurmehr narrative Rekonstruktionsversuche, denen die Verständnisprobleme in jeder Zeile abzulesen sind. Insgesamt scheinen die C.J.F. nachfolgenden Vertreter der Totalitarismustheorie mit seinen Außerungen zur Monopolisierung nichts anfangen zu können; zu quer liegt seine Sympathie für diktatorische Krisenregime und zentralplanerische Herrschaft zum marktwirtschaftlichen common sense der deutschen Nachkriegspolitikwissenschaft. Eine wohlwollende Diktaturtheorie paßt so wenig in die Zeit, daß sie nicht einmal mehr als solche erkannt wird.

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  142. Nach Hinweis auf Ideologie (1.) und Partei (2.) faßt C.J.F. später alle drei Monopole (Propaganda, Waffen und Ökonomie) zu einem dritten Aspekt zusammen. Nurmehr die ersten beiden Aspekte (Partei und Ideologie) sind in seinen Augen trennscharf: „Certainly the first two (aspects, H.J.L.), if not the third, distinguish totalitarian regimes from elder forms.“ (C.J.F. 1967a, 935).

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  143. Er benutzt den Terminus Franz L. Neumanns ohne freilich dessen demokratische und gegen staatskapitalistische und monopolistische Bewirtschaftung gerichtete Intentionen zu übernehmen. Vgl. F.L. Neumann 1942, 269ff, 348ff.

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  144. Als Beispiel nennt C.J.F.: „Das ist in der demokratischen Schweiz heute nicht anders als es früher im autokratischen Preußen gewesen ist.… In Großbritannien und Frankreich insbesondere ist bekanntlich das Bankwesen, der Bergbau und die Elektrizitäts- und Gasversorgung dem Staat übertragen worden.“ (C.J.F. 1957, 189).

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  145. C.J.F. erwähnt die Kunst-Kautschuk-Produktion (Buna) als Beispiel dafür, daß sich „viele Deutsche“ angesichts der volkswirtschaftlichen Vorteile dieser Produktion „über die wahren Absichten Hitlers täuschen” ließen. Die Rolle seines Bruders Otto Alva Friedrich als stellvertretender Reichsbeauftragter für die Kautschukversorgung des Deutschen Reiches, und damit für die Buna-Produktion verantwortlich, erwähnt C.J.F. m.W. nie. Zu Otto A. Friedrich siehe Berghahn/Friedrich 1983, insb. 19ff. Zur Buna-Produktion in Auschwitz vgl. Hayes 1987; 1992; Sandkühler/Schnabel 1993; Deichmann 1990; Deichmann /Hayes 1996.

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  146. Zum neoliberalen Totalitarismusverständnis vgl. Seidel 1974. Dessen Behauptung: „Der Begriff des Totalitarismus gehört nun seinem Wesen nach auch zu der ideologisch-politischen Renaissance des Liberalismus als „Neo-Liberalismus“ nach dem 2. Weltkrieg, die vor allem mit den Namen F.A. Hayek und W. Röpke verknüpft ist.” (Seidel 1974, 7) fällt wohl etwas zu posaunenartig aus. Seidel übersieht, daß aus dem gleichen Umfeld eine Propagierung „totaler“ Politik auch festzustellen ist. (Vgl. Haselbach 1991). Zum Zusammenhang von Neo-Liberalismus und Totalitarismusbegriff vgl. neben den Genannten auch Seidel 1955; Ludz 1961, 502ff; Nawrot 1962; Jänicke 1971, 107ff. Über den Zusammenhang von Hayeks Totalitarismusverständnis und der „Planungsdebatte” äußern sich auch die Debattenbeiträge von H.P. Schwarz und H. Lübbe in Maier 1996, 71–73.

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  147. Jänicke (1971, 107–110, 109) irrt daher, wenn er sagt, C.J.F. vertrete „mehr oder weniger maßvoll“ den „marktwirtschaftlichen” Standpunkt gegen die totalitären Regime. Selbst in der abgemilderten Form marktwirtschaftlicher Orientierung, die Jänicke mit den Positionen Ludwig Erhards, Alfred Müller-Armacks, Walter Euckens oder Alexander Rüstows ausmalt, läßt sich diese Aussage nicht begründen. Vor einer (theoretischen) Überbewertung der (persönlichen) Freundschaft C.J.F.s mit Alexander Rüstow (vgl. Jänicke 1971, 110/FN 215) kann angesichts der inhaltlich-kritischen Briefwechsel ohnehin nur gewarnt werden. C.J.F. hat zu jeder Zeit streng zwischen persönlicher Freundschaft und theoretischen Zugeständnissen unterschieden. Das gilt nicht nur, aber besonders, in Bezug auf Alexander Rüstow, Arnold Bergsträsser und Talcott Parsons. Zum Dissens bezüglich der Frage zentraler Planung siehe C.J.F. 1953, 788/Anm. 2.

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  148. Vgl. auch C.J.F.s Auseinandersetzung mit Hayeks „Road to Serfdom“ (Hayek 1944) bereits 1945 (C.J.F. 1945) sowie seine Hinweise auch auf Wotton 1944, „Freedom under Planning”, einer Auseinandersetzung mit Hayek, sowie dessen Erwiderung auf seine und Wottons Kritik (Hayek 1948; C.J.F. 1953, 787).

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  149. Die Auseinandersetzung richtet sich gegen Hayek, Röpke und seinen Freund Rüstow. Z.B. gegen Rüstow 1949: „Zwischen Kapitalismus und Kommunismus“.

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  150. In früheren Veröffentlichungen verweist C.J.F. noch emphatisch auf die „ökonomischen Interpretationen“ der amerikanischen Verfassungsgeschichte durch Charles A. Beard, die den Zusammenhang zwischen konstitutioneller Programmatik und ökonomischer Alltagswelt des Landes tatsächlich sehr plastisch und plausibel werden lassen. Später rückt C.J.F., wohl aus politischen Gründen, von dem „Linken” Beard wieder ab.

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  151. Diese Einschätzung C.J.F.s steht in einem engen Zusammenhang mit seinem Verständnis der noch-nicht-totalitären Phasen in der Entwicklung totalitärer Regime, die deren konstitutionell-diktatorische, aber noch nicht von einer revolutionären Ideologie erfaßte Periode beschreiben. Siehe dazu unten 6. Kapitel, C..

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  152. Das bedeutet nicht, daß C.J.F. sich nicht ausführlich und differenziert mit einem Modell demokratischer Planung (C.J.F. 1953, 572), einer „Planning for the Public Good“, befaßte. Sein Hauptaugenmerk liegt darauf, daß „the common men’s reaction must be considered one of the primary facts with which planning will be concerned” (C.J.F. 1942, 218; Hervorh. im Original). Auch hier bleibt er seiner These treu, daß demokratische Planung nicht partizipatorisch verfahren müßte. Die Belange der Bürgerschaft werden vielmehr durch eine „responsible bureaucracy“ oder eine „responsible administration” angemessen, aber unabhängig in ihrer Arbeit berücksichtigt. Man muß dies weniger als ein Konzept „demokratischer Planung“ verstehen, denn als autokratische administrative Planung „in der Demokratie”. Es handelt sich um ein Modell der Expertenregierung im Namen eines frei interpretierten „wohlverstandenen“ Gemeinwohls. Später, z.B. in Bezug auf die Verfassungsdebatten des Nachkriegseuropas, mildert sich dieser Gestus, ohne sich je ganz zu verlieren.

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  153. Es geht C.J.F. um die Beteiligung von Experten, um „responsible administration“ und um die „workmanship of experts” (C.J.F. 1942, 225; in deutscher Fassung: den „Geist des Spezialisten-turns“ C.J.F. 1953, 464, 475).

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  154. (Auch) Kafka hatte Anregungen von den Studien Alfred Webers bezogen, den er während dessen Aufenthalt als Dozent an der Prager Universität erlebt hatte. Vgl. A. Weber 1910; Wichnowsky 1986.

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  155. Die Summe beider Apparate mag — trotz Schwächung des politischen Einflusses der staatlichen Bürokratie — erheblich größere Einschränkungen der Bewegungs-, Meinungs-, Versammlungsund Gestaltungsfreiheit für die Bürger bedeutet haben. Die Differenzen müssen deswegen nicht geleugnet werden. Ebenso steht die Richtigkeit einer Analyse in Frage, die von einer „Doppelstaatlichkeit“ (Fraenkel 1974) oder — genauer und besser — von einer Parallelität von Rechtsstaat und Maßnahmestaat im Bild des „Behemoth” (F. L. Neumann 1942) ausgeht. Neumanns Sicht des „Chaos“ zwischen beiden Komponenten bringt die Willkür und Unberechenbarkeit der jeweils gültigen Komponente der staatlichen Herrschaftskette richtiger zum Ausdruck. Fraenkels Darstellung einer strengen Trennung zwischen Gesetzes- und Maßnahmestaat trägt zu einem fast beschönigenden Eindruck von (wenn auch „falscher”) Ordnung und Übersichtlichkeit bei.

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  156. Vgl. C.J.F. 1930a, 1932. Die Bürokratie als „Kernstück des modernen Staates“ lautet die Kapitelüberschrift in einem seiner Bücher (C.J.F. 1953, 2. Kapitel). In der amerikanischen Urfassung (1937: „The Core of Modern Government”) sind es sogar zwei Kapitel, die sich mit der Rolle der Verwaltung beschäftigen (unterteilt in: „Its background“ und „Its nature”: woran sich zugleich noch einmal C.J.F.s organologischer Sprach- und Denkduktus zeigt).

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  157. Von demokratischer Kontrolle „von unten“ ist bei C.J.F. — das soll nicht verschwiegen sein — bisweilen auch die Rede (C.J.F. 1957, 168). Zu verstehen ist dies allerdings im Kontext des Friedrichschen Bürokratiemodells, bei dem diese „Kontrolle” als Selbstkontrolle der Verwaltung eingeführt wird und keinesfalls als eine externe oder gar verbindliche Kontrolle der Verwaltung durch die Bürger angesehen werden darf. Vgl oben 3. Kapitel, G.

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  158. Wenn sich auch Brzezinskis und C.J.F.s Totalitarismusverständnis in wesentlichen Punkten unterscheiden (vgl. oben; C.J.F. 1969, 127; Barber 1969, 29, 50), so sind sie doch in Bezug auf die Technik und den Nutzen der Technik zu Gunsten des Totalitarismus sehr ähnlich: „Der Totalitarismus ist ein System, in dem technologisch moderne Instrumente politischer Macht von der zentralisierten Führung einer Elite-Bewegung ohne Beschränkung zu dem Zweck gehandhabt werden, auf der Grundlage bestimmter, von der Führung verkündeter ideologischer Vorstellungen in einer Atmosphäre erzwungener Einmütigkeit der gesamten Bevölkerung eine totale gesellschaftliche Revolution herbeizuführen, einschließlich der Manipulierbarkeit des Menschen.“ So die (holperige) Übersetzung Westermayers in Seidel/Jenker 1974, 273. Vgl. Brzezinski 1956.

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  159. Insbesondere Jänicke sieht das so. Er zeigt sich davon zugleich irritiert und meint einen „offenkundigen Widerspruch zur Gesamtkonzeption des Werkes“ zu erkennen. Hier liegt aber wohl eher ein ungenaues Verständnis des Zusammenhangs durch Jänicke selbst vor (Jänicke 1971, 138f).

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  160. Vgl. nur seine zentrale Äußerung: „(Propaganda) is a tool — and like other tools it is good, if used for good ends, and bad, if used for bad ends. Like a stick or a gun it may be better.“ (Brief an Porter Sargent/1939, HUG-FP 17.10 Box 9).

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  161. Freyer äußert sich so oder ähnlich an vielen Stellen (z.B. auch Freyer 1957, 1959, 1960, 1965). Ich beziehe mich im Folgenden auf die ausgearbeitete Version aus dem Jahre 1955. Vgl. a. Muller 1987, 339; Kruse 1994, 145ff.

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  162. Vgl. Remmers 1994, 104ff.; Kruse 1994, 146ff.; zum Umfeld: Üner 1992, 109ff.; Muller 1987.

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  163. In diesem Zusammenhang kann der Einfachheit halber auf weitere Differenzierung zwischen Freyers Begriff der „sekundären Systeme“ und dem Modus des „industriellen Zeitalters”, der Industriegesellschaft, den er damit fassen möchte, verzichtet werden. Für eine nähere Analyse wäre die Unterscheidung von Freyers nostalgischer Erinnerung an eine Gesellschaft „auf gewachsenem Grunde“ und die resignative Feststellung ihrer Verdrängung durch die „sekundären Systeme” entscheidend wichtig. So auch die theoriegeschichtlichen Verknüpfungen mit Tönnies’ „Gemeinschaft und Gesellschaft“, mit Hegel, Marx, Tocqueville, Maine und Weber. Siehe hierzu Muller 1987, 341ff. Insgesamt s.a. Saage 1983, 212f.

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  164. Hierin liegt der Fokus von Herfs Analyse des deutschen „Reactionary Modernism“ (Herf 1984): in der Verklärung dieses Prozesses der Industriegesellschaft. Mit Bezug auf Sombart, Jünger und Spengler untersucht er die Einbeziehung der Technologie in den Symbolismus und in die Sprache des „Kulturellen” (Herf 1984, 16). Es wird noch darüber zu handeln sein, daß der damit verbundene Ausschluß aller Anteile der „Zivilisation“ aus diesem Prozeß nicht nur bei diesen Weimarer Mandarinen (eine Kategorie, die auf Jünger nicht zutrifft), sondern auch von Freyer nicht nur beiläufig erwähnt wird. Er beabsichtigt oder akzeptiert diese Zuspitzung bewußt.

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  165. Es ist erstaunlich, daß diese Volte des Hans Freyer der 50er Jahre zu einem Durchhalte-Heroismus, einem „heroischen Realismus“, in der Freyer-Literatur nicht thematisiert wird. Die Ersetzung seines ursprünglichen Heldentums in der „Revolution von Rechts” (Freyer 1931) durch diesen neuen Gestus liegt nahe (vgl. aber Remmers 1994, 175). Statt dessen versucht z.B. Kruse Freyer „nichts Geringeres als die Vision einer ökologisch angepaßten Industriegesellschaft“ zuzueignen. Er tut dies um seiner „Rettung” willen (Kruse 1994, 174, 178ff). Diese Vision allerdings enthält bei Freyer keinerlei Realität, — nicht einmal eine reale Möglichkeit des Denkens. Dies vor allem deshalb, weil, in Freyers Sicht, Menschen, gehalten im Zangengriff technischer Imperative, nichts zu ihrer Realisierung tun. Sie können nichts wirklich entscheiden oder auch nichts unternehmen. Sie können „Sich-Bereithalten“. Dies nicht als Fatalismus zu fassen, es sogar gegen den „heroischen Fatalismus Max Webers” absetzen zu wollen (Kruse 1994, 179), berührt seltsam. Rettung, d.h. die Realisierung der Vision, kann hier nur von außen nahen. Zur Kategorie des „heroischen Realismus“ und seiner Verbindung auch mit den Ergebnissen der politischen Psychologie vgl. Lietzmann 1988, 304ff.

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  166. So auch Greven, der Freyer in eine ganze Reihe unterschiedlichster „Entfremdungstheorien“ einordnet (Greven 1983, 159).

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  167. Freyer selbst propagiert eine von außen kommende Rettung im, buchstäblichen, Sinne einer christlichen „Erlösung“. Er bringt sie in Form eines christlichen Engagements theoretisch ins Gespräch; auch biographisch-praktisch wendet er sich dem christlichen Engagement zu (vgl. Muller 1987, 355f m.w.n.). Alles paßt sich dem Bild der Unausweichlichkeit der von ihm beschriebenen Gesellschaftskonstellation ein. Die Nutzung dieser Orientierung, auch zur beruflichen Absicherung, schildert Muller einfühlsam als „opportun”, wenn auch nicht als opportunistisch. Es war theoretisch konsequent und publizistisch bereits vor 1945 angekündigt (Muller 1987, 355). Das Manuskript z.B. von Freyers „Weltgeschichte Europas“ (Freyer 1948) entstand zwischen 1938 und 1944 (Muller 1987, 355). Hierher paßt auch Grevens Hinweis auf Benjamins Erwartung des erlösenden Messias am Ende seiner Thesen über den „Begriff der Geschichte”. Diese Perspektive auf den Messias kann als eine Parallele zu Freyers Kategorie der „Erwartung“ verbucght werden (Greven 1983, 276, FN. 7). Daß diese heilsgeschichtliche Erwartung, gerade so wie sie von Freyer dargestellt wird, keinerlei Entsprechung in der Realität findet, entspricht ihrem theoretischen und systematischen Ort: Die Gesellschaft wird zur fatalistischen Verstrickung. (vgl. a. Greven 1983, 62) Ganz anders möchte das Kruse sehen. (Kruse 1994).

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  168. Der Begriff „Totalitarismus“ gehört zu Alfred Webers stereotypem Repertoire seit Mitte der 40er Jahre. Seine ungenaue, schillernd-romantisierende- und lebensphilosophisch stilisierte Sprache bildet dabei eine der größten Zugangshürden zum Verständnis des Weberschen Werkes (vgl. auch Döring 1975, 214 mit weiteren Nachweisen). Eckert spricht von einer „gewisse(n) begriffliche(n) Unklarheit” (Eckert 1970, 36), Webers Schüler Bergsträsser von einer „eigentümlichen Verfahrensweise des Denkens und der Untersuchungen“ (Bergsträsser 1959, 146). Beide geben damit vorsichtige Hinweise darauf, daß es sich nicht allein um Probleme der Rezipienten handelt, sondern daß auch die über das Assoziationsmoment hinausragende systematische Gültigkeit von Webers Forschungsergebnissen zu wünschen übrig lasse. Wer emphatisches Verständnis sucht und eigene Assoziationen in den Kanon von Webers Kulturkritik einflechten möchte, hat dagegen vergleichsweise leichtes Spiel; — auch wenn er diesem dabei kaum gerecht zu werden vermag. Kruses These, Webers Voraussicht der Naturzerstörung durch Techniknutzung, mache ihn zum Theoretiker der modernen ökologischen Bürgerbewegungen, fällt in diese letzte Kategorie (Kruse 1990).

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  169. Zu A. Webers Anknüpfung an Bergson und dessen Lebensphilosophie als seiner weltanschaulichen Grundlage vgl. z.B. A. Weber 1925, 164. Hierzu auch Demm 1990, 142ff.; Lenk 1964; Rehberg 1986; Risterer 1986.

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  170. An anderer Stelle spricht Weber von der Persönlichkeitsspaltung in „Zyniker“ und den „innerlich abgeteilten Bereich in altgeheiligtem Drang” (A. Weber 1950, 448).

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  171. Die Dichotomisierung der gesellschaftlichen Entwicklung in Kultur und Zivilisation, Gemeinschaft und Gesellschaft, die in der Staatswissenschaft und Soziologie der ersten Jahrhunderthälfte eine so dominierende Rolle spielt (vgl. Rehberg 1986, Lenk 1967, Risterer 1986), soll hier nicht näher untersucht werden. Es handelt sich um eine Form wissenschaftlicher Dichotomisierung, soviel liegt auf der Hand, die auch in der Alternative von totalitärer und konstitutioneller Diktatur, bei manchen Autoren: Totalitarismus und Demokratie, wiederkehrt.

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  172. Man kann diese ambivalente Sicht moderner Gesellschaftlichkeit und ihre vom Untergangspathos leicht berührte Geste als prophetische Aussage über die Notwendigkeit nachhaltigen Wirtschaftens und Handelns begreifen. Kruse beispielsweise tut dies (Kruse 1990, 1994).

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  173. Es soll an dieser Stelle nicht auf die einzelnen Lösungswege eingegangen werden, die Weber ins Auge faßt. Sie changieren. Im wesentlichen handelt es sich um a) eine Nischenbildung in Zeiten des Totalitarismus zur Bewahrung von alternativen Denk- und Handlungsformen, b) das Vertrauen in diejenigen Intellektuellen, die dem System gegenüber skeptisch geblieben oder abtrünnig geworden sind, sowie vor allem um c) die Widerstandskraft der organisierten Arbeiterschaft. Diese könne Potentiale des „Durchschnittsmenschen“ am ehesten bewahren, da sie hauptsächlich niedere Arbeiten und keine Funktionärstätigkeiten zu verrichten habe. Sie ist damit notgedrungen weniger stark integriert. Alfred Webers Nachkriegskonzeption der Arbeitermitbestimmung, der „Freie Sozialismus” (A. Weber 1946), hat hier ihre Wurzel. Vgl. Demm 1994.

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  174. Beispielsweise C.J.F. 1968c, 47. Ebenso Leibholz 1954 oder F. L. Neumann 1967; Walzer 1984.

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  175. Die in dem Zitat angedeutete Identität von „Demokratie“ und „Verfassung” ist doch eher suggestiv. Daß die Leninsche Partei wirklich Teil eines „demokratischen Parteiensystems“ war, darüber dürfte gestritten werden. Rosa Luxemburg war da anderer Meinung und sah gerade in der mangelnden Demokratisierung in Lenins „Ultrazentralismus” den Beginn eines fatalen diktatorischen Regimes. Luxemburg 1904, 422ff, 425; Fetscher 1983, 15ff. Da ich C.J.F.s Aussagen jedoch gerade nicht als realtypische Schilderung, sondern als idealtypische Zuspitzung in theoretischer Absicht begreife, gibt es keinen Anlaß über empirische Triftigkeit zu streiten. Signifikant ist die theoretisch beabsichtigte Einstufung des demokratischen Parteiensystems als des Portals, durch das die totalitären Herrscher einmarschieren.

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  176. Z.B. der Monarchien und ihrer heroischen Applikationen (vgl. Mosse 1984, 170ff; 1976, 15ff).

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  177. Etwas unklar erscheint deshalb C.J.F.s Rede von einer „perversion of Western party democracy“ (C.J.F. 1964, 526), in der dann doch Parteiensystem und Demokratie begrifflich zusammengefaßt werden.

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  178. C.J.F. macht diesen Gedanken besonders in seinem 1937 erschienenen Buch „Constitutional Government and Politics“ deutlich. Dort hebt er die Notwendigkeit einer Wahrung des konstitutionellen Fundamentalkonsenses hervor. Gefährdet und wieder zerstört wird dieser Konsens durch die Bildung radikaler Parteien. Als Beispiel dient für Deutschland allein die KPD, die einen Verfassungskonsens verhindere (C.J.F. 1937, 138). Von der NSDAP ist dagegen erst in späteren Auflagen die Rede (z.B. C.J.F. 1953, 188). Später schildert C.J.F. die Demokratie nicht mehr ganz so deutlich als etwas anderes als den Verfassungstaat. „Konstitutionelle Demokratie” verbindet beides und begrenzt die demokratische Ambivalenz. Daß immer wieder die Furcht vor der Demokratie, insbesondere vor den Parteien und der Aufkündigung der konstitutionellen Gewißheit wie des „common sense“ deutlich zum Ausdruck kommt, gehört zu den durchgängigen Hauptmerkmalen der klassischen Totalitarismustheorie.

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  179. Jacob L. Talmon „Die Ursprünge der totalitären Demokratie“; der 1. Band erschien 1952 (dt. 1961), der zweite Band über den „Politischen Messianismus” 1960 (dt. 1963) und der dritte Band „The Myth of the Nation and the Vision of Revolution“ im Jahre 1981.

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  180. Spätestens im dritten Band, der erst dreißig Jahre nach dem ersten erschien, hält Talmon diese Beschränkung überhaupt nicht mehr ein. Jänicke konnte sich nur auf die beiden ersten Bände beziehen. Seine Behauptung ist dennoch kühn.

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  181. Auf Talmons Einschätzung, der „Totalitarismus der Rechten (leugne) die Allgemeingültigkeit menschlicher Werte“ und stelle daher eine „eigene Form von Pragmatismus” dar (Talmon 1961, 7), kann hier nicht eingegangen werden. Für das Verständnis dieser Passage muß man wissen, daß „Pragmatismus“ bei Talmon sonst positiv konnotiert ist. Die nicht-totalitären Systeme zeichnen sich gerade durch ihn aus. (Talmon 1961, 1)

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  182. Einmal abgesehen von der Engführung von Totalitarismus und „Aufklärung“, mag es Schwierigkeiten geben, den „Klassen”-Begriff oder die Rolle der Partei im Stalinismus über den Leisten des Individualismus zu schlagen. Die damit verbundene Konsequenz, daß „auf den Totalitarismus der Rechten dieser Begriff (der Demokratie, H.J.L.) nicht anwendbar“ ist (Talmon 1961, 7) und daß deshalb die Theorie der „totalitären Demokratie” keine Anwendung auf Faschismus und Nationalsozialismus finden kann, hat bei der Rezeption ohnehin kein Rolle gespielt. Talmon selbst wollte — zumindest im Rahmen seiner Einleitung — nur über den „Totalitarismus der Linken“ schreiben. Er legte ein reines Produkt des Nachkriegsdiskurses vor; ohne Bezug auf den NS-Staat.

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  183. Das läßt sich nicht nur anhand der zeitgenössischen Rezeption der Texte zeigen, sondern ebenso anhand der Vorträge des Symposiums der „Israel Academy of Scienes and Humanities“ aus dem Jahre 1982 in „Memory of Jacob L. Talmon” (Totalitarian Democracy 1984). Vgl. Aridi 1984; beispielhaft Mosse 1984, Walzer 1984. Auch Talmon selbst gibt im letzten Band diese Selbstbeschränkung auf und bezieht Nazis und Bolschewiki gleichermaßen in seine Theorie mit ein (vgl. Walzer 1984, 187).

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  184. Wie Arieli in seiner Laudatio auf dem genannten Kongreß hervorhebt: „Yet, unlike Kant and Hegel, Talmon felt that the,cunning of reason’… frequently creates disastrous and horrifying results.“ (Arieli 1984, 32).

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  185. „Je pense donc que l’espèce d’oppression dont les peuples démocratiques sont menacés ne ressemblera à rien de ce qui l’a précédée dans le monde; nos contemporains ne sauraient en trouver l’image dans leurs souvenirs. Je cherche en vain moi même une expression qui reproduise exactement l’idée que je m’en forme et la renferme; les ancien mots de despotisme et de tyrannie ne conviennent point. La chose est nouvelle; il faut donc tacher de la définir, puisque je ne peux la nommer.“ (Tocqueville zit. bei Talmon 1952 auf dem Deckblatt)

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  186. Walzer 1984, 187. Schon gar nicht geht es um eine Geschichte der nationalsozialistischen und (!) realsozialistischen Bewegungen, da Talmon erstere ja (s.o.) gerade aus seiner Analyse aussparen möchte.

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  187. Signifikant daher Talmons Bezug auf Popper und Russell mit ihrer Platon-Kritik (Talmon 1961, 234).

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  188. So auch Ernst Fraenkel, der sich in einer gleichlautenden Rousseau-Kritik, mit einem gleichlautenden Totalitarismusvorwurf auf Talmon mal mit, mal ohne Namensnennung bezieht (Fraenkel 1966, 267, 271). Fraenkel wird nach dem zweiten Weltkrieg zu einem der wichtigsten Exponenten der politikwissenschaftlichen, immer heftiger werdenden und breit geteilten Rousseau-Kritik (Fraenkel 1958, 1963, 1967). Zu Fraenkel siehe Göhler 1986, Eisfeld 1988; Buchstein 1992, 242ff.

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  189. George L. Mosse weist zu Recht darauf hin, daß Talmon mit seiner emphatischen Attacke auf die Auswüchse der Demokratie und der Säkularisierung sowie mit der strukturellen Alternative eines „parliamentary government“ als der „richtigen Ordnung”, dem „Jakobinischen Modell“ näher stehe als ihm selbst bewußt sei. Auch die liberale Tradition hat ihre „Messianismen” und die von ihnen ausgehenden Einschränkungen der persönlichen Freiheit. (Mosse 1984, 170f) Ähnlich argumentiert Ezrahi 1984, 180.

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  190. Vgl. zur Rousseau-Debatte Casper 1993; als historisches Material zur Tocqueville-Debatte bietet sich an: Oberndörfer 1961. Freilich bildet vor allem auch Montesquieu eine wichtige Referenz in der gesamten Auseinandersetzung.

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  191. Niclauß (1974, 62ff) gibt eine plastische Darstellung der Diskussion.

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Lietzmann, H.J. (1999). Eine Theorie der totalitären Diktatur. In: Politikwissenschaft im „Zeitalter der Diktaturen“. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-322-97424-2_6

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