Zusammenfassung
Wenn hier die Behauptung aufgestellt wird, daß sich im bismarckisch-wilhelminischen Deutschland zunehmend Prozesse des Aushandelns („bargaining“) als das dominante Regelsystem durchgesetzt haben, so widerspricht das — jedenfalls auf den ersten Blick — verbreiteten Vorstellungen von der Eigenart der politischen und gesellschaftlichen Strukturen des Kaiserreiches als „Obrigkeitsstaat“: Ein deutscher „Sonderweg“ der Entwicklung — so diese Vorstellung — habe damals den Modernisierungsprozeß Deutschlands gehemmt. Das Bürgertum dankte politisch ab, indem es die Entscheidungspositionen einer autoritären Machtelite „feudaler“ Herkunft und ihrer „allmächtigen Bürokratie“ (Arthur Rosenberg) überließ und sich mit „rechtsstaatlicher“ Sicherung seiner (unpolitischen) Privatautonomie begnügte, das heißt, in erster Linie mit der Freiheit erwerbswirtschaftlicher Betätigung. Darüber hinaus übernahm es auch noch die politisch-gesellschaftlichen Normen und Wertvorstellungen jener vorindustriellen Machtelite — ein als „Feudalisierung“ des Bürgertums bezeichneter, in der sozialen Funktion des Reserveoffiziers symbolisierter Vorgang (Eckart Kehr). Die Figur des „Untertanen“ (Heinrich Mann) beherrschte die bürgerliche Szenerie. Oppositionelle Gruppen, insbesondere die Arbeiterschaft und ihre Organisationen, seien — nach dem Fehlschlag repressiver Methoden — durch „negative Integration“ (Guenther Roth 1963), also durch Tolerierung ihres organisatorischen Eigenlebens bei Ausschließung von der politischen Mitsprache im Staat, politisch neutralisiert worden. Auch der politische Katholizismus sei aus dem „Ghetto“ oder, mit einem anderen Bilde, aus dem „Turm“ nicht herausgekommen.
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Lehmbruch, G. (1998). Das Parteiensystem auf dem Wege zum bipolaren Wettbewerb. In: Parteienwettbewerb im Bundesstaat. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-322-97084-8_3
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Publisher Name: VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden
Print ISBN: 978-3-531-13126-9
Online ISBN: 978-3-322-97084-8
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