Zusammenfassung
In diesem Kapitel wird der Frage nachgegangen, wodurch große Reformen der prozeduralen Regeln der kollektiven Arbeitsbeziehungen bewirkt wurden. Ich beschränke mich dabei auf Reformen, die nach oder im Zusammenhang mit der erstmaligen Institutionalisierung der Koalitionsfreiheit erfolgten1. Es werden funktionalistische und konflikttheoretische Hypothesen geprüft. Diese Hypothesen lassen vermuten, daß mindestens bei folgenden Veränderungen der Umweltbedingungen und Kräfteverhältnisse mit hoher Wahrscheinlichkeit institutionelle Neuordnungen der Arbeitsbeziehungen erfolgen: Kriege, Wechsel zwischen demokratischen und nicht-demokratischen Systemen, große Regierungswechsel, lange währende Regierungsbeteiligung sozialdemokratischer Parteien, große Arbeitskämpfe und schwere wirtschaftliche Krisen.
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Literatur
Die Begriffe “autoritäre” bzw. “nicht-demokratische” Systeme werden im folgenden synonym benutzt. Totalitäre Regime werden - in Abwandlung der Begriffsdefinitionen bei Linz (1975) - als eine Extremform nicht-demokratischer Regime betrachtet.
Es wird im folgenden der Fall der Besetzung eines Landes durch eine fremde Macht im Kriege ausgeschlossen. Die Fragestellung dieser Arbeit richtet sich auf relativ dauerhafte Regeln der kollektiven Arbeitsbeziehungen im Rahmen eines auf Dauer angelegten politischen Systems. Besatzungsregime im Kriege etablieren temporäre Regeln in Ausnahmesituationen, bei denen - im Gegensatz zu Besatzungsregimes nach Kriegsniederlagen (z.B. Japan, Deutschland, Italien, Österreich nach 1945) - davon ausgegangen wird, daß sie mit dem Abzug der Truppen außer Kraft treten.
Griechenland wird in der folgenden Darstellung ausgeschlossen, da zwischen 1919 und 1939 drei Diktaturen und acht Revolten und Staatsstreiche gezählt werden und sich in dieser Situation kein System der kollektiven Arbeitsbeziehungen ausbilden konnte (Jecchinis 1967: 55). Die Zeit zwischen dem Ende der Besetzung und dem Beginn des Obristen-Regimes wird - bis auf die Jahre 1963–65 - nicht als Demokratie gewettet (Hering et al. 1980: 67–76).
Auch das Tarifvertragsrecht der Weimarer Republik war - wie die 1923 eingeführte staatliche Zwangsschlichtung - ein Provisorium, das sich bis zum Ende der Republik gehalten hatte (Hentschel 1983: 73).
Soweit sich dies am Beginn der 90er Jahre aufgrund der verfügbaren Literatur beurteilen läßt, ist diese Implementation noch nicht zum Abschluß gekommen (Lecher/Naumann 1991: 42–48; Papagiannopoulos/Schnabel 1989).
Der Kendall’s taub-Koeffizient für die Korrelation der Indexwerte von 1939 und 1946 beträgt 0.44 (bei 14 Fällen, in denen zu beiden Zeitpunkten freie Arbeitsbeziehungen bestanden). Die Indizes für 1914 und 1919 korrelieren sogar mit 0.87 (bei 11 Fällen, in denen zu beiden Zeitpunkten freie Arbeitsbeziehungen bestanden).
Eine Liste aller großen Regierungswechsel wurde auf der Basis der Datensammlungen von Beyme (1970a), Flora (1983), Schmidt/Beyer (1992) sowie - für Australien und Neuseeland vor 1945 - auf der Grundlage von Hughes/Graham (1968) und Milne (1966) erstellt.
Eine mögliche dritte Ausnahme könnte auf den ersten Blick die neuseeländische Reform von 1932 sein. 1931 veränderte sich die Regierungszusammensetzung in Neuseeland (Die United Party bildete eine Koalition mit der Reform-Party) und in deren zeitlicher Folge wurde das Schlichtungssystem gegen den Widerstand der Labour Party reformiert. Dennoch handelt es sich nach den ope-rationalen Kriterien dieser Studie nicht um einen großen Regierungswechsel. Der Ministerpräsident war vor und nach der Koalitionsbildung derselbe. Zudem war die Reform des Schlichtungssystems vor allem durch die Weltwirtschaftskrise ausgelöst worden (Milne 1966: 44–46; Holt 1986: 187189).
Es wurden für jedes Land die Werte des Gesamtindexes der Gewerkschaftregulierung um 1946 und 1990 erhoben (Quelle: Kapitel 2; siehe Tabelle 5.2). Die durchschnittliche Stärke der Linken wurde als der durchschnittliche Anteil linker Parteien an Kabinettsitzen 1946–89 berechnet (Quelle: Schmidt 1990; 1992d mit Umrechnungen für Spanien; Griechenland und Portugal auf der Basis von Schmidt/Beyer 1992). Die Korrelationskoeffizienten (Kendall’s taub) betragen: Indexwerte von 1990 mit Indexwerten von 1946: 0.75 für 18 Länder (ohne Griechenland, Portugal, Spanien); Indexwerte von 1990 mit durchschnittlicher Stärke der sozialistischen und kommunistischen Linken 0.53 (für 21 Länder) bzw. 0.61 (für 18 Länder ohne Griechenland, Portugal, Spanien). Bei diesem Vorgehen wird ein linearer Trend der Entwicklung des Indexwertes über die Nachkriegszeit unterstellt, der 1990 zu einem höchsten oder niedrigsten Wert führt. Da diese Annahme problematisch ist, wurde auch für die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg die durchschnittliche Stärke der Linken mit dem durchschnittlichen Indexwert (Median der Jahreswerte) korreliert. Der Korrelationskoeffizient beträgt 0.54 und bestätigt somit das erste Ergebnis. Wird metrisches Meßniveau für abhängige und unabhängige Variablen unterstellt und eine multiple Regression mit den abhängigen Variablen “Indexwerte von 1990” und “Stärke der Linken” durchgeführt, ergibt sich eine Varianzaufklärung (bereinigter Determinationskoeffizient) von 77 Prozent. Der beta-Wert für den Indexwert von 1946 beträgt 0.66; jener für die Variable durchschnittliche Stärke der Linken ist 0. 30.
Kendall’s taub-Koeffizienten zwischen dem Streikniveau 1919–1938 (Quelle: Korpi 1983: 165) und den Indexdifferenzen (erste Differenzen) haben Beträge von 0.10 und weniger. Um die Fallzahlen zu erhöhen wurden für den Regulierungsindex der USA 1919 der Wert “8” eingetragen.
In Dänemark, Finnland, Großbritannien und in den Niederlanden betrug das durchschnittliche Streikvolumen zwischen 1968 und Herbst 1973 mindestens das Dreifache des Durchschnittswertes der Jahre 1962–68 (vgl. Armingeon 1992a).
Das Saltsjöbaden-Abkommen wurde auf dem Hintergund der Krisenerfahrung, aber bereits in einer wirtschaftlichen Wiederaufschwungsphase ausgehandelt. Die Krise war mithin nur indirekt an der Entstehung der Reform beteiligt (Fulcher 1991: 142; Jochem 1993).
Der Kendall’s taub Koeffizient für die Korrelation der Indexwerte von 1928 und 1939 beträgt 0.64 (14 Fälle), für jene von 1973 und 1990 ist er 0.91 (18 Fälle).
Diese Rangreihe beruht auf dem Veänderungsindikator der Indizes der Gewerkschaftsregulierung. Er wird berechnet, indem die betragsmäßigen Differenzen der Indexwerte zu Beginn und Anfang der Krisen bzw. Kriege addiert werden. Da sich die Fallzahlen unterscheiden, für die Indexpaare vorliegen, wurde mit der Zahl der Fälle standardisiert. Dabei wurde die Summe der Differenzbeträge durch die Zahl der ausgewerteten Fälle dividiert. Es ergeben sich folgende Werte: Zweiter Weltkrieg: 1.6; Wirtschaftskrise der 1930er Jahre: 1.4; Erster Weltkrieg: 0.4; Krise 1973ff.: 0.3. Dabei wird der verändernde Einfluß des Ersten Weltkrieges unterschätzt; da alleine vier Fälle (Belgien, Deutschland, Finnland, Österreich) mit starken Veränderungen nicht in die Berechnung eingehen, weil für 1914 der Indexwert fehlt.
Das schwedische Tarifvertragsgesetz (1928), die Ausweitung der Arbeitnehmer-Partizipation auf Betriebsebene in den Niederlanden (1971) und in Dänemark (1970) und die tarifvertragliche Regelung des Verhandlungssystems in Italien (1962) können beispielsweise mit tatsächlichen oder drohenden Arbeitskämpfen in Zusammenhang gebracht werden. (Elvander 1983: 334; Treu 1986: 147148; Akkermans/Grootings 1978; Peper 1975: 146; Lund 1991: 4). Die niederländischen Gesetze von 1923 und 1927 sind mittelbare Folge der Kooperationserfahrungen und sozialen Befriedungsstrategien während und direkt nach dem Ersten Weltkrieg (Windmuller/de Galan 1979a: 69–70). Die Strukturkrise der belgischen Ökonomie war ein wichtiger auslösender Faktor der Sozialen Programmierung im Jahr 1960 (Slomp/van Mierlo 1984b: 85). Der Austritt des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes aus der Zentralarbeitsgemeinschaft (1924) hatte auch seinen Grund in der Schwächung der deutschen Gewerkschaften während der Hyperinflation (Schönhoven 1987: 142). Die Rückkehr zur Demokratie und der wirtschaftliche Wiederaufbau nach der deutschen Besatzung hat die Einführung der Arbeitnehmer-Mitbestimmung in Dänemark (1947) erleichert (Lund 1991: 3), und sie war Ursache der temporären Zwangsschlichtung in Norwegen, die 1952 endete (ILO-Komitee 1975: 45).
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© 1994 Westdeutscher Verlag GmbH, Opladen
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Armingeon, K. (1994). Reformchancen. In: Staat und Arbeitsbeziehungen. Studien zur Sozialwissenschaft, vol 145. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-322-97040-4_4
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Publisher Name: VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden
Print ISBN: 978-3-531-12547-3
Online ISBN: 978-3-322-97040-4
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