Zusammenfassung
Man könnte die menschlichen Tätigkeiten nach der Zahl der Worte einteilen, die sie nötig haben; je mehr von diesen, desto schlechter ist es um ihren Charakter bestellt [I,245].
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Literatur
Bei ca. 9,465 Worten pro Zeile und 43 Zeilen pro Seite, abzüglich jeweils 6,5 Leerzeilen bei Kapitelüberschriften, plus 1350 Überschriftsworte kommt der autorisierte MoE immerhin auf die stolze Zahl von 375. 354 Wörtern. Die immense Nachlaßproduktion ist von dieser Rechnung unberührt.
Paradigmatisch die Behauptungen von Dinklage 1985: S. 228: “Es ist also eine unabdingbare Tatsache, daß Robert Musil das 52. Kapitel des 2. Buches, ”Atemzüge eines Sommertages“, in der durch die ”Reinschrift“ der Kapitel 47–57 (Nachlaß-Mappe V 6) überlieferten Fassung zum Schlußkapitel seines Romans machte und den ”Mann ohne Eigenschaften“ damit zu Ende brachte.” Außerordentlich aufschlußreich ist Dinklages Begründungskonzeption, die sich nahezu ausschließlich an den stilisierten Selbstäußerungen Musils orientiert. Eine Aneinanderreihung ‘finaler Überschriften’ wird auf diese Weise zur unabdingbaren Tatsache. Und eine briefliche Inhaltsangabe zum “Schlußband” des MoE fungiert letztlich als Beweis, daß der Roman vollendet worden sei. Gegen solche Inhaltsästhetik, die eigene Lücken mit Autorenäußerungen stopft, bemüht sich die vorliegende Arbeit, die Problematik des Verhältnisses von “Inhalt und Form” überhaupt erst einmal in den Blick zu bekommen.
Dinklage 1985: S. 236.
Diese Betrachtungsweise modifiziert das vorliegende Kapitel in einem entscheidenden Punkt. Der Gott, der im folgenden sichtbar werden wird, ist einer der Gotteslästerung. Um das Wortspiel Dinklages aufzugreifen: Sein Name wäre’Blasphemeus’.
Von Heydebrand 1963, Karthaus 1965, Rasch 1967, Berghahn 1963, Hüppauf 1971.
Zuletzt bei Rinderknecht 1979, Strutz 1984, Charrière-Jaquin 1984, Kim 1986.
So z.B. Graf 1981, Monti 1982: S. 192, Jankovic 1982: S. 213.
Wie bei Moser 1980 und von Zima 1985. Eine interessante Analyse post strukturalen Gestus’, in die im besten Sinne eigentümliche These mündend, der Autor des MoE bleibe hinter seinem Roman zurück, liefert z.B. Böhme 1982. Einen Versuch Wirklichkeits-und Textmodell mittels eines naturwissenschaftlichen Paradigmas in Übereinstimmung zu bringen, stellen die Arbeiten von Meisel 1991 und 199la dar.
Peyret 1980.
Vgl. Miller 1965 sowie 1968: S. 9–42.
Vgl. Derrida 1983: S. 29: “Es geht keinesfalls darum, [die] Begriffe ”zurückzuweisen“. [...] Wir können auf [die] Begriffe um so weniger verzichten, als wir ihrer bedürfen, um die Erbschaft aufzulassen, zu der auch sie gehören. Mit versteckten, beständig gefährlichen Bewegungen, die immer wieder dem zu verfallen drohen, was sie dekonstruieren möchten, müssen, im Rahmen der Vollendung, die kritischen Begriffe in einen vorsichtigen und minuziösen Diskurs eingebettet werden, müssen die Bedingungen, die Mitte und die Grenzen ihrer Wirksamkeit markiert, muß mit äußerster Sorgfalt ihre Zugehörigkeit zu jener Maschine gezeigt werden, die mit diesen Begriffen zerlegt werden kann.” Auf diesen Überlegungen basiert die von Heidegger hergeleitete Praxis einer kreuzweisen Durchstreichung, die Derrida (auch optisch) fir unverzichtbar erachtet (ebenda, S. 44): “Der Weg über die gestrichene Bestimmung und die Notwendigkeit dieses schriftlichen Kunstgriffes sind irreduzibel.” Trotz seiner emphatischen Metaphysikkritik haftet Derridas grammatologischen Begriffen, wie z.B. “Spur” oder “differance”, eine metaphorische Qualität an, die Derrida zwar notgedrungen anerkennt, die aber einer radikalen metaphysischem Kritik logisch zuwiderlaufen.
Vgl. Adorno 1970: S. 26f: “Organon des Denkens und gleichwohl die Mauer zwischen diesem und dem zu Denkenden, negiert der Begriff jene Sehnsucht. Solche Negation kann Philosophie weder umgehen noch ihr sich beugen. An ihr ist die Anstrengung, über den Begriff durch den Begriff hinauszugelangen.” In dieser apodiktischen Formulierung hat die Versöhnung mit der “Mauer” einen klar metaphysischen Status
Heinz Schlaffers Charakterisierung liest sich beinahe wie ein Kommentar zur Interpretationsflut des offenen Endes des MoE: “Zum Ärger nicht bloß der Naturwissenschaftler hält die Arbeit der Geisteswissenschaftler den jenen gewohnten Forderungen nach Eindeutigkeit, Stringenz und Abgeschlossenheit nicht stand. Jedoch liegt der Grund dieses Mangels nicht im stärker subjektiven, gar im ideologischen Charakter des Interpreten, vielmehr in der Beschaffenheit seiner Gegenstände. Diese sind jeweils konkret, einmalig und individuell, ihre Merkmale also unendlich.” (Schlaffer 1991: S. 25 )
Der zu Beginn der siebziger Jahre in die Literaturwissenschaft eingefihrte Begriff “Dekonstruktion”, scheint an dieser Textstelle in ironisch anerkennender Manier präfiguriert zu sein.
Mit einer festen Zuordnung wird ein Text gleichzeitig beendbar. Denn der ‘gute’ Text sagt alles, was zu einem Thema gesagt werden muß, und eben nicht alles, was dazu gesagt werden kann.
Daß mit dem “linguistic turn” aufgekommene philosophische Problem, das sich aus dem Zusammenhang der oben aufgeführten heuristischen Simulation ergibt, läßt sich in aller Kürze wie folgt skizzieren: Wenn man Wirklichkeit in Form von Zeichen thematisiert, kommt man nicht an der Frage der Bezugnahme dieser Zeichen vorbei. Lehnt man die ebenso erst zu beweisende wie mittels Zeichen unbeweisbare Aristotelische adaequatio rei et intellectus als Erklärung ab, so läßt sich eine geordnete Zeichenfolge nur dann herstellen, wenn man eine Strategie der Kontextualisierung anwendet. D. h. man versucht, einzelne Begriffe auf der Ebene der Bezeichnungen durch Querverweise festzulegen. Diese Kontextualisierung ist allerdings prinzipiell nicht abschließbar, da auch der definierende Kontext nur über eine weitere Kontextualisierung erschlossen werden kann. Dem Schreiber eines Romans kehren diese Probleme wieder als Fragen nach der “Wirklichkeit”, der Ordnung und dem Ende seiner Geschichte.
In Sinne der lacanitischen Trennung von Imaginärem, Realem und Symbolischen. Eine konzise Beschreibung dieser Terminologie findet sich bei Lippowatz 1982: S. 1–88, eine stark verkürzte Orientierung bieten Laplanche/Pontalis 1986: S. 228/9 und 487/8.
Einen ähnliches Problem kennt Kittlers Theorie der Aufschreibesysteme. Sein unvermittelt eingeführtes und immer wieder versichertes “weißes Rauschen jenseits aller Laute und Worte” (Kittier 1985: S. 189, 190, 191, 192) ist weniger technischer Terminus als mythische Beschwörungsmetapher: Akustisch leistet ein aufgeschlagenes Buch nichts.
So zuletzt Dietrich Scheunemann in einem Aufsatz über zitierte Geschichte in Literatur und Film. (Scheunemann 1991: S. 128–150)
als formelles Problem abhandeln wollen. Gegen eine solche strikte Trennung von Form und Inhalt formulierte bereits Adorno 1970: S. 15: “Opponiert [die Kunst] der Empirie durchs Moment der Form - und die Vermittlung von Form und Inhalt ist nicht zu fassen ohne deren Unterscheidung -, so ist die Vermittlung einigermaßen allgemein darin zu suchen, daß ästhetische Form sedimentierter Inhalt sei.”
In Anlehnung an den Titel eines Aufsatzes von Heinz B. Heller, der den Verlust von Autorschaft aufgrund des Erstarkens des Mediums Film am Drehbuchschreiber differenziert nachvollzieht (Heller 1987 ). Bahnbrechender, aber einseitiger die Arbeiten F.A. Kittlers zum Verhältnis Psychoanalyse, Literatur und Film. (Kittier 1985 und 1985b )
Vgl. Götz Großklaus und Eberhard Lämmert im Vorwort zu “Literatur in einer industriellen Kultur”. (Großklaus/Lämmert 1989: S. 14/5)
Sehr konzis beschrieben bei Möbius 1989.
Keine Revolution der Energie-bzw. Antriebsmaschinen(wie Dampfmaschine, Benzin-und Elektromotor) und keine Revolution der Werkzeugmaschinen (wie der Webstuhl und die Stanzmaschine) lösten die neuesten Veränderungen aus: Es waren sozusagen bloße Namen, kraftlose Symbole, wesenlose Zeichen, die eine zweite industrielle bzw. Antriebsmaschinen (wie Dampfmaschine, Benzin-und Elektromotor) und keine Revolution der Werkzeugmaschinen (wie der Webstuhl und die Stanzmaschine) lösten die neuesten Veränderungen aus: Es waren sozusagen bloße Namen, kraftlose Symbole, wesenlose Zeichen, die eine zweite industrielle bzw. “postindustrielle” Revolution hervorriefen, genauer: es waren neuartige Zeichen-Aufschreibe-und Zeichen-Übertragungs-Systeme.“ (Elm/Hiebel 1991: S. 9 )
Paradigmatisch H. Heine, der die Eisenbahn als ein “providencielles Ereignis” erkannte und als einer der ersten die damit einhergehende Veränderungen der Raumkategorie reflektierte. (Heine 1974: V, S. 449 )
Nach einem Gedicht Emanuel Geibels von 1856.
Zur ambivalenten Technikfaszination des Ingenieurs Robert Musils sei zum einen auf die Beschreibung der “überamerikanischen Stadt” [I,311 verwiesen. Zum anderen auf seine Bemerkungen zur Erotik der Sowjetfrau: “[D]ie erstaunliche Leistung Rußlands; die militärische und industrielle Stärke, der Zusammenhalt. Siehe dazu die ‘amerikanischen’, aber künstlerisch geform ten Stadtbilder; die Kämpferinnen, die einen neuen Frauentypus darstellen, der weitaus reizvoller ist als der unsere (Ad notam zu nehmen fir die Wichtigkeit Ag[the]s u[nd] U[lrich]s).” [TB I,995]
Schütz 1988: S. 122–143.
Beim “daheimgebliebenen” Robert Musil sind beide Phantasien ohne weiteres ebenfalls zu entdecken: Im Kapitel 1.40 gerät Ulrich in eine Polzeimaschinerie, die ihn mittels Verhörtechnik in kleine diskrete Einzelteile zerlegt. In seinem Tagebuch plant Musil umgekehrt, einen Menschen ganz aus Zitaten zusammenzusetzen [TB I,356].
Der Topos der Kälte ist in diesem Zusammenhang insbesondere von Helmut Lethen intensiv untersucht worden. (Lethen 1987, 1987a, 1988).
Vgl. Ulrichs ambivalent intellektuelle Begeisterung in dem Augenblick, als er selbst in der Polizeimaschinerie steckt: “Er besaß darum selbst in diesem Augenblick noch Sinn für die statistische Entzauberung seiner Person, und das von dem Polizeiorgan auf ihn angewandte Maß-und Beschreibungsverfahren begeisterte ihn wie ein vom Satan erfundenes Liebesgedicht. Das Wunderbarste daran war, daß die Polizei einen Menschen nicht nur so zergliedern kann, daß von ihm nichts übrigbleibt, sondern daß sie ihn aus nichtigen Bestandteilen auch wieder unverwechselbar zusammensetzt und an ihnen erkennt.” [I,159/60]
Das Zitat findet sich in: Aus dem Bericht über die Tätigkeit des Rats der Volkskommissare, B. Sowjetkongreß, 22.-29. Dezember 1920. Abgedruckt bei Raupach 1964: S. 177.
In ihrem informativen Aufsatz über das linke Sowjettheater im Zeitalter der Industrialisierung schreibt Erika Fischer-Lichte: “Die Entwicklung eines neuen Theaters sollte [...] auf Grundlage derselben Prinzipien vorgenommen werden, wie die Umgestaltung des rückständigen Landes in einen elektrifizierten Industriestaat. Entsprechend definiert der Theoretiker der Produktionskunst, Boris Arvatov, Theater als ”Theater der Produktion“, ”Werkzeug zur Umgestaltung des Lebens“, ”Fabrik des qualifizierten Menschen und einer qualifizierten Lebensweise“. Das Leben soll ”zum experimentellen Laboratorium werden.“ Aus dem ”biomechanischen“ Theaterkonzept Vsevolod Meyerholds, für den diese Prinzipien verbindlich waren, leitet Fischer-Lichte bezüglich der Verwendung und Gestaltung von Gesten folgendes ab: ”1) Der Mensch [...] erscheint als ein Wesen, das sich ausschließlich aus den Beziehungen heraus definiert, in die es eintritt oder gestoßen wird. Da sich diese Beziehungen jedoch ständig ändern, ändert sich auch der Mensch: ihm eine individuelle, substantiell bestimmbare Identität zuzuschreiben, ist daher ganz unmöglich. 2) Der Zuschauer ist aufgefordert, laufend neue Bedeutungen für die Bewegungen der Schauspieler [...] zu finden.“ (Fischer-Lichte 1989: S. 473, 477/8) Zu ähnlichen Theaterkonzepten des ”neuen“ Menschen vgl. Fischer-Lichte 1990: Bd. 2, S. 163–191, 207–220.
Vgl. den Artikel “Mann ist Mann” im Brecht-Handbuch. (Knopf 1980: S. 46–51)
Daß die Berufung auf Natur, insbesondere “Romantiknatur” wie sie Odo Marquard definiert hat, unproblematisch sei, soll hier keinesfalls behauptet werden. (Marquard 1987: S. 53–59)
Brecht 1982: I, S. 151, 171.
Brecht 1982: I, S. 171.
Vgl. Rolf Tiedemanns Nachwort zu Benjamins “Versuche über Brecht”. (Benjamin 1971: S. 196)
Wolfgang von Kempelens Schachspieler, das Modell fir Benjamins erste geschichtsphilosophische These, soll nach Wurzbachs “Biographischem Lexikon des Kaiserthums Österreich” von 1864 sowohl den Großfirsten Paul von Rußland, als auch Friedrich II sowie Napoleon besiegt haben.
Vgl. Schneider 1987: S. 732.
Der ruckartige Effekt der Leinwandbilder verschwindet mit zunehmender Entwicklung der Filmtechnik. Vgl. Auerochs 1991: S. 117.
Und zwar nur bei intentional kritischen Produktionen, denn ansonsten erleichterten es Hollywoods Schnittkonventionen, die außerordentlich rasch zu Sehkonventionen wurden, dem Zuschauer, sich in den Film genauso kontemplativ wie in ein Gemälde zu versenken (ebenda, S. 116/7).
Daß dieses Verfahren von Döblins Berlin Alexanderplatz im Kapitel III.33 des MoE einem Kommentar unterzogen wird, soll das Clarisse-Kapitel der vorliegenden Arbeit zeigen.
Schütz 1977: S. 188: “[In bezug auf den MoE] aber ist wichtig: [... Das] In-Frage-Stellen von Realität und Wahrnehmung wird nicht durch spezifisch moderne Erzählverfahren geleistet (so wie bei Döblin durch Textmontage und ‘Bewußtseinsstrom’ die Eigenart großstädtisch-moderner Erfahrung getroffen werden soll). [...] Er beansprucht die (durchaus konventionelle) Instanz des auktorialen, des ironischen Erzählers [Kursivierung im Original]”. Etwas einschränkender: ebenda: S. 185.
Vgl. Schütz 1977: S. 188.
Hornbostels Arbeit “Über optische Inversion” wird im MoE explizit angesprochen [I1I,688], Heydebrand 1963: S. 266–70, die diesen Zusammenhang als erste entdeckte, legt in ihrer Interpretation großes Gewicht auf den durch die Inversionsversuche nicht ausreichend zu begründenden philosophischen “Zusatz” Hornbostels. Im Hauptteil der Arbeit des mit Musil befreundeten Wahrnehmungspsychologen geht es dagegen ausschließlich um optische Phänomene wie das “Umspringen” eines dreidimensional und transparent gezeichneten Würfels. Laut Hornbostel ist dabei das invertierte ‘Ding’ als ebenso wirklich und gegenständlich wie das nichtinvertierte anzusehen: “Man weiß unter Umständen nicht, ob man im Augenblick die N-[ichtinvertierte] oder die I[nvertierte]-Ansicht vor sich hat [...].” “Die Inversionen sind weder ’Täuschungen, denen wir unterliegen, noch ’Vorstellungen’, die wir uns ’machen’, sondern Dinger, die wir, unter bestimmten Bedingungen, wahrnehmen [Kursivierung im Original].” Am Beispiel der oben beschriebenen Würfelfigur ist die Struktur der Bewegung nahezu dekonstruktiv: “Bei der Würfelfigur hat es keinen Sinn, ein ’N-’ und eine ’I’-Ansicht zu unterscheiden. Denn keine ist vor der anderen durch Perspektive, Abschattierung, Überschneidungen, Querdisparation, Tast-oder Bewegungseindruck als ’natürlich’ ausgezeichnet. Dennoch wird die eine in die andere invertiert, springt mit einem Ruck um [...].” Vgl. Hornbostel 1922: S. 138, 143, 151/2. In der hier hergestellten Relation zwischen umspringender Bewegung und Erzählerposition eines ästhetischen Textes sollte der über Hornbostels Ausführungen hinausgehende Hinweis nicht fehlen, daß die im eigentlichen Wortsinne verkehrende Bewegung letztlich eine Frage der Darstellung ist. Die in Frage kommende Würfelfigur ließe sich im deutlichen Gegensatz zum Gegenstand der Dichtung auch mittels eines anderen Verfahrens definieren, z. B. anhand einer Liste aller wichtigen Punkte, erstellt durch Angabe der jeweiligen Position auf der x-bzw y-Achse. Eine derartige Darstellung würde, obwohl mathematisch korrekt, die Bewegung des Umspringens allerdings vollständig unterschlagen.
Zur Spitze dieser Richtung gehört insbesondere Carl Corino (1988), dessen detektivische Spürarbeiten Musils eigene Arbeit in ihrer epischen Breite mittlerweile einzuholen scheinen. Weitere Autoren nicht zu unterschätzender ‘Nachschlagequalität’ sind Götz Müller (1972), Stefan Howald (1984) und (eingestandenermaßen) der MoE-Kommentar von Helmuth Arntzen 1982.
Maeterlinck 1898.
Müller 1972: S. 12, Anm. 1.
Was in einer Welt ohne Sprache bleibt ist fir Arnheim klar: Geld als universelle Verkehrsform. Diese Idee wird im anschließenden MoE-Kapitel [II.106] präziser ausgefihrt.
Etwas verwickelter der Hinweis auf den “Schatz der Armen” bei Diotima: In der “ältesten Tochter eines Mittelschullehrers, der kein Vermögen besaß”, “belebt sich nach dem Aufstieg ihres Mannes”, “im Verkehr” ihres Salons “zu ihrem eigenen Erstaunen ein Schatz von Erinnerungen, den sie sich angeblich im kulturvollen Elternhaus und in den Zentren der Welt in Wahrheit wohl auf der höheren Töchterschule als vorzügliches Lernkind angeeignet hat”, und sie fängt an, “ihn vorsichtig zu verwerten”. [...] “Sie handelte nun arglos wie ein feuchtes Schwämmchen, welches das wieder von sich gibt, was sie ohne besondere Verwendung aufgespeichert hat, indem sie, sobald sie wahrnahm, daß man ihre geistigen Vorzüge bemerkte, mit großer Freude kleine ”hochgeistige“ Ideen an passenden Plätzen in ihre Unterhaltung einflocht.” [...] “Jetzt [...] begann Diotima auch ernstlich, sich selbst zu entdecken”. [I,97/8]
Über den Umstand hinaus, daß das komplette Kapitel 11.105 von Arnheim rückerinnert wird.
Vgl. Kaiser 1972: S. 137.
Daß die insbesondere aus Nietzschezitaten montierte Clarisse in Verbindung mit den Schriften Nietzsches zu bringen ist, wird dem Betrachter durch Ulrich nahegelegt, der Clarisse mit den Schriften Nietzsches in Verbindung gebracht hat [I,49]: Er hat sie ihr zum Hochzeitstag geschenkt.
Trotz der Verwendung von Rückblenden (z.B bei der Testamentfälschungsszene III.15) ist der Gestus des MoE-Erzählers immer noch ein allwissender. Nur, und das ist das Entscheidende, kehrt sich Allwissenheit hier gegen sich selbst.
Isotheren entstehen durch ein graphisches Verfahren, bei dem verschiedene Punkte gleicher Temperatur auf einer Karte miteinander verbunden werden.
Wer aber bereits erkannt hat, was zwischen den Geschwistern vorgeht, der kann das Buch ebensogut weglegen, da er letztlich schon weiß, was drinstehen wird. Angesichts eines solchen Musil-Satzes dürfte es für jeden Literaturwissenschaftler ein wenig unangenehm sein, sich als Spurensucher am MoE zu versuchen.
Daß es auch andere ‘Umstände’ gibt, die ihn daran hindern, dürfte geläufig sein. Einen interessanten Beitrag zu diesem Thema liefert Ulf Eisele (1979).
Die Leitermetaphorik erinnert an den Satz 6.54 in Ludwig Wittgensteins Tractatus logicus Philosophicus. Die Formulierung lautet im ‘Original’: “Meine Sätze erläutern dadurch, daß sie der, der mich versteht, am Ende als unsinnig erkennt, wenn er durch sie - auf ihnen - über sie hinausgesteigen ist. (Er muß sozusagen die Leiter wegwerfen, nachdem er auf ihr hinaufgestiegen ist.) Er muß diese Sätze überwinden, dann sieht er die Welt richtig.” Diese Sätze zielen deutlich auf ein Verstehen Wittgensteins durch den Leser, nicht aber seiner ’unsinnigen’ Sätze. Dieses ’Verstehen des Autors’ muß letztlich immer Annahme bleiben, sprachlich jedenfalls ist es nicht zu verifizieren. Wittgenstein selbst warf seine (Leiter)Sätze nicht bloß weg, sondern unternahm mit den Philosophischen Untersuchungen (PU) den Versuch einer kritischen Revision. Der Paragraph 133 der PU trifft, auf den MoE angewendet, eine erstaunliche Feststellung: “Wir wollen nicht das Regelsystem für die Verwendung unserer Worte in unerhörter Weise verfeinern oder vervollständigen. Denn die Klarheit, die wir anstreben, ist allerdings eine vollkommene [im Original kursiv]. Aber das heißt nur, daß die philosophischen Probleme vollkommen [im Original kursiv] verschwinden sollen. Die eigentliche Entdeckung ist die, die mich fähig macht, das Philosophieren abzubrechen, wann ich will.- Die die Philosophie zur Ruhe bringt, so daß sie nicht mehr von Fragen gepeitscht wird, die sie selbst [im Original kursiv] in Frage stellen.” Daß Wittgenstein eine derartige Entdeckung tatsächlich gemacht hat, kann mit Blick auf den erheblichen Umfang der PU selbstredend und zu Recht bezweifelt werden.
Wenn auch, wie gezeigt, stets zurückgenommenen.
Mauthner 1906: Bd. I, S. lf.
Vgl. Mauthner 1906a: S. 120: “Das wäre freilich die erlösende Tat, wenn Kritik geübt werden könnte mit dem ruhig verzweifelten Freitod des Senkens oder Sprechens, wenn Kritik nicht geübt werden müßte mit scheinlebigen Worten.”
Vgl. Janik/Toulmin 1987: S. 180 und Mauthner 1982: Bd. I, S. 118: “Sobald wir uns aber wirklich etwas zu sagen haben, sind wir gezwungen zu schweigen.” Zur MoE-Variation dieses Maeterlinkzitats durch Arnheim und Diotima siehe oben.
In dem hier dargestellten Zusammenhang von “Leiterbild” und Textende sollte nicht unerwähnt bleiben, daß auch Friedrich Nietzsche das Leiterbild in analoger Relation verwendet. Unter § 7 der Vorrede zu “Menschliches Allzumenschliches” beschreibt er die Schwierigkeiten und Anstrengungen, derer es bedürfe, um zum Niveau der Problemstellung seiner Philosophie zu gelangen. Retrospektiv könne man mit Blick auf die Genese dieser Problemstellung sagen: “Hier - ein neues Problem! Hier eine lange Leiter, auf deren Sprossen wir selbst gesessen und gestiegen sind, - die wir selbst irgendwann g e we s en sind!” Nietzsche, der über seine Einschätzung, die Spitze der Leiter erreicht zu haben, im übrigen keinen Zweifel läßt, stellt zum Abschluß seiner Vorrede in § 8 die signifikante Frage, warum sein Buch in Deutschland so nachlässig gelesen, bzw. so schlecht gehört worden sei. Es verlange zuviel, hätte gemeinhin die Antwort auf diese Frage gelautet. Doch auch auf diese Erwiderung weiß Nietzsche eine ironisch gekonnte Replik: “Nach einer so artigen Antwort rät mir meine Philosophie, zu schweigen und nicht mehr weiter zu fragen; zumal man in gewissen Fällen, wie das Sprichwort andeutet, nur dadurch Philosoph bleib t, daß man - schweigt.” Vgl. Nietzsche 1980: Bd. II, S. 21/2.
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Schreiter, E. (1994). Technik im „Mann ohne Eigenschaften“: Der Erzähler als Kippfigur. In: Verkehr bei Robert Musil. Kulturwissenschaftliche Studien zur deutschen Literatur. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-322-97056-5_2
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