Zusammenfassung
Alltagssprachlich ist mit einer Karriere eine erfolgreiche, also stabile, langandauernde und mit Aufstieg verbundene berufliche Laufbahn gemeint (Duden Fremdwörterbuch 1990: 390; Gould/Kolb 1964: 73).2 Auch die Sprachwissenschaft verweist zuerst auf diese Bedeutung: der Karrierebegriff bezog sich ursprünglich nur auf Arbeit, insbesondere im staatlichen Bereich.3 Klassisch ist Karl Mannheims Definition der ,Amtskarriere. In seiner Abhandlung “Über das Wesen und die Bedeutung des wirtschaftlichen Erfolgsstrebens” (1930) wird der “Karrièreerfolg” als besonders stabiler Erfolg bezeichnet. Die Karriere ist eine Kette von stabilen Erfolgsmöglichkeiten. “Das Charakteristische der Karriere ist m.a.W., daß in ihr die Erfolgsgrößen apriori rationiert sind” (473). Verfügungsgewalten, Wirkungschancen und soziales Prestige einer Amtskarriere sind im voraus gestaffelt und rationiert, sie sind nicht wie in der Wirtschafts- und Machtsphäre weitgehend selbst zu gestalten. Die Karriere ist nur unter den strukturellen Bedingungen der Rationalisierung und Bürokrati- sierung möglich. “Die sui generis Karriere ist nur als Amtskarriere formulierbar” (474). Mannheim hält es für möglich, “im übertragenen Sinne” auch Erfolgswege außerhalb vorgegebener institutioneller Strukturen als Karrieren zu bezeichnen (Anmerkung 12).
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Literatur
Der Karrierebegriff ist nicht nur ftir die Soziologie von Bedeutung. Im “Handbook of Career Theory” definieren Arthur u.a. (1989) Karriereforschung als eigenständiges Gebiet der Wissenschaft, das unterschiedliche theoretische Ansätze und Disziplinen vereinigt. Das Karrierekonzept wird insoweit als “nexus for transdisciplinary debate” (9) verstanden, wobei eine organisationstheoretische Perspektive leitend ist (XV).
Die folgenden Bemerkungen sollen nur einen kursorischen Überblick über den Karrierebegriff in der Mobilitäts- und Ungleichheitsforschung geben. Sie sollen auf die relevanten Forschungsfragen hinweisen.
Die Lebenslaufstudie wurde 1979 am Sonderforschungsbereich 3 “Mikroanalytische Grundlagen der Gesellschaftspolitik” begonnen und später am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung in Berlin fortgesetzt.
Zum Konzept der Kohorte siehe vor allem Ryder (1965); zu Annahmen und theoretischer Orientierung der quantitativen Lebenslaufforschung vgl. auch Mayer (1987, 1991, b).
Hans-Peter Blossfeld selbst hat mit solchen Untersuchungen inzwischen begonnen. Zusammen mit Ursula Jaenichen untersuchte er etwa, wie sich die Höherqualifikation von Frauen in der Bundesrepublik auf die Familienbildung auswirkt (Blossfeld/Jaenichen 1990). In einem Forschungsprojekt am Sonderforschungsbereich 186 “Statuspassagen und Risikolagen im Lebensverlauf ‘ steht etwa die Frage im Mittelpunkt, wie die Erwerbs- und Berufskarrieren von (Ehe-) Partnern verknüpft sind (Biossfeld u.a. 1993).
Diese Terminologie wird im Anschluß an Groenemeyer (1990) verwendet, der sie ursprünglich für die Devianzsoziologie bzw. die Drogenforschung entwickelte. Dieses Klassifikationsschema eignet sich auch für die Berufs- und Medizinsoziologie, wie zu zeigen sein wird. Ähnlich argumentiert Uta Gerhardt, sie unterscheidet zwischen statischen und dynamischen Karrieremodellen (1986a: 48).
Eine Zusammenstellung wichtiger Karrierestudien findet sich bei Glaser (1968).
Dieser Aufsatz — wie andere zu ähnlichen Fragestellungen (Hall 1946, 1949) — geht auf die Dissertation des Autors zurück, die sich mit der informellen Organisation medizinischer Praxis befaßte, vgl. Hall (1944).
Dieser Aufsatz geht ebenfalls auf die Dissertation des Autors zurück, vgl. Becker (1952).
Ich stütze mich auf Groenemeyer (1990), der die Entwicklung des devianzsoziologischen Karrierekonzepts ausführlich dargestellt hat und schwerpunktmäßig den Drogenbereich berücksichtigte.
Diese Arbeit erschien erstmals 1953 im “American Journal of Sociology”. Ich beziehe mich im folgenden auf “Outsiders” (Becker 1963a), wo dieser Aufsatz wiederabgedruckt wurde.
Vor allem in den frühen Studien der Chicagoer Schule wurden abweichende Karrieren als berufliche Laufbahnen aufgefaßt. Groenemeyer (1990: 74) nennt die Studien von Shaw und Moore
sowie Sutherland (1937).
Daß sich die moralische Karriere des Geisteskranken in der totalen Institution wie von Goffman beschrieben entwickeln kann, will ich nicht in Abrede stellen. Aber damit dürften nur die Geisteskranken beschrieben sein, die dauerhaft dort leben. Dann werden die Personen ausgeschlossen, die sich nur kurz- oder mittelfristig in der Psychiatrie aufhalten.
Vgl. zu den unterschiedlichen etikettierungstheoretischen Ansätzen Rains (1975).
An einer anderen Stelle seines Buches “Asyle” zeigt Goffman (1972a), wie eine Person in einer Heilanstalt überleben, also selbst unter beengten Spielräumen handeln kann (169 ff.).
Die Kritik von Luckenbill und Best (1981) ist in einem Punkt unpräzise: Möglicherweise hätte sich eine dynamischere Perspektive ganz von selbst ergeben, wenn Becker Berufskarrieren im allgemeinen und nicht nur Berufskarrieren in Organisationen untersucht hätte. Nicht daß Berufskarrieren als Modell dienten, sondern daß eine bestimmte Klasse von Berufskarrieren das Vorbild war, ist zu kritisieren.
Auch Becker (1963b) sah diese Möglichkeit theoretisch. Jeder Entwicklungsschritt hin zu einer bestimmten Art des Drogenkonsums (“marihuana use for pleasure”) erfordert eine eigene Erklärung. “The explanation of each step is thus part of the explanation of the resulting behaviour” (23).
Während sich der berufssoziologische Karrierebegriff der Chicago-Soziologie auf Berufspositionen in einer Organisation bezieht, zielt der Trajektbegriff auf Klientenpositionen. Zwar beziehen Glaser und Strauss (1968) auch die Beschäftigten in die Untersuchung ein, aber sie zeichnen nicht mehr deren individuelle Berufskarrieren nach, sondern wie die Beschäftigten am Sterbeprozeß eines Patienten mitwirken.
Insoweit ist ein Sterbetrajekt folgendermaßen zu definieren: “First, dying is almost always unscheduled; second, the sequence of steps is not institutionally prescribed; and third, the actions of the various participants are only partly regulated” (Glaser/Strauss 1968: 247).
Hans-Georg Soeffher schreibt zu diesem Handlungsbegriff: “Er [Anselm Strauss — M.L.] überführt unauffällig, aber systematisch jede in den Sozialwissenschaften gegebene ‘Maßeinheit’, Kategorie oder Beschreibungsgröße in einen ausschließlich handlungstheoretisch definierten Bedeutungsrahmen. Sozialität vollzieht sich für ihn, darin folgt er der Tradition der Klassiker, in sinnhaftem Handeln. Dieses wiederum ist für ihn ‘Arbeiten’ — ein Arbeiten, das weniger ein Herstellen oder Produzieren von etwas und schon gar kein instrumentelles ‘Verfahren mit’ oder ‘Verfügen über’ meint, sondern die tätige Ausgestaltung von Handlungsräumen, Handlungszeiten: Lebenszeiten” (1991: 12). Wolfgang Lukas kritisiert diesen Arbeitsbegriff, weil er vom soziologischen Handlungsbegriff bei Max Weber nicht hinreichend deutlich abgegrenzt wird (1990: 2).
Schütze (1981) definiert vier Grundphänomene des Lebensablaufs: institutionelle Ablaufmuster und -erwartungen, Handlungsschemata von biographischer Relevanz, Verlaufskurven und Wandlungsprozesse der Selbstidentität. Diese Ordnungsstrukturen verknüpfen sich zur biographischen Gesamtformung eines Lebensablaufs.
Schütze nennt Untersuchungen über gescheiterte Ausbildungs- und Berufskarrieren sowie déviante I Karrieren von psychiatrischen Patienten, Drogenkonsumenten und anderen Abweichlern (1981:92 I f.). Bei diesen Personen führe der Verlauf zum endgültigen Zusammenbruch der Handlungsorien- I tierung und schließlich in “das notwendige Endstadium eines endogenen Wandlungsprozesses der I Kompetenzdegradation” (1981: 99).
In einer umfangreichen Arbeit über die Kriegserfahrungen amerikanischer und deutscher Soldaten I im Zweiten Weltkrieg entwickelte Schütze seinen Ansatz weiter: Verlaufskurven und Wandlungs- I prozesse — letztere bringen der Person neue Kompetenzen und Handlungsmöglichkeiten — prägen I die Biographien der Kriegsteilnehmer gleichermaßen. Zeitweise war Erleiden, zeitweise war Han- I dein die beherrschende Prozeßstruktur (Schütze 1989:31). Zudem verknüpft Schütze individuelle I mit kollektiven Verläufen und objektiviert die Prozeßstrukturen des Lebensablaufs (1989: 32). I
Martin Kohli (1981b) argumentiert in seiner Entgegnung auf Schütze (1981) ähnlich: Lebensläufe I seien sozialstrukturell geprägt und Personen könnten sie in bestimmten Grenzen gestalten. An Be- I rufsverläufen zeige sich, daß “die sequentielle Organisation (...) nicht durch eine progressive Ein- I schränkung der zeitlichen Reichweite und des Anteils von Handlungen bis zur völligen Verdrän- I gung von Handeln durch Erleiden gekennzeichnet (ist), sondern durch eine rasche Alternation von I Handeln und Erleiden” (1981b: 162). Kohli orientiert sich hier am probabilistischen Modell der I Berufskarriere (Becker/Strauss 1956) und bezieht kontingente Modelle nicht ein. So hält er das I Konzept der Verlaufskurve für angemessen, wenn Problemkarrieren untersucht werden sollen. I
Gerhardt (1988a) bezeichnet ihren Ansatz als normatives Karrierekonzept, um auf die Normalisie- I rungsbestrebungen des Patienten aufmerksam zu machen. Sie grenzt sich vom deskriptiven Karrie- I rekonzept ab, das den Verlauf der Krankheit betont. I
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Ludwig, M. (1996). Zur Geschichte des Karrierekonzepts in der Soziologie. In: Armutskarrieren. Studien zur Sozialwissenschaft, vol 165. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-322-97065-7_2
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