Zusammenfassung
Unter „Selbstbeschreibung“ wollen wir die Produktion eines Textes oder funktionaler Äquivalente eines Textes (zum Beispiel indexical expressions wie „wir“ oder „hier“ oder eines Eigennamens) verstehen, mit dem und durch den die Organisation sich selbst identifiziert. Der Text muss nicht als ein gleichsam biblisches, kanonisches Dokument vorliegen; aber was immer die Funktion der Selbstbeschreibung erfüllt, muss gewisse Anforderungen an Selbstreferenz auf der Ebene des Systems erfüllen. Es muss ganz verschiedene Situationen, Anlässe, Umstände durch Identität der Referenz übergreifen und zusammenschließen, muss als zeitbeständig immer „Dasselbe“ bezeichnen, aber zugleich, was Sinngehalte betrifft, flexibel sein.1
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Literatur
Eine klassische soziologische Monographie zu diesem Thema ist Philip Selznick, TVA and the Grass Roots: A Study in the Sociology of Formal Organizations, (1949), New York 1966.
Man erinnere sich daran, dass im Formenkalkül von Spencer Brown das re-entry der Form in die Form zu Bistabilität und zum Oszillieren führt.
Vgl. James G. March/Johan P. Olsen, Ambiguity and Choice in Organizations, Bergen 1976 mit der Unterscheidung ambiguities of intention, understanding, history and organization.
Siehe auch Martha S. Feldman, Order Without Design: Information Production and Policy Making, Stanford 1989.
Siehe hierzu Nils Brunsson, Ideas and Actions: Justification and Hypocrisy as Alternatives to Control, Accounting Organizations and Society 18 (1993), S. 489–506.
Dass diese psychische (also für die Organisation externe) Basis von Gedächtnisleistungen wichtig, ja unentbehrlich bleibt, soll damit natürlich nicht bestritten werden. Aber sie bleibt dann auch auf psychische Koordinationsmechanismen angewiesen, vor allem auf die durch Erfahrung bestätigte Unterstellung, dass die anderen Bescheid wissen, verstehen und zur rechten Zeit das Rechte tun werden. Damit lässt sich höhere Komplexität nicht erfassen; und vor allem können auf dieser Grundlage Strukturänderungen nicht geplant und durchgeführt werden.
Zu neueren literaturwissenschaftlichen Forschungen, die diese Funktion von Texten in den Mittelpunkt rücken und in diesem Sinne von „Intertextualität“ handeln, siehe Renate Lachmann, Gedächtnis und Literatur: Intertextualität in der russischen Moderne, Frankfurt 1990.
Wir können hier auf die Ausführungen im Kapitel über Zeitverhältnisse verweisen.
Und jeder Student wird wissen: zu den schwierigsten, weit gehend unbewusst verlaufenden psychischen Gedächtnisleistungen gehört das Heraussortieren der wenigen Worte in Texten, auf die es eigentlich ankommt.
Zu diesem Begriff Heinz von Foersters siehe oben S. 229.
Vgl. Kapitel 7.
Warren S. McCulloch, The Embodiments of Mind, Cambridge Mass. 1965, hatte von „Heterarchie“ gesprochen. Aber das ist, von der Formulierung her, zunächst nur ein Gegenbegriff zu „Hierarchie“ und bleibt auf eine genauere Nachzeichnung der operativen Verläufe in den entsprechenden Systemen angewiesen.
Siehe Heinz von Foerster, Für Niklas Luhmann: Wie rekursiv ist Kommunikation?, Teoria Sociologica 1/2 (1993), S. 61–85 (84).
Dass Legitimation „kritisch“ eingefordert werden kann, steht auf einem anderen Blatt. Es gehört zu den typischen Anmaßungen „kritischer“ Intellektueller, sich selbst für legitimiert zu halten, Legitimation zu verlangen wie die Polizisten das Vorzeigen von Ausweisen. Oben im Text geht es aber nur um operative Notwendigkeiten; und man dürfte kaum jemanden finden, der behaupten würde, bei Legitimationsdefiziten müsste der Betrieb eingestellt und das Personal entlassen werden.
Eine Formulierung von Renate Lachmann a.a.O. (1990), S. 10.
Vgl. zu dieser heute nicht mehr ungewöhnlichen These Michel Serres, Die fünf Sinne: Eine Philosophie der Gemenge und Gemische, dt. Übers. Frankfurt 1993, insbesondere das einleitende Kapitel. Man könnte hierzu auch Bachtin heranziehen oder Bataille.
Wir wissen: die europäische Tradition hatte sich am Bild der Stadt (polis, civi-tas) und später des Landes (regnum) orientiert, dies mit Formeln wie civitas sive societas civilis zum Ausdruck gebracht und auf dieser anschaulichen Grundlage die Einheit von Herrschaft (imperium) postuliert. Man hatte also das Soziale in diesem Sinne „politisch“ gedacht und zusätzlich mit einer Analogie zum menschlichen Körper argumentiert. Und das wirkt nach. Man darf vermuten, dass Politik ganz anders aussehen würde, wenn es keine gedruckten, unterschiedlich eingefärbten Landkarten gäbe und die Politik gar nicht wüsste, wo sie eigentlich stattfindet.
Die hierzu unvermeidliche Literaturangabe ist: Michail Bachtin, Rabelais und seine Welt: Volkskultur als Gegenkultur, dt. Übers. Frankfurt 1988.
Das ist für das psychische Selbst unbestrittener Ausgangspunkt aller psychiatrischen, an Therapie interessierten Theorien. Siehe z.B. Jurgen Ruesch/Gregory Bateson, Communication: The Social Matrix of Psychiatry, New York 1951, 2. Aufl. 1968, S. 199 ff.
Siehe im Anschluss an Kant und Lyotard Gerhard Plumpe, Ästhetische Kommunikation der Moderne, Opladen 1993, S. 99 ff.
Siehe z.B. Martha S. Feldman/James G. March, Information in Organizations as Signal and Symbol, Administrative Science Quarterly 26 (1981), S. 171–186
und ausführlich Martha S. Feldman, Order Without Design: Information Production and Policy Making, Stanford 1989.
Dass diese Metaphorik wenig Bezug zur Realität hat, ist oft genug dargestellt worden. Siehe nur Brian J. Loasby, Choice, complexity and ignorance: An enquiry into economic theory and the practice of decision-making, Cambridge Engl. 1976.
Siehe für viele Federico Butera, Il castello e la rete: Impresa, organizzazioni, e professioni nell’ Europa degli anni ′90, 2. Aufl. Milano 1991.
Siehe hierzu aktuelle Berichte in den Mitteilungen Nr. 22/Juni 1995 des soziologischen Forschungsinstituts der Universität Göttingen.
Vgl. Feldman a.a.O. (1989), insb. S. 106 ff.
Vgl. Virginia H. Ingersoll/Guy B. Adams, Beyond Organizational Boundaries: Exploring the Managerial Metamyth, Administration and Society 18 (1986), S. 360–381. Man wird allerdings rasch hinzufügen müssen, dass dies in vielen Gebieten der Weltgesellschaft nicht oder nur in geringem Umfange oder nur für bestimmte Arten von Organisationen gilt.
Zum Beispiel durch Überlastung von Interaktionen mit außergewöhnlicher Komplexität. So Karl E. Weick, The Vulnerable System: An Analysis of the Tene-rife Air Disaster, Journal of Management 16 (1990), S. 571–593
hier zitiert nach dem Wiederabdruck in: Peter J. Frost et al. (Hrsg.), Reframing Organizational Culture, Newbury Park Cal. 1991, S. 117–130.
Siehe dazu Larry M. Preston, Freedom and the Organizational Republic, Berlin 1992, S. 30 f.
Hierzu Gotthard Günther, Cognition and Volition: A Contribution to a Cybernetic Theory of Subjectivity, in ders., Beiträge zur Grundlegung einer operationsfähigen Dialektik Bd. 2, Hamburg 1979, S. 203–240.
Vgl. etwa Vicki E. Baier/James G. March/Harald Saetren, Implementation and Ambiguity, Scandinavian Journal of Management 2 (1986), S. 197–212.
Wir folgen mit dieser Formulierung der Ausdrucksweise von Michel Serres. Siehe z.B. Le Parasite, Paris 1980, oder Les cinq sens, Paris 1985.
Vgl. z.B. Martha S. Feldman, The Meanings of Ambiguity: Learning from Stories and Metaphors, in:A Frost et al. (Hrsg.), a.a.O. S. 145–156; ausführlicher dies., Order Without Design: Information Processing and Policy Making, Palo Alto Cal. 1989. 32 Die frühmoderne Diskussion dieses Falles geht auf Machiavellis Discorsi zurück. Siehe auch Juan Pablo Mártir Rizo, Vida de Römulo (1633), zit. nach der Ausgabe Madrid 1945 und Virgilio Malvezzi, Il Romulo, in: Opere des Marchese Malvezzi, Mediolanum 1635, S. 11–131.
Siehe für eines von vielen Beispielen: Mayer N. Zald, Comparative Analysis and Measurement of Organizational Goals, Sociological Quarterly 4 (1963), S. 206–230
ferner Barry M. Staw/Pamela I. McKechnie/Sheila M. Puffer, The Justification of Organizational Performance, Administrative Science Quarterly 28 (1983), S. 582–600.
Vgl. auch Gerald R. Salancik/James R. Meindl, Corporate Attributions as Strategic Illusions of Management Control, Administrative Science Quarterly 29 (1984), S. 238–254. Weitere Literatur hierzu findet man unter dem Begriffspaar latente/manifeste Funktion.
Vgl. z.B. Burton R. Clark, The Open Door College: A Case Study, New York 1960.
Siehe dazu Klaus A. Ziegert, Courts and the Self-concept of Law: The Mapping of the Environment by Courts of First Instance, Sydney Law Review 14 (1992), S. 196–229.
Diesen Begriff im Sinne der kognitiven Psychologie verstanden. Vgl. z.B. Robert P. Abelson, Psychological Status of the Script Concept, American Psychologist 36 (1981), S. 715–729.
Vgl. Barbara Czarniawska-Joerges, Merchants of Meaning: Management Consulting in the Swedish Public Service, in: Barry A. Turner (Hrsg.), Organizational Symbolism, Berlin 1990, S. 139–150.
Wir ersetzen hiermit die seit einiger Zeit aufkommende Formulierung, Organisationsleitung und Organisationsberatung hätten es mit Sinnstiftung zu tun. Diese Formel macht selbst keinen Sinn; man kann sie auf jede Kommunikation anwenden, wenn sie nicht weiter eingeschränkt wird. 38 Das Problem ist in solchen Fällen die schlechte (ungenaue, mehrdeutige) Definition des Problems. Vgl. z.B. Walter R. Reitman, Cognition and Thought, New York 1965
Herbert A. Simon, The Structure of ill-structured Problems, Artificial Intelligence 4 (1973), S. 181–201
Herbert A. Simon, neu gedruckt in ders., Models of Discovery and Other Topics in the Methods of Science, Dordrecht 1977, S. 304–325.
Vgl. Nils Brunsson, Managing Organizational Disorder, in: Massimo Warglien/Michael Masuch (Hrsg.), The Logic of Organizational Disorder, Berlin 1996, S. 127–143 (131 f.).
Wir schließen damit nicht aus, dass es Selbstbeschreibungen dieser Art geben kann — etwa Gesellschaft als Große Familie (Gemeinschaft) oder Gesellschaft als Organisation, die für alles sorgt und für alles verantwortlich ist. Aber unter heutigen Bedingungen ist ohne weiteres klar, dass dies allenfalls Instrumente symbolischer Politik sein können, an die niemand so recht zu glauben vermag.
Erst wenn man eine weitere Differenzierungsstufe in Betracht zieht, gibt es im Wissenschaftssystem Forschungsinstitute, im politischen System Staaten, im System der Massenmedien Zeitungen, Radioanstalten usw.
Siehe Talcott Parsons, Some Ingredients of a General Theory of Formal Organizations, in ders., Structure and Process in Modern Societies, New York 1960, S. 59–96.
Siehe auch den Parallelaufsatz Some Reflections on the Institutional Framework of Economic Development im selben Band S. 98–131, und vor allem das Frühwerk The Structure of Social Action, New York 1937.
Für Literaturangaben siehe Kap. 1, Anm 68.
Siehe etwa Santi Romano, L’ordinamento giuridico I, Pisa 1918, Neudruck der 2. Aufl. Firenze 1962
John R. Commons, Legal Foundations of Capitalism, New York 1924; ders., Institutional Economics: Its Place in Political Economy (1934), zit. nach Ausgabe Madison Wisc. 1959
Maurice Hauriou, Die Theorie der Institution und zwei andere Aufsätze (Hrsg. Roman Schnur), dt. Übers. Berlin 1965
Roman Schnur (Hrsg.), Institution und Recht, Darmstadt 1968.
Vgl. oben S. 213.
Etwa im Sinne von Roger S. Conant/W. Ross Ashby, Every Good Regulator of a System Must be a Model of That System, International Journal of Systems Science 1 (1970), S. 89–97.
Siehe dazu Lars Löfgren, Complexity Descriptions of Systems: A Foundational Study, International Journal of General Systems 3 (1977), S. 197–214
und Robert Rosen, Complexity as a System Property, International Journal of General Systems 3 (1977), S. 227–232.
Siehe Heinz Förster, Das Gedächtnis: Eine quantenphysikalische Untersuchung, Wien 1948
Heinz von Foerster, What is Memory that it May Have Hindsight and Foresight as well?, in: Samuel Bogoch (Hrsg.), The Future of the Brain Sciences, New York 1969, S. 19–64; dt. Ubers. in ders., Wissen und Gewissen: Versuch einer Brücke, Frankfurt 1993, S. 299–336.
Zu entsprechenden Überlegungen in der Kunsttheorie siehe Michael Baldwin/Charles Harrison/Mel Ramsden, On Conceptual Art and Painting, and Speaking and Seeing: Three Corrected Transcripts, Art-Language NS 1 (1994), S. 30–69.
Hierzu Bo L.T. Hedberg/Paul C. Nystrom/William H. Starbuck, Camping on Seasaws: Prescriptions for a Self-Designing Organisation, Administrative Science Quarterly 21 (1976), S. 41–65.
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