Zusammenfassung
Der öffentliche Diskurs über Gewalt wird seit zwanzig Jahren mit wachsender Intensität geführt. Es lassen sich verschiedene Problemkreise erkennen, die immer wieder thematisiert werden. Bei dem ersten Problemkreis handelt es sich um die Thematisierung von Krieg und Abschreckung durch Massenvernichtungswaffen, die in der Auseinandersetzung um die Nachrüstung der NATO Anfang der achtziger Jahre kulminierte, angesichts des zweiten Golfkrieges 1990 wieder aufgenommen wurde, und heute vor dem Hintergrund des Balkankrieges wieder, wenn auch mit einer deutlichen Akzentverschiebung, diskutiert wird. Den zweiten Problemkreis thematisiert der Diskurs über politisch motivierte Gewalt innerhalb der einzelnen Staaten, die sich in der Bundesrepublik in der Auseinandersetzung von unterschiedlichen Protestbewegungen und staatlichen Organen, insbesondere Sicherheitskräften, herausbildete. Er kumulierte vor dem Hintergrund des Terrorismus in der zweiten Hälfte der siebziger Jahre, wurde angesichts der Auseinandersetzung um Flughafen- und Kernkraftprojekte in den achtziger Jahren erneuert und konzentriert sich gegenwärtig auf die jüngste Welle fremdenfeindlicher Gewalt. Der dritte Problemkreis wird durch die Frage konstituiert, inwieweit Gewaltdarstellungen in den Medien zur Erhöhung der (möglicherweise alle Bereiche der Gesellschaft durchziehenden) Gewaltbereitschaft beitragen. Sie hat eine neue Intensität gewonnen, seit durch das Medium der Videofilme und durch die Preisgabe des Monopols des öffentlich-rechtlichen Rundfunks die Reportage über reale Gewalt und die Darstellung fiktiver Gewalt in den Medien ausgeweitet und vor allem auch für Jugendliche faktisch zugänglich geworden ist. Der vierte Problemkreis betrifft die Gewalt in persönlichen Beziehungen, also die Gewalt gegen Frauen, Gewalt in den Familien und gegenüber Kindern, umgreift auch sexuelle Beziehungen von Erwachsenen zu Kindern. Auslösend für diesen Diskurs war die Thematisierung der Geschlechterbeziehung in der Frauenbewegung, die dann von der Kinderschutzbewegung fortgeführt wurde. In diesem Diskurs kommt eine zunehmende Sensibilisierung für persönliche Beziehungen zum Ausdruck, die vermutlich auf eine gesteigerte Individualisierung der Lebensführung zurückzuführen ist. Hier hat sich in jüngster Zeit auch die Thematisierung von freigewählten Gewaltverhältnissen in sadomasochistischen Beziehungen angeschlossen. Als fünfter Problemkreis läßt sich die Gewalt von und zwischen Jugendlichen identifizieren. Obwohl dieser Problembereich generell mit der Entstehung moderner Gesellschaft eng verknüpft erscheint und daher keineswegs neu ist, hat er gegenwärtig vor allem durch die Gewalt in der Schule, die Gewalt jugendlicher Fanclubs bei Sportveranstaltungen und insbesondere durch die fremdenfeindliche Gewalt jugendlicher Subkulturen eine besondere Bedeutung gewonnen.
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Willems, H. (1993). Gewalt und Fremdenfeindlichkeit. In: Otto, HU., Merten, R. (eds) Rechtsradikale Gewalt im vereinigten Deutschland. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-322-97285-9_7
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