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Die Rhetorik als Paradigma sozialer Sprache. Zum Rhetorismus der Renaissance

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Reden zwischen Engel und Vieh
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Zusammenfassung

Auch wenn die bisherige Darstellung der Rhetorik einer systematischen und allenfalls peripher historischen Intention folgte, so ist es doch angesichts der Prämisse, daß, was ‚Empfindung‘ bezeichnet dem rhetorischen Sprachspiel unproblematisch, einem rational-methodischen jedoch unaufhebbar ist, unumgänglich, auf die Rhetorik der Renaissance zu rekurrieren, gilt diese Epoche doch als deren letzte Konjunktur und in eins als Ausgangspunkt jenes dezidiert anti-rhetorischen rationalen Denkens, das, wie trotz aller Abstriche und Einwände planerdings zu konstatieren ist, die Neuzeit dominiert.1 Die Feststellung eines bloßen Paradigmenwechsels bleibt dabei ebenso unbefriedigend wie der Hinweis auf eine übergreifende christliche Rhetorikfeindlichkeit, die nach einem kurzen Intermezzo dann erneut und endgültig die Oberhand gewinnt.2 Auch die Erklärung durch eine materiale Basis — z. B. in den ökonomischen oder technischen Verhältnissen3 — ist lediglich in der Lage die Simultaneität eines Prozesses, der seine Bedingungen produziert und repräsentiert, nach eigenen Präferenzen zu gewichten. Hinzu kommt, daß die Opposition Rhetorik — Theorie für die Renaissance weder in neuzeitlichen noch in antiken Parametern gedacht werden kann, da sich — worauf verwiesen wurde — zum einen der Status von Theorie ändert4, zum anderen der Status der Rhetorik als Theorie — wie sie in ihren Lehrbüchern vorliegt — selbst ambivalent ist, weshalb die Gefahr besteht, sie entweder apologetisch als Affirmation des Arationalen oder pejorativ als subjektivistische Negation der Vernunft zu interpretieren.

„Keine neue Welt ohne neue Sprache.“

Ingeborg Bachmann, Das dreißigste Jahr.

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Literatur

  1. In den historischen Aspekten liegt besonders: Peter Burke. Die Renaissance in Italien. Berlin 1984 und Bauer/Matis, Geburt; im weiteren auch: Jacob Burckhardt. Die Kultur der Renaissance in Italien. Berlin 1928 dem Text zugrunde.

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  2. Zum Ersteren vgl. Hanna-Barbara Gerl. Humanistische und geometrische Sprachphilosophie. Ein Paradigmenwechsel von Leonardo Bruni zu Francesco Patrizi. In: Zschr. phil. Forsch. 36 (1982), S. 189–207. Letztere Auffassung suggeriert z. B. Roland Barthes, wenn er über Pascal schreibt, daß „wir ihm die Anti-Rhetorik des modernen Humanismus verdanken“ (Barthes, Rhetorik, S. 46).

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  3. Implizit: Bourdieu, Entwurf, S. 343ff (vgl. auch S. 214 u. 379ff.) Bourdieu übergeht freilich den Komplex Rhetorik und schließt Semantik und Warenverkehr moderne Sprachtheorie und kapitalistische Wirtschaft planerdings zusammen. Dieses — im Zusammenhang seiner Argumentation legitime — Verfahren führt zwar zu interessanten Ergebnissen, beschreibt aber aus semantischer Sicht eben nicht eine Transformation der Praxis, sondern hypostasiert mit dem ökonomisch-mathematischen ein Modell von Praxis, das zuallererst in seinen praxeologischen Konstituentien beschrieben werden müßte. Einen interessanten, den Gegenstand dieser Ausführungen übersteigenden Hinweis liefert Peter Burke: „Ein [...) zentrales Element des Menschenbildes der damaligen Zeit war die Vorstellung, daß der Mensch seinem Wesen nach rational, berechnend und umsichtig sei. Immer wieder stößt man auf die Ausdrücke,Vernunft’ (ragione) und,vernünftig’ (ragionevole) meist mit anerkennendem Unterton. Ragione hatte noch andere Bedeutungen, aber auch diese verweisen auf die Idee der Rationalität. Ragione kann,Rechnung’ oder,Berechnung’ bedeuten; Kaufleute nannten ihre Geschäftsbücher libri della ragione. Ragione kann,Gerechtigkeit’ bedeuten; der Palazzo della Ragione in Padua war ein Gericht. Auch zur Gerechtigkeit gehört die Berechnung, wie das klassische, auch in der Renaissance geläufige Bild der Waagschalen erkennen läßt. Ragione bedeutet außerdem,Proportion’ oder,Verhältnis’. Eine frühe, berühmt gewordene Definition der Perspektive aus der anonymen Brunelleschi-Biographie nennt sie die Wissenschaft, die die Größenunterschiede zwischen nahen und entfernten Gegenständen con ragione festlegt was man entweder mit,rational’ oder mit,im richtigen Verhältnis’ übersetzen kann und übersetzt hat. Die Vernunft stand auch mit der Sprache in Verbindung; noch heute bedeutet im Italienischen das Wort ragionare auch,argumentieren’ und,sich unterhalten’.“ (Burke, Renaissance, S. 201; vgl. Bauer/Matis, Geburt, S. 87ff.). Im Falle der bildenden Kunst ist die Mathematisierung evident; Hanna-Barbara Gerl interpretiert im Anschluß an Gottfried Boehm die Entdeckung und Durchsetzung der Perspektive als Veränderung der Wahrnehmung, die den Raum nun als,Systemraum’, als methodisch beschreibbare Bildwelt mit dem Augenpunkt als Angelpunkt versteht und — ausgehend von dieser,visuellen Geometrie’ — anstatt wie bisher auf die ousia der Gegenstände abzuzielen nun die phainomenai in ihren wahrnehmbaren Relationen beschreibt (vgl. Hanna-Barbara Gerl. Einführung in die Philosophie der Renaissance. Darmstadt 1989 S. 127ff.). Damit ist eine mathematische Grammatik des Bildaufbaus — eine epistemische Normierung — bestimmt, die sich im Wechsel ihrer Rubrizierung in literarischen Begriffen manifestiert: „Es zeigt sich, daß im 16. Jahrhundert, anders als im 15. Jahrhundert, manche mythologischen Bilder nicht mehr als,Geschichten’, sondern als,Gedichte’ gesehen wurden — [...). Tizian bezeichnete einige seiner mythologischen Szenen als Gedichte (poesie).” (Burke, Renaissance, S. 160; vgl. S. 120) Die Wertung Burkes — im Zitat ausgespart: „- ein Ausdruck, der andeutet, daß sie weniger Illustrationen zu einem Text, als vielmehr freie Phantasien des Malers waren“ (ebd.) — wäre zu relativieren, denn der Begriff,Gedichte’ betont weniger freie Phantasie als metrische Gebundenheit.

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  4. Siehe oben (S. 39ff)

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  5. Vgl. Henning Brinkmann. Mittelalterliche Hermeneutik. Tübingen 1980, S. 17. Zum,Buch der Natur’: Hans Blumenberg. Die Lesbarkeit der Welt. Frankfurt a. M. 1981. Zwar hat Hans Blumenberg mit seiner Invektive gegen eine Lektüre der Welt aus der Sicht rationaler Semantik recht (abgesehen von seiner Interpretation der Romantik, denn diese war bei weitem nicht so naiv, wie er sie darstellt), nur. der Vektor des,Erkenntnisinteresses’ zielte zunächst nicht auf Wiedergabe der natürlicher Sachverhalte, sondern auf Explikation der Schrift. Und auch für die Renaissance ist ein plauschaler,rationalistischer Kurzschluß’ abzulehnen: wie nachgewiesen werden soll, ist ihr Sprachverständnis primär am Gedanken situativer Wirksamkeit ausgerichtet, auch wenn er nach eigenen Prämissen nur als U-Topos präsentiert werden kann. Dieser praktische Wirkwille ändert den Modus der Referenz; Grassi ist zuzustimmen: „Wenn man anerkennt [...), daß das Dasein ständig im Rahmen verschiedener Situationen, die wiederum die unterschiedlichsten Ansprüche anmelden, sich verwirklichen muß, so ist offensichtlich, daß das Daseiende — ein substantiviertes Partizip des Wortes sein — nur durch metaphorische Ausdrücke den verschiedenen Ansprüchen entsprechen kann, um dadurch sich selber in seiner Geschichtlichkeit zu entbergen.“ (Ernesto Grassi. Einführung in die philosophischen Probleme des Humanismus. Darmstadt 1986 S. 48)

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  6. Vgl. Ulrich Krewitt. Metapher und tropische Rede in der Auffassung des Mittelalters. Ratingen/Wuppertal/Kastelaun 1971; bes. S. 443ff.; sowie Henning Brinkmann. Die Sprache als Zeichen im Mittelalter. In: Gedenkschrift für Jost Trier. Hrsg. v. H. Becker u. H. Schwarz. Köln/Wien 1975, S. 40f. und Friedrich Ohly. Vom geistigen Sinn des Wortes im Mittelalter. In: Zschr. f deutsches Altertum Bd. 89 (1958/59), S. 1–23.

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  7. Vgl. Ohly, Sinn, S. 15ff.

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  8. Vgl. Barthes, Rhetorik, S. 42f.: Barthes charakterisiert die Entwicklung des 12. und 13. Jahrhunderts als Sieg der Logik scholastischer Argumentation über Rhetorik und Grammatik: als Sieg von Paris über Chartres. So plausibel der Befund auch zunächst erscheinen mag, er ist doch — vgl. Grassi, Macht — zu relativieren.

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  9. Ersteres bei Bernhard v. Clairvaux; letztere bei Meister Eckhart.

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  10. Wie in der Praxis des franziskanischen Messianismus und seiner Endzeiterwartung. Den Zusammenhang von Säkularisierung, Nominalismus und Franziskanertum personifiziert die Person Ockhams: Er ist Franziskaner und unterstützt — man mag sagen: nach seiner Verurteilung zwangsläufig, kann jedoch einwenden: lieber als daß er sich unterworfen hätte — die Positionen des Reichs gegen die Ansprüche der Kirche. Bei den radikalen Fransikanern (den Minnten) vereinigen sich die fideistische Spritualisierung des Glaubens und ein damit einhergehendes Armutsgebot der Kirche mit Rechtfertigung des säkularen Imperiums, Anerkenntnis säkularer Geldwirtschaft und Rechtfertigung der Zinsnahme. Gemeinsam mit den Dominikanern sind sie der erste Orden, der sich dezidiert ständischer Wirklichkeit annimmt; in der franziskanischen Geldtheorie — am bedeutendsten in: Johannes Petrus Olivi. De contractibus usuariis — wird in einer Konzeption, deren Beziehung zur Wirklichkeit der norditalienischen Handelsstädte ebenso evident ist wie eine strukturelle Analogie zum Praxis-Primat der franziskanischen Chiliastik und deren akkumulativem Zeitbegriff, zum ersten Mal zwischen Geld als Tauschäquivalent und Geld als Kapital unterschieden. Letzterem schreibt Olivi (1248–1298),samenartige Qualität’ zu, die bei einer Kreditgewährung Zinsnahme rechtfertigt, da der Kapitalgeber mit der Gewährung des Kredits darauf verzichtet, seinerseits mit dem Betrag lohnend zu arbeiten. Geld wird nicht mehr nur als Repräsentant eines substanziellen Warenwertes begriffen, sondern, wie Bauer/Matis zusammenfassen, es „transmittiert Arbeit und Fleiß“ (Bauer/Matis, Geburt, S. 154). Grundlage dieser Konzeption ist eine,Impetustheorie’, in der die Abkehr vom aristotelischen Entelechie-Konzept mit seiner Kosmologie und Hinwendung zur Praxis als komplexem Ensemble von wirkenden Kräften deutlich werden läßt: „Instrumentelle Kräfte wirken wie Anstöße (oder mitgeteilte Bestrebungen), die etwa von einem Werfer auf einen Wurfgegenstand übertragen werden, der sich dann, selbst wenn sich der Werfer entfernt, in die ursprüngliche Richtung weiter bewegt. Die formgebende Kraft (virtus) löst sich vom Urheber und wirkt im Werkzeug unabhängig fort. [...j Wenn die Kräfte des Urhebers in der Geldübertragung im Geld weiterwirken, dann ist es einsichtig, daß auch die Resultate dieser dem Geld eingeprägten Kräfte ihrem Urheber gehören. Diese an sich sehr unpräzisen Vorstellungen der Kraftübertragung gilt nach Olivi für künstliche, das heißt vom Menschen hergestellt Wirkungszusammenhänge, nicht aber für theoretische Überlegungen der Physik oder Kosmologie. Diese Beschränkung auf künstliche Wirkungszusammenhänge entspricht aber genau dem Gegenstandsbereich der,Wertbildung’.” (Bauer/Malis, Geburt, S. 156; zu Olivi und Ockham vgl. auch Hans Ulrich Wöhler im Vorwort zu: Wilhelm von Ockham. Kurze Zusammenfassung zu Aristoteles’ Büchern über Naturphilosophie. Hrsg. u. übers. von Hans-Ulrich Wöhler. Leipzig 1983, S. 294ff.)

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  11. Vgl. Hanna-Barbara Gerl. Rhetorik als Philosophie (Lorenzo Valla). München 1974, S. 63f1; Stephan Otto. Rhetorische Techne oder Philosophie sprachlicher Darstellungskraft? Zur Rekonstruktion des Sprachhumanismus der Renaissance. In: Zschr. phil. Forsch. 37 (1983), S. 497–514, bes. S. 501f. u. ders. (Hrsg. u. Einl.) In: Renaissance und frühe Neuzeit. (Geschichte der Philosophie in Text und Darstellung Bd. 3 ) Stuttgart 1984, S. 113f.

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  12. Vgl. Klaus Oehler. Der Consensus omnium als Kriterium der Wahrheit in der antiken Philosophie und der Patristik. In: Antike und Abendland 10 (1961), S. 103–129; dazu die relativierende Kritik Bomscheuers in: Bornscheuer, Topik, S. 49ff.

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  13. Dies gilt sowohl diachron als auch synchron: „Wenn aber nun, wie gesagt, innerhalb desselben Volkes sich die Sprache in der Abfolge der Zeit verändert und auch nicht stehen bleiben kann, dann folgt daraus notwendig, daß sie auch bei den Menschen in verschiedene Richtungen geht, die voneinander getrennt und weit entfernt leben, so wie auch Sitten und Gebräuche untereinander verschieden sind, weil sie nicht aus der Natur oder gemeinsamer Herkunft gebildet werden, sondern aus der räumlichen Nähe der Menschen entstehen.“ (Dante Alighieri. De vulgari eloquentia. Zitiert wurde die Übersetzung von Hans-Ulrich Gumbrecht in: Ders., Stabilität, S. 742.)

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  14. Vgl. Bauer/Matis, Geburt, S. 125. Zwar zerfällt der abendländische lateinische Diskurs des Mittelalters letztlich in differente nationalsprachliche Diskurse, doch ist dieser Befund nicht gleichzusetzen mit der Genese verschiedener Diskurstypen. Zum einen hält sich das Latein noch bis ins 18. Jh. als philosophische Fachsprache, zum anderen schiebt sich unter die je nationalsprachliche Oberfläche das methodische Verfahren der rationalen Episteme und formiert sie nach gemeinsamer Tiefenstruktur, die ihr Ideal in einer logischen Grammatik und einem sprachunabhängigen Verfahren der Referenz hat, so daß die nationalsprachigen Formulierungen untereinander salva ventate austauschbar sind.

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  15. Insofern erscheint die sogenannte,Präsenzmetaphysik’ des Idealismus zugleich als äußerster Pol subjektiver Selbstbehauptung und individueller Unterordnung unter den Imperativ der Begriffe, wie er sich als Implikation der methodischen Sprache formuliert.

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  16. Dazu braucht man nur die,eklektisché Zitierweise in den rhetorischen Texten Aristoteles’ und Ciceros in Augenschein zu nehmen.

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  17. Zu den Konstituentien der Renaissance gehört die Ablehnung planer christlicher Autoritätsgläubigkeit. Wenn dennoch antike Schriften und Autoren quasi idealisiert und kanonisiert erscheinen, so ist dies die Folge eines — im philologischen wie politischen Sinne — kritischen Prozesses: „Ich bin dafür, daß wir diesen ganzen Autoritätsglauben, diese unberechtigte Hochschätzung des hochgerühmten Altertums endlich abschaffen, und ich wünsche, daß Du Dich von Deiner Auffassung über die Würde und den Vorrang der zeitlichen Priorität ein für allemal, wie es billig ist, befreien mögest. Ausschlaggebend in diesem Wettstreit soll nur das Wissen, nicht das Alter sein. Das Wissen müssen wir untersuchen und abwägen. [...J Bedenkt ein wenig, daß diejenigen, die ein Urteil fällen, den Beurteilten zumindest in der Sache, über die entschieden wird, überlegen sein müssen.“ (Coluccio Salutati. An Poggio Braciollini Zitiert nach: Otto, Renaissance, S. 89 u. 90) Bornscheuer charakterisiert — in Bezug auf Veronese — die humanistische,Sprachfrxiertheit’ folgendermaßen: „Über alles Togosund Sprachbewußtsein der Antike hinaus wird [...) ein geradezu erotisches und vitalistisches Pathos zur Welt der Bücher zu einem anthropologicum erklärt./Hinter diesem Pathos steht zweifellos ein doppeltes Oppositionsverhältnis: einerseits gegenüber dem scholastischen Rationalismus und der hierarchischen Metaphysik sowohl der sozialen ordo wie auch der hermeneutischen ordo (des vierfachen Schriftsinns), andererseits gegenüber allem Unwesen der kompilatorischen ‚Digest-Kultur’, der der Sinn für die lebendige Ganzheit sowohl der historischen exempla als auch der eigenen Lebenspraxis abhanden gekommen war. [...) Die nicht mehr kirchlich-institutionell gesicherte Unmittelbarkeit zwischen Textbezug und Lebensbezug erfordert eine neuartige hermeneutische,Ingeniosität’, eine neue,Artistik’, die dadurch legitimiert wird, daß sie — analog zur antiken Fundierung von ratio und oratio in der Natur des Menschen — zu einer naturhaften Begabung erklärt wurde.” (Bornscheuer, Paradoxien, S. 20; vgl. Otto in: Renaissance, S. 87) In gewisser Weise wird im vorliegenden Kapitel wenig über das hier von Bornscheuer prägnant Formulierte hinaus gesagt werden; — doch Bornscheuers Begriffe (,erotisch-vitalistisches Pathos’,,Sinn für die lebendige Ganzheit’,,hermeneutische Ingeniosität`,,naturhafte Begabung’) benennen ex parte post Sachverhalte, die inhaltlich erst Resultat des beschriebenen Prozesses sind und deshalb zunächst in ihrer praxeologisch-strategischen Funktion bestimmt werden müssen, um die Beschreibung (soweit als möglich) von Zirkularität freizuhalten.

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  18. Als Paradigma kann ein Text erst fungieren, wenn er auf das Gesamte einer von ihm bezeichneten Praxis verweist und nicht nur einen Schritt — oder Ort — der präsenten Argumentation darstellt. Exemplarisch für ein,textuelles Modell’ mag Dantes Bestimmung der lateinischen Sprache stehen: „Dem besagten Latein ist nichts anderes zu eigen als die unveränderliche Einheitlichkeit der Sprache der verschiedenen Orte und Zeiten (quaedam in alterabilis locutionis indemptitas diversis temporibus atque locis). Da diese durch gemeinsame Übereinstimmung vieler Völker geregelt wurde, so ist sie nicht der Willkür des Einzelnen unterworfen und kann folglich nicht veränderlich sein (nulli singulari arbitrio videtaur abnoxia, et per consequens nec variabilis esse potest). Sie wurde also erfunden, um zu verhindern, daß wir nicht durch die Verschiedenheit einer Sprache, die nach den Einzelwillen hin und her wogt, verwirrt werden (... ne propter variationem sermonis arbitrio singularium fluitantis.)“ (Dante. De vulgari eloquentia. I, IX, 2–11, S. 109; zitiert nach: Grassi, Einführung, S. 20f.).

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  19. Eine gewisse pragmatische Kontrollfunktion der Schrift ist schon in der antiken Rhetorik vorhanden, und schon die Stoa differenzierte zwischen Semantik und Grammatik (vgl. Eugenio Coseriu. Die Geschichte der Sprachphilosophie von der Antike bis zur Gegenwart. Stuttgart 1969 S. 96ff.). Da die Stoa aber eine physis-Theorie der Sprache behauptet, ist die Grammatik zunächst eine empirische und deskriptive Wissenschaft von den Möglichkeiten des Gebrauchs der referenziellen Entitäten, die erst über deren Bestimmung normative Implikate zeitigen kann. Mit dem Bezug auf den heiligen Text hingegen wird die Grammatik (und die logische als Untergruppe) selbst zur normativen Instanz, da nun die grammatischen Relationen des kanonischen Textes die Bedingungen,richtiger’ Applikation seiner semantischen Entitäten auf die Wirklichkeit determinieren.

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  20. omnis concordia dependet ab unitate que est in voluntatibus; genus humanum optime se haben est quedam concordia; nam, sicut unus homo optime se habens et quantum ad animam et quantum ad corpus est concordia quedam, et similiter domus, civitas et regnum, sic totum genus humanum; ergo genus humanum optime se haben ab unitate que est in voluntatibus dependet.“ (Dante. De monarchia. (lat./dt.) Übers. u. eingel. v. Ruedi Imbach u. Christoph Fliieler. Stuttgart 1989 I,xv,8, S. 110)

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  21. concordia uniformis motus plurimum voluntatem; [...}“ (Dante. De monarchia. I,xv,5, S. 108)

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  22. genus humanum, quantis procellis arque iacturis quantisque naufragiis agitari te necesse est dum, bellua multorum capitum factum, in diversa conaris!“ (Dante. De monarchia. I,xvi,4, S. 112)

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  23. Zustand’ entspricht dabei,inhaltlich’,Empfindung’.

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  24. Dabei muß unbedingt berücksichtigt werden, daß diese,Rubrizierung’ keiner erkenntniskritischen oder metaphysischen, sondern praktischer Intention folgt. Stephan Otto betont, daß „das Wahrheitsideal der Renaissancephilosophie, im Gegensatz zu dem an ein Methodenkonzept gebundenen kartesianischen Begriff wahren Wissens, offen bleibt fir verschiedene Formen der Wahrheitssuche“ (Otto in: Renaissance, S. 32); auf den Begriff gebracht und gegen die Tradition abgesetzt bedeutet dies „eine regulative Idee der Wahrheit, nicht eine Definition des Wahren. Das Wahrheitsideal der Renaissance meint etwas ganz anderes als die,Wahrheitsformel’ der aristotelisch-thomistischen Scholastik: veritas est adaequatio rei et intellectus (Thomas von Aquin, De ventate I,1). Will diese mittelalterliche Formel auf dem Fundament einer metaphysischen Vorannahme von der Intelligibilität alles Seienden die erkenntnisphilosophische Wahrheit zum Ausdruck bringen, daß die Vernunft sich der von Gott lichtvoll erschaffenen und deshalb erkennbaren Welt anzugleichen vermag, so folgt das Wahrheitsideal der Renaissance einem kulturphilosophischen Gedanken: Der Mensch ist fähig, sich seiner Welt durch geschichtliches Bewußtsein und mittels sowohl wissenschaftlich-begrifflicher als auch symbolisierender Vernunfthandlungen zu bemächtigen.” (Otto in: Renaissance, S. 31f.)

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  25. neque contemplativa propria est hominis vita, sed activa. Non enim, quae homo est, contemplatur í...3 Justitiam vero, ac temperantiam, et fortitudinem, ceterasque moralis virtutes exercet ut homo.“ (Leonardo Bruni. Epistularum Libri VIII (2 Bd.) Florentiae 1741 II, S. 135; zitiert nach: Grassi, Einführung, S. 42) „Mortales enim ad aliquid semper agendum, non ad quietem non ad otium non ad standum” (Guarino Veronese. Epistolario. Ed. R. Sabbadini. Bd. 3. Venezia 1915–19; Ep. 257 (I, 402); zitiert nach: Grassi, Einführung, S. 79). Hannah Arendt beklagt in der Vita activa daß die Neuzeit „theoretisch nirgends zwischen Animal laborans und Homo faber, zwischen der,Arbeit unseres Körpers’ und dem,Werk unserer Hände’ einen Unterschied gesetzt hat.“ (Hannah Arendt. Vita activa oder Vom tätigen Leben. München 1981 S. 80) Wie Wolfga ng Hübener — fir franziskanische Autoren des frühen 14. Jh. — nachgewiesen hat, steht an der Schwelle zur Neuzeit die Auseinandersetzung mit jenem aristotelischen Praxisbegriff, von dem auch Hannah Arendt ausgeht, in der „die Ausarbeitung einander ausschließender Positionen eine so scharfe Präzisierung erfahren {hatte), daß er sich durch interne Umbesetzungen innerhalb eines vorgegebenen Kalküls von Lösungsmöglichkeiten schwerlich noch insgesamt auf eine neue Basis stellen ließ.” (Wolfgang Hübener. Der Praxisbegriff der aristotelischen Tradition und der Praktizismus der Prä-moderne. In: THEORIA CUM PRAXI. Zum Verhältnis von Theorie und Praxis im 17. u. 18. Jahrhundert. Akten des III. Internationalen Leibnizkongresses. Hrsg. von K. Müller, H.Schepers u. W. Totok. Bd. 1: Theorie und Praxis, Politik, Rechts-und Staatsphilosophie. Wiesbaden 1980, S. 41–59; hier S. 47) Im Zentrum steht die Reflexion der Praxis als „Gefüge des Ineinanderspiels von praktischer Einsicht, Willensentscheidung und Ausführung“ (Hübener, Praxisbegriff, S. 49). Diese Bestimmung der Formatstruktur von Praxis erlaubt zwar — mangels Naturbegriff — kein Verständnis von Arbeit als Produktion, legt aber die Basis für ein Konzept, das Individuation und Sozialität als Resultat und Gegenstand einer willentlichen Tätigkeit begreift. Damit bleibt zwar der Gegensatz von ponos und praxis, von der Abgeltung kreatürlicher Notwendigkeit und der Behauptung humaner Angemessenheit, unberührt, doch findet in den Begriff der Praxis ein poietisches Moment Eingang, das Praxis im Produkt zu objektivieren gestattet und, wenn auch nicht zwischen,animal laborans’ und,homo faber’, so doch zwischen,homo laborans’ und,homo faber` differenziert. Ernesto Grassi leitet einen spezifischen Arbeitsbegriff der Renaissance, den er in Konsequenz als Ergänzung und Korrektiv des neuzeitlichen und speziell des auf Marx gegründeten versteht (vgl. Ernesto Grassi. Humanismus und Marxismus. Zur Kritik der Verselbständigung von Wissenschaft. Reinbek 1973) ebenfalls aus franziskanischer Philosophie her, doch greift er nicht wie Hübener auf die jüngere Schule — Duns Scotus, Ockham — zurück, sondern bezieht sich in Bonaventura auf die mittlere, platonistischer Lichtmetaphysik verpflichtete Variante, die — damit Chartres nahe — Erkenntnis — und mit ihr Sprache — nicht objektivistisch untersucht, sondern anamnetisch, als Rückgang auf ein innerliches Wort und als analogischen Vorgang begreift. Hugo v. St. Victor, Vertreter Chartres, definierte: „Indem die Seele die Ähnlichkeit der Dinge erfaßt, kehrt sie zu sich selbst zurück (ad se ipsum rerum similitudines trahens aggregat), und dies ist die Ursache dafür, daß der Geist (mens) selbst — der die Universalien erfaßt (quae universorum capax est) — aus jeder Substanz und aus jedem Wesen, von dem er die Gestalt der Ähnlichkeit sich vorstellt (quo similitudinis repraesentet figuram), zusammengesetzt ist (coaptatur).” (Hugo v. St. Victor. Didascalicon 742 A 5–8; zitiert nach: Ernesto Grassi, Macht, S. 79) Diese dynamische Komponente, die Wahrnehmung nicht als Repräsentanz, sondern als analogische Übertragung und Vermittlung versteht und ihr damit eine genuin anthropomorphe Qualität zuspricht, findet sich auch bei Bonaventura: „Die Ähnlichkeit (similitudo) führt nur dann zur Vollendung des Wahrnehmungsaktes (facit completionem in actu sentiendi), wenn sie die Beziehung mit dem Organ und der Fähigkeit herstellt: sobald diese Einheit zustandekommt, entsteht die neue Wahrnehmung (nova perceptio): auf Grund dieser geschieht die Rückführung auf den Gegenstand durch die Ähnlichkeit (per illam perceptionem fit reductio da obiectum mediante similitudine).“ (Bonaventura. Reductio artem ad theologiam VIII; zitiert nach: Grassi, Macht, S. 156; vgl. Grassi, Einführung; S. 81ff.) In unserem Rahmen bedeutend wird dieses Similitudo-Konzept, da es nicht nur passiv zu verstehen ist — sich auf Rezeption und natürliche Reaktionen beschränkt — sondern auch als Prinzip der artes mechanicae, also jener Techniken, die etwas Künstliches, gegen die Natur und zu ihrer Beeinflussung Hergestelltes zum Ziel haben. Davon gibt es zweierlei Art: erstens solche, die kreatürlichen Bedürfnissen dienen wie Ackerbau, Jagd, Webkunst etc. — diese sind nicht auf den Menschen beschränkt, sondern können durchaus tierische Fertigkeiten bezeichnen (vgl. a. a. O., S. 161f.), zweitens genuin humane, quasi reflexive, die „ad excludendam tristitiam” (Reductio II) — zur Oberwindung der Melancholie — geschaffen sind: „theatralia“, wie Gesang, Musik, bildende Kunst, Mimik (vgl. a. a. O., S. 165). Grassi interpretiert die theatralia emphatisch als: „Das Auftreten der menschlichen Welt und damit des Geistes.” (A. a. O., S. 163; vgl. Brink-mann, Hermeneutik, S. 14ff.) Und tatsächlich beschreibt Bonaventuras Charakteristik eine Art produktiver Anamnesis, die ihr eidos darstellend objektiviert: „Betrachten wir den Ausgangspunkt dieser Künste, so erkennen wir, daß das Künstliche von seinem Schöpfer auf Grund einer im Geist sich vorfindenden Ähnlichkeit ausgeht (effectus artificialis exit ab artifice mediante similitudine existente in mente): durch diese Ähnlichkeit entdeckt sein Schöpfer etwas, ehe er es hervorbringt, und dadurch gestaltet er es, wie er es geplant hat (per quam artifex excogitat, antequam producat, et finde producit, sicut disposuit).“ (Bonaventura, op. cit., II; zitiert nach: A. a. O., S. 163) Praxis wird so — immer noch entlang der traditionellen Trennungslinie — zerlegt in einen Bereich kreatürlicher Selbsterhaltung und einen anderen teleologischer Selbstobjektivation. Letzterer gewinnt an Gewicht, sobald man die Bonaventurasche Bestimmung des principium individuationis in Betracht zieht: „Nach Bonaventura kann weder ein unbestimmtes, dem Nichts nahestehendes Substrat noch ein Akzidenz wie die Qualität die Grundlage der Individuation sein. Die Individuation leite sich her aus der aktualen Verbindung von Materie und Form und ihrer gegenseitigen Bemächtigung, wobei die numerische Individualität durch die Materie, die qualitative Individualität durch die Form begründet wird.” (Heinz Pepperle. Art.,Individuationsprinzip`. In: Phil. Wb., S. 561) Indem der Nominalismus die Geltung der metaphysischen Begriffe destruiert, bleibt der Sprache nur jene soziale Dimension, die auch der Aristoteliker Thomas v. Aquin der,Menschensprache’ (vox) zuerkannte: „Et si quidem homo esset naturaliter animal solitarium, sufficerent sibi animae passiones, quibus ipsis rebus conformaretur, ut earum notitiam in se haberent; sed quia homo est animal naturaliter politicum et sociale, necesse fuit quod conceptiones unius hominis innotescerent alüs, quod fit per vocem; et ideo necesse fuit esse voces significativas, ad hoc quod homines ad invicem conviverent.“ (In Libris Peri Hermeneias exposito) In der etwas eigenwilligen Teilübersetzung Coserius: „Wäre der Mensch ein einsames (kein soziales) Wesen, dann würden ihm die,animae passiones’ genügen [...J; da aber der Mensch gerade seiner Natur nach ein politisches und soziales Wesen ist, ist es notwendig gewesen daß diese,conceptiones unius hominis’ mitgeteilt werden, was durch die Stimme erfolgt; und ebenso sind die,voces significativas’ notwendig gewesen zu dem Zweck menschlichen Zusammenlebens.” (Coseriu, Geschichte, S. 90) Eine Bonaventura gleiche Differenzierung nun aber der vox findet sich — in etwa zeitgleich — säkular gewendet bei Brunetto Latini, dem Lehrer Dances — und Schüler Olivis! (vgl. Imbach/Flüeler. Vorw. Zu: Dante. De monarchia. S. 44 u. 47ff.): Politik als höchste ars beruht auf zwei Formen menschlicher Praxis, auf Arbeit und Sprache; letzterer kommt besonders in gebundener Form sozial und politisch eine ausgezeichnete Funktion zu, denn: „Die Ordnung des künstlichen Sprechens hält sich nicht an den breiten Weg, sondern sie geht Stege und Richtungen, die Ihn (sc. den Dichter) unmittelbar zum Ziel führen, das er erreichen will.“ (Brunetto Latini. Li Livres dolt Tresor. Ed critique par Francis J. Carmondy. Univ. of Califonia Press, Berkeley and Los Angeles, 1949 S. 21; zitiert in der Übersetzung von Ernesto Grassi nach: Grassi, Macht, S. 81; vgl. Anm. 13) Für Latini ist — mit Berufung auf Cicero — der Rhetor und — insbesondere — der Dichter wieder mit dem Gründerheros identisch. Wenn Dante schließlich die beiden Praxisformen vermittelt, wird die Stoßrichtung humanistischer Praxisverständnisses deutlich: Die ständische Arbeitsteilung einer auf Produktion fixierten Gesellschaft wird negativiert und zur Ursache des Verlustes eines common sense, der sich als Verlust verbindlicher Rede und gemeinsamer Sprache manifestiert. Dante schreibt über den Turmbau zu Babel, daB eine Gruppe „befehligte, ein Teil war Baumeister, ein Teil errichtete Mauern, ein Teil richtete sie mit Meßleisten aus (...) so daß sie, die sich ursprünglich doch alle ein und derselben Sprache bedienten bei diesem Werk, in viele Sprachen zerteilt, vom Werk abließen und nie mehr zu derselben Verständigung zusammenkamen. Den nur denen, die bei derselben Tätigkeit vereint waren, blieb die gleiche Sprache (solis etenim in uno conventientibus actu eadem loquela remansit): alle Baumeister eine, alle Steinroller eine andere (...) Wie viele Arbeiten damals an dem Werk beteiligt waren, in so viele Sprachen trennte sich damals das Menschengeschlecht.” (Dante. De vulgari eloquentia libri duo. Dtsch. Übers. v. F. Dornseiff u. J. Balogh. Darmstadt 1965, I VII, 6–7; zitiert nach: Grassi, Macht, S. 90) Unter diesen Bedingungen gibt es zwei Möglichkeiten umfassender Sprache: Die erste repräsentiert das Latein, das Dante als grammatische — rationale und ahistorische — Sprache begreift; doch der Preis ihrer Konsistenz ist Wirklichkeitsferne. Außer ihr existieren die verschiedenen faktischen Sprachen und Dialekte. Sie sind den Subjekten und ihrer konkreten Situation unmittelbar verbunden. Die Volkssprache — hier verstanden als Gattungsbegriff — ist unmittelbarer Ausdruck der Lebenswelt: „So ist die Volkssprache uns umso näher, je verbundener wir mit ihr sind, denn sie allein ist in unserem Geist als erste da, und zwar nicht in akzidenteller Weise, sondern weil sie mit den Menschen, die uns am nächsten sind, verknüpft ist, so wie die Verwandten, die Mitbürger, die Menschen des eigenen Volkes. Und dies ist die eigene Volkssprache, die uns nicht nahe, sondern einem jeden von uns am nächsten ist.“ (Dante, Convivio I, XII, 5; zitiert nach: Grassi, Macht, S. 91) Unter den gegebenen Bedingungen zerfällt die emphatisch beschriebene Volkssprache in eine Vielzahl von Dialekten; ihre eigentliche Gestalt muß in und hinter dieser,Diaspora’ gesucht werden. Dies ist die Aufgabe des Dichters als sowohl ständisch wie territorial ungebundenem Subjekt: „Wir aber, deren Heimat die Welt ist, wie den Fischen das Meer, wiewohl wir vom Arno tranken, bevor wir Zähne bekamen, und Florenz so sehr lieben, daß wir, weil wir es liebten, ungerechte Verbannung erduldeten, stützen den Rücken unseres Urteils lieber durch Vernunft als durch Gefühl. Und obwohl für unser Vergnügen oder die Ruhe unserer Sinne auf Erden ein anmutigerer Ort als Florenz sich nicht findet, wälzten wir die Bände der Dichter und anderer Schriftsteller durch, in denen die Welt im allgemeinen und im einzelnen beschrieben wird, und erwogen in uns die mannigfaltigen Lagen der Orte der Welt und ihr Verhältnis zu den beiden Polen und zum Äquator, wobei wir feststellten und jetzt fest davon überzeugt sind, daB es manche Gegenden und Städte gibt, die edler und künstlerischer sind als die Toscana und Florenz, woher ich stamme und wo ich Bürger bin; und daß viele Nationen und Völker eine erfreulichere und tauglichere Sprache verwenden als die Italiener.” (Dante, De vulgari eloquentia I, V, 12; zitiert nach: Grassi, Macht, S. 92) Ziel dieser Bestrebungen ist die Überwindung der politischen Trennung durch Etablierung eines öffentlichen Subjekts; dies schließt die Überwindung des prägenden Einflusses lokaler und ständischer Differenzen mit ein. (Bei Dante ist das öffentliche Subjekt noch ,naturalisiert’ in der Gestalt des absoluten Herrschers; bereits Salutati wird ein Widerstandsrecht der bürgerlichen Subjekte einklagen, das auf der Identifizierung städtischer mit bürgerlichen Besitzverhältnissen beruht.) Ein solcher Ansatz kann keinen Arbeitsbegriff entwickeln, der sich auf materielle Produktion gründet, da er erst das schaffen muß, was die Bedingung derer Erscheinung als spezifische Form im gesellschaftlichen Zusammenhang ist: eine allgemeine, verbindliche Sprache. Dennoch und gerade deshalb versteht sich der Humanismus als Arbeit: als politische Arbeit in Form der Arbeit an und in Sprache, die als Praxis des Humanums und damit als Arbeit am (öffentlichen) Subjekt begriffen wird. In den ,Camaldulenses Disputationes’ zeichnet Christofero Landino den Weg Äneas’ als „laboriosum negotium“ (Christofero Landino. Camaldulenses Disputationes. Florenz 1480, III BI. 69. Zitiert nach: Grassi, Humanismus, S. 127; vgl. auch: Landino in: Grassi, Macht, S. 211), als Überwindung egoistischer Impulse und Einfinden in das proprium des öffentlichen Subjekts: in die tätige Praxis des Begründers Roms (vgl. Grassi, Humanismus, S. 120fŸ); ein Jahrhundert früher schon hatte Coluccio Salutati in De laboribus Herculis (C. Salutati. De laboribus Herculis. Ed. B. L. Ullman. ,In aedibus Thesauri Mundi’. Turici 1951) eine antike und christliche Tradition fortgeführt, die dem mythischen Helden nicht nur die Stiftung und Gestaltung von Städten, sondern zugleich die Einführung technischer Neuerungen wie der Schrift zusprach und in ihm schließlich eine Prüfguration Christi erkannte (vgl. Grassi, Macht, S. 121f.). Dabei kommt er auf die Rolle der Dichtung als inventio öffentlicher Sprache zu sprechen. Grassis Zusammenfassung läßt den konzeptionellen, aber säkularisierten Bezug zur christlich-franziskanischen Tradition deutlich werden: „Die Poesie verhilft zur Überwindung der ,ferinitas’, indem sie über das sinnlich Vorhandene hinausführt und menschliche Gestalten als ,exempla’ zum Himmel erhebt: ,Die Dichter, in der Absicht, die Volksmenge zur Bewunderung jener, die sie loben, zu bewegen, führen die Zuhörer auf solche Art und Weise über die Sinne hinaus, daß sie nicht in einer direkten Art sprechen, sondern Worte für Worte und (,geistige’) Sachen für (sinnliche) Sachen auf das anregendste eintauschen.’ (op. cit., S. 7)./Den Dichtern kommt es zu, den Geist der Menschen über die Sinne ,hinauszuführen’ (a sensibus [...] traducebant), so daß sich die Diskrepanz zwischen dem, was durch die Sinne wahrgenommen wird, und dieser ,neuen’ Wirklichkeit offenbart (contrarium visibiliter percepissent; op. cit., S. 8). Durch den Bezug auf diese neue Realität, die eine ,neue’ Ordnung und Gesetzmäßigkeit aufweist, will Salutati die Fruchtbarkeit der Dichtung veranschaulichen: Die Realität der ,neuen’ menschlichen Gemeinschaft, die sich darauf gründet, ist das höchste Gut, sowohl hinsichtlich des privaten als auch des öffentlichen Lebens./,Nam etsi nihil tante utilitatis vel privatim vel publice cogitari quest quo talis error foret mortalibus persuadendus et aliqua sacrilege superstitinis impietas cogitanda, saris tamen debet humans fragilitas rudibus illis viris quibus se nondum divinitas revelaverat indulgere’ (op. cit., S. 8).” (Grassi, Macht, S. 122f.) —(Die durch Grassis Hinzufügungen der Übersetzung induzierte Geistmetaphysik ist Folge seiner eigenen Theorie, die das metaphorische und semantische C„weisende“] Zeichen nicht als Indiz der Praxis, sondern als Agent eines asconden, eigentlichen Seins begreift.) Das Subjekt wird nicht kontemplativ, sondern aktiv verstanden; der Humanist wird zum politischen Arbeiter, zum Sprach-und Ideologieproduzenten, der nicht einem abstrakten ,verum’, sondern dem konkreten ,bonum’ verpflichtet ist. Der — wie Otto formuliert — ,humanistische Bildungsspiritualismus’ (Otto in: Renaissance, S. 359) bedeutet Eingriff in die Praxis über die Exposition einer teleologisch-idealen Form ihrer sprachlichen Verfassung. Es mag freistehen, diese Geistes-und Spracharbeit mit dem Begriff ,Arbeit zu benennen oder nicht; doch sie erst postuliert und produziert jenes ,öffentliche Subjekt’, welches die Bedingung der Möglichkeit von Wahrnehmung der Praxis als ganzer und identischer des Gattungswesens — i.e. als gesellschaftliche Produktion — darstellt. Das humanistische Bemühen erscheint als Suche nach einer Sprache, die eben Praxis zu formulieren und teleologisch zu vermitteln in der Lage ist. Aus dem prozessualen Charakter dieser Arbeit resultiert die epistemische Offenheit der Epoche, die — im historischen Rückblick und ohne damit Kausalität suggerieren zu wollen: Rationalität als Produkt hervortreibt. Der Befund jedenfalls, es führe „keine Brücke von christlicher Arbeit zum modernen ,Kapitalismus’” (Conze, ,Arbeit’, S. 166), muß in Frage gestellt werden.

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  26. Bei Brunetto Latini (1220–1294) und bes. Dante (vgl. Anm. 22), aber implizit auch in Co-luccio Salutatis (1331–1406) Diktum: „Wir wollen darauf hinarbeiten, daß der Mensch gut werde, daß die Bürgerschaft Bestand habe und daß die Gesellschaft und die Gemeinschaft des Menschengeschlechts nicht in Unruhe gerate.” (De nobilitate legum et medicinae. Florenz 1544. Reprint hrsg. von E. Garin. Florenz 1947 S. 28; zitiert nach Otto, Renaissance, S. 361), äußert er dieses doch im Zuge einer Reflexion der Gesetze und der darauf gegründeten Präferenz des Guten vor dem Wahren, die sich praktisch, nicht metaphysisch legitimiert: „Die Gesetze stehen über dem moralischen und tätigen Leben; dieses besteht aus menschlichen Handlungen, die Gesetze sind die allgemeine Sinngebung der menschlichen Handlungen.“ zitiert nach Otto, Renaissance, S. 360; vgl. Grassi, Humanismus, S. 200)

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  27. Matten Palmieri. Della vita civile. Hrsg. von F. Battaglia. Bologna 1944 S. 5; zitiert nach: Grassi, Humanismus, S. 118. Auch bei Palmieri ist der Wirkwille Agens der sprachlichen Form: „Ich verspreche euch, ich werde mich bemühen, so zu sprechen, daß ihr mich alle versteht (io m’ingegnerò di parlare in modo che voi m’indendiate tutti)“ (a. a. O., S. 12; zitiert nach: Grassi, Humanismus, S. 119); und unterstreichend, daß nicht die selbstgenügsame Lektüre, sondern der Überstieg in Praxis Ziel der Ausführungen ist: „Ich glaube nicht, daß das Lesen euch dazu führt, besser zu leben, auch nicht, fähiger zu werden, denn das Ziel jedes Guten ist nicht das Verständnis, sondern das Handeln.” (A. a. O., S. 11, zitiert nach: Grassi, Humanismus, ebd.; vgl. Petrarca in: A. a. O., S. 190)

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  28. Man muß unterscheiden zwischen dem Inhalt von Ausführungen und der Sprache, in der sie getätigt werden; — aber man muß beide auch in Beziehung setzen. Der Humanismus ist — ob er auf das Volgare zielt oder auf ein ideales rhetorisches Latein — auf der Suche nach einer Semantik und Stilistik, die eben beiden Seiten des Menschen: Pathos und Vernunft gerecht wird (vgl. Anm. 22). Grassi schreibt, und man kann seine Feststellung auf alles Sprachverständnis, das nicht an apriorisch sistierte ,Unmittelbarkeit’ der Benennung glaubt, ausdehnen: „Die ,res’ des Historikers beinhaltet also ein Zweifaches. Einmal das Beleuchten der historischen {resp.: der epistemischen) Situation in ihrer Verkettung, zum anderen das Ingenium der Bewertung, die von Mal zu Mal gegeben wird und die sich im gewählten Ziel der Handlung äußert.“ (Grassi, Einführung, S. 66f.) Die Inhalte so strukturierter Darstellungen sind nicht in erster Linie Repräsentationen von Faktizität (wie immer man diese verstehen mag), sondern zumindest zugleich und gleichermaßen eine pathetische Präsentation semantischer Modelle, die ihrerseits als pathetische Impulse rezipiert werden sollen und mittels der Sym-pathie des Rezipienten sich dann als Modelle in quasi-rationalem Sinne erst behaupten können. Der Humanismus hat nicht Negation der Affekte (die er ja der scholastischen Logik und Semantik gerade vorwirft), sondern deren Kultivierung zum Ziel. Stephan Ottos immer wieder geäußerter Terminus, der Renaissancehumanismus begreife den Menschen als „Geistwesen” (in Otto in: Renaissance. Mit entsprechenden Abwandlungen ubiquitär.) ist zumindest zu relativieren: sie begreift ihn als Sprachwesen, als zoon logon echon (vgl. Landino in: Grassi, Humanismus, S. 210). Entsprechend ist auch der Übergang zu Machiavelli, den Otto als Nachfahre und Überwinder des „anthropologischen Spiritualismus der Renaissance“ sieht (a. a. O., S. 364) weniger die Entdeckung einer neuen Dimension des Humanums als deren Anthropologisierung i.e. Naturalisierung bei gleichzeitiger Negation des semantischen Optimismus. (Beides ist im Grunde ein identischer Prozeß.) „Zwei Dinge sind die Ursache, daß wir uns nicht ändern können. Erstens können wir uns nicht dem widersetzen, wozu sich unsere Natur hinneigt. Zweitens ist es unmöglich, einen Mann, dem viel geglückt ist, zu überzeugen, er könne gut daran tun, anders zu verfahren.” (Nic olii Machiavelli. Discorsi sopra la prima deca di Tito Livio. Dt. als: Vom Staat, III, 7; zitiert nach: Otto, Renaissance , S. 363) Damit gehört Machiavelli zum nach-humanistischen Sprachspiel (s. u.); seine Sprache differenziert zwischen performativer Teleologie und Faktographie: Sie ist wieder einem verum verpflichtet, als dessen Kalkül das bonum erscheint. Dagegen hatte die Semantik des Humanismus Sprache als wirksame Präsentation des bonum behauptet, um mittels der Sprache eine performative Präsenz zu erreichen, welche das bonum als affektisch ,Wahres`: als plausible Interpretation und subjektive Intention der Faktizität appliziert.

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  29. Daß die Humanisten sich nur um Literatur und Poetik, um die freien Künste und um eine Stilisierung der Antike bemühen, ist ein weit verbreitetes Vor-und Fehlurteil. Ihr Augenmerk galt daneben und nicht zuletzt der ars moralis der Ethik unter Einschluß der Politik. Sie moralisieren, wenn sie sich mit der Geschichte, der ars historica befassen, und sie moralisieren auch noch, wenn sie sich mit der ars oratoria der Rhetorik beschäftigen: Ethische Tüchtigkeit soll aus Beispielen erhoben werden, die die Geschichte bereithält, und auch die kunstvolle Rede muB die Tugend bekräftigen.“ (Otto in: Renaissance, S. 73) Zuvor jedoch hatte Otto einschränkend bemerkt: „Wenn dabei von ,Ethik’ die Rede ist, dann ist ferner zu bedenken, daß Humanismus und Renaissance keine selbständige Disziplin dieses Namens im modernen Sinne kennen: in dieser Hinsicht ist die Epoche arm; reich ist sie hingegen, was die Auflistung moralischer und pädagogischer Probleme betrifft, die sich für das bürgerliche Leben aus der wirtschaftlichen und politischen Dynamik der Epoche ergaben. Sucht man in der Renaissance nach Systemen philosophischer Ethik, die diese Probleme anhand von axiomatischen Prinzipien angehen, so wird man entäuscht; nur wenigen Denkern gelingt es, normativ begründete Lösungsvorschläge fir die neu aufgeworfenen moralischen Fragen zu machen.” (ebd.) Die konstitutive Blindheit des Renaissancehumanismus gegenüber einer Theorie der Ethik ist eine notwendige Folge seiner Semantik; in historischer Formulierung, die Otto implizit nahelegt: Er kann nicht more geometrico raisonnieren, da sich der mos geometricus noch nicht durchgesetzt hat. (Zu den dann enstehenden Problemen vgl. Kapitel 4) Semantisch gesprochen: Ethik ist nicht objektivierbar, da das Ethische Modus der Referenz, die Art der Bezugnahme auf Wirklichkeit, selbst ist. — Dies ist eine, angesichts der Philosophie Wittgensteins und Levinas’, der Mooreschen These des ,naturalistischen Fehlschlusses’; angesichts des notwendigen Scheiterns utilitaristischer Konzepte — das Bernard Williams beschreibt —, wie der Aufgabe des Projekts einer Meta-Ethik in der analytischen Philosophie keineswegs überholte Position. Zur Diskussion in der deutschsprachigen Philosophie vgl. Gerhard Fitzthum. Der Untergang der Menschheit und die Philosophie. Zum Spannungsverhältnis von Ethik und Theodizee. Gießen 1992. Moralistik etabliert habituelle Stratege-me: Sie präsentiert Modelle von Situationen, die in Form kommunikativer Plausibilisierung bestimmte Handlungsweisen als erfolgreiche Interpretationen ähnlicher Situationen nahelegen; Ethik hingegen betreibt eine Reduktion der Situationen auf ein abstraktes Gesetz, das sich seinerseits durch Rekurs auf allgemeine Wahrheitsbedingungen und verbindliche (metaphysische oder anthropologische) Axiomatik legitimieren muß. Die Plausibilisierung ihrer Befunde wird dabei an ethisch dominierte Sub-Disziplinen wie Pädagogik und Kunst ausgelagert. Ethik beschränkt sich in Konsequenz auf die Exposition eines moralischen Kalküls und delegiert dessen Vermittlung.

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  30. Daß die Rhetorik der Renaissance auf eine textuelle Struktur zielt, ist hier Thema; die Differenz zur antiken Position wird bei einer parallelen Lektüre der Gründermythen bei Cicero (De inventione I, 2; vgl. De or. I, 33) und Latini (Tresor S. 318) evident (vgl. Grassi, Macht, S. 82; vgl. auch die ,Fassung’ Petrarcas im Brief An Tommasio Caloria aus Messina liber das Studium der Beredsamkeit zitiert in: Otto, Renaissance, S. 102).

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  31. Die Renaissance orientiert sich praktisch weniger an der contentio, der großen öffentlichen Rede als an der privaten und symposionalen sermo, wie sie Cicero in De officiis beschrieb. Govanni Pontanus will in seinem 1499 erschienen Buch Ober das Gespräch (De sermone) demenstprechend weniger einen Restauration des alten Rhetor-Ideals, sondern einen ,novus orator’; dieser ist ein „Typus des Redners, der weder politisch noch juristisch tätig ist, sondern gleichsam ausschließlich rekreativ, ohne doch deshalb auf den Typus des ,guten Gesellschafters’ reduzierbar zu sein. Der Pontanische Redner ist vielmehr der Inbegriff des urbanen Menschen mit dessen spezifischen Tugenden wie Leutseligkeit, Freundlichkeit, Heiterkeit, humanitas und comitas.“ (Claudia Schmölders. Die Kunst des Gesprächs. Texte zur Geschichte der europäischen Konversation. München 1979 S. 22; vgl. Karl-Heinz Göttert. Rhetorik und Konversationstheorie. Eine Skizze ihrer Beziehung von der Antike bis zum 18. Jahrhundert. In: Rhetorik 10 (1991), S. 45–56.) Es ist jedoch zu bedenken, ob dem novus orator als Virtuose der sermo nicht schon hier ein implizit ethischer Auftrag zukommt, insofern er als Meister der theatralia nicht nur die sakrale ,tristitia animi’, die Mönchskrankheit Melancholie — vgl. Bonaventura in Anm. 25 —, sondern auch die tristitia saeculi, jene politische Malaise, die dem Humanismus Befund und Ausgangspunkt ist, heilen kann. (Immerhin usurpiert der ,novus orator’ die Stelle der alten Oratoren-, der Mönchskaste [vgl. Bauer/Matis, Geburt, S. 20].) In diesem Sinne wird die diätetische Funktion des Gespräches in Stefano Guazzos L’arte della conversatione (Brescia 1574) (vgl. Grassi 1979, S. 16ff.) beschrieben. — Doch muß zwischen der externen ethischen Legitimation und interner Reglementierung von geselligem Umgang und Kunst differenziert werden.

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  32. Petrarca, An Tommaso Caloria, zitiert nach: Otto, Renaissance, S. 103. Von diesem Prototypen aus und nach seinen bestimmenden Momenten — Negation des Egoismus, sympathetische Identifikation der Subjekte, (behauptete) In-Formalität der Sprache — läßt sich die neuzeitliche Briefkultur in ihrer Funktion als öffentliche Präsentation und Legitimation des privaten Subjekts (als Darstellung seines ethos) rekonstruieren.

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  33. Francesco Patrizi. Della historia dieci dialoghi. Venedig 1560. Dritter Dialog: Was ist Geschichte. Zitiert nach: Otto, Renaissance, S. 205. Bei Patrizi wird deutlich, daß der platonistische Gestus im Kern eine Negation des Chronologisch-Rhetorischen zugunsten einer idealiter simultanen Repräsentationstheorie bedeutet; wenn die Frage nach der semantischen Form thematisiert wird, skizziert Patrizi nicht nur das Evidenzkriterium der Referenz, sondern auch den Raum, in den sich die logisch-rationale Grammatik der Neuzeit einschreiben wird: „{...1 Paolo: Man müßte zuerst einmal wissen, was in diesen Büchern unserer Seele aufgeschrieben ist, bevor man sich daran macht, sie zu lesen. Ich erwiderte: Alle Dinge der Welt findet Ihr in ihnen aufgeschrieben, ebenso wie in meinem. Und in welcher Form? fragte er. In Bildern, wie bei den japanischen und chinesischen Büchern, sagte ich, deren Schriftbilder man unmittelbar versteht, nicht aber so die verschiedenen Geschichten, die sie erzählen. Ich kann Euch nicht verstehen, kam die Antwort, und ich begann nochmals: Jeder Buchstabe in diesen Büchern bedeutet eine Sache; und ebenso macht ein Ideenabbild, wie es in dem Buch der menschlichen Seele eingeprägt ist, den Menschen alle Geschichten verständlich.“ (A. a. O., zitiert nach: Otto, Renaissance, S. 204f.) Daß die ,Bilder’ keine Geschichte hergeben, ist ein — wenn nicht das — Kardinalproblem neuzeitlicher Philosophie.

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  34. Mit Blick auf die Rezeption antiker Rhetorik formuliert Stephan Otto: „Rhetorik ist nicht ,eine Theorie mit Praxisbezug’ sondern sie thematisiert das Verhältnis des Menschen zu Meinung und Wahrheit.“ (Otto, Techne, S. 499); und meint damit die ,verisimilitudo’ der Sprache selbst. Dies mag zwar für die Versuche ihrer Systematisierung zutreffen, immanent aber thematisiert sie, wie die Ungeschiedenheit von Überreden und Überzeugen beweist, dieses Verhältnis gerade nicht, sondern zielt auf die Evokation eines objektiven (Kairos) oder Termination eines subjektiven Willens (Performanz als ,sozialer Kairos’). Voluntaristische und rhetorische Reflexion bilden in eins eine Klammer, die das christliche Mittelalter umgreift: Augustinus ist nicht nur der Vermittler rhetorischer Tradition, sondern — vor allem — der Begründer christlich-voluntaristischer Philosophie (vgl. Hannah Arendt. Vom Leben des Geistes. Bd. 11: Das Wollen. München 1979; und Heinz Heimsoeth. Die sechs großen Themen der abendländische Metaphysik und der Ausgang des Mittelalters. Berlin ‘1934. Kap. 6: Verstand und Wille, S. 249–307). Daß der Wille dabei eine anthropologische Objektivierung — und, im günstigsten Falle (Inspirationstheorie), theologische Sistierung rhetorischer Intention (,voluntas’!) darstellt, wird in der knappen Zusammenfassung des Augustinischen Voluntarismus durch H. Blankerau im RGG, Art. ,Voluntarismus` sichtbar: „Durch Analyse der dem Denken eigenen Dialektik fand er die Funktion des Willens im Akt der cogitatio als copula. Wie es schon im einfachen Wahrnehmungsakt der Wille ist, der den Gegenstand in den Rang eines Erkenntnisobjektes versetzt, so stiftet die voluntas durch das Zusammenführen von memoria und intelligentia die mens als geistige Einheit der Person.” Die voluntas ist das generative Prinzip der inventio und damit der Textstrukturation. Das rhetorische Moment mutiert zur Willensmetaphysik, sobald es nicht mehr individuell und situativ gefaßt wird, sondern abstrakt und allgemein; es wird zur substanziellen Entität ,anthropologisiert’. Der konkrete Willensakt, den die Rhetorik naturalisierte und zu kultivieren trachtete und dessen Begriff die Renaissance naturalisiert (darüber später mehr), wird christlich zum menschlichen Bemühen um die Exegese des heiligen Textes und um eine — sie bedingende wie davon abhängige — Applikation auf Praxis, welche letztlich doch nur durch Inspiration, durch Einstrahlung der im theologischen Auge gebündelten logoi spermatikoi, gewährleistet werden kann. Die These von der Hegemonie des Willens wird auch von Hugo v. St. Victor behauptet und schließlich in der gegen die Scholastik gewandten franziskanischen Renaissance augustinischer Philosophie bei Bonaventura, Duns Scotus und Ockham in extenso diskutiert und vertreten (vgl. Heimsoeth, Verstand, S. 262ff.). In Hinblick auf das Ottosche Theorem vom Humanismus als Überwindung des Nominalismus sei hier die Skizze der Ockhamschen Position von Blankerau (a. a. O.) zitiert: „Erst als bei Ockham durch die Leugnung irgendeiner Realität der Allgemeinbegriffe auch diese Prämisse (,vom aktiven Nachbilden im Erkennnisakt’) fiel, erreichte der scholastische Voluntarismus seine äußerste Möglichkeit. Denn wenn es keine Universalien gibt, dann sind auch in sich als ,gut’ und ,böse’ bestimmte Akte denkunmöglich, vielmehr ist jede ethische Norm kraft der totalen Abhängigkeit des Geschöpfes von seinem Schöpfer auf die ebenso totale Willensfreiheit Gottes zurückverwiesen. Gleichzeitig tritt die Rangfolge von Willen und Verstand im Menschen zurück, weil — nach Fortfall des Universalienrealismus — hier nur die Wirkweise der einen, an sich unerkennbaren Seele zu konstatieren ist.“ In der rationalen Episteme wird die voluntaristische Problematik der Erkenntnis dichotomisiert in die ethische Frage nach dem intrinsischen Wert des Guten (oder, mit Bezug auf Aristoteles, nach der Wirksamkeit von Mathematik) und die ästhetische nach den Bedingungen seiner wirksamen Repräsentation; voluntaristische Philosophie erscheint dann — zumindest mißverstanden infolge mangelnden ,rhetoristischen’ Bewußtseins — nur noch als Negation von Vernunftphilosophie und als Dämonisierung des Willens.

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  35. Giovanni Pico della Mirandola. De hominis dignitate orario. (Über die Würde des Menschen); zitiert nach Otto, Renaissance, S. 346.

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  36. A. a. O., S. 346f.

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  37. Otto in: Renaissance, S. 349.

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  38. Pico della Mirandola, a. a. O., zitiert nach: Otto, Renaissance, S. 348.

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  39. Petrarca, An Tommaso Caloria, zitiert nach: Otto, Renaissance, S. 100f. Diese Identifikation von Sprachkompetenz und Persönlichkeitsbildung begründet den herausragenden Stellenwert der Beschäftigung mit Texten. Die litterae, so Guarino Veronese, sind „non modo ad legendum sed etiam ad se componendum formandum instituendum“ (op. cit., ep. 80 [= I, 155); zitiert nach: Grassi, Einführung, S. 80); denn: „Ex litterarum studio optimae bene vivendi rationis comparari queunt” (op. cit., ep. 150 [= II, 255); zitiert nach: Grassi, Einführung, S. 75). Dabei versteigt sich Guarino zu der emphatischen — und für den bürgerlichen ,Mensch’-Begriff richtungsweisenden — Behauptung: „Ich glaube kaum, daß einer ein Mensch sei, wenn er die ,litterae nicht ehrt, liebt, sich ihrer bemächtigt, wenn er sich nicht in sie vertieft.“ — „Hominum non esse arbitror, quae litteras non diligit non amat non amplectitur non arripiat, non sese in earum haustu prorsus immergat.” (op. cit., ep. 148 (= I, 244); zitiert nach: Grassi, Einführung, S. 75)

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  40. Pietro Paolo Vergerio. De ingenuis moribus et liberalis studiis. Mailand 1474; zitiert nach: Otto, Renaissance, S. 96f.

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  41. In der Formulierung Ottos: „Das klassische Vorbild antiker Sprachen und ein geschärftes Geschichtsbewußtsein sollen die Ressourcen für eine ,moderne’ Weise des Philosophierens liefern. [...) Der Humanismus ist ohne Zweifel durch seinen Rückgriff auf die Antike charakterisiert; er betrachtet aber die antike Literatur und Phliosophie weder als kritiklos zu rezipierende Norm, noch verharrt er in einer distanzlosen Bewunderung des Alterums.“ (Otto in: Renaissance, S. 87; vgl. 198ff.) Beispielhaft für diese kritische Position mag die folgende Formulierung des Platonikers Patrizi stehen: „Alles, was ich in den äußeren Büchern geschrieben finde, vergleiche ich mit dem, was ich innen im Buch meiner Seele habe. Bei vielem finde ich nun, daß es miteinander vergleichbar ist; bei vielem, daß es verschieden ist, und wiederum bei vielem, daß es teilweise miteinander übereinstimmt und teilweise sich unterscheidet — und das nenne ich für mich ungewiß und zweifelhaft. Schließlich bleibt vieles, was dem im Buch meiner Seele Geschriebenen auch direkt entgegengesetzt ist.” (Francesco Patrizi. Dieci dialoghi della historia. Zitiert nach: Otto, Renaissance, S. 206)— (Stellt man diese Passage mit der in Anm. 33 zitierten zusammen, so wird die Intention des neuzeitlichen Doppels von Hermeneutik und Kritik in seinem konstitutiven Mißtrauen gegenüber der rhetorischen Verfaßtheit von Sprache als Bemühen um die Sicherung referenzieller Eineindeutigkeit — eines idealen oder empirischen Worteidos — und als Bestimmung der Bedingungen textueller Evidenz sichtbar.) Für Guarino Veronese gilt: Die exempla „testes quasi vitae magistri nobis excitandi sunt.“ (op. cit., ep. 823 [II, 522); zitiert nach: Grassi, Einführung, S. 76) Die, wie Mathias Wesseler in Bezug auf Nizolius formuliert, „ingeniöse Macht des exemplums” (Mathias Wesseler. Die Einheit von Wort und Sache. München 1974 S. 105) muß sich je situativ bestätigen und als Plausibilität ausweisen. Das exemplum stellt ein Handlungsmodell, das auf paradigmatische Rubrizierung einer Situation zielt; es kann sich nur legitimieren— und damit tradieren, wenn das Subjekt in selektiver Applikation differenter exemplarischer Handlungstypen die Plausibilität eines solchen semantischen Strategems je neu erfährt. Eine — nicht begriffliche, sondern praktische — kritische Souveränität des applizierenden Subjekts ist dabei unhintergehbar. Da es keine rhetorisch, keine konzeptionell sistierbare Metaebene der Erkenntnis gibt unterläuft Karlheinz Stierle eine — freilich aus der Ahistorizität textpragmatischer Perspektive gerechtfertigte — ,rationalistische Umkehrung’, wenn er definiert: „Was das Exemplum impliziert, ist der moralische Satz. Worin es sich exemplifiziert, sein Medium, ist die Geschichte. Das Exemplum ist eine Form der Expansion und der Reduktion in einem. Expansion in Hinblick auf die zu Grunde liegende Sentenz, Reduktion in Hinblick auf eine Geschichte, aus der herausgeschnitten, isoliert wird, wessen die Sprachhandlung des Exemplums bedarf, um sich zu konkretisieren. Doch besteht über die Richtung, in der der Text sich konstituiert, kein Zweifel. Die Regel für die Einheit des Ganzen, das sich aus dem umgreifenden Ganzen der Geschichte herauslöst und autonom setzt, liegt im Endzweck, des Exemplums, dem moralischen Satz.“ (Karlheinz Stierle. Geschichte als Exemplum — Exemplum als Geschichte. Zur Pragmatik und Poetik narrativer Texte. In: Ders. Text als Handlung. München 1975 S. 25) Für Aristoteles ist das Beispiel (paradeigma) zwar eine Art Induktion, aber: „Seine Relation ist (...} nicht die eines Teils zum Ganzen, noch die eines Ganzen zu einem Teil, noch die eines Ganzen zu einem Ganzen, sondern die eines Teils zu einem Teil, einer Ähnlichkeit zu einer Ähnlichkeit: Wenn nämlich beide zu derselben Klasse gehören, das eine aber bekannter ist als das andere, dann handelt es sich um ein Beispiel.” (Aristoteles, Rhetorik, S. 18) Es findet Anwendung hauptsächlich in der Volksrede, und dies bedeutet für Aristoteles vor ungebildetem Publikum, das weniger durch Beweisführung als durch affektive Bewegung zu beeinflussen ist (vgl. Rhet, S. 217). Dem elitären Gestus des Philosophen entsprechend differenziert Aristoteles zwischen faktischen — historischen — und fiktiven (aus theoretischem Interesse simulierten) Beispielen, worunter er Fabel und Gleichnis — „das Gleichnis aber ist der sokratische Gebrauch des Beispiels“ (Rhet. II, 20, 4 (= S. 134} — rechnet. Nur Letzteren kommt die — bei Aristoteles noch offen polemische — Funktion der (als Exemplifikation verstandenen) Amplifikation eines allgemeinen Satzes zu. Unter der für den Renaissancerhetorismus konstatierten Prämisse einer verisimilitudo der Sprache selbst ist derartige theoretische Vermittlung exemplarischer Analogizität zunächst obsolet; seine immanente Tendenz zur Revision und Formalisierung des tradierten Exempel-Corpus beschreibt Karlheinz Stierle im angegebenen Aufsatz.

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  42. Jedes Werk, das aus mehreren Teilen besteht, ist dann in höchstem Maß vollkommen, wenn es aus seinen Gliedern so zusammengefügt ist, daß es in jeder Hinsicht zu einem Ganzen wird, das aus sich besteht, mit sich in Einklang steht und so leicht nicht aufgelöst werden kann.“ (Marsilio Ficino. Theologia Platonica. Buch II, Kap. 2; zitiert nach: Otto, Renaissance, S. 264) Dieser Kohärenzgedanke, den Ficino nach plotinischer Hypostasenlehre formuliert, und der— die rhetorische Variante wird gleich thematisiert werden — von Nikolas von Kues seine vielleicht (oder zumindest philosophiehistorisch-immanent) wirkmächtigste Formulierung erhält (vgl. Pascal-Kapitel, Anm. 46) findet sich auch im politisch orientierten „humanistischen Pragmatismus” (Otto in: Renaissance, S. 359), bei Cristoforo Landino, der eine antike Vorlage aufgreift, um sie mit etwas Sphärenharmonie zu überhöhen: „Und wer wüßte nicht, daß der Staat einem lebenden Wesen gleicht, in dem in wunderbarem Einklang jedes Glied seine Obliegenheit zu erfüllen hat! (...) Aus dem allem entsteht, wie wenn verschiedene Töne ineinander klingen, ein harmonisches Ganzes, [...}“ (Cristoforo Landino. Disputationes Camaldulenses. Buch I; zitiert nach: Otto, Renaissance, S. 354) Zum Organismus-Gedanken vgl. auch Burke, Renaissance, 179f.; Burckhardts paradigmatischer Gebrauch der organologischen Kunstwerk-Metapher in: Burckhardt, Kultur, S. 365, 398, 401, S. 89 scheint dem entgegenzustehen, doch löst sich der Widerspruch im Kontext von S. 83 u. 85 auf; vgl. auch: Wilhelm Perpeut. Das Kunstschöne. Sein Ursprung in der italienischen Renaissance. Freiburg/ München 1987 5.275 über den Begriff der Rundung.

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  43. 43)Da von Roscelin selbst keine Schriften erhalten sind, ist die Authentizität des Ausdrucks unsicher. Tradiert ist er nach: Anselm v. Canterbury. De fide trinitatis. Kap. 2. In: Opera omnia. Hrsg. v. D. G. Gerberon. Paris 1864 (P.L. 158), S. 265. Zitiert nach: F. Hoffmann, Art. ,Nominalismus’. In: Hirt. Wb.

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  44. Als Beispiel mag eine Stelle aus: Hugo von St. Viktor. De scripturis et scriptoribus sacris dienen: „Philosophus in alias scripturis solam vocum novit significationem; sed in sacra pagina excellentior valde est rerum significatio quam vocum: quia hanc usus constituit, illam natura dictavit. Haec hominum vox est, illa Dei ad homines. Significatio vocum est ex placito hominum; significatio rerum naturalis est et ex operatione creatoris volentis quasdam res per alias significari.“ (Hugonis de S. Victore. Opera Omnia. Patrologia Latina, Bd. 175 S. 20f.) Johannes Scotus schreibt: „[...) potest enim rationabilis anima disciplinis tractare, absque vocis articulatae disertaque orationis stteptia — Die Seele ist rational fähig, die Wissenschaften durchzuführen, und zwar fern von dein Getöse der artikulierten Reden.” (Johannes Scotus. De divisione naturae. P.L. vol. 122 Lib. IV,4,870bc; Übersetzung nach: Grassi, Einführung, S. 19)

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  45. A. a. O., S. 182.

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  46. Lorenzo Valla 1407–1457; Johannes Agricola 1443–1485; Mario Nizolio 1488–1576. In diesem Zeitraum konstatiert Hanna-Barbara Gerl (Hanna-Barbara Gerl. Humanistische und geometrische Sprachphilosophie. Ein Paradigmenwechsel von Leonardo Bruni zu Francesco Patrizi. In: Zschr. phil. Forsch. 36 (1982), S. 189–207) einen Paradigmenwechsel in der Zeit zwischen Leonardo Bruni (1370–1444) und Francesco Patrizi (1529–1597), durch den die Primoridalität des bonum durch die Frage nach den Bedingungen des verum abgelöst wird (vgl. a. a. O., S. 193). Die Wurzeln dieser Verschiebung, deren Resultat an zwei Werken Francesco Patrizis Della retorica dieci dialoghi (Venezia 1562) und Nova de universis philosophia (Ferrariae 1591)— exemplarisch dargestellt wird, verortet sie um 1480, einerseits im Einfluß der Ficinoschen Plato-Übersetzungen und Kommentare, anderseits, freilich unausgewiesen, bei Agricola. Ziel des Platonisten Patrizi ist eine ,rhetorica perfetta’ die, wie Gerl ausführt, drei Bedingungen erfüllt: „1. Sprache muß aus einem essentiell Wahren abgeleitet sein (defluere); 2. sie muß auf diese Essenz zurückweisen (dimonstrare); 3. sie bedarf einer sicheren Erkenntnis als Prämisse.“ (Gerl, Sprachphilosphie, S. 202) Da die Erkenntis essentieller Wahrheit verstellt ist (Sündenfalltheorem), ist eine Reduktion des Verstehens auf die ,Rhetorica celeste’ (zitiert nach: A. a. O., S. 205) verbaut. Zugänglich bleibt lediglich eine gewisse Sicherheit des mathematischen Verfahrens, die Patrizi nicht affirmieren kann, da er an einem substanziellen Wahrheitsbegriff festhält. Gerl faßt zusammen: „Die relative Ausnahmestellung der Mathematik erklärt sich nur aus der Identität von Zahl, Maß, Gewicht und Proportion in jener (metaphysischen) und dieser (physischen) Welt, wobei diese Identität durch Materie und Bewegung verunklart ist. Hieran ist zu sehen, daß Patrizi mit diesem Erkenntnismodell an dem noch aufrechterhaltenen Vorrang der Ontologie vor dem Erkennen scheitert. Selbst Mathematik hat noch ein ontisches Strukturprinzip, das ,sich zeigt’, ,sich offenbart’, also vom Erkennen passiv rezipiert wird. Wo die Evidenz ausfallt, aus welchen (hier mythisch erklärten) Gründen immer, fallen Erkenntnis und Wissenschaft aus. Wahrheit ist der dem Menschen unzugängliche Besitz des Seins als metaphysischen Seins. Die Folgerung: das unbekannte Prinzip der Rhetorik läßt keine Rhetorik als Wissenschaft zu.” (A. a. O., S. 205) Ein solcher essentialistischer Wahrheitsbegriff ist der Rhetorik fremd; der Weg zum funktionalistischen Wahrheitsbegriff führt nicht, wie Gerl suggeriert, über eine Metaphysizierung der Rhetorik und — infolge deren Unmöglichkeit — ihre plane Elimination, sondern, wie zu zeigen sein wird, über eine (interessierte) Rhetorisierung des metaphysischen Wahrheitsanspruchs.

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  47. So Otto, Techne in der impliziten Antwort auf die Titelalternative des Aufsatzes.

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  48. Vgl. Hanna-Barbara Gerl. Rhetorik als Philosophie (Lorenzo Valla). München 1974, S. 19ff. Hervorgehoben sei hier der Einfluß seiner Schrift De libero arbitrio, welche ihm die Zustimmung Luther, Erasmus’ und Calvins eintrug und von Leibniz in seine Theodizee eingearbeitet wurde (vgl. S. 25). (Für das 18. Jh. relevant: J. Boeldicke. Abermaliger Versuch einer Theodicee: Fortsetzung des vom Laur. Valla angefangenen und von Leibnitz fortgeführten Gesprächs f...}. Berlin/Leipzig 1746.)

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  49. Vgl. Gerl, Rhetorik. Die eigentlichen sprachtheoretischen Ausführungen Vallas beschränken sich auf einen kurzen Abschnitt eines Kapitels der Dialecticae Disputationes (Lib. I, cap. xiii), das außerdem auf die sinnlich wahrnehmbaren Qualitäten zu sprechen kommt. Obwohl, wie Gerl meint, die Qualität der Ausführungen deren geringe Quantität mehr als wettmacht („Es (das Sprachproblem als ,eigentliches Problem’) wird jedoch so knapp und beispielhaft gelöst, daß Valla, auch wenn er es sonst nirgends extensiv abhandelt, darauf nur als einen stets gegenwärtigen grundgedanken zurückzugreifen braucht, [...3” [a. a. O., S. 317)), so steht doch zu vermuten, daß sich Valla mit einer kurzen Darlegung bescheiden kann, weil er kein prinzipiell neues Konzept vorzulegen, sondern das Gemeinverständnis zu referieren beabsichtigt.

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  50. Vgl. Geri, Rhetorik, S. 76f. Polemisch setzt Valla praktische Sprache philosophischer Terminologie entgegen: „Daher haben die Hausfrauen zuweilen eine bessere Einsicht in den Sinn der Wörter als die größten Philosophen. Jene nämlich verwenden die Wörter zum Gebrauch, diese zum Spiel.“ — „Itaque melius de intellectu verborum mulierculae nonunquam sentiunt, quam summi philosophi. Illae enim verba ad usum trahunt: isti ad lusum.” (Aus: Dialecticae Disputationes. In: Laurentsus Valla. Opera omnia. Hrsg. von E. Garin. 2 Bde.. Torino 1962, hier: I, S. 649 [Diese Ausgabe wird im Folgenden nur mehr mit Band und Seitenzahl angeführt}; Übersetzung nach: Gerl, Rhetorik, S. 212 )

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  51. Auch für Valla ist der Rhetor öffentliche Person schlechthin und darum seine Ausführungen von ihrer Wirkung nicht zu trennen: „der Redner ist nämlich gleichsam der Leiter und Führer des Volkes, weshalb die Rhetorik weitaus am schwierigsten und mühevoll und nicht nur für alle erlernbar ist.“ — „Siquidem orator est velut rector, ac dux populi: proper quod Longe difficilima rhetorica est, et ardua, nec omnibus capessenda.” (I, 693f.; Übesetzung nach: Gerl, Rhetorik, S. 230)

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  52. Doch ist Valla das bonum kein abstraktes Gut, sondern identisch mit der Lust (voluptas) und dem Nützlichen (utile) als deren objektivierte, gesellschaftlich vermittelte Form: „Die Guten sind immer dem Nutzen gefolgt“ — „Quod boni semper secuti sunt utilitatem” (I, 943; Übersetzung nach: Gerl, Rhetorik, S. 163). Für das zoon politicon sind Egoismus und Altruismus apriori identisch: „Die Guten werden wegen des Vorteils geliebt, die Bösen wegen des Schadens gehaßt.“ — „Bons amari propter commodum, malos odio haben prop-ter damnum” (I, 945; Übersetzung nach: Gerl, Rhetorik, S. 163; vgl. I, 915/Gerl, Rhetorik, S. 164). Dieser Standpunkt führt zur Ablehnung jeden Begriffs der Sittlichkeit und des Guten — und damit — implizit — zu einer radikal utilitaristischen Ethik: „Das Wort sittlich ist etwas Leeres und Nichtiges, vollständig Hinfälliges“ „nomen ipsum honesti cassum quiddam ac nugatorium esse, planeque pernitiosum í...3” — (I, 912; Übersetzung nach: Gerl, Rhetorik, 163); „Jene Frage nach dem Nützlichen und dem Sittlichen, mit der sich die Philosophen so furchtbar zermürbt haben, ist überhaupt nichtig, da wir sie belehrt haben, daß nicht bloß der Nutzen vorzuziehen, sondern die Sittlichkeit überhaupt ein Nichts ist.“ —„{...3 inanem prorsus illam fuisse de utili et honesto quaestionem, qua se philosophi tanto-pere macerarunt, cum non modo utilitatem praeferendam, sed etiam, honestatem nihil esse docuerimus.” (I, 961f. Übersetzung nach: Gerl, Rhetorik, S. 165; vgl. I, 962/Gerl, Rhetorik, S. 172); und, an einem immer noch aktuellen Beispiel: „Du stellst mir herrliche und glänzende Worte der Belohnung vor Augen, die Worte Heil, Freiheit, Größe und hinterher löst du sie nicht ein. Denn dabei fehlte es soweit, daß ich diese Versprechungen sterbend erreiche, sondern wenn ich sie schon besaß, werde ich sie nun sogar verlieren. [...1 So werden jene, welche Heil und Umfang des Vaterlands vermehrt haben, selbst allein von jenen Gütern ausgeschlossen. i...1 Ich kann nicht hinreichend einsehen, warum jemand für das Vaterland sterben wolle. Du stirbst, weil du das Vaterland nicht sterben lassen willst, als ob dir nicht auch im Untergang das Vaterland untergehe.“ — „Exponis praeclara ac splendida praemij nomina, salutis, libertatis, magnitudinis, nec post illa persolvis. Tantum enim abest ut ista promissa assequar moriens, ut si quia mihi aderant, eadem quoque amittam {...3 Ita ne qui patriam salute amplitudineque auxerung, ipsi soli ab ijs bonis excluduntur (...) Non queo satis intelligere, cur quis pro patria mori velt. Tu moreris, quia non vis ut patria moriatur, quasi vero tibi pereunti non et patria occidat.” (I, 929; Übersetzung nach: Gerl, Rhetorik, S. 160)

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  53. In einer extremen Formulierung: „Denn man darf nicht gegen das Volk kämpfen, sondern muß ihm wie einem reißenden FluB folgen.“ — „Nec enim contra vulgus pugnandum est [...}, sed velut rapido flumini obsequendum.” (I, 926; Übersetzung nach: Gerl, Rhetorik, S. 147) Schon Valla kritisiert die stoische Ataraxie als Ausschluß aus der Sphäre bürgerlichen ,Kommerzes’: „So behaupte und glaube ich, daß es einige Menschen gab, wie es auch noch heute Liebhaber der Nachlässigkeit und Feigheit gibt, die aus Abscheu vor dem Erwerb von Dingen, die notwendig sind, im Leben dieses schauerliche und kulturlose Leben bevorzugten, (...)“ — „Equidem sic statuo existimoque fuisse quosdam homm es, ut hodie quoque sunt amatores negligentiae et ignaviae, qui taedio rerurn comparandarum, quae sunt necessariae, in vivendo praeelegerunt vitam hanc incultarn et horridam, [...)” (I, 957; Übersetzung nach: Geri, Rhetorik, S. 168). Als negative Figurationen erscheinen Heraklitus flens und Diogenes (vgl. Gerl, Rhetorik, S. 130ff.).

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  54. Die Apologie der Sinnlichkeit führt Valla zur Konzeption eines sinnlichen Jenseits, „ut nulla Venus nec comparanda sit“ (I, 990; Übersetzung nach: Geri, Rhetorik, S. 182), welches jedoch gleichzeitig die Materialität des Körpers aufhebt und den Geist zum Fliegen bringt: „Denn der befreite Geist sitzt nun nicht mehr in seinen Gliedern, er hebt sich empor durch seine eigene Kraft und Natur, nicht mühsam und mit Anstrengung, wie es die Vögel tuen, sondern mit unglaublicher Wonne beim Fliegen.”— „Neque enim egressus Spiritus circa sua membra assidet. In altum tollitur sua vi ac natura, nec operose et cum conatu, quemadmodum ayes solent, sed incredibili inter eundum suavitate.“ (I, 986; Übersetzung nach: Gerl, Rhetorik, S. 182f.) Diese widersprüchlich erscheinende Identifikation von Geistnatur und sinnlicher ist möglich, da einerseits Sinnlichkeit nicht als kreatürliche Ausstattung, sondern als Kulturprodukt gefaßt wird — ein Postulat der Rhetorik, das bis in die Vor-und Frühromantik nachwirkt (Hemsterhuis, Novalis/Schlegel) —, und andererseits der ,Geist’ keine autonome und souveräne Instanz darstellt, sondern ihm gerade die Kultivierung des Körpers aufgegeben ist, da beiden dem gleichen Agens: der Lust verpflichtet sind.

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  55. Voluptas igitur est bonum undecunque quaestium, in animi et corporis oblectatione positum [...] quarr Graeci T]F10vT}V vocant. [...) Huic verbo omnes qui ubique sunt, qui latine sciunt, tuas res subijciunt, laetam in animo commoditionem, suavem iucunditatem in corpore.“ (I, 912; Übersetzung nach: Gerl, Rhetorik, S. 142)

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  56. Omnis voluptas bona est.“ (I, 923; Übersetzung nach: Gerl, Rhetorik, S. 141)

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  57. Erst unter den Prämissen rationaler Anthropologie und Methode, die Sinnlichkeit zum Attribut der Kreatur und Antagonisten des Intellekts stempelt, führt ein hedonistischer Kalkül zur Nivellierung der Werte und wird dem Utilitaristen Jeremy Bentham — Kernsatz: „Pushpin is as good as poetry“ — den Vorwurf der „pig philosophy” eintragen (Zum Vergeich Valla-Bentham: Burke, Renaissance, S. 203). Rhetorisch ist die Sinnlichkeit Agens, Telos und Produkt der Kultur (vgl. Kapitel 2); christlicher Tradition gilt sie — besonders in ihrer paulinischen und neuplatonistischen Variante — als Negation des Geistes. Valla ist diesem Antagonismus verpflichtet, indem er formuliert: „Nam ea (voluptas) duplex est: altera nunc in terris, altera postea in celis.“ — „Denn die Lust ist zwiefach: (sie ist) eine andere auf der Erde und eine andere danach im Himmel.” (III,10,1; Übersetzung nach: Grassi, Einführung, S. 113); in der Positivierung aller Lust (vgl. Anm. 55) jedoch scheint er rhetorischer Tradition zu folgen. Doch auch die christliche Mystik hatte — man kann sagen metaphorisch, aber da eigentliche Benennung in diesem Falle unmöglich ist, auf die einzig mögliche Weise — von der SüBe der Seiligkeit geredet; neu bei Valla ist also weniger die Versinnlichung der Seligkeit, sondern die Tatsache, daß deren Empfindung nicht in Opposition zur irdischen Form ihrer Erfahrung steht, sondern deren Telos darstellt, das in entelechialem Prozeß aus Potentialität in Aktualität überführt wird. (Die Erde ist also weniger Jammertal als Vorspiel der Erlösung.) Valla versöhnt den christlichen Antagonismus, indem er ihn erstens aristotelisch ,interpretiert’ — er greift damit implizit auf die spätmittelalterliche Habitus-Diskussion zurück — und zweitens säkularisiert, wenn er den rhetorischen (Meinungs-und Personen-) BildungsprozeB als nicht nur in praxe dem theologischen deckungsgleich, sondern beide als teleologisch identisch behauptet. Es wäre zu untersuchen, ob die damit implizierte Dichotomisierung der Begriffe in eine konkrete Form als praxisimmanentes Moyens und eine ideale, als Telos eben dieser Praxis, nicht strukturell auf einer Vermittlung des aristotelischen Entelechie-und Praxisbegriffs mit rhetorisch-agoraler Prozessualität beruht. Denn: „Die Praxisbedürftigkeit ist [...j keine Funktion der Stellung eines Wesens in der kosmologischen Hierarchie, sondern seine Entfernung vom Besitz seines spezifischen bonum oder eù. Je mehr Zwischenglieder es von diesem seinem eù trennen, um so weniger ist es von selbst schon in seiner eùpraxia. Auch zwei weitere Abgrenzungen trifft Aristoteles mittels der Formalstruktur der Finalität. Für jedes organon — sei es nun ein künstliches Werkzeug oder ein Organ des Leibes — ist das Worumwillen eine Form der Praxis, wie für die Säge das Sägen und das Auge das Sehen. Hat eine Tätigkeit ihrerseits ein Worumwillen, so muß dieses in ihr selbst wirksam sein. Andernfalls ist sie, wie eine Abmagerungskur oder ein Lernvorgang, der irgendwann an sein definitives Ende kommt, eine bloße Veränderung (kinesis), aber keine Praxis, oder doch zumindest keine vollendete [...1. Erst durch die zusätzliche Annahme auf der Seite der bewegenden Ursache präzisiert sich jedoch die teloshaltige Praxis zum Vollbegriff sittlichen Handelns, das die auf praktischer Einsicht beruhende, vorbedachte Wahl von Handlungmöglichkeiten im Umkreis dessen, was in unserer Macht steht, voraussetzt. An der so verstandenen Praxis haben die übrigen Lebewesen keinen Anteil, und in diesem Sinne ist allein der Mensch ein handelndes Wesen.“ (Hübener, Praxisbegriff, S. 48f. mit Bezug auf: Aristoteles. Eth. Eud., 1222b18sqq.) Wie Wolfgang Hübener, der in der neuzeitlichen Aufwertung der vita activa eine „langhinwirkende Sockelbewegung” sieht, die sich bereits in der spätmittelalterlichen Praxis-Diskussion widerspiegelt (Hübener, Praxisbegriff, S. 47), in Hinblick auf Ockhams Aristoteles-Rezeption betont, „versteht Aristoteles die verschiedenen Naturvorgänge, wie Gestirnbewegungen und vegetabilische Prozesse als praxeis. In einem etwas engeren Sinne ist Praxis entweder die Erkenntnistätigkeit (actus cognitivus ipsius intellectus) oder eine vom Begehrungsvermögen hervorgerufene Betätigung, wie Sprechen, Umgehen, Essen und Trinken. Erst in einer weiteren Bedeutungsverengung zur operatio existens in nostra virtute wird Praxis zum opus virtutis et vitii und damit zu einem nur im Umkreis ethischer Fragestellungen anwendbaren Begriff. Praxis im striktesten Sinne aber darf nur die operatio conformiter elicita dictamini rationis et elecutionis voluntatis heißen.“ (Hübener, Praxisbegriff, S. 48; die Binnenzitate aus: Guillelmi de Ockbam. Scriptum in librum primum Sententiarum, Ordinatio, Prologus et distinctio prima. Ed. G. Gal/St. Brown (Opp. theol. I) St. Bonaventure, Nein York 1967 S. 287–290) Unschwer kann man die verschiedenen Gradationen des Praxisbegriffs in Picos Schöpfungsmythos wiedererkennen; zieht man überdies die Ockhamsche Position in Betracht, nach der „ein Universale nichts weiter als ein Laut (vox), eine Vorstellung (conceptus) des Geistes oder etwas Geschriebenes (scriptum) ist, von denen erwiesen ist, daß sie keine Ursache der Substanzen sind.” (Ockham, Zusammenfassung, S. 104), so verfällt Erkenntnis via sprachlicher Bindung selbst einer entelechialien Prozessualität, die nur in einer Eupraxis zur Ruhe kommen kann, wie sie traditionell durch das Telos der vollen Offenbarung der Schrift (nach Lösung des siebten Siegels) bezeichnet worden war, und nun nur als Vertrauen in die Sinnhaftigkeit des Prozesses hypostsiert werden kann: „Absurdum sit [...1 qui tempus distaxerit ea sub unum tempus velle coniungere“ (Valla, II,15,6; zitiert nach: Grassi, Einführung, S. 109).

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  58. Hanna-Barbara Gerl faßt die Vallsche Argumentation folgendermaßen zusammen: „Nur im menschlichen Zwang zur Wahl wächst der Mensch über die selbstgenügsame Realität des Tieres hinaus, nur dadurch wird er zum unterscheidbaren Individuum im Rahmen der Gemeinschaft. Die allein menschliche Frage nach der richtigen Handlung unter vielen anderen, nach der wahren Entscheidung unter vielen wahrscheinlichen, nach der menschlichen Wirklichkeit unter vielen Möglichkeiten wird von nichts anderem überzeugend beantwortet als von der Lust. Sie ist die objektive Bestätigung der Richtigkeit oder Gutheit der Handlung, der Entscheidung, der entworfenen Wirklichkeit. Sie ist das objektive Zeichen der geglückten Gemeinschaft und der in ihr verwirklichten Menschlichkeit, denn sie ist identisch sowohl mit dem Nutzen der Gemeinschaft wie mit der wahren Menschlichkeit des Einzelnen.“ (Gerl, Rhetorik, S. 172) Valla selbst: „[...1. haec sive utilitas, sive voluptas, non hominum modo consensu, sed deorum quoque iudicio commendata est [...)” — „Der Nutzen oder die Lust wird nicht nur durch den Gemeinsinn der Menschen„ sondern auch durch das Urteil der Götter gepriesen.“ (I, 962; Übersetzung nach: Gerl, Rhetorik, S.172)

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  59. Diese Differenzierung ist lediglich intentional, faktisch vollzieht sich beides.

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  60. Gerl, Rhetorik, S. 173.

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  61. Hübener, Praxisbegriff, S. 51.

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  62. wie groB ist die Güte, die der Schöpfer aller Dinge gegen uns walten läßt, der die Din-. ge alle um des Menschen willen geschaffen hat... wir aber wären doch unvernünftig, wenn wir nicht zugäben, daß eben dieses Werk von Gott um der Menschen willen verfertigt worden ist.“ — „[...) quanta in nos benevolentia cernitur rerum conditoris, qui res ipsas omnes propter hominem condidit [...) nos vero irrationabiles esse, nisi fateamur hoc ipsum opus pr-opter homines a deo fuisse fabricatum.” (I, 982; Übersetzung nach: Gerl, Rhetorik, S. 180) Doch Valla beschränkt sich nicht auf eine Apologie der Anthropozentrik als Apologie der Gattung; da personales und soziales Interesse, Lust und Gemeinnützigkeit zusammenfallen, erscheint die ganze Schöpfung — inklusive Menschen — je um des Einzelnen willen (Gerl spricht von einer „absoluten Wertsetzung des eigenen selbst“ [Gerl, Rhetorik, S. 161)): „Oh möchtest du einsehen, wieviel mehr du bedeutest, da um deinetwillen die ganze Welt und alle Himmel geschaffen sind. Um deinetwillen allein, sage ich; denn, wenn du auch andre neben dir hast, die gleichfalls daran teilhaben, so ist dennoch die Gesamtheit der Dinge um der einzelnen willen gemacht.” — „Ut intelligas quanto tu magis polleas, propter quem cernis universum mundum, ac coelos omnes esse exaedificatos, propter te inquam solum. Nam e tsi alios tecum participes habes, tarnen singulorum causa universa facta sunt.“ (ebd.); und, an gleicher Stelle: „Nicht nur diese Dinge..., sondern sämtliche Menschen... sind um deinetwillen, d.h. um der einzelnen willen erfunden.” — „Non modo haec ipsa [...), sed universi homines [...) propter te, hoc est propter singulos inventi sunt.“ Valla formuliert hier — in christlich-voluntaristischer Tradition — eine ,phänomenologischen Solipsismus’, der nur durchbrochen werden kann, wenn er immer schon durchbrochen ist (Tautologik), d. h. wenn das individuelle Interesse identisch ist mit dem sozialen, so daß sich zwischen den Subjekten eine Beziehung praktischer Konvergenz ergibt. Deren Ausdruck und Sediment ist Sprache. (Es wäre — bei aller nötigen Differenzierung — interessant, die Vallsche Konzeption mit dem Intersubjektivitätsproblem in der Phänomenologie Husserls und dessen Aufnahme und sprachphilosophische Lösung bei Emmanuel Levinas in Beziehung zu setzten, da diese von einer extentionalen Bestimmung der Semantik ausgehen und sich ihnen die Intentionalität als Frage stellt, während der Renaissance Intentionalität selbstverständlich und Extentionalität problematisch ist.)

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  63. Gerl, Rhetorik, S.174.

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  64. Laut Hanna-Barbara Gerl „hatte der Vorrang der Rhetorik vor der Dialektik zur Folge, daß sich der statische Wahrheitsbegriff der Scholastik zugunsten einer dynamischen, jeweils für die Situation erst zu findenden Wahrheit verschob — eine Aufgabe, die der Redner leisten mußte und die nicht mehr dem Kalkül des Logikers oblag.“ (Geri, Rhetorik, S. 69); und sie führt aus: „Die Aktivierung der menschlichen Affekte durch die Eloquenz gab dem Redner das Mittel an die Hand, eine Gesellschaft durch dieselben Leidenschaften zu einigen. Der Vorrang der Rhetorik beruhte ja gerade auf dem Gedanken des Vorranges der konkreten Praxis vor der abstrakten Theorie, denn die Praxis wurde bestimmt durch die Überzeugungskraft des Redners.” (A. a. O., S. 70) Damit benennt sie zwar ein kairologisches-rhetorisches Moment, ignoriert aber die textuelle Vermitteltheit als spezifische Differenz des Renaissance-Rhetorismus zu klassischer Rhetorik, wenn sie wie selbstverständlich anschließt: „Tatsächlich verbanden gerade die bedeutendsten Humanisten ihre literarische Tätigkeit mit einer hervorragenden politischen Wirksamkeit, es sei nur an Salutati und Bruno als Kanzler von Florenz erinnert.“ (ebd.)

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  65. non cogitas quid facturus sis, cum in coelis omnes linguas intelliges, omnibus linguis loqueris, omnem scientiam, omnem doctrinam, omnem artem renebis, sine errore, sine dubitatione, sine ambiguitate?“ (Zitiert nach: Gerl, Rhetorik, S. 183; im Orginal: I, 992) Auch dieser Topos kann eine lange Wirkungsreihe anführen, über Swedenborg, Oetinger, Lavater und — säkularisiert — mindestens bis zum Magiebegriff der Frühromantik.

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  66. Damit ist ein jenseitiges Rhetorideal postuliert, wie es in seiner Onmipotenz allenfalls in der Sophistik zuletzt statt hatte. Doch jetzt geht es nicht mehr um forensische Herrschaft, sondern um die Identifikation von Person und Wahrheit: um universelles und omnilinguales Verstehen. Und, in diesem Bezug wichtiger noch als die Universalität des Wissens: Die agonale Prozessualität, die dem Sophisten konstitutiver Bestandteil seiner Rede war (Metron), ist negiert und durch eine pure Präsenz der Wahrnehmung ersetzt: „sine dubitatione, sine ambiguitate“.

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  67. Wenn denn die latinitas Paradigma wirksamer Sprache ist und der Rhetor Institution derer forensischer Potenz, warum ist die civitas romana zerfallen? Wieso wurde die lateinische Sprache zur scholastischen Barbarei erniedrigt? — Konzeptionell ist der Sachverhalt nicht abzuleiten, er kann lediglich aus den pragmatischen Prämissen und der pragmatischen Intention des Humanismus erklärt werden: Die Frage stellt sich nicht, weil der Humanismus keine Geschichtstheorie darstellt.

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  68. Die implizite These des Kapitels in abstrakter Formulierung: Das Ideal textueller Geschlossenheit ist eine Spezifikum der Renaissance-Rhetorik und Erbe christlichen Schriftverständnisses. (Ich betrachte das Homeros-ex-Homero nicht als gravierenden Einwand, denn eine Paralellstellenmethode muß sich nicht zum Gesamt des Textes fügen — und fügte sich nicht. Vgl. Glenn W. Most. Rhetorik und Hermeneutik. Zur Konstitution der Neuzeitlichkeit. In: Antike und Abendland 30 {1984}, S. 62–79 hier S. 63) Diese Fixierung auf einen konsistenten und universalen Text treibt die Frage nach den Bedingungen seiner Produktion hervor, welche in Konsequenz die Rhetorik als prinzipiell offenen und a-teleologischen Prozeß desavouiert, denn jede Formulierung eines regulativen Ideals, das den tatsächlichen Prozess normiert, zerstört das — unverzichtbare — kairologische Moment der Rhetorik. Der Kairos kann benannt, aber nicht bezeichnet werden, er ist präsent als Kraft oder verfehlt; ein Telos ist intentional zu bezeichnen. (An einem Beispiel aus dem deliberativen Genus: Das Telos: erfolgreiche Handlung ist zu bezeichnen; der Kairos meint, was zu tuen ist. Dies kann durchaus strittig sein, aber in der Auseinandersetzung um die richtige Handlung ist die Konsequenz der Entscheidung nicht zu präjudizieren: Die Entscheidung ist ein Entschluß zu handeln, dem eine Handlung folgt. Erst nach deren Vollzug zeigt sich, ob der Kairos richtig benannt oder verfehlt worden ist.) Ein Telos als universeller Fokus ist Negation des Kairos und seine ,Aufhebung’ in einem Oberbegriff, der alle Kairoi jenem subsummiert, der ,Erlösung’ heißt.

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  69. Dieses interessante Gebiet muß hier leider ausgespart bleiben, doch wäre eine genaue Untersuchung über den — ursprünglichen — Zusammenhang von Pädagogik und Rhetorik sicherlich auch für die Neuzeit aufschlußreich.

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  70. Vgl. Gerl, Rhetorik, S. 231ff.

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  71. Vgl. Kapitel 2, Anm. 243.

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  72. Lorenzo Valla. On Pleasure/De voluptate. Translated by A. Kent Hieatt and Maristella Lorch. Introduction by Maristella de Panizza Lorch. New York 1977 (im Folgenden zitiert als: De vol.), II,xxiii,5, S. 186.

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  73. Lorenzo Valla. Über den freien Willen/de libero arbitrio. Hrsg. u. übers. von Eckhard Kegler. München 1987 (im Folgenden zitiert als: De lib. ar. nach Seite (lat. Text), Zeile (lat.), Ziffer (dt.), hier. S. 144, 821, 110.

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  74. Boethius. Trost der Philosophie. Übers. u. hrsg. von Karl Büchner. Einl. von Friedrich Klingner. Stuttgart 1971 (im Folgenden zitiert als: TP). Es geht an dieser Stelle nicht um die Spezifik der Boethischen Theorie, sondern um das Gemeingut mittelalterlicher Tradition; eine zu detailierte Analyse würde also mehr verfälschen als offenlegen.

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  75. De lib. ar., S. 62, 80, 16.

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  76. TP, S. 159. Boethius differenziert zwischen dem Sinneseindruck, seiner Wahrnehmung, der Reflexion der Wahrnehmung und intellektualer Anschauung. Letztere ist Gott vorbehalten.

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  77. alles, was den Sinnen offen steht, [ist,} setzt du es zum Denken in Beziehung, allgemein [...J, betrachtest du es an sich, einmalig.“ (TP, S. 168; vgl. 159ff.)

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  78. Sinneswahrnehmung allein, bar allen anderen Erkenntisarten, wurde den unbeweglichen Lebewesen zuteil, [...1; Vorstellung aber den beweglichen Tieren, denen schon Regungen, zu meiden oder zu erstreben innezuwohnen scheinen.“ (TP, S. 161)

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  79. wenn, [...J, bei der Wahrnehmung der Körper der Geist nicht durch Leiden Eindrücke erfährt, sondern aus eigener Kraft die vom Körper abhängige Empfindung beurteilt, um wieviel mehr folgt das, was von allen Berührungen durch Körper frei ist, beim unterscheidenden Erkennen nicht dem von außen Entgegentretenden, sondern setzt vielmehr die Tätigkeit des eigenen Geistes in Bewegung.“ (TP, S. 161)

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  80. Wie nun, wenn die Sinneswahrnehmung und Vorstellungskraft gegen die Überlegungen stimmen und sagen, jenes Allgemeine, welches das Denken zu schauen glaubt, sei nichts? Was nämlich den Sinnen faßbar und vorstellbar ist, das könne nicht allgemein sein, entweder also sei das Urteil der Vernunft wahr und Sinnenhaftes sei nichts, oder, weil ihnen ja bekannt sei, daß mehr Dinge den Sinnen und der Vorstellungskraft unterliegen, Vernunft sei ein leerer Begriff, die, was sinnenhaft und einmalig ist, wie etwas Allgemeines betrachte. Wenn hierauf die Vernunft die Gegenantwort gäbe, sie erblicke zwar, was sinnenhaft und was vorstellbar, in der Weise der Allgemeinheit, jene könnten aber auf Erkenntnis der Allgemeinheit keinen Anspruch machen, weil ihre Erkenntnis die körperlichen Gestalten nicht übersteigen könnte, in der Erkenntnis der Dinge aber müsse man eher dem festeren und vollkommeneren Urteil glauben — würden wir in einem derartigen Streite also, wir, denen sowohl die Kraft des Denkens wie des Vorstellens und auch des Empfindens innewohnt, nicht vielmehr der Sache der Vernunft unseren Beifall geben?“ (TP, S. 162)

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  81. TP, S. 164.

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  82. Vgl. TP, S. 158.

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  83. Denn auch bei den Lebewesen kommt der Trieb zu bestehen nicht aus dem Willen der Seele, sondern aus dem Grunde der Natur.“ (TP, S. 110) „[...3 die Vorsehung nämlich gab den von ihr geschaffenen Dingen dies als den größten Antrieb zum Bleiben, daß sie von Natur die Sehnsucht in sich tragen, zu bestehen, solange sie können.” (Ebd.) „Denn jedes Lebewesen müht sich, seine Unversehrtheit zu schützen, Tod aber und Verderben vermeidet es.“ (TP, S. 109) Doch nicht das „Streben nach Bestehen” (TP, S. 108) — Selbsterhaltungstrieb — zeichnet den Menschen aus, sondern die Fähigkeit, diesen — und damit sich selbst als Kreatur — zu negieren: „Häufig nämlich heißt der Wille, wenn Gründe dazu zwingen, den Tod willkommen, vor dem die Natur schaudert, und jenes, wodurch allein die Dauer irdischer Dinge beharrt, das Werk der Zeugung, das die Natur immer erstrebt, hindert der Wille bisweilen.“ (TP, S. 110) Die Negation der Kreatürlichkeit wird privilegiert, da für Boethius alles in der Zeit Existierende eine Privation seiner Wahrheit darstellt; die Folge der existierenden Dinge und Lebewesen akkumuliert also Defizienz: Nicht-Sein, da ,Sein’ nicht Existenz, sondern Präsenz der Wahrheit bedeutet: „Sein (esse) und das, was ist (id quoll est), sind verschieden. Denn das Sein selbst existiert noch nicht. Das, was ist, hingegen existiert und besteht, sobald es die Form des Seins (essendi forma) empfangen hat.” (Boethius. Wie die Substanzen gut sind, sofern sie sind obwohl sie nicht wesenhafte Güter sind./Quomodo substantiae in eo quod sint bonge sint cum non sint substantialia bona. In: Mittelalter. Hrsg. v. Kurt Flasch. = Geschichte der Philosophie in Text und Darstellung 2. Stuttgart 1982 S. 128). Da aber der Negation des Seins dessen Position vorausgehen muß, erscheint Geschichte als ZerfallsprozeB: „Die Natur nahm nämlich nicht von Gemindertem und Mangelhaftem ihren Anfang, sondern von Unversehrtem und Vollkommenem ausgehend verfällt sie in diese letzten und erschöpften Dinge.“ (TP, S. 102, vgl. S. 103 u. S. 123ff.: die Erörterung des Bösen). Nichts Kreatürliches kann der Negativität des Nicht-Seins völlig entgehen, denn es ist auf den Leib, der „mit sich Vergessen bringende Last schlepp[r)” (TP, S. 111) angewiesen. Da der Mensch kein einfaches Wesen ist, kommt ihm die Gutheit des Seins nicht einfach zu, sondern er ist weiterer Bestimmung fähig: „Denn Gutsein betrifft das Wesen (essentia), Gerechtigkeit hingegen die Handlung (actus). In ihm [Gott) sind aber Sein und Handeln dasselbe; also ist Gutsein dasselbe wie Gerechtsein. Bei uns aber sind Sein und Handeln nicht dasselbe; denn wir sind nicht einfache Wesen.“ (Boethius, Substanzen, S. 132). Ihm bleibt nur die „unendliche Bewegung der zeitlichen Dinge” (TP, S. 165), Nachahmung des „gegenwarthaften Zustand[s) unbeweglichen Lebens“ (ebd.).

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  84. Der Grund für die Unklarheit ist der, daß die Bewegung des menschlichen Denkens nicht an die Einfachheit des göttlichen Vorwissens herangebracht werden kann. Wenn dies irgendwie gedacht werden könnte, wird überhaupt nichts Zweifelhaftes mehr bleiben.“ (TP, S. 156; vgl. S. 137: Gott „in der Burg seiner Einfachheit”)

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  85. TP, S. 168; vgl. S. 165f.: „Da nun ein jedes Urteil seiner Natur gemäß begreift, was ihm unterliegt, Gott aber immer in einem zeitlosen und gegenwärtigen Zustand ist, übersteigt auch sein Wissen eine jede Bewegung der Zeit, bleibt in der Einfalt seiner Gegenwart, und die unendlichen Räume des Vergangenen und Zukünftigen umfassend, erwägt er alles in seiner einfachen Erkenntnis, als wenn es nun geschehe. Wenn du deshalb sein Voraussehen würdigen willst, mit dem er alles unterscheidet, wirst du dir richtiger vorstellen, daß es kein Vorauswissen gleichsam der Zukunft ist, sondern das Wissen einer niemals erlöschenden Gegenwart.“ Gott ist ein unbewegter Beweger (vgl. TP, S. 115); kein Lidschlag — d. h. keine Zeit, kein Vergessen, kein Vergeben — trübt den stieren „Blick des gegenwärtigen Auges” (TP, S. 168).

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  86. TP, S. 135. Boethius bedient sich primär der Metaphorik platonistischer Lichtmetaphysik, versucht aber diese synkretisch mit aristotelischer Systematik zu versöhnen. Im Zentrum seiner Philosophie — wie jeder, die auf einem Konzept optischer Wiedergabe beruht — steht eine Abbildtheorie des Verstehens und damit ein Ähnlichkeitsbegriff; doch meint dieser bei Boethius weder sensuell vermittelte Widerspiegelung von Gegenständlichem noch konzeptionelle Repräsentanz mentaler Strukturen. Die Ikonizität des Verstehens bezeichnet die Fähigkeit menschlichen Denkens und Handelns — menschlicher Praxis —, sich einer göttlichen Ordnung anzunähern, die ad hominem als textuelle präsent und intellektuell zugänglich, jedoch uneinholbar ist. Die zeitliche Existenz der Subjekte ahmt den „gegenwarthaften Zustand unbeweglichen Lebens“ nach (TP, S. 165), soll zum „ähnlichen Abbild” von dessen Ewigkeit werden (TP, S. 101). Da die göttliche Ordnung latent — d. h. zugleich omnipräsent und verborgen — ist, entzieht sich die ,Wahrheit’ der Phänomene und Unabsehbares bricht immer wieder in die Ordnung des Verstehens ein (vgl. TP, S. 136ff.). Doch ist diese Unordnung nicht Chaos, sondern Zeichen defizitären Begreifens und Zeichen höherer, göttlicher Ordnung, die voreilige Gewißheit negiert und auf ihr Telos — Gott — hin transzendiert. Hier wird die Differenz zu ,neuzeitlichem Denken’ — mit allem Vorbehalt gegenüber diesem Pauschalismus — deutlich: Den innerweltlichen Ereignisketten kommt keine imanente Kausalität zu; ihre Abfolge wird nicht durch intramundane Verknüpfung von Ursachen und Wirkungen bestimmt, sondern ist je ein Modus, eine spezifische Darstellung der göttlichen Ordnung selbst. Die Situationen der Welt sind Handlungen (actus) göttlicher potentia; jeder innerweltliche Zustand bezieht sich direkt auf die göttliche Ordnung und bezeichnet diese; die Simultaneität der Zustände ist ihr Abbild. Der kosmologische Augenblick wird zum Bild der Ordnung; zwischen ihm und der Welt besteht kein Zusammenhang von Ursache und Wirkung, sondern eine Zeichenrelation (vgl. TP, S. 157f.; zur ,Zeichentheorie der Natur im Mittelalter vgl. Brinkmann, Sprache; ders., Hermeneutik, bes. 24ff.; Ohly, Sinn). Aber auch simultane Totalität ist dem Menschen unzugänglich, seine Erfahrung bleibt kontingent (vgl. TP, S. 77ff.); dem ontischen korrespondiert kein intellektueller Kairos. Da das Subjekt nur zufällige Transformationen fragmentarischer ,Realitäten’ zu Gesicht bekommt, bedarf es einer anderen Strategie, um sich der Ordnung zu versichern. An dieser Stelle kommt die differentia species humaner Existenz — d. h. Existenz eben — ins Spiel: die zeitliche Dimension des Denkens (vgl. TP, S. 137). Im und durch das Denken ist der Mensch in der Lage, der Kontingenz seiner Umstände einsichtig zu werden (vgl. die ,Rede der Fortuna’, TP, S. 60ff.); er ist ,schicksalsfähig’; indem Zeit die Kontingenz des Mundanen falsifiziert, verpflichtet sie das Subjekt der Kohärenz der Begriffe, d. h. der ,ewigen Ordnung des Textes’. Der Mensch soll zu ihrem diachronen Abbild werden; in seinen Handlungen hat er je das ,Gutsein’ seines Wesens, das identisch ist mit dem emphatischen, i.e. ewigen Begriff der Existenz überhaupt, zu realisieren (vgl. Boethius, Substanzen, S. 132). Aber auch hier liegt keine Kausalität vor — sonst drohte Determinismus —, sondern eine Zeichenrelation: In seinem Interesse an Glück und Ewigkeit — d. h. an Gottähnlichkeit — soll er sich zum Bild göttlicher Ordnung fügen. Dies ist möglich, wenn er sich nicht auf die Kontingenz der Phänomene, sondern auf die Ewigkeit der Begriffe bezieht und seine Praxis an ihnen ausrichtet. Es bedeutet zum einen Verpflichtung auf die Begriffe der Philosophie als der seinem Denken zugänglichen Form von Ewigkeit, zum anderen Bezug auf Theologie als deren göttliche, menschliches Verstehen übersteigende Artikulation in der Schrift. Text bedeutet Ewigkeit, Welt bedeutet Zeit; der Mensch steht in der Mitte zwischen beiden, steht in Zeitlichkeit, zwischen Augenblick und Ewigkeit. Die Existenz wird zur hermeneutischen Aufgabe: zur diachronen Interpretation göttlicher Ordnung.

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  87. Denn nach allgemeiner Ansicht der Gelehrten strebt alles, was ist, nach dem Guten; alles strebt nach etwas, das ihm ähnlich ist.“ (Boethius, Substanzen, S. 129; vgl. TP, S. 104ff.)

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  88. der Biß der Sorge fliehet nicht den Lebenden,/und der nichtige Schatz folget ihm nicht in den Tod.“ (TP, S. 89) „Ein ängstlich Ding ist nämlich die Lage der menschlichen Güter und eine Sache, die nie ganz zum Vorschein kommt oder sich nie beständig festsetzt.” (TP, S. 68)

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  89. Denn für den Menschen ist es nicht erlaubt, alle Vorrichtungen des göttlichen Mühens im Geist zu erfassen oder im Wort zu entfalten.“ (TP, S. 142; vgl. S. 139 u. 142)

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  90. Ihr gefallt euch darin, Dinge, um die es anders steht, mit falschem Namen zu nennen, der leicht durch die Wirkung der Dinge selbst widerlegt wird!“ (TP, S. 76; vgl. S. 78) Dagegen fordert Boethius, „daß die Worte den Sachen, über die sie aussagen, verwandt sein müssen.” (TP, S. 115)

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  91. TP, S. 126; vgl. S. 101 u. 61: „Denn es genügt nicht, nur das, was vor Augen liegt, anzuschauen; die Klugheit ermißt den Ausgang der Dinge, und die gleiche Unbeständigkeit in beiden macht, daß die Drohungen des Geschickes nicht zu fürchten, seine Liebkosungen nicht wünschenswert sind.“

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  92. Reflexion wird zum internen Akt des Subjekts, bei dem die Welt kein Einspruchsrecht besitzt: „Wie du, siehst du abwechselnd den schmutzigen Boden und den Himmel an, bald im Kot, bald unter den Sternen zu weilen scheinst dank deinem Sehen, während alles außerhalb still bleibt.“ (TP, S. 132)

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  93. TP, S. 158; vgl. TP, S. 142: „Eine gewisse Ordnung nämlich umfaßt alles, so daB, was von der zugewiesenen Art der Ordnung abweicht, wenn auch in eine andere, so doch wieder in eine Ordnung gleitet, damit im Reiche der Vorsehung der Planlosigkeit nichts gestattet sei.“ Gott zwingt zur Ordnung (vgl. TP, S. 148).

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  94. die Einsicht, von oben gleichsam schauend in der begriffenen Form, was ihr unterliegt, hat Urteil auch über alles; aber auf die Weise, wie sie die Gestalt selbst, die keinem anderen bekannt sein konnte, erfaßt. Denn sie erkennt das Allgemeine des Denkens, die Gestalt der Vorstellung und den sinnlichen Stoff, ohne das Denken, die Vorstellung und die Sinne heranzuziehen, mit jenem einen Blick des Geistes, gestaltmäßig sozusagen alles erschauend. Auch das Denken begreift, wenn es den Blick auf etwas Allgemeines richtet, ohne Vorstellung und Sinne die Vorstellungs-und Sinnenwelt.“ (TP, S. 159) Philosophie dient dazu, den Blick in den Himmel der Begriffe — und der Theologie — zu lenken: „Denn bald hielt sie sich in dem gewöhnlichen Maße der Menschen, bald aber schien sie mit dem Gipfel ihres Scheitels an den Himmel zu rühren.” (TP, S. 42) Sie will mit „männlichen Worten“ (TP, S. 60) und Gedanken aus ihrem „Allerheiligsten” (ebd.) jene „Lücke“ (TP, S. 57) überbrücken, die Existenz von Wahrheit trennt.

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  95. TP, S. 136. Denn: „Es ist nämlich, was die Ordnung festhält und die Natur bewahrt. Was aber von ihr abfällt, das läßt auch das Sein im Stich, das in seiner Natur beschlossen liegt.“ (TP, S. 123f.)

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  96. TP, S. 146. Oder, als Schlachtruf christlicher Krieger: „Besiegte Erde schenkt euch die Sterne!“ (TP, S. 147; vgl. das sadistische Gemetzel der Engel bei Valla, De. vol. II,xix,4f., S. 290)

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  97. Diese Metaphorisierung der Zelle findet sich bei Boethius selbst: „Wenn aber der Geist, sich guter Taten bewußt, aus dem irdischen Kerker erlöst frei zum Himmel steigt [...J“ (TP, S. 79f.)

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  98. TP, S. 66; vgl. S. 61 u. 69: „[...], und da es klar ist, daß das zufällige Glück in dem Tode des Körpers seine Grenze hat, gleitet unzweifelhaft, kann dieses das wahre Glück bringen, das ganze Geschlecht der Sterblichen beim Todesende ins Unglück.“ Die Hypostasierung der Ewigkeit ist hier offensichtlich; Wahrheit hat keine zeitliche Dimension.

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  99. TP, S. 79.

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  100. TP, S. 56. Wäre jedoch die göttliche Ordnung der Begriffe identisch mit der Faktizität der Phänomene, würde Willensfreiheit negiert und — da das Göttliche das Gute sein muß — dem Bösen Existenz zugesprochen werden. Dann erschiene, was Boethius „das Schlimmste, was sich ausdenken läßt“ (TP, S. 154) nennt, das Gespenst des Determininismus: „[D]a die gesamte Ordnung der Dinge sich von der Vorsehung ableitet und menschlichem Planen nichts freisteht, ergibt sich, daß auch unsere Laster auf den Urheber alles Guten zurückgeführt werden. Also liegt natürlich auch kein Sinn darin, etwas zu erhoffen und im Gebet zu erflehen; wie soll denn jemand hoffen oder auch beten, da alles Wünschenswerte eine unabdingbare Kette verknüpft? Aufgehoben wird jener einzige Verkehr zwischen den Menschen und Gott, ich meine des Hoffens und des Gebetes, [...)” (TP, S. 154f.; vgl. Boethius, Substanzen; S. 130)

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  101. Boethius war im Kerker nicht einsam; die Philosophie besucht ihn nicht als überlegene Trösterin, sondern aus Leidenschaft: Mit der Eifersucht der Begriffe auf das Pathos ruft sie ihn zurück in ihre ,verkehrte Welt’: „Als sie nun die Musen der Dichtkunst an meinem Lager stehen und meinen Tränen Worte eingeben sah, sagte sie ein wenig erregt und finster mit den Augen blitzend: Wer hat diese Bühnendirnen zu diesem Kranken gelassen, daß sie seine Schmerzen nicht nur durch Heilmittel nicht lindern, sondern mit süßem Gift noch nähren? Sind sie es doch, die durch das unfruchtbare Gestrüpp der Leidenschaften die früchtereichen Saaten der Vernunft ertöten und den Geist der Menschen an die Krankheit gewöhnen, nicht von ihr befreien.“ (TP, S. 42) Aber sie bringt — wie schon die Form der ,Con-solatio philosophiae’, ihr Wechsel zwischen Prosa und Gedicht — beweist, eigene Musen mit (vgl. TP, S. 43).

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  102. At ego ad cognitionem intelligentiae et aeternitatis, qui racionalis sum et nihil extra Tempus agnosco, aspirare qui possum? Haec ne Boetium quidem ipsum suspicior intellexisse, si modo vera sunt quae dixit, quod non credo. Non enim verum dicere censendus est cuius orationem nec ipse nec alius intelligat.“ (De lib. ar., S. 70ff., 159ff., 30,)

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  103. Nescimus huius rei causarn: quid refers? fide stamus, non probabitate rationum. [...) Noli-mus altum sapere, sed timeamus ne simus philosophorum similes, qui dicentes se sapientes, stulti facti sunt; qui ne aliquid ignorare viderentur, de omnibus disputabant apponenees in caelum os suum, arque illud scandere, ne dicam rescindere volentes, [...]“ (De lib. ar., S. 141, 792ff., 106f.) Der Philosophie mit seinem Anspruch, über die Tatsachen der Welt und die Verhältnisse des Menschen Auskunft geben zu können, erscheint als Maulheld (vgl. De lib. ar., S. 141f., 800, 107) und — mit einem Tertullian-Zitat (De anima 1 in: Migne P. G. 35, 112, p. 597) — als „glorie animal” (De vol. III,viii,6, S. 264). Ohne Bezogenheit auf die ,ratio divina’ sind die Begriffe der Philosphie „quasi umbra sine corpore“ (De vol. III,ix,l, S. 266): substanzlose Schatten. Auch hier wird deutlich, daß es Valla um Motivationsbegriffe geht.

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  104. Du forderst mich zu einer Sache auf, die am allerschwersten zu untersuchen ist. [...] So beschaffen ist nämlich der Stoff: Hat man den einen Zweifel erledigt, wachsen unzählige andere nach wie Köpfe der Hydra; und es gibt wohl nur dann eine Grenze, wenn einer sie mit dem lebendigsten Feuer des Geistes bändigt.“ (TP, S. 136)

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  105. In der Regel wird folgende Ausgabe verwendet: Lorenzo Valla. On Pleasure/De voluptate. Translated by A. Kent Hieatt and Maristella Lorch. Introduction by Maristella de Panizza Lorch. New York 1977. (Zitiert als: De vol.) Der Ausgabe liegt die letzte Version Vallas zugrunde. (Zu den Varianten und zur Textgeschichte vgl. Einleitung und Apparat.) Deutschsprachige Übersetzungen werden in der Regel nach Gerl, Rhetorik zitiert, der die Opera Omnia (Hrsg. Eugenio Garin. Torino 1962) zugrunde liegen. Differenzen in der Zeichensetzung resultieren aus der Gerlschen Auflösung von Satzperioden.

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  106. refertis omnia ad inamen quandam sapietiam, undique perfectam, undique comsummatam.“ (De vol. I,xii,1, S. 76; Übers. nach: Gerl, Rhetorik, S. 134 nach I,907)

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  107. Nam quae affectata subtilitas est sapientem ita describere, ut nullus vobis testificantibus inventus sit, eum solum beatum, solum amicum, solum bonum, solum liberum esse? [...] Quippe nemo adhuc sapiens fuit.“ (I, 907; Übers. nach: Gerl, Rhetorik, S. 134; die entsprechende Stelle De vol. I,xii,1, S. 76 differiert leicht.)

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  108. Und damit nicht jemand vielleicht weise sein könne, macht ihr in eurer Barbarei mehr Laster als Tugenden und denkt euch die unendlichsten und winzigsten Arten von Verfehlungen aus...och wenn ein Schaden, und wäre es der geringste, dem Menschen anhaftet, wie es notwendig ist, so sagt ihr, dieser Mensch entbehre nicht nur der Ehre des Weisen, sondern sei sogar mit Schimpf und Schande zu verwerfen.“ — „Atque ne quis forte [sapiens] esse posset, qua barbaria estis, plura quarr virtutes vitia effecistis, and infinitissima ac minutissima peccatorum genera excogitastis [...] At si una vel minima noxa, ut necesse est, homini assit, hunc dicitis non modo sapientis carere honore, verum etiam omni dedecore esse and infamia deturpatum.” (I,907; Übers. nach: Gerl, Rhetorik, S. 135; = De vol. I,xii,2, S. 76)

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  109. Wegen ihrer Verachtung aller Konventionalität gelten Vegio die Cyniker als Avantgard der Stoa und insbesondere Diogenes als konsequente Personifikation der Implikationen stoischer Philosophie (vgl. De vol. I,xii,7, S. 80): „Ich möchte schwören, (Diogenes) habe aus Ekel vor dem Leben Hand an sich gelegt... Er durchschnitt sich die Kehle, nicht um sich zu ermorden, sondern um einem Fieber auszuweichen, wie er antwortete... Seht, seht Dio-genes, das Muster der Stoiker, der gegen sich selbst im Ringkampf kämpft, gleicherweise für Leben und Tod streitet, sterben und leben will... „[...] quern [Diogenem] ausim iurare prae vitae taedio sibi manus attulisse. [...3 Secabat sibi iugulum nec mortem sibi afferre, sed febrim effere respondebat [...3 Videte videte Diogenem Stoicum specimen, gladiatoriam in seipso exercentem, nec vivere vult, nec mori, and mori vult and vivere.“ (I,957; zitiert nach: Gerl, Rhetorik, S. 169; De vol. II,xxix,7, S. 212 differiert leicht) Schätzenswert bei den Cynikern ist allenfalls ihr scharfer Witz (vgl. De vol. II,xxix, 10, S. 214 ).

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  110. naturae mihi patrocinium sumo, una cum humani generis defensione, quem a superiore causa non separatur, [...]“ (1,905f.; Übers. nach: Gerl, Rhetorik, S. 137; = De vol. I,viii,6, S. 72)

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  111. simplicissimi sive stultissimi homines Stoici [...) ad tactum conspectumque murenarum quasi colubrorum fugiunt and pallescunt, quas nos non solum non refugimus, sed etiam in cibo summo com oblectamento praeparamus, and si caetera condimenta defuerint, hoc certe nunquam deest, quod inter epulandum fere iocamur de rusticitate ac dementia Stoicorum.“ (I,908; Übers. nach: Gerl, Rhetorik, S. 139; = De vol. I,xiii,l, S. 80)

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  112. Antonio führt aus: „Ac stultam [naturam] quidem dicere hominum est inconsiderate loquentium. Quod vero iniquius aliquid illa constituerit ne de hoc quidem ambigendum putarem, ni Cato accurata ut semper et vehementi oratione dubitandum fecisset. [...] Postremo oro ac obsecro ne vos nam nunc moveat multitudo a me dissidentium nec plus studere argue accedere libeat hominum captionibus qui honestatem imaginariam quandam introduxere quarr legi nature. Illi magno ore decantant appetendas difficultates quod certe natura negat. Nos ipsius nature iuta retinentes dicimus appetendas oblectationes, illi labores gratuitos nos iocunditatem, illi tormenta nos voluptates, denique illi necem nos vitam.“ — „Calling Nature foolish is a proprensity of men who speak foolish. The possibility of Nature’s having produced a wrong would not have seemed to me a proper subject for dispute, had Catone not raised doubts about it with a very exact (as always) and vehement speech. [...] Finally, I beg and beseech you not to be moved by the multitude of those who dissent from my view, ans not to find it pleasing to seek out and draw near to the argument of those men who have introduced a kind of feigned virtue (...) instead of accepting the law of Nature. These people loudly say over and over again that difficulties should be sought after, a notion that Nature certainly denies. We, holding to Nature’s own laws, declare that pleasure should be pursued; they recommend purposeless labors, we recommend mirth; they propose torments, we propose pleasure; finally, they advocate death, we advocate life.” (De vol. II,xvi,3, S. 90)

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  113. Vgl. I,672f.

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  114. Vgl.I,673f.

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  115. Vgl. TP, S. 162.

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  116. si propter omnia quae nescimus molestiam contraheremus, duram nobis et acerbam vitam redderemus.“ — „{...3 wenn wit uns wegen allem, was wir nicht wissen, belastet fühlen wollten, würden wir unser Leben hart und bitter machen.” (De lib. ar., S. 66, 119f., 22,)

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  117. Vgl. Kapitel 2.1.

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  118. hihi crede: non irascitur natura nec contra nos genuit venena serpentum, noxios succor, efferata animalia; que si recce accipias, potius in nostram salutem farta sunt, siquidem plura commoda accipiuntur ex illis quam incommoda. Quid enim foret medicina nisi herbe, nisi semina, nisi animantes, nisi ipsi etiam serpentes essent?“ (De vol. I,xiii,6, S. 82) Die Tatsache, daß natürliche Dinge dem Menschen Schaden zufügen und ihn sogar töten können, resultiert nicht aus der Verfassung der Natur selbst, sondern ist Produkt seiner kreatürlichen Endlichkeit. Da diese wiederum keine Privation der Ewigkeit mehr darstellt — s. u. —, kann sie keine Negativierung weltlicher Erfahrung bewirken, sondern ist als an sich wertfreies Faktum der Existenz zu akzeptieren.

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  119. id demum bonum dici debere in quo untrunque concurrit quod recipit et quod recipitur, ut oculi et nitor, palatus et malum punicum et item reliqua. Quare voluptatem recte bonum apellamus que ex his ambobus quasi utroque parente perficitur. Porro animus et corpus recipiunt, externa recipiuntur.“ (De vol. I,x)xi, 1, S. 114 )

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  120. Boethius spricht „bei beweglichen Tieren“ von „Vorstellungen”, „denen schon Regungen, zu meiden oder zu erstreben, innezuwohnen scheinen.“ (TP, S. 161)

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  121. Certe ita sunt omnia viventium bona ut si qua mortuis concedi videntur, its tarnen vivi fruamur, ut magnificentia sepulchrorum, statue maiorum que non illis mortuis sed posteris eins familie quoad vivunt ornamento sunt“ — „Certainly all goods belong to the living in so complete a sense that we really have the use and enjoyment of the goods that seem to be conceded to the dead, like the magnificence of tombs and the statues of ancestors, which are an ornament not to those who are dead but to the descendants of the family as long as they live.” (De vol. Il,ix,2, S. 155)

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  122. TP, S. 84.

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  123. Cuius rei ut fundamentum iaciam, nihil est generi animantium tam a natura tributum quam ut se, vitam corpusque tueatur declinetque ea que nocitura videantur. Nunc autem quid magis vitam conservat quarr voluptas, ut in gustu, visu, auditu, odoratu, taccu, sine quibus vivere non possumus, sine honestate possumus? Ita si quis in aliquem sensum acerbus et iniurius fuerit, contra naturam facit et contra suam utilitatem.“ (De vol. I,xxxv,l, S.116)

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  124. Nunc quomodo ineruditis perceptu [honesti) sit facilis? At voluptatem ipsa etiam infantia notam habet.“ (I,xlvii,2, S.128; vgl. I,xlvii,l, S. 128)

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  125. Das ,ingenium naturaé (De vol. I,xx,3, S. 98) intendiert Schönheit als formale Qualität; diese bewirkt Positivität der Erfahrung. Damit wird Kommunikation tendenziell zum Austausch einer affektisch positiven Wahrnehmung, welche dann durch sympathetisches Feedback verstärkt wird. Selbstdarstellung der Schönheit liegt unmittelbar im Interesse der Subjekte; Häßlichkeit ist Deformation, die schöne Sozialität negiert und zugleich auf sie verweist: „Mehercule, si omnes viri et femine deformes essent, (...), in solitudinem fugerem et conspectum hominum quasi serpentum devitarem.“ — „By Hercules, if all men and woman were ugly, [...3 I would flee into the desert and avoid the sight of human beings as though they were snakes.” (Ebd.; vgl. De vol. I,ix,6, S. 96) Ideal ist ,schöne Ordnung’; konzeptionelle Bedingung ihrer Möglichkeit ist zumindest residualer Platonismus, der ein Arsenal ontologisch-metaphysischer Figuren hypostasiert, in denen die Interessen der Subjekte übereinkommen (zum Platonismus der Wahrnehmung vgl. Dialecticae Disputationes I,xiif., in: I, S. 671ff.). Nicht nur in bezug auf die Statik, auch in bezug auf die Dynamik der Praxis wie der Wahrnehmung beruft sich Valla durch Vegio auf Plato, identifiziert platonische Liebesmetaphysik mit der ,lex natura’ der Lust (vgl. De vol. I,xxxixf., S. 118, vgl. auch De vol. II,xxvii,4, S. 198). Antonios Rede transformiert schließlich ins Christliche. Beide Aspekte werden mit den ersten beiden Personen der Trinität identifiziert: Die Stasis entspricht dem Blick des Dritten, dem Argusauge Gottvaters, wie Valla selbst formuliert (vgl. De vol. III,xvii,l, S. 284); die Dynamis der Interpretation Christi als Kultivator der gefallenen Erde und Personifikation der caritas (vgl. De vol. III,x1,1, S. 268). Er, in seiner Eigenschaft als omnis homo, als Idealbegriff des Menschen, wird einst als „Deus-homo“ den „homo-Deus” erwarten (vgl. De vol. III,xxv,22, S. 314). Eine ,Naturalisierung’ formaler Muster bedeutet in praxe Verabsolutierung habitueller Werturteile; auf gesellschaftlicher Ebene verstellt sie die Gewalt personaler Rollenzuweisungen.

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  126. Que dixi externarum rerum ae iccirco bona appellantur quod animo et corpori ex quibus duobus constamus voluptatem parant. Nam aliter per se nihil prosunt. Quid enim pecunie, quarum amore plerique est maxime capiuntur, valebunt, nisis auf nunc utamur auf in futuros usus id est voluptates reservemus? Sine hac enim cogitatione si qui petunias atque opes habent, simillimi mihi videntur draconibus et gryphis, qui in quibusdam regionibus maximam vim auri atque gemmarum sibi inutilem, nisi forte visu delectantur, non segnius ad accessu hominum arque ereptione tutantur quam cibum auf teneram prolem tutarentur.“ — „What I have described as goods proceeding from the external world are termed goods because they produce pleasure for the soul and the body, out of which two things we are constituted. Otherwise, these external things are of no use. What, for example, is the purpose of money (which most people love) unless we use it now or save it for future use, for future pleasures? Unless men with money and riches realize this, they would seem to me like those dragons and griffins of certain regions, who guard from the approach and theft of man a hoard of gold and precious stones — which are completely useless to these beasts unless they take pleasure in looking at such things.” (De vol. I,xxvii,l, S. 92)

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  127. Für Vegio ist weibliche Schönheit Paradigma und Helena deren Exemplifikation (De vol. I,xix, S. 921). Aber Vegio selbst besitzt für Valla als Genußmensch weibliche Attribute; in ihrer Affekitvität wie im Bemühen um Gefallen ist die Rhetorik feminine Sprache’, steht gegen Arbeit und Härte des Begriffs, wie sie Männern eher möglich ist, da sie leichter zu Enthaltsamkeit in der Lage sind (De vol. I,xlv,9, S. 126). Freilich scheint der „amor veritatis“ (De vol. III,iii,3, S. 224) nur durch den Trick vermittelbar, daB die Präsenz irdischer Schönheit „nullo velata integumento” (De vol. I,xx,2, S. 98) als Integumentum der transzendenten Motivationsbegriffe mißbraucht wird, weil auch das begriffsmächtige Individuum letztlich doch „laboribus fructum spere{t)“ (De vol. III,vii,2, S. 262), — wenngleich es die Freuden des animal wegen ihrer Vergänglichkeit und aus Furcht vor ewiger Tristesse scheut.

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  128. Zunächst preist Vegio die Schönheit Helenas und kritisiert den Besitzanspruch Menelaos’, der allein den trojanischen Krieg verursacht habe (De vol. I,xvii, S. 931f.) Valla erwähnt an anderer Stelle Gorgias namentlich (De vol. II,ix,2, S.157), bezieht sich aber nicht explizit auf dessen Helena-Rede. Nicht Schönheit, sondern das Verlangen nach ihr ist Kriegsgrund: ,,Formosi non fere pugnant illi quidem, sed tarnen, quod magis est, pro pulchris rebus in bello decernitur.“ — „Those who possess beauty do not themselves conduct war, but, what ist more important, wars are fought to obtain beautiful things.” (De vol. I,xix,2, S. 94). Der Epikuräer Vegio identifiziert Schönheit und Begehren; folgerichtig optiert er für eine Intensivierung des Austauschs und klagt das ,Verbrechen’ der Jungfräulichkeit an (De vol. I,xly, S. 122f.). In der Aufhebung des Stoa-Epikurismus-Gegensatzes der ersten beiden Bücher löst Antonio den Begriff der Schönheit vom irdischen Gegenstand der Begierde, indem er ihn durch die Vorstellung englischer Schönheit überbietet und den ,apetitus feminarum’ (De vol. III, xxii,3, S. 292) als Gefährdung und dem Sekuritätsbedürfnis des Subjekts widersprechend behauptet (De vol. Ill,xxiif., S. 290ff.). Lust auf weibliche Schönheit erscheint — wie diese selbst im Vergleich zur englischen — als ,deformitas’ (De vol. III,xxiii,6, S. 294). Damit wird Schönheit zum transzendenten Attribut, ihre Erscheinung in den Dingen zum defizienten Modus ihrer selbst (ihres Begriffs) und die ästhetischen Kontemplation vom Begehren getrennt. Hatte der Epikuräer noch für die (Statue einer) unverhüllte(n) Diana als legitimes Lustobjekt Actaeons votiert (De vol. I,xx,2, S. 98) und gefordert: „Qui pulchritudinem non laudat hic auf animo auf corpore cecus est et si oculos habet, illis orbandus quos se habere non sentit.“ — „Anyone who does not praise beauty is blind in either his soul or his body, and if he has eyes, he ought to be deprived of those organs that he is not aware of possessing.” (De vol. I,xx,3, S. 98); so wird jetzt mit der Engelsschönheit erneut eine pulchritudo gefordert, „[...) inquam non que libidinem incederet, sed que extingueret et sanctissimam quandam infunderet religionem.“ „[...] a beauty, [...J, that does not inflame but extinguishes lust, and infuses a most sanctified religious awe.” (De vol. III,xxiii,6, S. 294)

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  129. Et negabit aliquis mares feminasque ideo conspicuos nasci presertim in mutuam benivolentiam proclives nisi ut videndo, una contubernium habendo ac simul vitam traducendo oblectentur?“ (De vol. I,xx,3, S. 98)

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  130. primum quidem est ut malo careas, periculis, solicitudinibus, laboribus; sequens ut ameris, qui est fons omnium voluptatum.“ (De vol. II,xv,6, S.172)

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  131. qui nobis nocent eos odio, qui prosunt hos amore prosequimur.“ (De vol. II,xxii,6, S. 182)

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  132. Gegen Catos virtus-Ideal gerichtet, formuliert Vegio: „Idem enim utile est quod voluptuosum, rectum quod honestum, licet aliqui sint qui utile a voluptuoso separent, [....] Quid enim utile vocabitur quod non sit auf honestum auf voluptuosum? Nihil est utile quod non sentiatur; quod autem sentitur auf iocundum auf iniocundum est.“ — „For the expedient coincides with the pleasurable, whereas the rigtful coincides with virtue; although there are some who distinguish the advantageous from the pleasurable, [...) What indeed would be called advantageous, or profitable, if it were not either rightful or pleasurable? Nothing that does not couch our senses can be advantageous; what we can feel or sense is either pleasurable or not pleasurable.” (De vol. I,xiv,1, S. 88)

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  133. ea demum dicenda utilitas que auf citra damnum auf certe ipso damno maior est.“ (De vol. II.xv,3, S. 170)

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  134. miserationem nobis natura communem cum ceteris animalibus dederit.“ (De vol. Il,xxi,4, S. 178)

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  135. Vgl. De vol. II,xvi, S. 172f.

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  136. Quomodo igitur, inquies, si dementia ad honestatem non refertur, refertur ad voluptatem? Quod presens illa redditur mercer, quod ex hoc quod succurrunt capiunt voluptatem.“ — ,,,How then,’ you ask, ,can mercy depend on pleasure, if it does not depend on virtue?’ It depends on pleasure in the sense that it gives an immediate reward, if those who give aid receive pleasure.” (De vol. II,xxi,6, S. 180)

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  137. Assuescendum est itaque quotidianis experimentis, ut sciamus ex hominum commodis delectari annitendumque ut ab illis amemur.“ (De vol. Il,xvi,3, S. 174)

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  138. Vgl. De vol. II,xxxiv,l, S. 226.

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  139. Etenim ipsi legum latores, ut qui essent auf reges auf viri in civitate primarii, ne quid de ipsorum imperii magnitudine, stabilitate, tranquillitate deperiret (missam facio gloriam), leges condiderunt, tum invitantes premiis animos ad prestanda commoda patrie tum deterrences suppliciis ab importandis incommodis.“ (De vol. Il,xxiii,l, S. 184)

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  140. De vol. I,x1,1, S. 118.

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  141. Communitas autem et paritas inter homines parens est benivolentie et pacis.“ (De vol. II,viii,8, S. 154) Ideal gesellschaftlicher Verfassung ist der oikos des himmlischen Jerusalem, wie ihn Antonio im zweiten Teil des dritten Buches seinen Zuhörern vor Augen führt (De vol. III,xxivf., S. 297ff.). Auch dieser ist zwar sowohl patriarchalisch (vgl. De vol. III,xxv,13, S. 310), als auch ständisch (vgl. De vol. III,xxv,6, S. 308) strukturiert, doch bedingt die Asymmetrie persönlicher Attribute dort keine Konkurrenz und der Besitz von Tugenden ist nicht mehr mit Arbeit verbunden (vgl. De vol. III,xxiv,4, S. 296f.). Antonio beschreibt die Mechanik einer Gesellschaft universellen und äquivalenten Tausches, in der subjektives Vermögen mit öffentlichem Bedürfnis und persönliches Interesse mit dem allgemeinen zusammenfällt — beschreibt also bürgerlich-egalitäre Utopie — im Paradigma ästhetisch-visueller Wahrnehmung. Dort sind die Imponderabilien der Existenz abgelegt, schöne Identität (forma) ist gewiß, und Genuß kann präsent sein, weil die Sorgen der Zeitlichkeit und damit die Bedingungen kalkulatorischer Rationalität entfallen: „Iam cimes formam amittere, doles amissa vel imminuta, in ipsa quoque amicula cuius specie auf aliqua commendatione delectaris nunquam securus es, times ne quis tibi preferatur, ne quis socius adiungatur. Nihil harem in celo est ineptiarum, nihil harem molestiarum. Tibi tua pulchritudo iocundissima est nec minus aliorum, vicissim;psis aliis eque tua ac sua, sine invidia, sine emulatione. Audacter dixerim ut quisque pulcherrimus, ornatissimus, beatissimus, ita maxime ceteros omnes gaudere atque letari. Quare non dubitaverim dicere singulorum bona cum universis esse communia.” — „You already are afraid of loosing your looks {formam); you are pained if they are lost or diminished; you are never shure of the very girl friend in whose beauty and its praise you take delight; you are afraid that she will prefer someone to you, that another will join you in loving her. But in heaven there will be none of these absurdities and troubles. For you your good looks will be no less completely a source of joy than those of others, and in turn to others your beauty and theirs will be equally a cause of happiness, without envy or simulation. I dare to say that whoever is most beautiful, adorned and blessed will give the most joy and happiness to all the others. Hence I maintain without doubt that the goods of the individual and of the whole are here identical.“ (De vol. III,xxiii,9, S. 296) In Kürze: Die Identität allgemeiner Motivationsbegriffe ist gesichert, weil Konsistenz der Verhältnisse und Reziprozität des (ästhetischen) Warentausches bloß subjektivistisches Interesse durch je subjektives Interesse am allgemeinen Kommerz usurpieren. Kalokagathie des homme formuliert die Utopie des Warenverkehrs. (Zur Ablösung des oikosKonzeptes in der Renaissance vgl. Bauer/Matis, Geburt, S. 43ff.; zur Geltung vgl. Burke, Renaissance, S. 251ff.)

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  142. Etenim non solum leger, [...), ad utilitatem que voluptatem pant invente surit, vrum etiam urbes ac civitates. In quibus, quod ad magistratus pertinet, nemo unquam princeps, administrator, rex delectus est nisi ex quo sibi magnam expectarent homines utilitatem.“ (De vol. II,xxvii,1, S. 220)

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  143. Vgl. De vol. I,xxiii,2f., S. 103; De vol. I,xlviif., S. 128ff.; De vol. II,xxviii,22, S. 208 u. De vol. III,xxiv, 15, S. 303.

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  144. Vgl. De vol. III,v, 7, S. 255.

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  145. quod enim Deus praesciscit aliquid ab homine faciendum, ut id facias nulla necessitas est, quia voluntate id facis: quod autem voluntarium, hoc nequit esse necessarium.“ — „Daß nämlich Gott etwas, das von einem Menschen getan werden wird, vorherweiß, bedeutet nicht, daß es mit Notwendigkeit getan wird, denn es wird willentlich getan. Was aber willentlich ist, das kann nicht notwendig sein.” (De lib. at. 233ff., S. 78)

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  146. contemplari nihil aliud quam progressionem esse discendi, quarr eandem turn cornmentationem turn excogitationem dicimus, quod hominum est non deorum.“ (De vol. II,xxviii, S. 201) „[...) ut virtutum actio ira et contemplatio laborosa est, [...)” „Briefly, contemplation, like virtuous action, is laborious.“ (De vol. II,xxviii,16, S. 205)

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  147. Vgl. De vol. III,iv, S. 237ff.

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  148. Die Maxime lautet: „{...] ne minora bona maioribus temeritate aliqua anteponamus.“ — „LA we should be careful not to put lesser goods ahead of greater ones for some rash motive.” (De vol. II,xxvii,4, S. 196) Die Fähigkeit zur Wahl ist flit Valla Spezifikum menschlicher Praxis (vgl. De vol. I,xxvii,l, S.110f.).

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  149. Hoffnung überwindet die Kairologie der Lust und ersetzt sie durch die Linearität absoluter Motivationsbegriffe (vgl. De vol. III,viiif., S. 262ff.).

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  150. Explicemus autem quid proprie sit contemplatio et quidem auctore philosophorum Principe Pythagora. Is inquit cos qui ceteris rebus pro nihilo habitis rerum naturam studiose intuerentur, simillimos esse illis qui ad mercatum profiscerentur qui haberetur magno ludorum apparatu totius Grecie celebritate, non ut exercendis corporibus gloriam et nobilitatem corone peterent, non emendi ac vendendi sed, quod liberalissimum ac maxime ingenuum est, visendi causa studioque perspiciendi quid ageretur.“ — „Let us, then, explain exactly what contemplation is according to Pythagoras, chief among philosophers. He says that those who neglect all else in order to concentrate their attention on the nature of things are like people who, having gone to a fair that is carried on with many athletic contests and is attended by the whole of Greece, do not seek to the glory and celebrity of victory through the exercise of their bodies, and do not seek to buy and sell, but seek to see and examine what takes place there, which is the noblest and most honorable activity of all.” (De vol. II,)xviii,6, S. 198f.)

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  151. Da es Valla um Qualitäten geht, gilt die Maxime: „Nihil recce fit nisi voluntario.“ — „Nothing is done rightly unless it is on a voluntary basis.” (De vol. I,xlv,8, S. 126) auch für Wahrnehmung, denn die Suche nach Konstanten ist ein Resultat der Fixierung des Willens auf Ewigkeit und der Wille zur Wahrnehmung Resultat der Positivierung von Erfahrung.

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  152. Tiere sind „muta atque irrationabilia“ (De vol. II,v,2, S. 250): stumm (eigentlich: unartikuliert) und unvernünftig; ihre Wahrnehmung ist von Natur aus auf das für die Arterhaltung Notwendige beschränkt, ihre Handlungen folgen dem Instinktschema von Reiz und Reaktion. Zwar reagieren sie nach dem Lustprinzip, zur Wahrnehmung oder gar Vermittlung von Lust — zur ,oblectatio’ — sind sie jedoch nicht fähig (vgl. De vol.I,xxvii, S. 110). Dazu bedarf es menschlicher Willensfreiheit; sie findet ihren Niederschlag in Sprache, die dem Menschen eigentümlich und natürlich — „proprium at naturale” (De vol. I,xxiv,3, S. 106) —, die aber in ihrer Konkretion — als Akt — den Bereich des Natürlichen übersteigt: „Loqui enim ipsa natura non possumus, [...3“ — „For by the power of Nature alone we cannot speak a language [...3” (De vol. I,xii,4, S. 78) Willensfreiheit als Freiheit-von-Natur bestimmt den Menschen als zoon logon echon, indem sie den Kausalzusammenhang instinktgeleiteten Verhaltens durchtrennt und an seine Stelle eine — idealiter freie, realiter konventionelle — Relation von externem Stimulus, rezeptiver Potenz und idealiter subjektivem, realiter: konventionellem Urteil — kurz: eine Zeichenrelation — setzt. Auch Sprache ist dabei wesentlich qualitativ zu verstehen: Als Fähigkeit, Empfindungen Ausdruck zu verleihen („loqui sensa“: De vol. I,xxiv,l, S. 104).

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  153. complures res esse que appelationibus carent, {...3“ — „t...3 there were very many things lacking names, [...3” (De vol. III,iv,6, S. 238)

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  154. ut absurdum sit , [...3, que tempus distraxerit es sub uaum tempus velle coniungere.“ (De vol. III,iv,8, S. 238; vgl. De vol. III,iv,11, S. 240)

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  155. Quod si quando hoc faciendum essec, malem ut faceremus in nobis, non quia velim nos esse inquios in normet iudices, sed ne forte nos amor nostri fallat. Certe cum de alüs iudicamus, ne qua tacita invidia auf odium a cognoscenda iusticia nos auf veritate diducat, in melior semper partern iudicium nostrum propendeat [...3“ — „If sometimes we must put the worse construction upon actions, then I should prefer us to do it to ourselves, not because I want us to be unfair judges of our own behavior, but so as to avoid being deceived by self-love. To keep hidden envy or hate form distorting our perception of justice or truth when we are judging others, our decision should always incline toward the more benevolent interpretation, [...3” (De vol. III,iv, 30, S. 250 )

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  156. Vgl. De vol. III,iv, S. 236ff., bes. 23–25, S. 246.

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  157. Quotidiana enim et communia non appetitum movent sed fastidum et gaudemus insuper superare que obstabant.“ — „Common and everyday things arouse not desire but aversion, and we especially rejoice in overcoming obstacles.” (De vol. III,v,10, S. 254; vgl. III,vi,1, S. 258)

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  158. Die Maxime lautet: „Ad futuram felicitatem semper animum extendito.“ — „Always let our spirit stretch out in the direction of the future happiness.” (De vol. III,xxiii,8, S. 294) Denn: „Itaque, cum non credimus ea que de futuro regno predicantur, non optamus ills que pro falsis ducimus.“ — „Thus, when we do not believe what is preached concerning the kingdom to come, we do not desire these rewards because we consider them false.” (De vol. III,xx,2, S. 286 — vertauscht mit 288!)

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  159. Vgl. De vol. Il,viii, 6, S. 264.

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  160. Den zweiten Teil seiner Rede, die Vorstellung des himmlischen Jerusalem, bezeichnet Antonio als „[...3 sermo{.3 de premiis christianorum“ [...3 — „[...3 discourse on the rewards of Christians.” (De vol. III,xvi,4, S. 282)

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  161. Similis est anima hominum, inquis, anime brutorum. Quid similius quam lumen stellarum lumini lucerne? Et tarnen hoc mortale est, illud eternum. Ira anima, quam prisci dicebant esse flammei vigoris, alia est hominum alia brutorum. Tu comparasti actionem cum actione, ego substantiam cum substantia.“ (De vol. III,vii, 4, S. 260 )

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  162. Agedum figuremus animis atque fingamus quod oculis cernere non possumus.“ (III,xxi,1, S. 286 — vertauscht mit 288!)

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  163. Opereprecium tarnen erit ut imaginari temptemus. Nam cum excogitaverimus optimum quendam beatudinis (prout imbecillitas ingenii fert) statum, pro quo assequendo milies, ut aiunt, mortem oppeteremus, debet intelligi quantum pro illo annitendum sit cuius ne mimimam quidem pattern complecti mens humana sustineat. Hec cogitatio facit ut nunquam ab illius desidero avocemur, [...1“ (De vol. III,xx,1 (S. 286 — vertauscht mit 288!)

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  164. Vgl. De vol. III,xx,2, S. 286 — Vertauscht mit 288!

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  165. Valebit autem hec res simul ad infundendam illis fidem, simul ad augendam in nobis spem atque caritatem. Temptabo igitur [...) que in animo meo agitate soleo promam.“ (De vol. III,xx,2, S. 286 — vertauscht mit 288!)

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  166. Für Valla ist die translative Sprache der Bibel Modell einer Sprachform, in welcher der Gegenstand die menschliche Möglichkeit adäquaten Verständnisses und angemessener Wiedergabe übersteigt, die aber dennoch die Spur seiner Kraft und Wertigkeit — Überzeugungskraft — bewahrt. „De Evangeliorum maiestate vix audeo dicere. Que omnia dum legimus, nescio in quem tunt altiorem locum animo suptollimur et inenarrabili quadam nos occupari suavitate sentimus.“ — „Concerning the majesty of the majesty of the gospels, I hardly dare to speak. While we are reading those things, we are transporter in mind into I know not what loftier place, and we feel ourselves filled with some ineffable sweetness.” (De vol. III, xviii,4, S. 288 — vertauscht mit 286!) Da der Gegenstand „[...) sub intellectum non cadat, [...)“ — „[...) cannot be intellected, [...J” (De vol. III,xix,2 S. 289 — vertauscht mit 287!) muß diese — noch — sakrale Version des Kunstgenusses ihren Gegenstand auf Umwegen bedeuten: „Quantus illius [Deus) in nos amor est quern huiusmodi significavit documento? ut inenarrabile sit quid per hanc rem sperare iubeamur. Ideaoque videmus de his rebus per allegorias et enigmata fieri mentionem, quod declarabat Moyses cum ad populum velata facie loqueretur.“ — „How great is his [Gods) love for us, who has given us this proof of it? So that we are told to hope for through it cannot be expressed. Thus we see that these things are indicated through allegories and mysteries, as Moses showed by addressing the people with his face covered.” (De vol.III,xviii,4, S. 288 — vertauscht mit 286!)

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  167. Vgl. De vol. III,Prooem., S. 228f.

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  168. Antonio präzisen die Lichtmetaphorik des Wahrnehmungsparadigmas: „De unius non de invicem se intuentium oculis loquor.“ — „I speak of the eyes of one person, not of two persons looking at each other.” (De vol. III,xiii,l, S. 274) Diese Monologie der Wahrnehmung in Gott als dem Autor der Natur wie der (naturtranszendenten) Motivationsbegriffe und als Ursache ihrer Aktualität wird durch den Kontext des Zitats noch deutlicher: „Quod videtur non id est quod videt, nec quod videt ipsa res est que videtur. [...) In Deum hec ambo concurrunt qui et nos produxit ex nihilo aptos bonis fruendis ut se plus quam nos amare debeamus, et hec ipsa suppeditavit bona.“ — „What is seen differs from what sees; and the entity that does the seeing is not the same as the seen one. [...) Both these elements concur in God: he created us from nothing, ready to enjoy good things, so that we ought to love him more than ourselves, and it was he who also supplied these same good things abundantly.” (Ebd.) Im Schwerpunkt des Dreiecks qualitativer Wahrnehmung Subjekt-Objekt-(emotives)Zeichen — wacht das Auge Gottes.

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  169. De vol. III,xxvii,3, S. 320.

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  170. imperatrice [...) et [...) regina“ (De vol. I,x,3, S 74).

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  171. De vol. II,xxxii,2, S. 220.

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  172. De vol. I,xlvii,2 u. 3, S. 130.

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  173. De vol. I,xlviii,l, S. 13o.

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  174. De vol. I,xxii,3, S. 100.

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  175. De vol. III,i,1, S. 228.

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  176. magna vis orationis in delectando est.“ (De vol. I,Prooem., S. 52)

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  177. Vgl. De vol. I,xii, 11, S. 86.

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  178. At orator muftis et varus rationibus utitur, allen contraria, exempla repent, similitudines comparat et cogit etiam latitantem prodire veritatem“ — „The orator makes use of many different procedures: he brings in contrary points, seeks out examples, makes comparisons, and forces even the hidden truth to appear.” (De vol. III,xii,6, S. 272; vgl. I,xiii,12, S. 86)

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  179. Vgl. De vol. IIl,vii, 2–4, S. 258f.

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  180. Vgl. De vol. III,iv, 15, S. 242.

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  181. Vgl. De vol. I,xiv,l, S. 88.

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  182. Vgl. De vol. III,iv,16, S. 243 u. III,Prooem., S. 228f.

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  183. Vgl. De vol. I,xxiii, 3, S. 100.

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  184. Vgl. Anm. 166.

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  185. Vgl. De vol. III,xv, 1, S. 278.

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  186. Etsi nulli dictis inventi fuissent honestatis amatores, nos tamer anniti debere ut tales si-mus, sicut veterum plerique fecerunt qui cum nullum sapientem repertum putarent, tarnen ut sapientes forent elaborabant. Recta sane ratio si de assequendis artibus preciperes, in hoc tarnen loco respuenda. Nam cum fateamini veteres elaborasse ut sapientes forent idque consequi nequivisse, ab eoque longissimo intervallo abfuisse, spem nobis affertis isto exemplo posse nos evadere sapientes, an timorem id non esse temptandum quod effici omnino non possit? {...] Preterea, in ceteris artibus qui superiores vincere contenderant fere semper ali-quid effecerunt. Nunc autem, cum nemo unquarn ne minimum quidem honeste egerit, non est quod consulas appetendam honestatem quam intellegis veteres vel non potuisse consequi vel noluisse. [...] Cum iam probatum sit honestatem rem inanem et imaginariam esse.“ (De vol. II,xxiv, l f., S. 186)

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  187. Die varietas scheint anthropologisch zunächst eher negativ, da sie auf kreatürlicher Unrast basiert (vgl. De vol. I,xiii,9, S. 84 u. I,xxxvi,l, S. 116) und damit vom der Betrachtung des wahren Guten ablenken könnte. Aber schon Vegio weiß die Verschiedenheit der Phänomene nicht als Durcheinander, sondern als differente Manifestationen (oder Inkarnationen) eines Prinzips zu deuten und formuliert dabei ex negativo die Bedingung der Metaphysizierung der varietas wie deren Gefahr: „(...) rerum parens natura feminis multis dedit faciem, ut inquit Terentius, honestam ac liberalem. Quarr ob causam, queso? ut ornamento illas afficeret an ut contumelia? Ut hoc dono ille fruerentur an nihil curarent? Certe ut fruerentur atque gauderent. Alioquin non esset causa cur ita studiose in fingendis vultibus ipsa natura elaborasset. Nam quid suavius, quid delectabilius, quid amabilius venusta facie? Adeo vix ipse in celum intuitus iocundior esse videatur. Cum eo quod aliud quoddam inenarrabile artificium in humanis vultibus cernitur, ut mihi sepe miraculum subeat in tanta ut videmus formosorum vultuum varietate ita tarnen magnam esse pulchritudinis paritatem ut cum Ovidio dicere possimus: ,Copia iudicium sepe morata meum est.’“ — „Nature, the mother of all things, gave many women a face, as Terence says, ,beautiful and generous.’ For what reason, I ask? In order to embellish them or to offend them? So that they would have the use and enjoyment of such a gift or so that they would pay no attention to it? Certainly so that they would use it and delight in it. Otherwise, there would be no reason for Nature to have taken such zealous pains in fashioning their faces. Indeed, what is sweeter, what is more delightful, what is more lovable than a pretty face? Even the contemplation of the heavens would hardly seem more agreeable. It should be added that yet another inexpressible feat of skill can be seen in human faces, so that for me it seems almost miraculous that in so great a variety of beautiful faces beauty should remain constantly sublime. Thus we might say with Ovid: ,Their number has often made my judgment waver.”’ (De vol. I,xx,1, S. 96; die Binnenzitate aus: Terenz. Eunuchus 4.4.15 und Ovid. Ars amatoria 1.98.) Antonio braucht nur noch die Arbeit der natura naturans als Arbeit des Schöpfers zu interpretieren und amplifizieren, um eine Vorstellung himmlischer Freude zu vermitteln: „Aderit itaque varietas splendorum, ornamentorum, oblectationum siquidem cuiusque oculi in sui corporis et aliorum intuenda maiestate pascentur.“ — „There will be a great variety of splendors, adornments, and delights, so that the eyes of each of us will be fed by beholding the majesty of his own body and others.” (De vol. III,xxiv,9, S. 300) Zum Konzept der varietas bei Valla und in der Kunst der Renaissance vgl. Maristella de Panizza Lorch in der Einleitung (De vol. S. 390-

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  188. Sic enim tua me advocavit orario et totum in divine claritatis considerationem transtulit ut noctem nisi significasses [...] advenisse non cognoscerem.“ (De vol. III xxvi,1, S. 318)

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  189. Vgl. Ueding/Steinbrink, Grundriß, S. 212ff.

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  190. Et sunt qui nostram conscientiam, securitatem, tranquillitatem mentis cavillentur, quasi assidue Furiarum faces in vultus atque in oculos nostros intentius in morem Orestis habeamus, cum tam sedatum pecus hominis videant qui et anceacte vite gratias agit et adventantia fata serenis ad placidis oculis intuetur nec aliter mortem habet invisam quam noctis tenebras post solis occasum.“ (De vol. II,xxix,14, S. 214) Zwar wird diese irdische serenitas des Epikuräers durch die himmlische des Christen überboten, doch bleibt der Argumentationsgang gleich. Wichtiges Argument für die serenitas ist, wie Vegio Quintilian zitierend anführt, daß sie die A-Sozialität der Stoiker, deren „vultum et tristitiam et dissentientem a ceteris habitum” — zornige Miene, Melancholie und Exklusivität — meidet (De vol. II,xxix,12, S. 214 nach: Quint. Inst. or. I,Prooem.,15). Die Induktion transzendenter Begriffe muß zwar auf affektive ,Dialektik’ von spes et metus — Hoffnung und Furcht — rekurrieren, aber dieses argumentationsimmanente Affektpaar hat die serenitas des ,Gläubigen’ als Telos.

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  191. Vgl. De vol. I,xliiiff., S. 122: Rede der Jungfrau u. xxiv, S. 104: Wein.

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  192. Et confutavi sive damnavi utrorunque dogma epicureorum atque stoicorum docuique spud neutros arque adeo apud nullos philosophos esse vel summum vel expetendum bonum, (...3 Verumenimvero non est satis ostendisse quod et ubi sit hoc bonum, nisi et quale et quantum sit, prout vires ferunt, explicemus. Nullum enim motum affert animis orario que paucis verbis expedita pretervolat, cum pleraque sint aperienda, illustranda, infingenda, utique ubi magna res agitur. Et si Vegius, cum partes defenderet voluptatis sibi faciendum putavit ut non modo doceret audiences quantum bonum sit voluptas, verum delectare etiam ac movere summo studio elaboravit ut nostros animos ad assentiendum adduceret, nonne erit e dignitate nostri ut ita dicam dogmatis huic cause patronum non deese et a laude perfecfi boni perfecteque voluptatis referenda non supersedere nec tam venerabilem materiam inhonoratam perteriri? Presertim quod suptimeo, id quod in me experior, ne tam accurata et long Vegii orario mentes affecerit. Nam si üs qui diutius in aqua commorati, quamvis postea abstergant artus, tarnen tacitus humor descendit altius arque insedit ira ut corpus egrotare faciat, quid de Vegi sermone suspiciandum est, qui muIcitudin disputationum aures nosrras occupavit, delectatione interius influxit? Viribus veto arque impetu irrupit in affectus intimos arque penetravit et mentem de statu suo pene demovit.“ (De vol. Ill,xv,lf., S. 278; vgl. De vol. IIl,xxvii, 3, S. 320 )

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  193. Das Ingenium dominiert das rationale Denken, da es als Funktion des Willens — und damit des hegemonialen Vermögens der Praxis — den Akt des Denkens initiiert: „(...3 errant qui intellectum voluntatis dominum imperatoremque consrituunt. Ausim dicere nec doctorem quidem ilium esse voluntatis: non docetur voluntas, sed ingenium seipsum laborare suo do-cet í...3: ira ipsum voluntas ducem habet.“ — „Jene irren, die den Intellekt zum Herrn und Beherrscher des Willens aufstellen. Ich möchte es wagen zu sagen, er sei nicht einmal der Lehrmeister des Willens; der Wille wird nicht gelehrt, sondern das Ingenium belehrt sich selbst in eigener Mühe [...}, so hat der Wille das Ingenium zum Führer (De vol. I,664; Übers. nach: Gerl, Einführung, S. 158; vgl. auch: De vol. III,Prooem., S. 228f.). Gerl betont, in Vallas Konzeption sei das Ingenium zwar frei, aber nicht willkürlich: „Vielmehr liegt im Ingenium insofern eine innere Notwendigkeit, als auch der Gegenstand selbst das Ingenium affizieren muß. Erst dieses ursprüngliche Angesprochensein des Ingeniums, das sich als Betroffenheit, als Interesse äußert, ermöglicht die Erkenntnis einer Sache — das bloße Vorhandensein einer materia allein löst nichts aus. Bloßes Vorhandensein ist deswegen ungenügend, weil erst das Ingenium die Bezüge festlegt, unter denen der Gegenstand einen Sinn, und das heißt immer einen Sinn für den Menschen gewinnt.” (Gerl, Einführung, S. 158f.) Valla bestimmt die Tätigkeit des Ingeniums als „exprimere, pingere, repraesentare“ — „ausdrücken, ausmalen, vergegenwärtigen” (II, S. 288); Gerls „ursprüngliches Angesprochensein“ durch den Gegenstand spielt hier keine Rolle; um Mystifikationen zu entgehen, sollen der Begriff des Ingenium und ähnliche mystische Schibboleths des (Wittgensteinschen) ,Irgendwié der Referenz gemieden werden.

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  194. Im Vorwort des ersten Buches nimmt Valla für sich in Anspruch: „novam quandam inivi rationem“ (De vol. I,Prooem.,4); schon zuvor hat er sie als ,medizinisch’ charakterisiert: „Sed placitum est medicos imitari qui cum vident egros salutaria quedam medicamenta recusare, non cogunt illa accipere, sed alia adhibent que minus putant iri recusatum. Ira sepe fit tern-pore ut minora plus at salutem afferant. Qui enim magnorum medicorum remedia respuunt nostra forsitan admittent.” — „I prefer to imitate the physicians, who, when they see the sick refusing health-giving medicines, do not force their patients to take these but offer other remedies that they believe will be less repulsive. Thus it happens that, with time, less strong medicines bring greater health. This is the method I have decided to follow. And those who refuse the prescrpition of the great doctors may perhaps accept our own.“ (De vol. I,Prooem.,2, S. 48)

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  195. Vgl. Anm. 166.

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  196. Ueding/Steinbrink, Grundriß, S. 272.

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  197. Veruntamen ut vobis satisfaciam fingamus anime bona corporalia esse et que futura cunt corpori anime assignemus et ea que posterius ventura suet statim proventura faciamus. ,Nec enim improbum est, ut inquit Quintilianus, pro simili accipi quod plus est.’ Sed ante omnia testandum est nos debere meminisse me ita loqui ut potius ad ea que non dico quam ad ea que dico assequenda contendamus, id est ad beatitudinem anime potius quarr corporis, que tarnen utraque nobis reservantur.“ — „Nevertheless, in order to satisfy you, let us imagine that the soul’s goods are corporeal, and let us assign to the soul what will be the body’s goods, and let us bring it about that these goods will arrive immediately, although they will really come later. ,It is not unreasonable,’ says Quintilian, ,to accept as equivalent what is really more than equivalent.’ But first of all we must affirm the need to remember that I speak the way I do so that we may strive, not for what I mention, but for what I do not mention, namely beatitude of the soul rather than of the body, although both are reserved for us.” (De vol. IIl,xxiv,8, S. 298)

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  198. Ego veto ne cogitans quidem tanta gaudia iam loqui possum, sed hec referens afficior et me perturbari sentio et totus cupiditate illius felicitatis trahor.“ (De vol. IIl,xxv,24, S. 316)

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  199. Vgl. De vol. Il,xxvii, S. 318f.

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  200. Die Bedeutung der Differenz wird im nächsten Abschnitt weiter ausgeführt.

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  201. In der Formulierung Geris: „Die {neben der urbanen) zweite Verwendungsart des Wortes ist ,ländlich’, d.h. Ausdruck der Einsamkeit des einzelnen Menschen noch vor seiner Einordnung in den Gemeinsinn. Dieses Wort fordert das stete Verharren eines Menschen auBerhalb der Gemeinschaft, aber nicht um in die eigene Subjektivität zurückzutauchen und die Gesetzlosigkeit der Willkür anzunehmen, sondern um die Normen des Menschlichen in sich zu vergegenwärtigen — für die Gemeinschaft.“ (Gerl, Rhetorik, S. 188) Kurz: Die Einsamkeit soll das partikulare Subjekt zur Figuration des Humanen läutern: Das Subjekt wird identisch mit dem Begriff des Subjekts.

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  202. Während die Möglichkeiten der Sprache und des Wissens in ihrer Positivität den göttlichen Erbteil des Menschen in seiner Freiheit darstellen, ist das Lachen seine kreatürliche Mitgift: Die Möglichkeit zur Negation als Freiheit von Determination, wie sie in der Fähigkeit zur Zurückweisung einer Rede — in pathetischer Distanzierung — Ausdruck findet: „Du (Cato) schienest etwas (den Stoikern) Ähnliches zu sagen, als du auch gerade das Lachen tadeltest, so daß du nicht nur den schönsten Teil jener Kunst, um die du dich mühst und die dich schmückt, abschneidest, nämlich vom Scherzen, sondern dies sogar verurteilt hast, was uns die Natur in einziger Weise vor den übrigen Lebewesen gewährt hat. Denn sprechen können wir von Natur aus nicht, wohl aber lachen.“ — „Quorum simile quiddam dicere visus es, cum ipsum quoque risum reprehendebas ut non modo pulcherrimam pattern artis, cui studes, and quae to ornat, id est de rediculis amputaris, sed id quod singulare nobis praeter caetera animalia natura induisit, damnaveris. Loqui enim ipsa natura non possumus, ridere possumus.” (I, 908; Übersetzung nach: Geri, Rhetorik, S. 132) Hier dürfte eine Kardinalstelle für das Verständnis der Lachkultur der Renaissance vorliegen; die Tradition, in der sie steht, reicht — nimmt man die aristotelischen Andeutungen und die sophistischen Pragmata einmal aus — zumindest zurück zu Ciceros ausführlicher Erörterung des Lächerlichen in De oratore. — Kernsatz: „Wenn man jedoch bei jener Art beständig heiterer Laune kein System fats) braucht — die Natur formt ja die Menschen und macht sie mit Hilfe des Gesichtsausdrucks, der Stimme und sogar der Redeweise zu witzigen Nachahmern und Erzählern —, wo bleibt dann erst bei dieser anderen Art, dem Wortwitz, noch Raum für ein System [arsi?“ — „Sed cum illo in genere perpetuae festivitatis ars non desideretur (natura enim fingit homines et treat imitatores et narratores facetos adiuvante et vultu et voce et ipso genere sermonis) turn vero in hoc altero dicacitatis quid habet ars loci, cum ante illud facete dictum emissum haerere debeat, quarr cogitari potuisse videatur?” (De or. II, 219) Schon bei Cicero war das Lachen nicht methodisch zu sistieren und zu limitieren; einzig die Negation seiner negierenden Kraft durch Affirmation der Sozialität, durch den Willen zur Schonung der Würde (gravitas) anderer Personen wie der eigenen Person (vgl. De or. II, 229), kann ihm Einhalt gebieten. (Die Position der Sozialität ist Negation der Negation des Lachens. Oder: die Welt ist der Ernst der homerischen Götter.) Die Wirkung der Konzeption reicht, theoretisch vermittelt über Shaftesburys ,test by ridicule’, bis ins 19. Jahrhundert. (Wobei ihr Zusammenhang mit der Gattung des Prosaromans — Was ist ,Don Quichote’ anderes als ein ,Test? — nicht in Betracht gezogen ist.)

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  203. Ein ,geschwätziger Dichter’ ist eine contradictio in adiecto, i.e. kein Dichter, denn ,Geschwätzigkeit’ ist als Verfehlung des Erhabenen die Negation des ,Dichters’. Der Geschwätzige wird zum Thema des ridicule, das selbst eine Form des genus medium — des ethos — darstellt und damit zum Ziel des Rhetors. (Die ganze Konzeption gemahnt an Pseudo-Longin, doch erschien ein Druck der Schrift Vom Erhabenen erst 1554; zuvor ist, wie Otto Schön-berger im Nachwort zur einer deutschen Ausgabe [Stuttgart 1988) anführt, ein Einfluß kaum spürbar. Der Frage, ob Valla Longin kannte, oder hier eine Kongruenz gedanklicher Konzepte vorliegt, die ihrerseits die spätere Konjunktur Longins iniziierte, kann an dieser Stelle nicht weiter nachgegangen werden.)

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  204. Vgl. I, 997f., Übers. nach: Gerl, Rhetorik, S. 189ff. Erst die Hypostase der Möglichkeit wahrer Sprache legitimiert die poetische ,Verrücktheit’ in ihrem Anspruch.

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  205. De vol. III,vii,3, S. 258.

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  206. Sie [die Rhetorik) erfreut sich ja daran, im weiten Meer und in den Wellen sich zu tummeln und mit schwellenden und rauschenden Segeln dahinzuschießen; sie weicht den Fluten nicht, sondern gebietet ihnen: ich spreche von der höchsten und vollendeten Beredsamkeit“ — „Nanque [eloquentia[] lato mari medi jisque in undis vagari and tumidis ac sonantibus velis volitare gaudet, nec fluctibus cedit sed imperar, de summa and perfecta loquor eloquentia.” (I, 694; zitiert nach: Gerl, Rhetorik, S. 230; vgl. I, 963, Übers. nach: Gerl, Rhetorik, S. 175) Das Bild der Hochseefahrt ist topisch, Quintilian benutzt es im Vorwort des 12. Buches (2–5) und postiviert damit die von Cicero (De or. III, S. 145) noch Gefahr bedeutende Wendung (zur mittelalterlichen Tradition vgl. Gerl, Rhetorik, S. 89f.).

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  207. Sed memento non esse semper habendam auctoribus fidem qui ersi plura bene dixerunt, nonnunquam tamen more hominum lapsi sunt. Itaque stultissimum reor esse quisquis se to-turn libris credit et non illos an vere dicant examinat diligenter; et hoc cum in ceteris rebus turn precipue in virtutibus, quibus constat omnis ratio vivendi.“ — „But remember that we do not always have to take the authorities’ word. Although they were right many times, yet, being human, they erred. I therefore consider anyone most foolish who entrusts himself entirely to books and does not examine them carefully to see whether they tell the truth; and although it is necessary to do this in all cases, it is particularly important in reference to the virtues, on which the whole design of our live depends.” (De vol. III,iv, 2, S. 236 )

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  208. Dabei ist sich Valla bewußt, daß die Kenntnis der Geschichte auf eine elitäre Gruppe beschränkt ist (vgl. De vol. II,ix,9f., S. 158); er selbst gesteht (in der „Maske’ Antonios) der Antike zwar die Ausarbeitung der „litteras“, der „studia doctrinarum” und — als Wichtigstes — der „scientia dicendi“, nicht jedoch „sapientia” und „agnitio virtus“ zu (De vol. III,vii, 5, S. 260 ).

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  209. Vgl. De vol. III,x, lf., S. 266f.

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  210. Die Auseinandersetzung von Imperium und Sacerdotium ist nicht spezifisch oder kausal zu verstehen, sondern als Benennung des Prozesses der Herausbildung eines — wie man bei Valla erkennt: cum grano salis — säkular fundierten Sprachspiels. Dabei ist freilich in Betracht zu ziehen, daß das Recht in spätmittelalterlicher Episteme unter das Gebiet der Rhetorik fällt (vgl. Brinkmann, Hermeneutik, S. 16). Valla (Antonio) erkennt explizit an: „[...3 cum essec a principio alia quedam ratio serviendi rebus divinis alia terrenis [...)“ — „[...1 because there was from the beginning one sec of criteria for observing divine requirements and another for earthly ones, [...)” (De vol. III,ix,1, S. 264) Bezeichnenderweise ist Antonio da Rho oder Raudensis selbst Franziskaner (vgl. De vol. I,i,1, S. 52; zum Personal von De vol. vgl. De Panizza Lorch. In: De vol., S. 20ff.).

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  211. Zum sozialgeschichtlichen Hintergrund vgl. Burke, Renaissance, S. 223ff., bes. S. 234 zum ,Mythos der Demokratie’.

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  212. Vgl. Anm. 31.

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  213. Eine kurze inhaltliche Konturierung der ,humanitas’ bietet De vol. III,iv,15, S. 242.

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  214. tunt ab his omnibus ad omnes disciplinas latine scriptas tamquam ad optimam mercimoniam properatum est [...) ut illius (nummi) beneficio omnes omnia, quae usquam essent, mercari et sua ipsi alüs venditare possent, sic acepta lingua latina velut aureo nummo nationes cuncta, quae apud alios scripta erant, discere potuerunt et sua vicissim docere, cum an-tea nihil aliud legerent, nisi quod a popularibus suis compositum essec.“ (II, 283; zitiert nach: Gerl, Rhetorik, S. 239) Valla selbst beruft sich im Sprache-Münze-Vergleich auf rhetorische Tradition: „[...) cum tota sit ilia Quintiliani disputatio de laude consuetudinis loquendi adversus analogiam, de quarum utraque ita ait: Consuetudo veto certissima loquendi magistra, utendumque plane sermone, ut nummo, cui publica forma est.” (I, 385) — bei Gerl abweichend als: „Denn wer weiß nicht, daß sich der größte Teil des Sprechens auf Autorität und Gewohnheit stützt, worüber Quintilian folgendes sagt: Die Gewohnheit ist die sicherste Sprachlehrerin; man muß die Sprache weitgehend gebrauchen wie eine Münze, deren Prägung öffentlich ist.“ — „Nam quis nescit maximam loquendi partem autoritate niti and consuetudine, de qua ita ait Quintilianus: Consuetudo est certissima loquendi magistra, utendumque plane sermone, ut numero cui publica forma est.” (Ausgewiesen als: I, 385; zitiert nach: Geri, Rhetorik, S. 209)

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  215. Der Sprache eignet Wertcharakter: typologisch benennend und exemplifizierend selektiert sie Handlungen. (Interessant wäre ein Vergleich mit der Sprachtheorie de Saussures, in welcher der Wertcharakter der langue als selektive kognitive Handlung gefaßt wird.)

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  216. Obwohl sie historisch eher Krisenindiz zu sein scheint — und Vallas Rhetorikideal Geschichtsklitterung: wie die Sophistik Krise der traditionalen Gesellschaft ist, steht die ciceronianische Rhetorik für die Krise der Republik und die quintilianische für die Krise des Imperiums. Die ideale civitas mit der ersehnten pax romana changiert zwischen Republik und Imperium, meint aber auf jeden Fall Zeiten, in den die Rhetorik keine exemplarische Formulierung findet.

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  217. Vgl. Burke, Renaissance, S. 255ff. u. Bauer/Matis, Geburt, S. 88ff.

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  218. Inhaltlich wird der Begriff der ,verisimilitudo’ im nächsten Kapitel erörtert werden.

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  219. Die ,qualitative Perspektive’ ist nicht aus der Summe der Argumente zu verstehen; gegen das Ideal kompilatorischer Vollständigkeit setzt Valla auf die qualitative Kohärenz einer selektiven Argumentation: „Quod si qua videbuntur non esse dicta que dici potouissent, hec mea ratio est ut que maxime necessaria videntur attingam, cetera non tam omittam quarr sub illis maioribus significata hominum estimationi relinquam. Ut soient facere qui magnam vim pecunie solvunt; non annumerant illam recipientibus sed appendunt, [...)“ —„And if the reader sees that some things that could have been said have not been said, let him note that my method is to touch on the matters that seeem absolutely necessary, and not so much to omit the rest as to leave it to men’s appraisal, as having been already signified under those major points. The payers of a great sum of money are accustomed to acting similarly: they do not count it but weigh it out to the recipients; [...3” (De vol. II,Prooem.,5, S. 134)

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  220. Bei Valla hat diese Konzeption keinerlei auf Naturwissenschaft weisende Konsequenz; nichtsdestoweniger bildet die Sistierung einer säkular argumentierenden Perspektive eine notwendige Voraussetzung naturwissenschaftlichen Denkens.

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  221. Dies scheint der weiter unten getroffenen Feststellung, daß die Renaissance nicht über einen kanonischen Naturbegriff verfüge, zu widersprechen. — Und in der Tat, sie verfügt über keine Definition (kann dies konzeptionell auch nicht!), aber sie bedeutet die Natur als das Ganze eines begrifflichen Zusammenhangs, der identisch mit Praxis ist: Die Sprachtheorie ist teleologisch auf Verbegrifflichung ,der Natur’ ausgerichtet; deren Begriff muß leer bleiben, weil er die Bezeichnung der absoluten Fülle ist.

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  222. Vgl. De vol. III,xxiv,15ff., S. 302f.

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  223. Zur immanenten Geschichte der wissenschaftlichen Methode vgl. Mittelstraß, Neuzeit; zum Methodenbegriff und zur Verlaufsform ihres logischen Extrakts: Risse, Logik.

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  224. Vgl. De vol. III.xxvii, 3, S. 320.

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  225. Agrestitas’ wird explizit abgelehnt (vgl. De vol. I,xii,2, S. 102 u. I,xxvf., S. 108ff.).

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  226. Valla ist dem rhetorischen Kultivierungsideal verpflichtet. Aber Dichtung ist nicht mehr, wie im Mittelalter, eine wie andere artes auch, oder eine Vorbereitung zu oder Nebenform allgemeiner praktischer eloquentia (vgl. Brinkmann, Hermeneutik, S. 14ff.). Nachdem der Rhetor als urbane Schwalbe, der Poeta als waldbewohnende Nachtigall beschrieben ist, gewichtet Guarino die Differenz ihrer Produkte nach dem Selbstverständnis letzterer: „Ita quantum luscinia in cantando hirundini prestat vocalitate, vi, suavitate, varietate, tantum poete vocem ipsorum oratoribus ceterisque prestare voluerunt.“ — „Thus as the song of the nightingale surpasses that of the swallow in harmony, volume, sweetness, and variety, so the poets meant that their voice surpassed that of the orators or of others.” (De vol. III, xxvi,4, S. 320) Zwar weigert er sich, ein absolutes Urteil zu fallen, erkennt aber situativ die Aussage an. Dieser emphatische Rekurs auf Natur wie er in der Postivierung des Begriffs ,silvâ , traditionell Bild jenes ,Gestrüpps’ von Verworrenheit und Unordnung, das der Gründerheros rodete, Ausdruck findet, ist der Rhetorik fremd. Kultivierung heißt nun nicht mehr Überwindung, sondern Zähmung der Natur. Damit wird Herkules durch Orpheus verdrängt. (Zu Orpheus in der Renaissance vgl. Burke, Renaissance, S. 166ff.) Valla freilich feiert — seinem Selbstverständnis als christlicher Streiter entsprechend — nicht die antike Sagengestalt, sondern Christus als Gründerheros und Kultivator (vgl. De vol. III,xi,1, S. 269) — dieser erst eröffnet die Möglichkeit jener Wahrnehmung-in-Gott, die der Dichter zu besingen hat.

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  227. Im philosophischen Begriffsabsolutismus Adornos: „Weil aber der Kunst ihre Utopie, das noch nicht Seiende, schwarz verhängt ist, bleibt sie durch alle ihre Vermittlung hindurch Erinnerung, an das Mögliche gegen das Wirkliche, das jenes verdrängte, etwas wie die imaginäre Wiedergutmachung der Katastrophe Weltgeschichte, [...) Kein daseiendes, erscheinendes Kunstwerk ist des Nichtseienden positiv mächtig. Das scheidet die Kunstwerke von den Symbolen der Religion, welche Transzendenz der unmittelbaren Gegenwart in der Erscheinung zu haben beanspruchen. Das Nichtseiende in den Kunstwerken ist eine Konstellation von Seiendem.“ (Theodor W. Adorno. Ästhetische Theorie. Frankfurt a. Main 1983 S. 204; zur Transformation der Typologie vgl. Burke, S. 151ff.)

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  228. Sobald die kritische Exemplarizität des Kunstprodukts vergessen und durch rationale Rekonstruktion seines begrifflichen Gehaltes — d. h. durch ,Ästhetik’ — usurpiert wird, liegt hier eine Ursache für offenen und versteckten Platonismus, wie er als ,Metaphysik des Werkbegriffs’ die Ästhetikgeschichte durchzieht.

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  229. Schlagwortartig: Die Semantik der Kunst wird u-topisch, ihr Diskurs auf eine — relativ zur Situation des Rezipienten — zukünftige Erfahrung gerichtet. Sie formuliert eine Potenz von Erfahrung.

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  230. Das Kunstwerk wird zur Erfahrung einer Totalität: eines Sinnes, der keine kausale Kette — kein Warum — zuläßt.

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  231. Ein Gespräch freilich, daß keines mehr ist, da es sich selbst obsolet macht, indem es jedes Moment von Dialogizität negiert.

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  232. Adorno, Ästhetik, S. 148, 188, 205 u. 304f.

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  233. Vgl. Walter J. Ong. Ramas. Method and the Decay of Dialogue. Cambridge/Mass. 1958 S. 287ff. u. 178, 212, 309 318.

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  234. DiaIeditae dispctationes (im Folgenden nach den Opera omnia zitiert unter der Sigle DD), II,14 (= I, 677); Übersetzung nach: Gerl, Rhetorik, S. 222.

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  235. DD II,30 (= I, 947); Übersetzung nach: Gerl, Rhetorik, S. 157.

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  236. Vgl. Boethius. TP. S. 42: „Denn bald hielt sie [die Philosophie) sich in dem gewöhnlichen Maße des Menschen, bald aber schien sie mit dem Gipfel ihres Scheitels an den Himmel zu rühren. Wenn sie aber ihr Haupt höher erhoben hätte, wäre sie selbst in den Himmel eingedrungen und hätte des Blickes der nachschauenden Menschen gespottet.“

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  237. Vgl. Ruedi Imbach in den Erläuterungen zu: Wilhelm von Ockham. Texte zur Theorie der Erkenntnis und der Wissenschaft. Hrsg. u. komm. v. Ruedi Imbach. Stuttgart 1987 S. 94ff.

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  238. Mit der Schöpfung kam die Bedeutung herab... Der erste war Adam unter dem Urheber Gott...“ — ”[...} signifcatuo ab institutione descendit: (...) primus fuit Adam deo autore [...}“ (DD 1,14 [= I, 676); Übersetzung nach: Gerl, Rhetorik, S. 218).

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  239. Wie Quintilian (Inst. or. XII, Prooemium; Übersetzung nach: Gerl, Rhetorik, S. 90) formuliert. Gerl wendet diese Formulierung auf Valla an (Gerl, Rhetorik, S. 77).

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  240. DD I,14 (= I, 676); Übersetzung nach: Gerl, Rhetorik, S. 217.

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  241. DD I,2 (= I, 649); Übersetzung nach: Gerl, Rhetorik, S. 216.

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  242. Vgl. Otto, Techne, S. 513f.; Gerl, Rhetorik, S. 250 sieht im Rekurs auf Vallasche Theorie einen Ansatzpunkt zur Kritik idealistischer Philosophie.

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  243. Nach Lausberg, Elemente. (Siehe Begriff ,res’ im Glossar.)

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  244. Vgl. Quintilian, Inst. or., VI,2,24 u. II, 13, 71

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  245. Nec enim ea forensis ratio comparata est ut advocati in causis alter alterum superent, sed ut ex illorum conflicatione eluceat vel veritas vel iusticia. Quod si quem manifeste rei reluctantem videbo, eum nimirum oratorem negabo.“ (De vol. I,xii,11, S. 86; vgl. De lib. ar. 331, 53, S. 90 )

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  246. Ens suapte natura participium est, omnisque generis: quod cum transit in nomen, est tan-turn neutrum. [...) Omne participium vim obtinet relativi and verbi, ut homo ambulans, le-gens, currens, id est qui ambulat, qui legit, qui currit. [...} Igitur si ens resolvitur id quod est: and id resolvitur ea res, profecto ens ita resolvitur ea res quae est. Quo palam est omnem vim non naturalem habere: sed ut sic dicam, precariam ac mutuo sumptam.“ (DD 1,2 [= I, 646f.); Übersetzung nach: Otto, Techne, S. 119)

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  247. Nam sicuti ligno nomen lignum est, and lapidi lapis, et ferro ferrum. Item rerum incorporalium ut scientiae est nomen scientia: virtuti virtus, generi genus, speciei species, ita substantiae substantia, ita qualitati qualitas, ita actioni actio: denique ita rei res, itaque res significar rem: hoc significatur, illud huius est signum: illud non vox, hoc vox est: ideoque definitur, Res est vox, sive vocabulum omnium vocabulorum significatu suo complectens, [...}“ (DD I,14 [= I, 6761 Übersetzung nach: Otto, Techne, S. 111)

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  248. Vgl. DD I,1 [= I, 646), übers. in: Otto, Techne, S. 116f.; vgl. Otto, Techne, S. 122.

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  249. Aristoteles, Rhetorik, 1404a, S. 167.

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  250. Sed memineerimus eadem plerunque esse rerum conditionem.“ (I, 927; Übersetzung nach: Gerl, Rhetorik, S. 151)

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  251. Hec [copia sive euphoria) est que precipue rem perspicuam facit, et ponit ante oculos, hec que in probationibus ac refutationibus regnat, que influit in animos hominum, que omnia ornamenta, omnia lumina, omnes divitias orationis exponit. Hec rapid audientem, hec rap-turn revocat, hec est que prope ceteras virtutes circa se habeat.“ (De vol. II,Prooem.1, S. 132; Übersetzung nach: Gerl, Rhetorik, S. 151).

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  252. Valla fordert: „[...) nichts auslassen, was sich auf die Lehre und Erleuchtung der Sache erstrecken könnte,“ — „ [...}, ut nec ea que ad rem docendam arque illustrandam pertinere credidero omittam, [...}” (De vol. II,Prooem.,4, S. 134; Übers. nach: Gerl, Rhetorik, S. 154)

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  253. Die ,brevitas’ „semper amica est audientibus“ (De vol. II,Prooem.,4, S. 134) ist ,immer die Freundin der Hörer’.

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  254. Vgl. Anm. 251.

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  255. I, 235; Übersetzung nach: Gerl, Rhetorik, S. 228.

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  256. DD III,2 (= I, 732); Übersetzung nach: Gerl, Rhetorik, S. 228. Einige Seiten weiter führt Valla zur schlechten Wortfixierung der Begriffs-Philosophie aus: „Es gibt sehr viel derartiges, worin sich die Philosophen allenthalben in jedem Teil der Philosophie üben, wo sie aber zumeist mit den Wörtern beschäftigt sind, so daß sie mir zuweilen zu der Grammatik herabgestiegen, ja sich mitten darin aufzuhalten und ihre Gebäude mit Worten wie mit Säulen gestützt zu haben scheinen.“ — „Plurima Bunt huiusmodi, quibus se passim philosophi exercent in omni philosophiae parte, plerunque in vocabulis occupati, ut nonnunquam ad grammaticam mihi descendisse, irno in media grammatica versari and aedificia sua verbis, tanquam columnis fulisse videantur.” (DD III,24 = I, 751; Übersetzung nach: Geri, Rhetorik, S. 206)

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  257. Gerl bemerkt, die Bedeutung der ,circumstantiae’ resultiere aus „der -typisch humanistischen — Aufmerksamkeit auf den Einzelfall“ (Rhetorik, S. 153); konstatiert aber gleichzeitig: „Der Gemeinsinn ist also die objektive Richtschnur der Praxis — objektiv deshalb, weil seine treffende Beurteilung der Dinge, der Situationen, des konkreten Einzelfalls, der ,circumstantiae’ die richtige, sinnvolle Praxis überhaupt erst ermöglicht.” (A. a. O., S. 76) Dies würde heißen, daß die Gemeinbegriffe des sensus communis in der Lage wären, die Spezifik einer Situation aufzuheben. Zwar ist dies im Ideal der latinitas Telos, nicht aber die Praxis der Vallaschen Theorie. Rhetorisch bezeichnen die loci a circumstantia gerade jene Dimension der Situation, die über topisch formalisierte Rubrizierung hinausreicht und vom Orator inventive Tätigkeit verlangt (vgl. Ueding/Steinbrink, Grundriß, S. 233); der Begriff der ,circumstantiae ist problematisch, da er nicht zwischen subjektiven und objektiven, kontingenten und notwendigen Bedingungen einer Situation differenziert. Laut Dockhorn „handelt es sich um einen spezifisch rhetorischen terminus technicus. Dieser gehört eigentlich in die Lehre von den pisteis: sowohl Personen wie Handlungen können nach ihren Motiven durch ,Umstände’ bestimmt werden. Vgl. Quintilian hat Inst. or. V,10,104: ,hoc genuus argumentorum sane dicamus ex circumstantia, quia peristasin dicere aliter non possumus.’ Nebenumstände der Handlungen, ,accidentiâ , sind nach Quintilian: causa, temous, locus, occasio, instrumentum, modus et cetera (V,10,23), der Personen: natio, patria, sexus, aetus, educatio et disciplina, habitus corporis, fortuna, condicio, animi natura, victus, studia, quid affecet quisque, commotio, nomen. Dies macht die die Nähe zur ethos-Lehre mehr als deutlich. An anderer Stelle umschreibt Quintilian die ,rerum accidentia’ mit ,aut quare auf ubi autquando auf quo modo auf per quae (V,10,32). Das kommt alles aus der Praxis der Gerichtsrede und gerät leicht aus der Lehre von den Beweisen in die Lehre der Affekte hinein, wo es sich besonders mit der Lehre von den ,mores’ verkoppeln konnte.“ (Dockhorn, Macht, S. 26) Da Dockhorn mit Blick auf die neuzeitliche Ästhetik formuliert, treten temporale und ethische Aspekte in den Vordergrund; dies ist berechtigt, da auch die klassische Rhetorik die Spezifik des Gegenstands als Funktion von Person und Zeit darstellt (Aristoteles, Rhetorik, 1367b, S. 52; vgl. Cicero. De, or., II,133, S. 288 u. II,181, S. 318). Doch dieser Sachverhalt ist systematisch bedingt, Resultat der Temporalität rhetorischer Theorie wie ihres situativen Erkenntnisbegriffs und nicht Folge systematischer Exklusion — in rationalem Sinne — objekthafter Bedingungen. (Hier wäre die literarische Prosatradition der ,circumstantial method’ in Betracht zu ziehen, welche Plausibilisierung in der Beschreibung objekthafter Umstände zu erzielen sucht.) Die Delegierung der ,circumstantiae an die Ästhetik bei Ausgrenzung aus der Theorie ist ,Lösung’ jener Problematik, die bei Gerl widerscheint und die — a priori bedingt durch den problematischen Status der Rhetorik als Theorie überhaupt (vgl. Cahn, Kunst) — den Renaissance-Rhetorismus über sich hinaustreibt.

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  258. Et nihilominus undecunque libuerit, licet sue quenque cause adiumenta arcessere [...}“ (De vol. I,x,2, S.74; Übersetzung nach: Gerl, Rhetorik, S. 102)

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  259. Vgl. A. O. Lovejoy. The Great Chain of Being. Cambridge/Matt. 1936.

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  260. Otto, Renaissance, S. 14.

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  261. Otto, Renaissance, S. 40. Mit ,Geist` übersetzt Otto den cusanischen Begriff der ,mens’; auch wenn im Bezug auf Cusanus diese abstrakte begriffliche Sistierung gerechtfertigt ist, so ist doch — auch für Cusanus — aus praxeologischer Perspektive der dynamische Charakter zu betonen.

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  262. Der Terminus ,Evidenz’ ist hier ebenfalls nicht im Sinne mathematisch-geometrischer ,Selbst-verständlichkeit` und in der Tradition des stoischen sensus-communis-Begriffs zu verstehen, sondern dynamisch. Wie Dockhorn anführt, ist ,evidentia’ die Cicerosche und Quintilianische Übersetzung des aristotelischen Begriffs ,energeia’ (Dockhorn, Macht, S. 115). Wichtig wird der Begriff im Terminismus Ockhams: ,notitia evidens’ bezeichnet — im Gegensatz zur abstrakt-begrifflichen ,notitia abstractiva’ — die unmittelbare Erkenntnis der Wahrheit von Aussagen über kontingente Sachverhalte. Imbach faßt zusammen: „Ockhams Insistieren auf dem Kriterium der Evidenz und vor allem die Annahme einer Evidenz kontingenter Urteile resultieren aus seiner Philosophie der Kontingenz. Die evidenten Urteile kontingenter Sachverhalte erlauben einen neuartigen Erkenntnisbezug zu einer Wirklichkeit, welche in keiner rationalen Wesensstruktur aufgehoben ist. Der Verlust einer Einsicht in eine eidetische Wesensstruktur der Wirklichkeit wird durch den Gewinn an Unmittelbarkeit ausgeglichen, die kontingente Faktizität, deren Offenbarkeit sich in gewissen evidenten Urteilen ausspricht, ersetzt die ewige und unwandelbare Wesensordnung, welche der philosophischen Reflexion seit Platon Anhalt und Sicherheit verliehen hatte.“ (Imbach in: Ockham, S. 126). Diese ,Unmittelbarkeit’ bedeutet Wirkmächtigkeit; sie kann sich gleichermaßen auf Sachverhalte wie auf psychische Zustände beziehen (vgl. a. a. O., S. 140), beinhaltet aber in jedem Fall — und im Gegensatz zur abstrakten Erkenntnis — ein Existenzurteil. Wenn Geri zu Valla feststellt: „Darüberhinaus wird der Konkretheit des Gemeinsinns eine Evidenz zugesprochen, mit der sie als das höhere Prinzip vor der Abstraktion des Verstandes behauptet wird.” (Gerl, Rhetorik, S. 127), so ist damit zunächst dessen Wirkmächtigkeit gemeint, aber der Ausdruck ist darüber hinaus präzise: Der Gemeinsinn ist Fundus als evident erfahrener Aussagen. Im Gemeinsinn wird die radikale Kontingenz der Wirklichkeit in der Konstanz ihrer Erfahrung, d. h. in der Konstanz der Praxis aufgehoben.

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  263. Gegen den Anspruch der Autoritäten fordert Valla: „Das Volk mag antworten, daß bei ihm die Entscheidung und die Norm der Sprache liege.“ — „Respondeat populus penes se esse arbiturium per normam loquendi [...3” (DD I,17 [= I, 685); Übers. nach: Gerl, Rhetorik, S. 211) Doch das Volk ist nicht unmittelbar produktiv, sondern: „Die größten Schriftsteller sagen...und die Sprachgewohnheit pflichtet als beste Zeugin bei“ — „[...) maximi autores aiunt [...), and ipsa loquendi consuetudo optima testis affirmat [...)” (DD 1,17 (= I, 681); Übersetzung nach: Gerl, Rhetorik, S. 212) Auch hier steht der dynamische Aspekt im Vordergrund: „Ich weiß, daß es keine Wahrheit und keine noch so wahre Meinung gibt, gegen die nicht die verschiedene Gewohnheit und der lange bestehende Irrtum der Mensche...kämpfte“ — „[...) cum sciam nullam veritatem, nullamque tam veram opinionem, cui non diversa consuetudo et diutinus hominum error [...3 oblucetur.” (DD III,Prooem. [= I, 7611 Übersetzung nach: Gerl, Rhetorik, S. 214); die Prozessualität der Sprache ist jedoch kein autonomer und immanenter Vorgang, sondern bricht sich — siehe ,non verba sed facta — je an der Unmittelbarkeit der Praxis: „die Sprache bestand nicht aus dem Verstandesdenken, sonder... aus dem Gebrauch... sie stützt sich nicht auf das Verstandesdenken, sondern auf das Beispiel, es gibt kein Gesetz des Sprechens, sondern nur die Beobachtun... “ — „[lingua) quae non ratione constabat, sed usu. [...) non ratione nitiur, sed exemplo: nec lex est loquendi, sed observatio [...)” (I, 387; Übersetzung nach: Gerl, Rhetorik, S. 212)

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  264. civitas“ (I, 717).

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  265. leges loquendi ac mores tanquam iura quaedam civilia [...)“ (DD III,23 [= I, 7 50))

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  266. Also waren die Wissenschaften und Künste solange verbannt und fast nichts, solange die Völker ihre einzelnen Sprachen gebrauchten... Es liegt auf der Hand, daß alle Wissenschaften dank der römischen Größe und des römischen Friedens erweitert und erleuchtet wurden.“ — „Ergo tamdiu scientiae and artes exiles ac propre nullae fuerunt, quamdiu nationes suis singulis linguis utebantur [...) Palam est omnes scientias beneficio romanae magnitudinis romanaeque pacis amolficatas fuisse et illustratas.” (I1,2831.; Übers. nach: Gerl, Rhetorik, S. 245) Daraus folgt für Valla: „vor allem muß man Sorgfalt anwenden, daß einerseits jede Wissenschaft, besonders aber die römische Sprach..., der Same aller Wissenschaften, gepflegt werde und wachse, eine Sache, die in der Tat von größerem Ruhm als andere ist..“ — „In primis curam gerendi, ut cum omnis doctrina, cum vero lingua Romana [...) cunctarum doctrimarum seminarum coleretur, and cresceret: res profecto [...) maioris laudis quam caetera.” (I, 249; Übers. nach: Gerl, Rhetorik, S. 239)

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  267. Zum Rhetorismus Agricolas vgl. Wilhelm Risses Vorwort zu: Rudolph Agricola. De intentione dialectica libri tres. Hildesheim 1976 (Nachdruck der Ausgabe Köln 1528; im Folgenden zitiert als De inv.); vgl. Ong, Ramus, S. 92ff.

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  268. Denn was ist die Dialektik anderes als die Arten der Widerlegung? Die Arten der Widerlegung sind Teile der Erfindung: die Erfindung ist einer der fünf Teile der Rhetorik“ — „Nam quid aliud est dialectica, quam species confutationis, hae ipsae sunt partes inventionis. Inventio una est ex quinque rhetoricae partibus.” (I, 693; zitiert nach: Gerl, Rhetorik, S. 229)

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  269. non tantum viit docere orator ut dialecticus facit, sed delectare etiam ac movere [...)“ (I, 693; zitiert nach: Gerl, Rhetorik, S. 230)

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  270. De inv., Prooemium, zitiert nach: Otto, Renaissance, S. 132.

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  271. Ebd.

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  272. Agricola. De inv., II,2; zitiert nach: Otto, Renaissance, S. 144f.

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  273. Agricola. De inv., II,2; zitiert nach: Otto, Renaissance, S. 146.

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  274. Ich weiß, daß man in wahrhaft glaubwürdiger Weise über etwas reden kann, was nicht nur weit von einer ehrlichen Einsicht in die Sache, sondern auch von der bloßen Möglichkeit solcher Einsicht weit entfernt ist“. (Ebd.)

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  275. De inv., I,2; zitiert nach: Otto, Renaissance, S. 136.

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  276. A. a. O., zitiert nach: Otto, Renaissance, S. 137.

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  277. A. a. O., zitiert nach: Otto, Renaissance, S. 140f. Diese Formulierung verweist auf ein funktionalistisches Verständins der loci. Risse faßt zusammen: „Die loci dienen also zum Beweis. Sie sollen die sachliche Sicherheit des behandelten Inhalts garantieren und zugleich, als begrifflich hinreichend allgemein, den betreffenden Fall auch formal entscheiden. Sie bezeichnen die allgemeinsten inneren oder äußeren Bedingungen der Sachverhalte und entsprechen den traditionellen Universalien und Kategorien.“ (Risse in: De inv., S. 13)

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  278. De inv. II,2; zitiert nach: Otto, Renaissance, S. 143. Das Zitat fährt fort: „Niemand zögert jedenfalls, sie eine Kunst zu nennen; denn sie stellt nicht nur viele Auffassungen zusammen, damit auf diese Weise ein Argument gefunden werden kann, sondern sie lehrt auch, wie man zu urteilen hat, sobald das Argument gefunden ist, und sie liefert damit insoweit die Richtschnur des rechten Handelns, als sie das Wort den Handlungsumständen anpaßt. Deshalb ist gewiß, daß sie Nutzen bringt, sofern wir es nicht für nützlich halten, getäuscht und in die Irre geführt oder dazu veranlaßt zu werden, Wahres für falsch und Falsches für wahr zu halten. Freilich täuscht sich bisweilen auch der Dialektiker und hält auch er zuweilen Falsches für wahr. Das kommt wohl vor — aber schließlich passiert es auch dem Steuermann einmal, daß sein Schiff aus dem Ruder läuft, und sogar der Arzt richtet gelegentlich Schaden an. Es ist das die Sache der Menschen, nicht indes der Künste.“ (Ebd.)

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  279. Mario Nizolio. De veriis principiis et vera ratione philosophandi contra pseudophilosophos. Dt. als: Marius Nizolius aus Bersello. Vier Bücher über die wahren Prinzipien und die wahre philosophische Methode gegen die Pseudophilosophen. Übers. von Klaus Thieme. München 1980 (im Folgenden zitiert als: De ver. prin.). Zum Rückgriff auf Valla vgl. II,8 (auch abgedruckt in:Otto, Renaissance, S. 167ff.), zum Bezug auf den Nominalismus vgl. Klaus Thieme. Nizolius’ Auseinandersetzung mit dem Wissenschaftsbegriff der Scholastik. Vorwort zu De ver. Prin., bes., S. 15.); zu Nizolius allgemein: Mathias Wesseler. Die Einheit von Wort und Sache. München 1974.

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  280. Nizolio. De ver. prin. I,4; zitiert nach: Otto, Renaissance, S. 162.

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  281. A. a. O.; zitiert nach: Otto, Renaissance, S. 163.

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  282. Vgl. Otto, Renaissance, S. 165.

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  283. De ver. prin. I,4; zitiert nach: Otto, Renaissance, S. 160f.

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  284. Vgl. Otto, Techne, S. 513; Gerl, Einführung, S. 120.

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  285. Thieme, a. a. O., S. 12.

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  286. De ver. prin. S. 338.

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  287. Ebd.; u. I,4; vgl. Otto, Renaissance, S. 156. Vgl. Gerl, Einführung, S. 117; Otto, Techne, S. 170.

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  288. Thieme, a. a. 0., S. 151

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  289. Die Übersetzung von ,res’ als ,Ding’ bringt bereits eine Reduktion auf begrifflich-referenzielle Semantik. Die referenzielle Funktion darf weder auf die Repräsentanz eines welthaft Gegebenen noch auf die eines mentalen Konzeptes eingeschränkt werden.

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  290. Oratio est vocum composito vel explicta vel implicta, congruam perfectamque sententiam significans.“ (De ver. prin. III,9, S. 361) Vgl. S. 360: „Denn zunächst ist jeder Namen und jedes Verb ein Teil der Rede, und dann erst ist jeder Teil der Rede ein Laut, nicht umgekehrt.”

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  291. De ver. prin. III,5, S. 315f.; vgl. III, 9, S. 362.

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  292. De ver. prin. III,5, S. 318.

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  293. De ver. prin. I,4; zitiert nach: Otto, Renaissance, S. 156.

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  294. Wenn für die Rhetorik an die Stelle apriorischer Skepsis plane Affirmation sprachlicher Faktizität tritt, begibt sie sich ihres kritischen Impulses und wird zur ‚Werbung’. Solcher ,semantischer Positivismus’ entlastet die aktuelle Praxis nicht nur, sondern armiert sie überdies. Nizolius geht davon aus, „daß jedes Wissen und jede Disziplin, {...], notwendigerweise drei Merkmale aufweisen müssen, die, [...], für jede Kunst erforderlich sind: Sie braucht einen Stoff, mit dem sie sich in ihrem Tun beschäftigt; eine Aufgabe, die sie erfüllen muß; einen Zweck, für den sie etwas tut.“ (De ver. prin. III,5, S. 300) Für die Rhetorik „besteht der Stoff [...) in allen Dingen dieser Welt, ihre Aufgabe im gut Reden und ihr Zweck darin, durch Beweis und Überzeugung, d.h. durch gutes Reden das zu erreichen, was man will.” (Ebd.) Doch: „[...] wenn ein Arzt gut behandelt und seine Aufgabe erfüllt, muß er doch, auch wenn ihm eine Heilung nicht gelingt und er damit seinen Zweck verfehlt, nicht auf die notwendige Anerkennung verzichten und als schlechter Arzt gelten. Denn beim Künstler ist es notwendig, daß er die Aufgabe seiner Kunst erfüllt, und nicht, daß er ihren Zweck erreicht.“ (A. a. 0., S. 301)

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  295. Einige Seiten weiter wird erläutert: „So handeln z.B. Galen und Hippokrates in dem Moment, wo sie Medikamente verabreichen und Kranke behandeln, wirklich als Mediziner und erfüllen die Aufgabe eines Arztes. Wenn sie aber über Medizin sprechen oder schreiben, und wenn sie das gut tun, erfüllen sie nicht mehr die Aufgabe des Arztes, sondern die des Redners.“ (A. a. O., S. 317)

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  296. Gerl, Einführung, S. 120; vgl. dazu die Linearisierung und Mathematisierung der Zeit im Prozeß der Renaissance in: Burke, Renaissance, S. 207f.

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  297. G. W. Leibniz. Die philosophischen Schriften. Hrsg. v. C. J. Gerhardt. Bd. 4. Hildesheim 1960 S. 135.

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  298. Vgl. Otto, Techne, S. 512f.

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  299. A. a. O., S. 513.

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  300. De ver. prin., S. 415. Thieme resümiert: „Erst in der Einheit von ,Leidenschaft’, ,Bewußtsein’ und ,Handeln’ konstituiert und strukturiert sich für den Menschen die objektive Realität. Die Einheit von philosophischer und rhetorischer Praxis ist somit ein Indiz für die Konstituierung menschlicher Wirklichkeit./Gegen die scholastische Verdrängung der Leidenschaften und die rationalistische Verachtung der konkreten Situation des Subjekts setzt Nizolius’ Theorie der Rhetorik das Subjekt mit seinen Leidenschaften wieder in seine philosophischen Rechte ein, ohne in einen reinen Sensualismus, in unkontrollierten Voluntarismnus oder in eine verworrene ,Philosophie der Tat’ abzugleiten.“ (Thieme. In: De ver. prin., S. 19) D. h. ohne wieder ihrerseits in Begriffsphilosophie zu enden; in Thiemes Zickzackkurs zwischen positiver und negativer Charakterisierung der Nizolioschen Konzeption wird die Inkompatibilität rhetorischer und logisch-begrifflicher Semantik und die Schwierigkeit einer ,vermittelnden’ Darstellung deutlich.

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  301. In einer neuerdings erschienenen Studie hat Manfred Frank im Kontext der Selbstbewußtseinsproblematik auf die konstitutive Bedeutung des Zeitbegriffs hingewiesen (Manfred Frank. Zeiibewufitsein. Pfullingen 1990 bes. S. 108f.).

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  302. Walter]. Ong. Ramus. Method and the Decay of Dialogue. Cambridge/Mass. 1958 S. IX.

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  303. Ebd.

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  304. Zum Methodenbegriff in der Renaissance vgl. Neal W. Gilbert. Renaissance Concepts of Method. New York/ London 1960; vgl. auch: Ong, Ramus, S. 231.

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  305. Ong, Ramus, S. 260.

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  306. Ramus’ Auftreten war, wie sein Biograph Nicolas de Nancel berichtet, durchaus zwiespältig: Einerseits ohne weiteres in der Lage, die Aufmerksamkeit eines großen Publikums zu fesseln, erschien er unfähig, sich im kleineren Kreis und im Gespräch über alltäglicheDinge angemessen auszudrücken. Wie Nancel interpretiert Ong dieses augenfällige Mißverhältnis als Folge ,semantischer Schizophrenie’, dem Auseinandertreten der Praxis in einen akademischen lateinischen und einen nationalsprachlichen privaten Diskurs (vgl. Walter J. Ong. Ramist Classroom Procedure and the Nature of Reality. In: Ong. Rhetoric, Romance and Technology. Cambridge/Mass. 1971,5.159f).

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  307. Ong, Ramus, S. 171.

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  308. Vgl. Ong, Ramus, S. 17–35.

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  309. Vgl. Ong, Ramus, S. 136.

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  310. Vgl. Ong, Ramus, S. 53f.

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  311. Vgl. Ong, Ramus, S. 55f.

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  312. Neben De invention dialettica in deren Stil Ong ein bestimmendes pädagogisches Moment erkennt (s. u.), waren Johannes Agricolas bekannteste Werke die Übersetzung eines Rhetoriklehrbuchs des vierten Jahrhunderts aus dem Griechischen (Aphtonius. Protogymnasmata) und eine kurze Abhandlung in Briefform, betitelt: De formando studio (vgl. Ong, Ramus, S. 96); daneben von Bedeutung, wenn auch von indirektem Einfluß auf Ramus ist: Thomas Murner. Logica memorativa: Chartiludium logice sive Mims dialettice memoria ein Werk, das versucht, den Inhalt der Hispanischen Summula Schülern in Form eines Kartenspiels nahe-zubringen (vgl. Ong, Ramus, S. 85ff.; zur weiteren Tradition vgl. Gerd Ueding. Beredsamkeit aus Erfahrung. Georg Christoph Lichtenbergs Sudelbiicher. In: Photorin 9, S. 1–18). Pädagoge und Drucker in Personalunion war Johannes Sturm, — für Ramus von besonderer Wichtigkeit, da er von 1529–39 in Paris lehrte und als Vermittler der eigenen wie der agricolaschen topischen Dialektik im dortigen Gelehrtenmilieu gelten kann (vgl. Ong, Ramus, S. 232ff.).

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  313. Vgl. Ong, Ramus, S. 92ff. Der unmittelbare Einfluß italienischer humanistischer Autoren ist eher gering zu veranschlagen, größer aber die Bedeutung der transalpinen dialektisch-typologischen Tradition, namentlich Agricola und Sturm.

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  314. Ong, Ramus, S. 97. Zu den Charakteristika Agricolascher wie ramistischer Konzeption gehört, daß sie nicht zwischen den wahrscheinlichen Ergebnissen des dialektischen und den wahren eines logischen Verfahrens unterscheiden. Zwar wird der Einebnung dieser aristotelischen Differenzierung bereits durch die christliche Tradition — namentlich Boethius — vorgearbeitet (vgl. Ong, Ramus, S. 105), doch ist sie letztlich ein Resultat des Nominalismusstreits, da durch Reduktion der Universalien auf Entitäten menschlichen Verstehens im Ockhamschen Terminismus letztgültig sichere Aussagen über Tatsachen unmöglich werden. Valla hatte Boethius vorgeworfen, daß dieser Bestimmung der Willensfreiheit methodisch aus dem Standpunkt eines sicheren Wissens deduziere, welches er als dem Menschen unzugänglich negiere (De lib. ar., S. 153–164).

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  315. Ong, Ramus, S. 108.

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  316. In German mnemonic systems, the loci will be manifest in a new epiphany as ,rooms’ with walls and ceiling carefully sectioned off in squares, the better to store their matter. Ramus will make them appear in a further epiphany as ideas in box-like forms, which are ,analyzed’ by being ,opened’. [...} we are confronted with our own present-day habits of thought; for we ourselves think of books as ,containing’ chapters and paragraphs, paragraphs as ,containing’ sentences, sentences as ,containing’ words, words as ,containing’ ideas, and finally ideas as ,containing’ truth. Here the whole mental world has gone hollow. The pre-Agricolian mind had preferred to think of books as saying something, of sentences as expressing something, and of words and ideas as ,containing’ nothing at all but rather as signifying or making signes for something. After Agricola the notion of content can serve for and level out all these diversified modes of conceptualization.“ (Ong, Ramus, S. 121)

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  317. Vgl. Ong, Ramus, S. 72ff. Ong resümiert und führt noch eine zweite Genealogie — jene theologischer Schriftfixiertheit — an, die aber ebenfalls erst mit der Verbreitung gedruckter Bücher zu gesellschaftlich durchschlagender Wirkung gelangen kann: „Interest in the places, and even more a propensity to reshuffle them and their contents as more or less interchangeable counters, has in any age the tendency to level all the units of knowledge. The different sorts of units in which thought is cast all tend to be assimilated to one another as they come to be viewed as little somethings-or-other which go into or come out of boxes,[...J Such conceptualization had always tended to govern the application of invention analogy (and ultimate the arrangement analogy). But in Agricola’s age it begins to be given carte blanche for the reduction of speech in terms of visual analogy inherent in the topical tradition was encouraged as never before by the humanist determination to all speech as a fixed written tradition. Erasmus’ notion of knowledge and communication is complex, but when he maintains that the knowledge of ,almost everything’ is to be sought in the Greek authors who are the sources or ,springs’ of all science, there is no mistaking the suggestion that the written works of antiquity have become collectively a kind of commonplace. The notion is not entirely new. There is a Parallel in Hebrew, and particulary Masoretic tradition, [...1“ (Ong, Ramus, S. 122f.)

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  318. Vgl. Kapitel 5, Anm. 46.

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  319. Vgl. Walter J. Ong. Ramist Method and the Commercial Mind. In: Dens. Rhetoric, Romance and Technology. Studies in the Interaction of expression and Culture. Ithaca and London 1971, S. 165–189. Ong bezeichnet a. a. O., S. 173 die ramistische Methode als „kind of intellectual commercialism“.

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  320. Bevor Johannes Sturm 1529 nach Paris ging, hatte er in Straßburg selbst eine Presse betrieben. In der französischen Hauptstadt arbeite er mit der berühmten Druckerfamilie Wéchel, die auch Ramus’ Werk herausgeben sollte, zusammen.

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  321. Für ein genaues Studium der Entwicklung und der historischen Bedeutung der ramistischen Methode sei hier noch einmal pauschal auf das Buch Walter J. Ongs verwiesen, das nicht nur wegen der Dignität seines Gegenstandes, sondern mindestens ebenso wegen der Methode der Untersuchung Obligo der Forschung sein sollte.

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  322. Ong, Ramus, S. 238.

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  323. Vgl. Ong, Ramus, S. 176ff.; zu: ,disserendi’ im speziellen S. 178f.

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  324. Ong, Ramus, S. 211; vgl. 184 u. Ong, Rhetoric, S. 177.

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  325. Ong, Ramus, S. 289.

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  326. Ebd.

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  327. Zu diesem Befund ist es nicht nötig, auf Nietzsche zu rekurrieren; auch Jürgen Mittelstraß billigt der jungen Wissenschaft eine „neue Naivität“ zu (MittelstraB, Neuzeit, S. 209; ebenso: Ong, Ramus, S. 256).

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  328. Die genaue Bibliographie Ramusscher und ramistischer Literatur bietet: Walter). Ong. Ramus and Talon Inventory. Cambridge/Mass. 1958.

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  329. Vgl. Ong, Ramus, S. 205ff. Es wäre interessant zu untersuchen, inwieweit sich dieses Mißverstehen auf den Platonismus der Renaissance insgesamt ausdehnen läßt und ob sich dort bereits Strukturen zeigen, die im Platonismusverständnis des Neukantianismus wiederkehren. Freilich sind solche Zuordnungen immer problematisch, wie sich schon am Beispiel Vallas — dieser selbst verstand sich in bestimmten Aspekten als ,Platonist’ (De vol. I,xxxix, S. 119f.) — zeigt.

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  330. Tatsächlich müssen zwei platonische Mythen — Eros-Mythos und Höhlengleichnis — übereinandergeblendet und mit dem Sündenfallsmythos verschmolzen werden, um ein Bild chronologischer Dynamik des Erkenntnisprozesses zu formieren. Durch die aprioristische Naturalisierung des Erkenntnisinteresses fällt jedoch bei Ramus die voluntaristische Problematik, welche die Renaissance im Liebesbegriff als Affirmationsmovens konzeptualisiert hatte, schlicht weg.

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  331. Dial. inst.; zitiert nach: Otto, Renaissance, S. 180.

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  332. A. a. O., S. 178f.

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  333. A. a.0., S. 177.

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  334. A. a. O., S. 183. Ramus beweist damit einen ,aufklärerischen Optimismus’, der noch Valla als hypertroph gegolten hätte. Erst dieser Optimismus, (prinzipiell) die Fülle der Wahrheit in Erkenntnis einholen zu können, bietet die Möglichkeit zu einer erneuten — der aufklärerischen — Depotenzierung von Kunst; zugleich markiert er deren Scheitern: Da die Semantik des ästhetischen Gebildes nicht motivational sondern begrifflich-referenziell interpretiert wird, erschöpft sich die Analyse im je-ne-sais-quoi, dem puren Begriff seiner Attraktivität.

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  335. Mit Ramus“ — so Stephan Otto — „stehen wir am Ende des Sprachhumanismus der Renaissance — im Grunde schreibt Ramus am letzten Kapitel der europäischen Geistesgeschichte der Rhetorik, und zwar der philosophischen Rhetorik, nicht der Rhetorik als Kunst des ,guten Sprechens’. Sein Verfahren der Reduktion von rhetorischer Sprachgesetzlichkeit auf metaphysisch begründete Naturgesetzlichkeit eröffnet — was das Problem der Normenfindung für die Wahrheit gesprochener Sprache betrifft — nicht nur eine Gewinnrechnung, sondern — was die Frage nach quasitranszendentaler Wahrheit und Gesetzmäßigkeit der Sprache selber anlangt — auch und vor allem eine Verlustrechnung.” (Otto, Renaissance, S. 190f.)

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  336. Zunächst muß der Mensch erkennen, „daß er mit seinem Denken die unabsehbare Vielfalt der Dinge ganz und auf einmal nicht begreifen kann, ja [...) nicht einmal sieht, vor welche Probleme ihn deren Mannigfaltigkeit und erdrückende Fülle stellt,[...)“ (Dialecticae intitutiones. Zitiert nach Otto, Renaissance, S. 182); sobald er die dritte Stufe des dialektischen Verfahrens, die theo-teleologische Sistierung der Praxis im Kalkül auf Seligkeit, erreicht hat — auch sie wird als bloß metaphysische Legitimation der Vergessenheit anheimfallen — wird die einstmals bedrohliche Vielgestaltigkeit der Dinge zum Ausdruck der göttlichen Allmacht: „[k)raft der ewigen göttlichen Weisheit zeigen sich ihm [dem Menschen) die beobachtetem Dinge als so unermeßlich, daß keine Macht und kein Zugriff menschlichen Denkens sie zu erfassen oder überhaupt einzuholen vermöchte.” (A. a. O., S. 182f.) In der Selbstbeschwörung der Methode ist das Bedrohliche zur Theodizee, das Chaos zur copia und ubertas der Schöpfung mutiert. Die Erfahrung der Kontingenz, verstanden als Bedrohung durch die Übermacht der Schöpfung erheischt von den Subjekten Identifikation mit dem Agressor: dem unberechenbaren, allmächtigen Gott. Sie allein kann ,Seelenruhe’ versprechen. Soweit ging bereits Valla (vgl. De vol. III,xi, S. 269), doch während bei ihm mundane Praxis ästhetisch transzendiert wurde, verbleibt sie bei Ramus in der Immanenz der Methode. Dieser profane psychologische ,Mechanismus’ ist nicht nur historisch bezeichnend für das Verhältnis von Kapitalismus und Christentum, sondern bestimmend auch für dessen agressive Dynamik: Die Identifikation mit dem Schöpfer als hypostasiertem Institut der Ordnung fungiert als Garantie der prinzipiellen Möglichkeit konsistenter Praxis; vor ihr wird jede Kontingenz zur Schuld. (Bereits Valla versteht Katastrophen als Mahnungen; vgl. De vol. III,vi,1, S. 259.) Das Subjekt wird aufgerieben zwischen dem Auftrag, Theodizee in den Dingen zu finden und seinem Versagen vor der Unmöglichkeit, dieser Verpflichtung nachzukommen. Faktisch iteriert und perpetuiert — i. e. inszeniert — das psychologische Dispositiv die Methode und verpflichtet ihr die Subjekte bis zur Selbstverleugung: Nur wer methodisch handelt, ist in Gott; alle Kontingenz ist Schuld (vgl. Römer 8, 28).

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  337. Dial. inst.; zitiert nach: Otto, Renaissance, S. 184.

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  338. Vgl. Kurt Flasch. Augustinus. Einführung in sein Denken. Stuttgart 1988 S. 304f.: zur Illuminationstheorie bei Augustinus.

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  339. Dial. inst.; zitiert nach: Otto, Renaissance, S. 184. Damit ist nicht der nominalistisch-fideistische Augustinismus, wie er um die Jahrtausendwende besonders in der franziskanischen Theologie — und noch bei Valla (vgl. De lib. ar. 655ff., S. 124ff.) — Konjunktur hatte, zunächst überwunden, sondern — durch die Elimination voluntaristischer Problematik — auch der Platonismus zum Garanten begrifflicher Konsitstenz reduziert (vgl. Ong, Ramus, S. 205ff: „The Platonic Idea as Continuum“).

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  340. Respektive des Neuplatonismus, denn auch Plotin, so sein Biograph Prophyrios, ,schämte sich, daß er im Leibe war’. Es geht hier nicht um eine Genealogie der Leibfeindlichkeit, jedoch ist die Opposition zwischen rhetorischer Erotik und systematischer Asketik im Auge zu behalten (vgl. Kapitel 2, Anm. 233).

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  341. Dial. inst.; zitiert nach: Otto, Renaissance, S. 187.

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  342. A. a. O., S. 185.

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  343. Ramus fehlt das Interesse am Experiment (vgl. Ong, Ramus, 268) und damit, wie Mittelstraß ausführt, das neben der Mathematisierung essentielle Moment neuzeitlicher Naturwissenschaft (vgl. Mittelstraß, Neuzeit, S. 239ff.). Ong konzediert: „In a way it is true that Ramsit method appealed primarily to a desire for order, not to a desire for experimentation. First of all, it was a method of organizing disourse, not of working with things.“ (Ong, Rhetoric, S. 179) Aber bereits im Übergang vom Paradigma oraler Wissensvermittlung zur tabellarisch-visuellen — von den Tönen zur „silent object world” (Ong, Ramus, S. 151) —sieht Ong einen „shift to modern science“ (a. a. O., S. 150), da die ramistische Quantelung des intellektuellen Universums eine notwendige Vorbedingung rationalen Kalküls darstellt. ,,,Method is an early step in the procedures which encode knowledge in a neutral, laveling format, reducing it to bits of information such as those which will eventually make their way into electronic computers. From this point of view, Ramus’ influence is felt not in terms of experimentation but in terms of calculators and business machines.” (Ong, Rhetoric, S. 189)

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  344. Dial. inst.; zitiert nach: Otto, Renaissance, S. 180.

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  345. Ong, Ramus, S. 306.

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  346. Ong, Ramus, S. 186. Ramus definiert das iudicium als „[...) doctrinam res inventas collo-candi, et ea collatione de re proposita iudicandi [...J“ (Dial. inst. [1543), fols. 19; zitiert nach: Ong, Ramus, S. 351) und führt weiter aus: „Collocationem tradit, et oridinem multorum et variorum argumentorum cohaerentium inter se et perpetua velut catena vinctorum, ad unumque certum finem relatorum.” (A. a. O., fols. 27; zitiert nach Ong, Ramus, S. 352, Anm. 72. Zu den drei Gesetzen der Methode vgl. a. a. O., 259f.)

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  347. Vgl. Ong, Ramus, S. 189. Entsprechend der exklusiven Reservierung der Topik für dialektische inventio lehnt Ramus den im Humanismus beliebten Gebrauch von Spruch-und Apophtegmensammlungen ab (vgl. a. a. O., S. 211f.).

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  348. Mit der Reduktion des sprachlichen auf ein methodisches Universum entfällt die Möglichkeit rhetorischer Amplifikation; der, so Ong „backbone of medieval rhetoric“ (Ong, Ramus, S. 213) wird von der Dialektik geschluckt. Gleichermaßen wird die copia als sprachliche Qualität abgelehnt (vgl. a. a. O., S. 219fí).

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  349. Valla hatte diese Mechanik der Verkettung als Gefahr begriffen: „Quid enim ineptius philosophorum more ut si uno verbo sit erratum tota causa periclitemur?“ — „What is more absurd than the procedure of the philosophers? If one word goes wrong, the whole argument is imperiled.” (De vol. III,xii,6, S. 272)

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  350. Dial. inst.; zitiert nach: Ong, Ramus, S. 352, Anm. 95 u. 191 (Übers.)

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  351. Vgl. Ong, Ramus, S. 191 u. 263.

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  352. Vgl. a. a. O., S. 280.

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  353. Zum Zeitbegriff bei Ramus vgl. a. a. O., S. 255.

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  354. Vgl. a. a. O., S. 262f.

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  355. A. a. O., S. 255f.

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  356. Dial. inst., zitiert nach: Otto, Renaissance, S. 174f.

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  357. Ong, Ramus, S. 250.

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  358. Dial. inst.; zitiert nach: Otto, Renaissance, S. 175f.

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  359. Vgl. Kapitel 2, S. 41ff.

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  360. Ramus definiert seine Dialektik als ,ars’ oder ,doctrina disserendi’ und schließt sich damit an eine Definition Ciceros an: „[Dialectica est) ars bene disserendi“ (De or. II,38). Bezeichnend dabei ist, daß im Mittelalter die Erörterungskunst meistens durch das Attribut ,recte’, welches auf ihren technischen Charakter hinwies, bestimmt wurde; Ramus hingegen stellt das Cicerosche ,bene’ erneut in den Vordergrund, um den praxisbezogenen Charakter zu betonen. Ong betont: „Disserendi is a critical term which controls the whole field of mental activity from classical times through the Middle Ages and into the Renaissance.” (Ong, Ramus, S. 178) Doch seine inhaltliche Bestimmung ist schillernd und keineswegs mit dem dialektischem Verfahren gleichzusetzen: Hugo v. St. Victor definierte: „Ratio disserendi integrales panes habet inventionem et iudicium, divisivas vero demonstrationem, probabilem, sophistcam“ (Didascalion II,xxx); Johannes von Sailsbury hingegen: „Est itaque logica (ut nominis signifìcatio latissime pateat), loquendi ve1 disserendi ratio” (Metalogicus I,x [Pl CXCIX, 837 B—C)). In einem ähnlich weiten, nicht-technischen Sinne nahm selbst Nizolius den Begriff der Logik in Beschlag, leitete diese etymologisch aus ihrer Sprachlichkeit her und bestimmte die Aufgabe jener „alten und wahren Logik“: Sie hat „wie ein Schutzraum alle Lehren und Dokumente zu umfassen, die sich auf gutes Sprechen, Erörtern, Disputieren und schließlich auf das gute Reden über alle Fragen und Gegenstände der Welt beziehen.” (De ver. prin. III,8, S. 352) Für Nizolius ist die ars bene disserendi eine Subkategorie der ars bene loquendi, der Rhetorik. Dieses Verhältnis kehrt sich bei Ramus — wie schon zuvor bei Agricola (s. o.) — gerade um. Doch auch wenn Ramus das ,bene disserere’ eindeutig mit seiner Methode indentifiziert, bleibt der Begriff in den Übersetzungen Ramusscher Werke schillernd: Ramus selbst hatte ihn mit „disputer“ übersetzt, die posthume französische Edition der Dialektik von 1555, die 1576 erscheint, ändert ihn in „raisonner”, in englischen Übersetzungen erscheint er als „dispute“ oder „reason”, in einer deutschen als „die Vernunft [...] zu brauchen“, in lateinischen Übersetzungen der franz. Dialektik als „ratio utendi” und „ratiocinandi“ (siehe Ong, Ramus, S. 180).

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  361. Dial. A. Talaei pr. ill. (Basilea 1569), II,xix, S. 576; vgl. Ong, Ramus, S. 253. Die Metapher geht zurück auf Platon (Republica 493b) und richtet sich dort gegen sophistische Rhetorik, die als affetive Domptur des Willens der Menge interpretiert wird.

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  362. Dial. comm. tres. (1546) pp. 87 — 90; zitiert nach: Ong, Ramus, S. 364 u. (Übers.) 246; vgl. Ong, Ramus, S. 247.

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  363. Dial. A. Talaei. pr. ill. (Basilea 1569); II,xix S. 576. Ong kommentiert: „One becomes a poet, orator or historian only as a last resort, when one despairs of teaching in any other way. With this view goes Ramus’ persuasion that poetry is something definitely childish because its logic is spread thin, so that it can be taught to those whose tender years make it impossible for them to bear the impact of more ,solid’ logic.“ (Ong, Ramus, S. 253)

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  364. Scholae Rhetoricae col. 3211; in: Petrus Ramus. Scholae in liberales artet (1569); hrsg. u. eingel. v. W.J. Ong, Hildesheim 1970; vgl. Cahn, Kunst, S. 128, vgl. 129.

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  365. Vgl. Ong, Ramus, S. 254; Cahn, Kunst, S. 138f.

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  366. Omer Talon. Rhetorica e P. Rami praelectionibus observata. Lutetiae 1574 S. 6 u. 24.; vgl. Ong, Ramus, S. 369, Anm. 19.

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  367. Schol rhet. 292, 40f.: Ongs Hinweis auf: Metapher.

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  368. Schol rhet. 280, 32ff.; vgl. 280, 40ff. (auch: Hand); vgl. 281, 231

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  369. Schol rhet. 281, 16f.

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  370. Schol rhet. 283, 15.

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  371. Schol rhet. 283, 28ff; bes. 35.

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  372. Schol rhet. 256, 40f.

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  373. Schol rhet. 277, 16f.

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  374. Ong, Ramus, S. 272.

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  375. Ong, Ramus, S. 279.

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  376. The terms ornamentum or ornamentatio have certain definite synonyms which come from Cicero and Quintilian. An ,ornament’ of rhetoric is also indifferently styled as ,praise’ (laus) or an ,honor’ (honos or honor) or a ,light’ (lumen) of words of speech. All these concepts, ornamentum included, are closely connected with the notion that rhetoric demands a continuous flow of oral sound (oratio perpetua) a ciceronic expression which Ramus makes a shibboleth in his program to re-establish an eloquent and rhetorical, as against a scholastic, philosophy.“ (Ong, Ramus, S. 2771) Ong formuliert freilich etwas mystifizierend aus der — essentialistischen — Perspektive des rationalen Ethno-logen, wenn er die situative Chronologie des auditiven Paradigmas interpretiert: „for the sixteenth-and seventeenth-century mind, the value in the object and the praise elicited by the object tend to be viewed as one whole. This mind does not feel the exterior, objectiv world and the interior, personal word as distinct from one another quite to the extend that we do. Objects retain a more personal, or at least animistic, glow.” (Ong, Ramus, S. 279) Freilich ist mit Ramus die Wende schon eingeleitet, denn: „in the Raurist rhetorical tradition as compared with the ancient Ciceronian, laus and honor are minimized, and become peripheral notions which occur in the looser discussion of the early Training in Oratory and in Ramus’ commentary on rhetoric, but not in the presentation of the art of rhetoric proper. By 1555, Ramus’ offhand references to rhetoric show that he thinks of it in uncomplicated visualist terms as serving ,pour orner la parole’. Little wondern that Ramus’ followers, such as Bilsten or Alsted, will define rhetoric quite flatly as ,the art of expressing oneself ornately’. ,Praise’ and ,honor’, and with them much of the reality of sound itself, are gone.“ (Ebd.) Aber auch diese Position ist bereits überholt: 1533 erklärt Simon Gryneus im Vorwort seiner Euklid-Ausgabe, die geometrische Methode lasse ornamenta nicht zu (vgl. Gerl, Einführung, S. 139).

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  377. Vgl. Friedrich Gaede. Poetik und Logik. Bonn 1978.

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  378. Vgl. Walther Benjamin. Der Ursprung des deutschen Trauerspiels. In: Ders., Werke, Bd. II; vgl. das Benjamin-Zitat in: Adorno, Ästhetische Theorie, S. 304.

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Schneider, L.L. (1994). Die Rhetorik als Paradigma sozialer Sprache. Zum Rhetorismus der Renaissance. In: Reden zwischen Engel und Vieh. Kulturwissenschaftliche Studien zur deutschen Literatur. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-322-97042-8_3

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