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Einleitende Bemerkungen

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Medizin und Geschlecht

Part of the book series: Sozialwissenschaftliche Studien ((SWS,volume 36))

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Zusammenfassung

1900 faßte der angesehene Neurologe Paul Julius Möbius die zeitgenössischen medizinischen Auffassungen von „Gesundheit“ in die bündige Formel: „Je gesünder der Mensch ist, desto entschiedener ist er Mann oder Weib“.1 Die direkte Abhängigkeit medizinischer Krankheits- und Gesundheitskonzeptionen von den zeitgenössischen Vorstellungen über das Geschlechterverhältnis konnte kaum deutlicher formuliert werden. Trotzdem hat der anhaltende Androzentrismus der Wissenschaften dazu geführt, daß der Anteil der Medizin an der Herausbildung und Legitimierung der Geschlechterordnung übersehen wurde. Auch die geschlechtsspezifische Strukturierung medizinischer Kategorien wurde bislang als die andere, dunklere Seite der Modernisierungsgeschichte ausgeblendet. Die biologistische Wissenschaftsauffassung des Gynäkologen W. Liepmann — eines Zeitgenossen des eben zitierten Möbius -, in der die geschlechterpolitischen Dimensionen naturwissenschaftlicher Forschung negiert werden, scheint noch heute aktuell zu sein: „Die Norm ist das Ergebnis wissenschaftlich erforschter, biologischer Gesetzmäßigkeit, (...), die Wissenschaft ist nicht männlich und nicht weiblich, sie ist der neutrale Baum menschlicher Erkenntnisfähigkeit.“ 2

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Literatur

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Schmersahl, K. (1998). Einleitende Bemerkungen. In: Medizin und Geschlecht. Sozialwissenschaftliche Studien, vol 36. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-322-97404-4_1

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  • DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-322-97404-4_1

  • Publisher Name: VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden

  • Print ISBN: 978-3-8100-2009-3

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