Zusammenfassung
Als der junge Doktor Goethe im Jahre 1772 als Praktikant an das Reichskammergericht nach Wetzlar kam, bot sich ihm ein beinahe hoffnungsloses Bild. Seit langem wegen seines schleppenden Geschäftsgangs berüchtigt, drohte das Gericht unter der Last seiner Prozesse zu ersticken. «Ein ungeheurer Wust von Akten lag aufgeschwollen und wuchs jährlich, da die siebzehn Assessoren nicht einmal imstande waren, das Laufende wegzuarbeiten. Zwanzigtausend Prozesse hatten sich aufgehäuft; jährlich konnten sechzig abgetan werden, und das Doppelte kam hinzu.» Bis heute bestimmt dieser Bericht Goethes unser Bild vom Reichskammergericht und seiner Wirksamkeit. Dabei enthält er aber nicht einmal die halbe Wahrheit.
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Literaturhinweise
Goethes bekannte Charakteristik des Reichskammergerichts findet sich in seiner Autobiographie <Aus meinem Leben (Dichtung und Wahrheit)> im III. Teil, 12. Buch. Die maßgebende Darstellung von Geschichte und Verfassung des Gerichts ist noch immer R. Smend, Das Reichskammergericht I ( 1911; Neudruck 1965). Die neueste Skizze bei Conrad II 161-165 (mit Lit. 172 f).
Um eine neue Würdigung der Gesamtleistung des Gerichts (freilich für die spätere Zeit des 17. und 18. Jh.)bemüht sich die Studie von F. Hertz, Die Rechtsprechung der höchsten Reichsgerichte im römisch-deutschen Reich und ihre politische Bedeutung, in: Miog 69 (1961) 331-355.
Die beste Anschauung von der Tätigkeit des Reichskammergerichts vermittelt noch immer das Buch von R. Brinkmann, Aus dem deutschen Rechtsleben (1862) — eine Sammlung interessanter Fälle aus der Praxis, vor allem im 16. Jh. <Ein ältester Reichskammergerichtsprozeß> wurde veröffentlicht von A. Stölzel, in: Zrg 12 (1875/76) 257-290.
Einen auch in wirtschaftshistorischer Hinsicht interessanten Prozeß untersuchte E. Pitz, Ein niederdeutscher Kammergerichtsprozeß von 1525 (1969).
Die unter Maximilian I. ergangene erste Kammergerichtsordnung von 1495 ist heute am bequemsten zugänglich bei Zeumer II Nr. 174. Dort findet sich auch die letzte vollständig verabschiedete Ordnung, die von Augsburg 1555 (Nr. 190) sowie der jüngste Reichsabschied von 1654 mit seinen wichtigen prozessualen Bestimmungen (Nr. 200). Praktisch verfuhr man beim Reichskammergericht nach einer 1613 entworfenen, aber nicht formell verabschiedeten Ordnung. In der Fassung der Beschlüsse von 1654 und mit anderen Änderungen ist sie gedruckt bei J. J. Schmauss, Corpus Juris Publici (1759) 330 - 703.
Eine Darstellung des kam-mergerichtlichen Verfahrens für die Spätzeit des Gerichts gibt H. Wiggenhorn, Der Reichskammergerichtsprozeß am Ende des alten Reiches (Jur. Diss. Münster 1966). Eine anschauliche Übersicht findet sich bei Brinkmann 19-28.
Die Akten des Reichskammergerichtes waren, soweit sie nicht 1689 in Speyer der französischen Invasion zum Opfer fielen, in Wetzlar erhalten geblieben. Ent-gegen heutigen Grundsätzen des Archivwesens wurden sie jedoch von 1845 an unter die Gliedstaaten des Deutschen Bundes aufgeteilt. Nur der auf Preußen entfallende Teil blieb noch bis 1924 im Staatsarchiv Wetzlar vereinigt; dann wurde jedoch auch dieses aufgelöst, seine Bestände verteilt. Heute ist (in Frankfurt, als Abteilung des Bundesarchivs) nur nodi ein <untrennbarer Bestand> übriggeblieben; seine Akten betreffen Sachen von außerhalb der deutschen Grenzen des 19. Jh. Vgl. O. Koser, Repertorium der Akten des Reichskammergerichts. Untrennbarer Bestand I—II (1933-1936).
Von den auf die Staatsarchive der Länder verstreuten Akten liegen bisher nur in Einzelfällen (Koblenz, Münster) Repertorien vor. Das Plädoyer von W. Latzke, Das Archiv des Reichskammergerichts, in: ZRG.GA 78 (1961) 321-326, für eine Wiederherstellung des Kammergerichtsardhivs ist leider bisher vergeblich geblieben.
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Kroeschell, K. (1980). Das Reichskammergericht. In: Deutsche Rechtsgeschichte 2. WV studium. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-322-97122-7_21
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