Zusammenfassung
Von Anfang an verstand sich der Political Culture-Approach, aus struktural-funktionalistischen und systemtheoretischen Fragestellungen hervorgegangen und besonders im Bereich der Comparative Politics eingebracht, nicht als neue Disziplin, sondern als erweitertes Analysekonzept zwecks größerer Komplexität. Hier schien ein erfolgversprechender Weg gefunden, die Mikro-Makro-Lücke in der politischen Theorie zu überbrücken.1
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Literatur
Beispielhaft drückte R.TUCKER die Spannung zwischen Zurückhaltung und Enthusiasmus gegenüber dem Political Culture-Konzept aus: “The most that one could say in favor of the cultural approach would be something similar to what Churchill said of democracy. A most inefficient form of government. The problem is, all the others are worse.” Vgl. R.TUCKER, 1973, Culture, Political Culture and Communist Society, in: Political Science Quarterly, Vol. 54, No. 2/1973, 5. 190.
Um diese zentrale Problematik zu verdeutlichen, kritisierte bereits PYE: “What has generally remained unclear, however, is whether the concept of political culture involves only the psychological aspects of political life. Should the concept apply only to subjective considerations or does it also involve actual behavior patterns? If the term is meant to include both psychological and behavioral patterns then it would seem to come perilously close to being no more than a pretentious way of referring to political behavior.” Vgl. L.PYE, 1972, Culture and Political Science: Problems in the Evaluation of the Concept of Political Culture, in: Social Science Quarterly, Vol. 53, No. 2/1972, 5. 288.
Vgl. beispielsweise auch ECKSTEIN 1966: Norwegen; LEHMBRUCH 1967: Österreich; LIJPHART 1968: Niederlande; ANTON 1969: Schweden; FAGEN 1969: Kuba; DEVINE 1971: Vereinigte Staaten; BERG-SCHLOSSER 1978: Kenia; GREIFFENHAGEN 1979: Bundesrepublik.
Auf Kongressen und Tagungen entdeckt man - im persönlichen Gespräch - den häufig individualistisch-naiven, unbekümmerten Zugriff des Begriffs, der aber in der wissenschaftlichen ’Öffentlichkeit’ unter allen Umständen verschleiert wird, um keine professionelle Reputation aufs Spiel zu setzen.
Vgl. dazu den polemischen Disput zwischen GERSTENBERGER, SHELL, BERG-SCHLOSSER, SCHISSLER, GABRIEL und REICHEL über das Analyse-konzept Politische Kultur als “politischem Kampfbegriff”, in: PVS 1/1981, 2/1981 und 4/1981. - Als fachspezifische Vorgeschichte liege sich an die “Verschwörungstheorie” einer Machtübernahme durch die Kritische Politikwissenschaft erinnern (vgl. H.J.ARNDT, 1978, Die Besiegten von 1945. Versuch einer Politologie far Deutsche samt Würdigung der Politikwissenschaft in der Bundesrepublik, Berlin). - In Analogie zum “Positivismusstreit”, der Camouflage eines praktischen politischen Konfliktes als theoretischem Konflikt, könnte die Kontroverse um das Politische Kultur-Konzept geradezu als “Nebenkriegsschauplatz” karikiert werden.
In seinem Tagungsbericht schrieb U.v.ALEMANN dazu: “Wenn der Begriff so viel Diskussion provoziert, so viel Symposionteilnehmer mobilisiert, muB er eine besondere Qualität haben.” Vgl. U.v.ALEMANN, 1982, Bericht über das ‘Symposion Politische Kultur’, in: PVS, Heft 2/1982, S.251.
Vgl. P.REICHEL, 1982, Politische Kultur. Zur Geschichte eines Problems und zur Popularisierung eines Begriffs, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 42 /82, S. 13–26.
Vgl.J.LEINEMANN, 1982, Die Angst der Deutschen. Beobachtungen zur BewuBtseinslage der Nation, Reinbek.
Für T.PARSONS, der diesen Begriff schon vor Th.KUHN aufgegriffen hatte, bedeutete Paradigma “… eine Art von Variablenschema, das, ohne direkt eine Theorie zu sein, alles relevante Wissen für Erklärungen von Prozessen in sozialen Systemen gewissermaßen auflistet und damit einen Kanon für die relevanten Fragestellungen liefert, also eine Art von Paratheorie.” Vgl. T.PARSONS, 1951, The Social System, New York. Vgl. H.v.ALEMANN, 1978, Literaturbesprechung, in: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, 1978, S. 382.
Nach KUHNs Theorie wissenschaftlicher Revolutionen käme freilich nur die “vorparadigmatische Phase” für die Politische Kultur-Forschung in Betracht. Vgl. Th.KUHN, 1962, The Structure of Scientific Revolutions, Chicago, deutsch: 1976, Die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen, Frankfurt; vgl. S.WOLIN, 1968, Paradigms and Political Theory, in: P.KING/B.PAREKH (eds.), Politics and Experience, Cambridge 1968, S.125–152; vgl. P.Ch.LUDZ, 1978, Thomas S.Kuhns Paradigmathese: eine ideologiekritische Untersuchung, in: Sozialphilosophie als Aufklärung. Festschrift far Ernst Topitsch, Tübingen 1978, 5.217–246; vgl. I.LAKATOS/ A.MUSGRAVE (eds.), 1970, Criticism and the Growth of Knowledge, Cambridge; vgl. G.RITZER, 1975, Sociology - A Multiple Paradigm Science, Boston.
In erhellender Weise exemplifiziert FALTER den Paradigmabegriff (nach KUHN) in der amerikanischen Politikwissenschaft. FALTER definiert: “Allgemein kann unter ‘Paradigma’ ein System von Überzeugungen ontologischer, erkenntnistheoretischer und methodologischer Natur verstanden werden, durch das die generellen Ziele, Möglichkeiten und legitimen Vorgehensweisen wissenschaftlichen Arbeitens festgelegt werden. Es stellt Musterlosungen von Forschungsfragen zur Verfügung, die als Vorbild für die wissenschaftliche Untersuchung ähnlich gelagerter Probleme dienen. Darüber hinaus beschreibt es konkrete Verfahrensweisen und Forschungsinstrumente.” Vgl. J.FALTER, 1979, Die Behavioralismus-Kontroverse der amerikanischen Politikwissenschaft, in: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, 31. Jg., 1979, S. 1–24.
SCHISSLER, der häufig vom Forschungsparadigma Politische Kultur sprach und noch die bundesrepublikanischen Forscher in Empiriker und ‘Vor- paradigmatiker’ unterschied, kommt nun - in Anlehnung an LAKATOS - zu dem Schluß, daß dem Politische Kultur-Konzept wohl kein Paradigma-charakter zukomme, “sondern es müßte breiter als Forschungsprogramm (research programme) behandelt werden, daß einen ’harten Kern’ (hard core) und eine Reihe von Überlegungen aufweist, die als ’schützender Gürtel’ (protective belt) anzusehen sind. Meines Wissens fehlen bisher solche Überlegungen, die auch den Status des Theoriebegriffs im Konzept politische Kultur besser verdeutlichen könnten.” Vgl. J.SCHISSLER, 1982, Zum Forschungskonzept ’Politische Kultur’, Paper vorgelegt für das Symposion Politische Kultur, Tutzing 1982.
So sehr ich v.ALEMANNS Einschätzung teile: “Diese anstoßende und manchmal anstößige, über Fachzäune und Gegenstandsgrenzen hinausweisende Funktion des Begriffs (Politische Kultur) halte ich für seine wichtigste; und ich halte ihn deshalb für nützlich”, so wenig konstruktiv scheint mir sein permissiver Vorschlag zu sein: “Wir brauchen (Politische Kultur) nicht als das allseits akzeptierte, theoretisch abgesicherte und empirisch bestens bewährte Konstrukt. Hier soll jeder selbst die Anstrengung plausibler und nützlicher Konzeptionalisierung und Definition leisten.” Vgl. U.v.ALEMANN, 1982, Bericht über das ‘Symposion Politische Kultur’, in: PVS, Heft 2/1982, S.251.
KAASEsrealistischer Vorschlag, eine theoretisch-methodische Grundlegung zunächst strikt auf die ursprünglichen Protagonisten des Konzepts zu konzentrieren, die sozusagen eine “Kochbuchanweisung”, wie empirische Forschung zu Politischer Kultur anzulegen sei, gegeben haben (vgl. die 3 x 4-Matrix von ALMOND), ist jedenfalls ein pragmatischer Einstieg, den KAASE sogar weiter ausdifferenziert. Vgl. M.KAASE, 1982, Sinn oder Unsinn des Konzepts Politische Kultur für die Vergleichende Politikforschung, a.a.O., S.22 ff.: “Zur empirischen Analyse von politischer Kultur”. - BERG-SCHLOSSERs Fragebogen (1972, 1978) ist ein anderer gangbarer Weg.
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Iwand, W.M. (1985). Schlußbetrachtung. In: Paradigma Politische Kultur. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-322-97171-5_75
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DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-322-97171-5_75
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