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Die Parzellierung der Shoah-Erinnerung im heutigen Israel

Vom historischen Ereignis zum Gegenstand ideologischer Projektion

  • Chapter
Gebrochene Identitäten
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Zusammenfassung

Man kann davon ausgehen, daß nahezu jeder jüdische Mensch der heutigen Zeit, nach der Konsequenz bzw. »Lehre« gefragt, die das jüdische Volk aus dem Holocaust der europäischen Juden gezogen habe, die Errichtung des Staates Israel mit in seine Antwort einbeziehen würde. Die Assoziation von Israel und dem Holocaust gilt als so selbstverständlich, daß man nicht selten der Ansicht begegnen kann, die historische Staatsgründung verdanke sich geradewegs der monströsen Katastrophe. Es kam, so gesehen, nicht von ungefähr, daß Deutschland das Wiedergutmachungsabkommen von 1952 gerade mit Israel, einem zum Zeitpunkt der realen Massenvernichtung der Juden noch gar nicht existierenden Staat, unterzeichnete; nicht von ungefähr nahm man es auch weltweit hin, daß Eichmann 1960 vom israelischen Geheimdienst ergriffen, 1961 vor ein israelisches Gericht gestellt und von diesem auch zum Tode verurteilt wurde; es war auch kein Zufall, daß gerade Israel in den fünfziger Jahren einen staatsoffiziellen »Gedenktag zum Andenken der Shoah und des Heldenmuts« ausrief und das Holocaust-Gedenkmuseum Yad-Vashem errichtete. Israel verstand sich von Anfang an als eine nach dem Holocaust notwendig gewordene »Versicherungspolice« des jüdischen Volkes; es läßt sich mithin behaupten, daß seine gesamte politische Kultur von Anbeginn weitgehend auf dem Andenken des Holocaust basierte und sich im Schatten der allgegenwärtigen Katastrophe entfaltete, wobei es zunächst unerheblich erscheinen mag, inwieweit besagtes Andenken instrumentalisiert, zuweilen gar ideologisch fetischisiert wurde.1 Unzweifelhaft ist der Holocaust im Kollektivbewußtsein der israelischen Bevölkerung dominant verankert; unweigerlich drängt sich also der von den meisten Israelis subjektiv empfundene Nexus von Israel und dem Holocaust auch objektiv auf: Was zum Selbstbild eines Kollektivs gehört, kann ihm schwerlich objektiv abgesprochen werden.

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Literatur

  1. Vgl. hierzu: Moshe Zuckermann, Shoah im abgedichteten Zimmer, Tel-Aviv 1993 (hebräisch). Siehe im übrigen nunmehr: Moshe Zuckermann, Zweierlei Holocaust. Der Holocaust in den politischen Kulturen Israels und Deutschlands. Göttingen 1998.

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  2. Moshe Zuckermann, Fluch des Vergessens. Zum innerisraelischen Diskurs um den Holocaust, in: Babylon. Beiträge zur jüdischen Gegenwart, Heft 4, 1988, S. 71.

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  3. Die Behauptung, es gäbe kein Wesen des historischen Ereignisses, sondern eben nur stets wandelbare Formen seiner Erinnerung, darf dabei im Extremfall selbst als Ideologie gewertet werden. Der radikale Relativismus, so schwer er auch insgesamt zu widerlegen ist, bezeichnet ja vor allem die Ohnmacht bzw. das Unvermögen, der vorwaltenden Pluralität einen objektiven Sinn abzugewinnen; deshalb ist man ja sozusagen gezwungen, das Vergangene immer wieder aufs neue zu rekonstruieren. Schließt man aber daraus, daß das Vergangene selbst fungibel sei, verfährt man dabei ideologisch, denn man rationalisiert ja nur subjektives Unvermögen mit dem Stand des Objektiven. Vgl. hierzu auch: Theodor W. Adorno, Negative Dialektik, Frankfurt/M. 1982, S. 360.

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  4. Vgl. Dan Diner (Hrsg.), Zivilisationsbruch. Denken nach Auschwitz, Frankfurt/M. 1988.

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  5. Theodor W. Adorno, Erziehung nach Auschwitz, in: ders., Erziehung zur Mündigkeit, Frankfurt/M. 1971, S. 88.

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  6. Theodor W. Adorno, Negative Dialektik, a.a.O., S. 358.

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  7. So hinterfragte z.B. im Jahre 1992 die ehemalige Erziehungsministerin Shulamit Aloni den Zweck der staatlich organisierten Fahrten von israelischen Schülern zu den Vernichtungslagern in Polen. Sie hatte Zweifel, ob die Schüler nicht gerade im Rahmen dieser Unternehmungen chauvinistisch und fremdenfeindlich indoktriniert würden. Vgl. Zuckermann, (wie Anm. 1 ), S. 58.

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  8. Yehuda Elkana, Ein Plädoyer für das Vergessen, in: Ha’aretz, 2. 3. 1988, S. 13 (hebräisch).

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  9. Die gehobene israelische Publizistik ist voll von akademischen wie nichtakademischen Debatten um die »Einzigartigkeit des Holocaust«. Vgl. z.B. Yehuda Bauer, Warum mordete man die Juden und nicht die Radfahrer, in: Ha’aretz, 2.5.97, S. Dlf. (hebräisch); Mori Rader, Man hätte auch die Radfahrer ermordet, in: Ha’aretz, 16.5.97, S. D3 (hebräisch); Yehuda Bauer, Der Holocaust war in der Tat einzigartig, in: Ha’aretz, 30.5.97, S. D2 (hebräisch). Demgegenüber eher polemisch-flach: Dan Margalit, Die Einzigartigkeit des Holocaust, in: Ha’aretz, 5. 5. 97, S. B1 (hebräisch).

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  10. Mordechai Horowitz, Die Holocaust-Erinnerung fungiert nicht, Tel-Aviv 1980, S. 16 (hebräisch).

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  11. So geschehen vor etwa einem Jahr bei einer Sendung der staatlichen Fernsehanstalten. Vgl.: Ehud Asheri, Verzeihung, der Moderator ist verschwunden, in: Ha’aretz, 2. 5. 97, S. A2 (hebräisch).

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  12. Vgl. hierzu: Seev Fabian, Wenn wir leben wollen, in: Ha’aretz, 7. 9. 97, S. B2 (hebräisch).

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  13. Gulie Ne’eman Arad, The Holocaust as an Israeli Experience, in: The Pennsylvania Gazette, June 1997, S. 31.

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  14. Ein neues Forschungsprojekt zeigt: Im Holocaust kamen auch 800 Juden aus Nordafrika um, in: Ha’aretz, 22. 9. 97, S. Al2 (hebräisch).

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  15. Vgl. z. B.: Uzi Benziman, Entschuldigung für die schrecklichen Tage, in: Ha’aretz 28. 9. 97, S. B1 (hebräisch); Eli Barnavi, Wofür entschuldigt er sich, in: Ha’aretz, 30. 9. 97, S. B2 (hebräisch).

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  16. Anzeige in: Ha’aretz, 29. 9. 97, S. A4 (hebräisch).

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  17. Itzhak Laor, Über Relativität, in: Ha’aretz, 21.4. 97, S. E5 (hebräisch).

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  18. Es liegen hierüber noch keine systematischen Untersuchungen vor. Aus persönlicher Erfahrung kann ich bezeugen, daß der buchhalterische Zahlenvergleich zwischen Stalin-und Hitleropfern in Israel, wenn überhaupt, dann gerade unter jungen Immigranten aus Rußland zu hören ist. Gesondert zu behandeln wäre in diesem (bzw. im vorher erörterten) Zusammenhang die Bedeutung, die der Holocaust des europäischen Judentums für die Gemeinschaft der aus Äthiopien eingewanderten Juden hat.

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  19. Azmi Bishara, Die Araber und der Holocaust — Die Problematisierung einer Konjunktion, in: Zmanim, 53 (1995), S. 54–71 (hebräisch).

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  20. Zu erwähnen wären z. B. die generationsbedingten Unterschiede der Erfahrungs-und Erlebniswelten im Holocaust-Gedenken, zugleich aber auch die dynamisch gewordenen Wechselwirkungen der Erinnerungs-und Gedenkmodi der verschiedenen Generationen sowie die Enttabuisierung des privaten Gesprächs und des öffentlichen Diskurses. In gleichem Zusammenhang ließe sich auch die in den letzten Jahren bedeutend fortgeschrittene Auseinandersetzung israelischer Künstler mit dem Holocaust bzw. den (ideologischen) Strukturen der israelischen Holocaust-Erinnerung erörtern. Beispiele hierfür wären Theaterwerke wie Dudi Ha’aretz Arbeit macht frei oder anspruchsvoll provokante Kunstausstellungen wie die Ram Katzirs und Roee Rosens.

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  21. Vgl. hierzu: Moshe Zuckermann, Ein bedrohlicher Frieden, in: Perspektiven, April 1996, S. 16f.

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Werner Gephart (Professor)Karl-Heinz Saurwein (Wissenschaftlicher Mitarbeiter)

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© 1999 Leske + Budrich, Opladen

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Zuckermann, M. (1999). Die Parzellierung der Shoah-Erinnerung im heutigen Israel. In: Gephart, W., Saurwein, KH. (eds) Gebrochene Identitäten. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-322-97415-0_4

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  • DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-322-97415-0_4

  • Publisher Name: VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden

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