Zusammenfassung
Bei seiner Erörterung der „gesellschaftlichen Bedingungen und psychischen Dispositionen, die den Machtmißbrauch in der Bundesrepublik so sehr erleichtern“, favorisierte Wilfried GOTTSCHALCH die Psychologie zur Beantwortung der Frage: „Warum die Massen so häufig dem Machtmißbrauch in der Politik zustimmen, wo sich dieser doch in der Regel gegen sie richtet, warum sie in autoritärer Gebundenheit verharren, wo Befreiung von überflüssiger Herrschaft ihr Interesse wäre“.1
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Literatur
Vgl. W.GOTTSCHALCH, 1978, Antidemokratische Dispositionen in der Gegenwart, in: H.BRUGGEMANN/H.GERSTENBERGER/W.GOTTSCHALCH u.a., über den Mangel an politischer Kultur in der Bundesrepublik, Berlin 1978, S.16; vgl. auch W.GOTTSCHALCH, 1968, Parlamentarismus und Rätedemokratie, Belin; W.GOTTSCHALCH, 1970, Vatermutterkind, Berlin.
Sein Verständnis vom möglichen Beitrag der Psychologie erläutert GOTTSCHALCH mit Zitaten von Manès SPERBER. Es zeige sich, daß die Psychologie nicht viel dazu beitragen könne, wenn es gelte, die treibenden Kräfte des geschichtlichen Fortschritts zu erklären, “sie kann uns jedoch darüber aufklären, was in uns sich diesem Fortschritt widersetzt.” Vgl. W.GOTTSCHALCH, 1978:16. - Er stimme Manès SPERBER zu, wenn dieser schreibe: “Die Psychologie kann das Wesen der Macht ebensowenig ergründen wie etwa die Ursachen des Krieges oder die jeweiligen Veränderungen in der Ordnung der menschlichen Gesellschaft. Wo die Psychologie es dennoch versucht hat, hat sie sich einer Grenzüberschreitung schuldig gemacht, deren Sinnlosigkeit durch ihre Resultate deutlich geworden ist (SPERBER, 1957: 25). ”Man braucht keine Psychologie, um zu erklären, warum jemand, der am Verhungern ist, Brot stiehlt. Man braucht nicht viel Psychologie dazu, um zu verstehen, warum der Machtgierige sich der Macht bemächtigt, wenn er irgend kann. Doch ist die Psychologie berufen, die Frage zu beantworten, warum einer eher verhungert, als daB er stiehlt, warum einer den Stock, der ihn schlagen soll, als Wunderstab anbetet.“ Vgl. M.SPERBER, 1957, Zur Analyse der Tyrannis, Wien, S. 51.
Vgl. W.GOTTSCHALCH, 1978:16.
Als Charakteristika für den ‘autoritären Charakter’ nannte z.B. HORKHEIMER folgende Eigenschaften: “Eine mechanische Auslieferung an konventionelle Werte; blinde Unterwerfung unter die Autorität, die mit blindem Haß auf alle Opponenten und Außenseiter einhergeht; Ablehnung introvertierten Verhaltens; streng stereotypes Denken; ein Hang zum Aberglauben; halb moralische, halb zynische Abwertung der menschlichen Natur; Projektivität.” Vgl. M.HORKHEIMER, 1972, Gesellschaft im Obergang, Frankfurt, S.51.
GOTTSCHALCH demonstriert z.B. am Kennzeichen der “mechanischen Auslieferung an konventionelle Werte” (vgl. HORKHEIMER 1972), an äußerliche Konventionen, die Fortdauer des ‘autoritären Charakters’. “Ist es nicht so, daß Außenseiter schon dann geächtet werden, wenn sie nur in Haartracht und Kleidung von den Normen unserer Industriegesellschaft abweichen?… gerade die mechanische Auslieferung an konventionelle Werte, die nicht gut verinnerlicht sind, muß aber zu jener ängstlichen Anpassungsbereitschaft führen, die den autoritären Charakter zu einer Gefahr für demokratische Gesellschaften macht; denn wer über kein autonomes Ich verfügt, bleibt darauf angewiesen, daß andere ihm sagen, was gut oder böse ist. Das führt dann zu jener blinden Unterwerfung unter die Autorität, die für Opponenten und Außenseiter so leicht lebensgefährlich werden kann.” Vgl. W.GOTTSCHALCH, 1978:7 f.
Vgl. W.GOTTSCHALCH, 1978:10 ff.
S.FREUD hatte in seinem Essay “Das Unheimliche” (1919) den ‘Animismus’ als psychische Erscheinung beschrieben, “die ausgezeichnet war durch die Erfüllung der Welt mit Menschengeistern, durch die narzißtische Oberschätzung der eigenen seelischen Vorgänge, die Allmacht der Gedanken und die darauf aufgebaute Technik der Magie, die Zuteilung von sorgfältig abgestuften Zauberkräften an fremde Personen und Dinge (Mana), so wie durch alle die Schöpfungen, mit denen sich der uneingeschränkte NarziBmus jener Entwicklungsperiode gegen den unverkennbaren Einspruch der Realität zur Wehr setzt.” S.FREUD, zitiert nach W.GOTTSCHALCH, 1978, Antidemokratische Dispositionen in der Gegenwart, a.a.O., S.15.
Vgl. W.GOTTSCHALCH, 1978, Antidemokratische Dispositionen in der Gegenwart, a.a.O., S.t4 f. Der Staat erscheine dem Bürger also nicht als politisches ‘Instrumentarium’, mit dem man nüchtern so oder anders umgehen könne, sondern “als unheimliches Abstraktum”.
Vgl. W.GOTTSCHALCH, 1978:7.
GOTTSCHALCH erinnert u.a. an ein Wort von Max HORKHEIMER: “Daß die Menschen ökonomische Verhältnisse, über die ihre Kräfte und Bedürfnisse hinausgewachsen sind, aufrechterhalten, anstatt sie durch eine höhere und rationalere Organisationsform zu ersetzen, ist nur möglich, weil das Handeln numerisch bedeutender sozialer Schichten nicht durch die Erkenntnisse, sondern durch eine das Bewußtsein verfälschende Triebmotorik bestimmt ist. Keineswegs bloß ideologische Machenschaften bilden die Wurzel dieses historisch besonders wichtigen Momentseine solche Deutung entspräche der rationalistischen Anthropologie der Aufklärung und ihrer historischen Situation - sondern die psychische Gesamtstruktur dieser Gruppen, d.h. der Charakter ihrer Mitglieder, wird im Zusammenhang mit ihrer Rolle im ökonomischen Prozeß fortwährend erneuert. Die Psychologie wird daher zu diesen tieferliegenden psychischen Faktoren, mittels deren die Ökonomie die Menschen bestimmt, vorzustoßen haben, sie wird weitgehend Psychologie des Unbewußten sein.” Vgl. M.HORKHEIMER, 1968, Geschichte und Psychologie, in: ders., Kritische Theorie, Bd. 1, Frankfurt, S.9–30 (hier S.19 f.).
Vgl. W.GOTTSCHALCH, 1978:21.
Vgl. W.GOTTSCHALCH, 1978, Antidemokratische Dispositionen in der Gegenwart, a.a.O., S. 17.
Vgl. F.NEUMANN, 1967, Angst und Politik, in: ders., Demokratischer und autoritärer Staat, Frankfurt 1967, S.261–291. NEUMANN versucht dort, die historische Erfahrung des Nationalsozialismus und das Problem der sozialen Angst in der Gegenwart zu erklären.
GOTTSCHALCH beruft sich hier auf S.FREUD, “Zeitgemäßes 9ber Krieg und Frieden” (1915), in: Gesammelte Werke, Bd. X, S. 323–355.
Vgl. W.GOTTSCHALCH, 1978:8 f.
Vgl. die Darstellung der Entfremdungs-Schichten nach F.NEUMANN bei W.GOTTSCHALCH, 1978:18.
Vgl. W.GOTTSCHALCH, 1978, Antidemokratische Dispositionen in der Gegenwart, a.a.O., S.18 f.
Vgl. W.GO’ITSCHALCH, 1978:19.
S.FREUD, für den der Masochismus “die häufigste und bedeutsamste aller Perversionen” darstellte, unterschied drei Gestalten des Masochismus: den ‘erogenen Masochismus’, den ‘femininen Masochismus’ und den ‘moralischen Masochismus’ als die wichtigste Erscheinungsform. Ein unbewußtes Schuldgefühl veranlasse den ‘moralischen Masochisten’, sich in die Position des Opfers zu begeben, ohne daß dies durch sexuelle Lust belohnt werde. Dieses unbewußte Schuldgefühl führe zu einem ‘Strafbedürfnis’, das in der masochistischen Position Befriedigung suche. Vgl. S.FREUD (1924), Das ökonomische Problem des Masochismus, in: Gesammelte Werke, Bd. XIII, 8.369–383.
REIK ersetzte den von FREUD gewählten Ausdruck ‘moralischer Masochismus’ durch die Bezeichnung ‘sozialer Masochismus’, weil er fürchtete, daß das Beiwort ‘moralisch’ im Sinne einer Wertung gefaßt werden könnte. Vgl. Th.REIK, 1977, Aus Leiden Freuden, S. 349.
Vgl. W.GOT1’SCHALCH,1978:24.
Vgl. Th.REIK, 1977:22.
Vgl. Th.REIK, 1977, Aus Leiden Freuden, zitiert nach W.GOTPSCHALCH, 1978, Antidemokratische Dispositionen in der Gegenwart, a.a.O., S. 23.
Vgl. W.GOTPSCHALCH, ebda.
Vgl. W.GOTTSCHALCH, 1978:24. - D.BERG-SCHLOSSER kommentiert GOTrSCHALCHs Aufsatz über “Antidemokratische Dispositionen in der Gegenwart”:“Seine mit Zitaten von Freud, Horkheimer, Manës Sperber u.a. angereicherte Behandlung dieser Problematik (der Politischen Kultur) verharrt jedoch vorwiegend auf der psychoanalytischen Ebene und kommt über einige spekulative Ansätze nicht hinaus. Zu ihrer konkreten empirischen Erforschung und Analyse trägt er damit nur wenig bei.” Vgl. D.BERG-SCHLOSSER, 1980, “Politische Kultur der Bundesrepublik” (Sammelbesprechung), in: PVS-Literatur, Heft 1/1980, S.36–42.
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Gottschalch, W. (1985). Sozialer Masochismus als psychosoziale Erklärung einer (politischen) ‚Schuldgefühlkultur‘. In: Paradigma Politische Kultur. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-322-97171-5_72
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DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-322-97171-5_72
Publisher Name: VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden
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