Zusammenfassung
In der Sonntagsserie des Hessischen Rundfunks „Vom Geist der Zeit“ berichtete der Publizist Michael Rutschky im Juli 1991 von einem Gespräch mit einem Lehrer in Brandenburg. Der beklagte sich, nicht mehr ein noch aus zu wissen: „Gestern Honecker und plötzlich Kohl! Wo ist denn da der Unterschied?“ Das ist eine Frage, die vermutlich viele Lehrende in den neuen Bundesländern, wenn auch nicht überall so offen und so banal, sich selber stellen und eine Herausforderung für die Politikdidaktik in der BRD, mit der sie bis zum 3. Oktober 1990 nicht konfrontiert war. Im März 1991 ist der Vf. spürbar dem gleichen Problem begegnet, als er in einem Kompaktseminar für Dozenten und Lehrer an der Universität Leipzig über die Optionen referierte. Obwohl ich anfangs in einem (zu) kurzen Vorspann von den derzeitigen Verständigungsschwierigkeiten zwischen Ost und West gesprochen hatte, was ich dann über meine drei Optionen „für Wahrung der personalen Grundrechte“, „für Überwindung struktureller sozialer Ungleichheiten“, „für die Notwendigkeit von Alternativen“ in — wie ich meinte — elementarer Sprache vortrug, blieb trotz artigen Beifalls, wie sich bei der kaum in Gang kommenden Diskussion überdeutlich erwies, weithin unverstanden; nicht nur vom Wortschatz her, sondern in der ganzen Argumentationsweise, die zu sehr auf den Problemhorizont westdeutscher Lehrender, Fachleiter und Studierender abgestimmt war.
Option, nach dem Augsburger Religionsfrieden (1555) die Entscheidung der Bürger für eine Zugehörigkeit zum Gebiet eines Fürsten mit einer bestimmten Religion, später die Entscheidung für eine Staatsangehörigkeit oder für ein bestimmtes Regierungs- bzw. Gesellschaftssystem. Von daher kam es zum didaktischen Gebrauch des Begriffes, zuerst 1967 vom Vf.; seitdem häufiger bei anderen Didaktikern. Der didaktische Begriff unterscheidet sich vom politischen dadurch, daß nicht der Entscheidungsakt als solcher, sondern eine inhaltlich bestimmte Entscheidung gemeint ist. Dahrendorf hat den Begriff Optionen in anderer Bedeutung als Ausdruck für gegebene WahLmöglichkeiten gebraucht und ihn in Zusammenhang mit dem Begriff „Ligaturen“ gebraucht. Darunter versteht er (hier kurz) die Bindungen, in die der einzelne Kraft seiner sozialen Positionen und Rollen hineingestellt wird (vgl. Dahrendorf 1978).
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Literatur
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© 1993 Leske + Budrich, Opladen
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Hilligen, W. (1993). Optionen zur politischen Bildung, neu durchdacht angesichts der Vereinigung Deutschlands. In: Noll, A.H., Reuter, L.R. (eds) Politische Bildung im vereinten Deutschland. Schriften zur Politischen Didaktik, vol 19. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-322-97242-2_10
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