Zusammenfassung
Wenn das Thema der Nahrungsauswahl in unserem Alltag zur Sprache kommt, so geht es zumeist um Aspekte einer „gesunden“ oder „ungesunden“ Ernährungsweise, um Folgen der Über- oder Unterernährung, um die Brennstoffzufuhr, den Vitamin- und Mineralgehalt, welchen ein Nahrungsmittel aufzuweisen hat. Wir hören und sprechen von Gesundheitsschädigungen durch Nahrung, von „BSE-Fleisch“, Cholesterin oder verstrahltem Gemüse, ebenso wie von der Gesundheitsförderung durch Diät- und Bioprodukte. Es kann sich einer Ratgeberkultur bedient werden, die sich auf alle Medien erstreckt, und es können Professionen und Institutionen konsultiert werden, welche auf eine Beratung hinsichtlich der Ernährung spezialisiert sind. übermäßig häufig geht es bei einer Problematisierung des Essens und Trinkens um die positiven oder negativen Auswirkungen der Nahrung auf den Körper — um eine physiologische Betrachtung also.
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Literatur
R. König, Die soziale und kulturelle Bedeutung der Ernährung in der industriellen Gesell-schaft, in: Ders., Soziologische Orientierungen, Köln, Berlin 1965, S. 494–505; S. 494
Zu diesem Schluß gelangt auch Karl Heinz Pfeffer in seiner Betrachtung der „Einflüsse äußerer Bedingungen auf Verzehrsgewohnheiten“, dem ersten Abschnitt seines Aufsatzes in: H. D. Cremer and D. Hötzel (Hg.), Angewandte Ernährungslehre, Stuttgart 1974, S. 1–49;
S. 6. Bei der Auswahl der theoretischen Zugänge wurde von Ansätzen, die bemüht sind, allein „rationale“ Faktoren für die Ablehnung bestimmter Nahrungsquellen verantwortlich zu machen, zugunsten anderer Aspekte abgesehen. Einschlägig und umstritten hierzu auch der „kulturmaterialistische” Ansatz in M. Harris, Wohlgeschmack und Widerwillen — das Rätsel der Nahrungstabus, Stuttgart 1988.
Neben neueren Darstellungen wie der von A. S. Meigs, Food Rules and Traditional Sexual Ideology, in: D. W. Curtin and L. M. Heldke (Hg.), Cooking, eating, thinking. Transformative philosophies of food, Bloomington/ Indianapolis 1992, S. 109–118
G. Baer, Jagdverhalten und Nahrungstabus bei den Matsigenka-Indianern, in: B. Hauser-Schäublin (Hg.), Rund ums Essen, Basel 1986, S.23–30 und Untersuchungen aus den 60er und 70er
Jahren, E. B. Ross, Food Taboos, Diet and Hunting Strategy: The Adaption to Animals in Amazon Cultural Ecology, in: Current Anthropology, 19 (1978), S. 1–36
E. B. Basso, The Kalapalo Indians of Central Brazil, New York 1973
S. J. Tambiah, Animals are good to think and good to prohibit, in: Ethnology, 8 (1969), S. 423–459 oder dem nun mehr „klassisch“ zu nennenden Werk von C. Levi-Strauss, Mythologica I-III (Bd. 1: Das Rohe und das Gekochte (1964); Bd. II: Vom Honig zur Asche (1966); Bd. III: Der Ursprung der Tischsitten (1968)), Frankfurt/ M. 1976, ist auch auf sozialanthropologische Studien der 20er und 30er Jahre, hier vomehmlich auf die Arbeiten von A. I. Richards in den Jahren 1932 bis 1939 (z.B. Hunger and work in a savage tribe; a functional study of nutrition among the Southern Bantu, Cleveland 1932 und Land, Labour and Diet in Northern Rhodesia, Oxford 1939 )
A. R. Radcliffe-Brown, The Andaman Islanders, Cambridge 1922 hinzuweisen. Zu beachten sind überdies die Forschungen des 19. und frühen 20. Jahrhunderts, wichtige Vertreter für die Herausbildung der Sozial- und Kulturanthropologie sowie der Soziologie sind E. B. Tylor, Lewis H. Morgan, Herbert Spencer und James G. Frazer. Nicht zuletzt sei auf Emile Durkheim und seine Untersuchung des australischen Totemismus (Die elementaren Formen des religiösen Lebens, Frankfurt/ M. 1981 (zuerst 1912)) verwiesen.
An dieser Stelle sei an Hildegard von Bingen, die erste deutsche Mystikerin, erinnert. Die Benediktinerin, die im 12. Jahrhundert wirkte, verfaßte u. a. eine naturwissenschaftlich-medizinisch orientierte Ernährungslehre. Vgl. hierzu: J. A. Kleber, Zucht und Ekstase. Maßregeln des klösterlichen Essens, in: A. Schuller and J. A. Kleber (Hg.), Verschlemmte Welt. Essen und Trinken historisch-anthropologisch, Göttingen 1994, S. 235–253
Zur „Medizinierung“ des Essens ab dem 17. Jahrhundert vgl. T. Kleinspehn, Zum Bedeutungswandel abweichenden Eßverhaltens seit der frühen Neuzeit, in: Medizin Mensch Gesellschaft, Bd. 12 (1987), S. 220226; S. 222f. und ausführlicher
T. Kleinspehn, Warum sind wir so unersättlich. Über den Bedeutungswandel des Essens, Frankfurt/ M. 1987, S. 132ff. und S. 253ff.
Lesenswert (nicht nur) hierzu: N. Fiddes, Fleisch. Symbol der Macht, Frankfurt/ M. 1993 egeln, die bei der
Weitere Beispiele finden sich bei L. M. Penning, Kulturgeschichtliche und sozialwissen-schaftliche Aspekte des Ekels, Mainz 1984. Die vor knapp 30 Jahren verfaßte Dissertation von J. Busch enthält ebenfalls zahlreiche anschauliche Exempel, ihr Titel „Absonderliche Ernährungsgewohnheiten der Völker“ sollte allerdings als Warnung und Mahnung zu kritischer Distanz verstanden werden, da die Autorin ihren Forschungsgegenstand von einem ethnozentristischen Standpunkt aus zu beurteilen geneigt ist. (J. Busch, w.o., Tübingen 1966 )
Diese Entwicklung soll an späterer Stelle im Rückgriff auf N. Elias, Über den Prozeß der Zivilisation. Soziogenetische und psychogenetische Untersuchungen. Bd. I: Wandlung des Verhaltens in den weltlichen Oberschichten des Abendlandes, Frankfurt/ M.181993; Bd. IL Wandlungen der Gesellschaft. Entwurf zu einer Theorie der Zivilisation, Frankfurt /M. 181994 (zuerst 1939) nachgezeichnet werden.
Eine herausragende Stellung nimmt hierbei fraglos das Werk Norbert Elias’ zum „Prozeß der Zivilisation“ ein, das sich durch seinen spezifischen soziologischen Zugang und den hohen Grad der theoretischen Durchdringung seines Gegenstandes auszeichnet. In seiner Tradition stehen die Arbeiten von S. Mennell, der mit seinem Buch „Die Kultivierung des Appetits” eine „Geschichte des Essens vom Mittelalter bis heute“ vorlegt (engl.: 1985; dt.: 1988). In den letzten Jahren sind einige Publikationen erschienen, von denen insbesondere U. Zischka and H. Ottomeyer and S. Bäumler, Die anständige Lust: von Eßkultur und Tafelsitten, München 1994 sowie die Arbeit von B. Laurioux, Tafelfreuden im Mittelalter. Kul-turgeschichte des Essens und Trinkens in Bildern und Dokumenten, Stuttgart 1992 hervorgehoben werden sollen. In erster Linie kulturgeschichtliche Betrachtungen liegen außerdem auch für einzelne Nahrungs- und Genußmittel vor: z.B. P. Albrecht, Kaffee. Zur Sozialgeschichte eines Getränks, Braunschweig 1980
S. W. Mintz, Die süße Macht. Kulturgeschichte des Zuckers, Frankfurt/ M. 1987
W. Schivelbusch, Das Paradies, der Geschmack und die Vernunft. Eine Geschichte der Genußmittel, München/ Wien 1980, Ottenjann and Ziessow (Hg.), Die Kartoffel — Geschichte und Zukunft einer Kartoffelpflanze, Cloppenburg 1992.
Einige ausgewählte Titel zu dieser Problematik sind: F. J. Simoons, Questions in the sacred-cow-controversy, in: Current Anthropology, Jg. 20 (1979), S. 467–493
L. Alsdorf, Beiträge zur Geschichte von Vegetarismus und Rinderverehrung in Indien, in: Akademie der Wissenschaften und der Literatur ( Geistes- und sozialwissenschaftliche Klasse ), Mainz 1961, S. 559–625
P. Diener and E. E. Robkin, Ecology, Evolution and the Search for Cultural Origins: The Question of Islamic Pig Prohibition, in: Current Anthropology, Jg. 19 (1978), S. 493–540. Zu den jüdischen Speisegesetzen wird nahezu ausnahmslos Stellung genommen, sei es bei R. König, Die soziale und kulturelle Bedeutung der Ernährung in der industriellen Gesellschaft, a.a.O.
K. H. Pfeffer, Verzehrsgewohnheiten, a.a.O., M. Harris, Wohlgeschmack und Widerwillen — das Rätsel der Nahrungstabus, a.a.O., K. Eder, Die Vergesellschaftung der Natur. Studien zur sozialen Evolution der praktischen Vernunft, Frankfurt/ M. 1988
M. Douglas, Reinheit und Gefährdung. Eine Studie zu Vorstellungen von Verunreinigung und Tabu, Frankfurt/ M. 1988.
vgl. E. Heun, Nahrungstabus und Fasten bei Naturvölkern, in: Ernährungsumschau, Jg. 9 (1972), S. 48–54; S. 49
vgl. N. Fiddes, Fleisch. Symbol der Macht, a.a.O., vor allem Kap. 10 (S. 172–192) A. S. Meigs analysiert in ihrem Aufsatz „Food Rules and the Traditional sexual Ideology“, a.a.O., Nahrungsverbote für männliche Stammesangehörige der Hua in Neu-Guinea, die auf Bezüge der jeweiligen Nahrungsmittel zur weiblichen Sexualität basieren. Die Autorin legt damit einen interessanten Zugang zur Problematik der Nahrungsablehnungen offen, der in Kap. 5.2 vorgestellt wird.
U. Tolksdorf, Schwangerschaftsgelüste ( Picae gravidarum), in: Kieler Blätter zur Volkskunde, 1975, S. 81–106
H. Teuteberg and G. Wiegelmann, Der Wandel der Nahrungsgewohnheiten unter dem Einfluß der Industrialisierung, Göttingen 1972, S. 92f.
Beispiele und Analysen zu dieser Problematik finden sich u.a. bei N. Elias, Über den Prozeß der Zivilisation, a.a.O., S. Mennell, Die Kultivierung des Appetits. Die Geschichte des Essens vom Mittelalter bis heute, a.a.O. sowie bei U. A. Becher, Geschichte des modernen Lebensstils, München 1990, N. Heim, Hunger und sattes Leben, Zur sozialen Modellierung von Emährungsbedürfnissen, in: A. Schuller and J. A. Kleber (Hg.), a.a.O., S. 89102 und in kritischer Haltung zum „Kochtopf-Voyeurismus“ (S. 18) der „bürgerlichen” Nahrungsethnologie: M. Scharfe, Die groben Unterschiede. Not und Sinnesorganisation: Zur historisch-gesellschaftlichen Relativität des Genießens beim Essen, in: U. Jeggle et. al. (Hg.), Tübinger Beiträge zur Volkskunde, Tübingen 1986, S. 13–28
Eine eigene Soziologie des Geschmacks wird entwickelt in P. Bourdieu, Die feinen Unterschiede. Kritik der gesellschaftlichen Urteilskraft, Frankfurt/ M.71994.
vgl. S. Mennell, Die Kultivierung des Appetits. Die Geschichte des Essens vom Mittelalter bis heute, a.a.O., S. 385
H. Teuteberg gibt in: Magische, mythische und religiöse Elemente in der Nahrungsmittelkultur Mitteleuropas, in: N.-A. Bringéus et. al. (Hg.), Wandel der Volkskultur in Europa. Festschrift für Günter Wiegelmann, Münster 1988, Bd. I, S. 351–373 einige interessante Hinweise zum Thema „Fasten“ und deutet u.a. auf die Schwierigkeit hin, magisch überhöhte Meidungs-Gebote von religiösem Fasten zu unterscheiden (vgl. S. 368ff.).
Das christliche Abendmahl ist vielfältig untersucht worden. Hier nur der Hinweis auf eine etwas andere, interessante Interpretation: A. HoII, Das erste Letzte Abendmahl, in: U. Schultz (Hg.), Speisen, Schlemmen, Fasten: eine Kulturgeschichte des Essens, Frankfurt/ M. 1993, S. 43–55
Exemplarisch sei der Fall der französischen Hafenstadt La Rochelle, einer Hochburg der Hugenotten im Dreißigjährigen Krieg, angeführt, für die es einiges Material über den Hunger und die Ernährung während ihrer zwölfmonatigen Belagerung gibt: E. Hinrichs, Katze, Maus und Stiefel auf der Speisekarte im belagerten La Rochelle von 1628, in: U. Schultz (Hg.), Speisen, Schlemmen, Fasten: eine Kulturgeschichte des Essens, a.a.O., S. 193–205
Hier wird ein zentraler Punkt der gesamten Problematik berührt, und zwar die Frage, inwieweit Ablehnungen und Abneigungen gegenüber bestimmten Nahrungsmitteln auf deren ursprünglicher Begehrtheit basieren, denn nur, wo ein Verlangen nach etwas besteht, macht es Sinn, das Betreffende zu verbieten.
vgl. zu dieser Kategorie J. Hirsch, Über traditionellen Speisenabscheu, in: Zeitschrift für Psychologie, 1. Abteilung, Bd. 88 (1922), S. 337–371; S. 340
Drei in wissenschaftlichen Diskussionen vorkommende Varianten stellt das „Lexikon zur Soziologie“, hg. v. W. Fuchs et. al., Opladen 1988 vor: (1) „allgemeine Bezeichnung für gesellschaftliche Regelungen, die mit besonders starker Strafandrohung bestimmte Handlungen verbieten”, (2) „Bezeichnung für eine zugleich religiöse und sittlich juristische Einrichtung vor allem primitiver Gesellschaften, die als strenges Verbot, Vorschrift usw. wichtiges Strukturelement dieser Gesellschaften ist“, (3) „Bezeichnung für ein erlerntes, meist religiöses oder mystisch begründetes Verbot der Individuen, etwas zu tun, wozu ihr Unbewußtes sie drängt” (S. 771/ 772).
S. Freud, Totem und Tabu (Gesammelte Werke, Bd. 9), Frankfurt/ M. 3 1961 (zuerst 1912 ), S. 26
Die Ergründung der rationalen, funktionalen oder symbolischen Grundlagen von Tabuvorschriften ist eine Aufgabe, die sich Ethnologinnen, Anthrophologlnnen und Soziologinnen gestellt haben. Auf die diesbezüglich gewonnenen Erkenntnisse wird in der Darlegung der unterschiedlichen theoretischen Zugänge einzugehen sein.
W. Wundt, Völkerpsychologie. Eine Untersuchung der Entwicklungsgesetze von Sprache, Mythos und Sitte, 1906 (2. Auflage 1910–14), zitiert bei S. Freud, Totem und Tabu, a.a.O., an verschiedenen Stellen sowie bei H. J. Teuteberg, Magische, mythische und religiöse Elemente in der Nahrungskultur Mitteleuropas, a.a.O., S. 353/ 354
Eder kommt in seinen weiterführenden Überlegungen zu dem Schluß, daß Eßtabus eine Möglichkeit darstellen, eine moralische Welt zu denken. Vgl. ebd., S. 153. Näheres zu Eders Ansatz findet sich in Kap. 5 im Kontext der Erörterung einer strukturalen Analyse von Nahrungsmeidungen und -verboten.
vgl. Fußnote Nr. 28. In Kap. 3 wird zu zeigen sein, daß neben dem Grad der Bestrafung die Art der Strafe große Relevanz besitzt.
Stephen Mennell nimmt in seinen Ausarbeitungen keine Differenzierung von „Tabu“ und „Verbot” vor, plädiert aber mit P. Kapteyn, Taboe, Macht en Moral in Nederland, Amsterdam 1980 für die Trennung von „primitiven“ und „zivilisierten” Tabus. Demnach basieren die „primitiven“ Tabus auf Fremdzwängen, während es sich bei den „zivilisierten” Tabus um die Wirkung von Selbstzwängen handelt. Der Prozeß des Übergangs von Fremd- zu Selbstzwängen ist bei N. Elias, Der Prozeß der Zivilisation, a.a.O. analysiert und bildet ein theoretisches Kernstück seiner Arbeit, das uns in Kap. 6 beschäftigen wird.
Wir folgen hier der Definition Max Webers, der „Macht“ bestimmt als „jede Chance, innerhalb einer sozialen Beziehung den eigenen Willen auch gegen Widerstreben durchzusetzen, gleichviel worauf diese Chance beruht” (M. Weber, Soziologische Grundbegriffe, Tübingen 61984 (Sonderausgabe aus: M. Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, Tübingen 1921, S. 1–30), S. 89).
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Setzwein, M. (1997). Einleitung. In: Zur Soziologie des Essens. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-322-97378-8_1
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