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Zusammenfassung

Die Bürgerbewegungen, die im Herbst 1989 während des Zusammenbruchs des DDR-Staates an die Öffentlichkeit traten und als Initiatoren des Umbruchs eine von ihnen unvorhergesehene historische Rolle übernahmen, haben eine Vorgeschichte von etwa zehn Jahren. Bis Ende der siebziger Jahre bestand die politische Opposition gegen die SED überwiegend aus einzelnen Personen und sehr kleinen Gruppen.1 Seit Anfang der achtziger Jahre bildete sich vor allem innerhalb der evangelischen Kirche, in einer Reihe von Kirchengemeinden, eine neue politische — nicht kirchliche — Opposition aus Basisgruppen, „die rasch das gesamte kritische Potential der DDR-Geselllschaft konzentrierten und multiplizierten. Mit diesen Gruppen hatte der politische Widerstand eine Massenbasis und erstmals auch einen sozialen Hintergrund erlangt“.2 Sie griffen Themen auf und besetzten politische Handlungsfelder, die von den systemkonformen politischen Akteuren, den Blockparteien und Massenorganisationen, nicht beachtet wurden oder nur selektiv beachtet werden konnten, da herrschaftliche Zwänge — das Machtmonopol der SED und die außenpolitische Blockbindung — diesen Akteuren enge Handlungsgrenzen setzten. Die Gruppen hatten informellen Charakter und waren in ihren politischen Aktivitätsmöglichkeiten sehr eingeschränkt, konnten sich meist nur im lokalpolitischen Rahmen artikulieren. Es handelte sich jedoch nicht um Bürgerinitiativen mit örtlichen, nicht verallgemeinerbaren Anliegen. Ihre Themen waren globaler Natur, mit weltpolitischen Bezügen: im Vordergrund standen Frieden, Menschenrechte und Erhaltung der natürlichen Umwelt. Friedens-, Menschenrechts- und Umweltgruppen waren die wichtigsten und entstanden zuerst, später auch Frauengruppen sowie Gruppen, die zu Fragen der Dritten Welt und zu Minderheitenproblemen arbeiteten.3

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Literatur

  1. Vgl. Neubert in: Knabe 1989, S. 147f. Die wichtigsten mobilisierenden Ereignisse, die zu kurzfristig größerem politischem Widerstand führten, im Juni 1953 und August 1968, lagen lange vor der Entstehung der informellen Gruppen. Grundsätzlich zur Geschichte des politischen Widerstandes in der DDR s. Fricke 1984.

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  2. Neubert, in: Knabe 1989, S. 147. Zu den informellen Gruppen s. Pollack 1990 und 1990a, zur Rolle der Evangelischen Kirchen s. Schmid in: Müller-Enbergs, Schulz, Wielgohs 1991, S.342ff.

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  3. Dokumente zur Umweltbewegung in der DDR s. in Kirchliches Forschungsheim Wittenberg 1990, Dokumente zur Friedensbewegung in Schorlemmer 1990.

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  4. Geißler, in: Backhaus u.a., 1991, S. 11; vgl. Pollack in: Grabner, Heinze, Pollack 1990, S. 17 und generell: Rein 1989. Diese Orientierung galt für große Teile der Opposition und der Bürgerbewegungen auch noch im Herbst 1989: vgl. Krusche in: Knabe 1989, S. 101.

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  5. Eine solche Verhärtung zeigte sich z.B. in der Durchsuchung der Umweltbibliothek in Berlin im November 1987 und den Verhaftungen von Oppositionellen im Gefolge der LuxemburgLiebknecht-Demonstration im Januar 1988.

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  6. Vgl. Schorlemmer und Poppe in diesem Band zur Friedensbewegung in der DDR; zur frühen Friedensbewegung s.a. Ehring 1982; zusammenfassend: Knabe 1990, S. 73.

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  7. Brand 1990, S. 11; vgl, die unter 1.3. erwähnten besonderen Konfliktlinien in osteuropäischen Gesellschaften. Zur Okologiebewegung in der DDR vgl. Jordan in diesem Band. Zur Verlagerung der Schwerpunkte von der Friedens-auf die Umweltbewegung vgl. Heinze, Pollack in: Pollack 1990, S. 87: “Mit der Durchsetzung des NATO-Doppelbeschlusses und der Stationierung sowjetischer Raketensysteme auf dem Gebiet der DDR mußten die Gruppen ihre relative Wirkungslosigkeit erkennen. Infolge dieser Ernüchterung erfuhr aber die Arbeit der Gruppen eine stärkere Professionalisierung, wobei sich die thematischen Schwerpunkte von der Friendens-auf die Umweltproblematik verlagerten, und es entstanden gruppenübergreifende Zusammenschlüsse (Netzwerk ‘Frieden konkret’, Grünes Netzwerk ’Arche’, Inkota-Gruppen, Arbeitskreis ’Solidarische Kirche’, ’Kirche von unten’)”.

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  8. Ausführlicher zur Frauenbewegung in der DDR: Schwarz in diesem Band.

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  9. Vgl. Brand in: Roth, Rucht 1987, S. 41f. Andere Sichtweisen als Modernisierungskritik sind in der Forschung über neue soziale Bewegungen vertreten - vgl. statt anderer: Opp 1992 - doch gilt für alle, auch die von Brand, daß sie bei der Untersuchung von Bewegungen in westlichen Ländern gewonnen wurden und nicht einfach auf die Bürgerbewegungen übertragen werden können. Für die Rekonstruktion der Entwicklung der Bürgerbewegungen verwenden Wielgohs und Schulz (vgl. dies., 1991, S. 385) ebenfalls ein übernommenes Modell, das Strukturmodell sozialer Bewegungen von Sztompka, was allerdings von den Autoren selbst als diskussionsbedürftig erachtet wird.

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  10. Ein Ost-West-Vergleich von Bewegungen, auch im eingeschränkten Sinn eines Vergleichs ostund westdeutscher Bewegungen ist hier nicht beabsichtigt und war im Rahmen des Projekts nicht möglich. Das Plädoyer für einen derartigen Vergleich (Brand 1990, S. 15 f) ist durchaus zu unterstützen, zumal es helfen kann “Blickverengungen und falsche Generalisierungen” (ebd., S. 16) als Folge der Konzentration der Bewegungsforschung auf westeuropäische neue soziale Bewegungen zu überwinden.

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  11. Neubert, in: Knabe 1989, S. 148; vgl. Neubert in: Pollack 1990a, S. 35. Zur Auseinandersetzung mit Neuberts Funktionsanalyse der informellen Gruppen vgl. Pollack 1990a, S. 115ff und Heinze, Pollack in: Pollack 1990, S. 82ff.

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  12. Vgl. ebd., S. 84; s. Kap. 1.2. zur Diskussion von Neuberts Deutung der religiösen Funktionen der Gruppen.

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  13. Zur Arbeit der kirchlichen Umweltgruppen vgl. das vom Kirchlichen Forschungsheim Wittenberg herausgegebene “Grünheft”, 1990.

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  14. Zur sehr viel geringeren Bedeutung der katholischen Kirche s.u.; vgl. Sterzinsky in: Richter, Zylla 1991, S.216ff. Zur Anerkennung der evangelischen Kirche seitens des Staates vgl. etwa das Dokument zum Gespräch des Vorstands der Konferenz der Evangelischen Kirchenleitungen und des Staatsratsvorsitzenden der DDR vom 6.3. 1978, in: Richter, Zylla, 1991, S. 261ff. Ausführlich zur politischen Rolle der evangelischen Kirchen in der DDR der achtziger Jahre vgl. Schmid in: Müller-Enbergs, Schulz, Wielgohs 1991, S. 342ff.

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  15. Knabe 1989, S. 11; vgl. a. Probst 1991, S. 30. und Heinze, Pollack in: Grabner, Heinze, Pollack 1990, S. 84.

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  16. Wie aus Umfragen nach der Wende hervorging sind etwa 22,5% der DDR-Bevölkerung Protestanten, 4,5% Katholiken (vgl. Richter, Zylla 1991, S. 223 ).

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  17. Neubert 1991, S. 26f. Die drei Treffen der “Ökumenischen Versammlung für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung” in der DDR in den Jahren 1988 und 1989, in denen wichtige Texte der Opposition verabschiedet wurden, bringen die protestantische Überformung der Opposition deutlich zum Ausdruck. Ausführlich zum Verhältnis von evangelischer Kirche und Oppositionsgruppen s. Henkys und Grabner in Grabner, Heinze Pollack 1990, S. 26ff und 32ff und Schmid in Müller-Enbergs, Schulz, Wielgohs 1991, S. 342ff; zur Rolle und Haltung der katholischen Kirche s. Sterzinsky in: Richter, Zylla 1991, S. 216ff.

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  18. Ähnlich wie Neubert - und im Unterschied zu den meisten Deutungen und den in den Bürgerbewegungen dominierenden Auffassungen - hält Falcke (1985) die sozialethischen Gruppen als vorwiegend religiöse bzw. aus religiöser Weltsicht entstandene Gruppen. Zur Rolle der Religion in der DDR-Gesellschaft vgl. Neubert 1986.

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  19. Schmid in: Müller-Enbergs, Schulz, Wielgohs 1991, S. 350.

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  20. Henkys, in: Grabner, Heinze Pollack 1990, S. 29. Zum komplizierten Verhältnis zwischen Kirche und Oppositionsgruppen aus der Sicht von Mitgliedern der Bürgerbewegung vgl. Richter, Zylla 1991, insbes. die Interviews mit Klier, Ullmann, Weißhuhn und Mehlhorn.

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  21. Vgl. dazu a. Kap. 2, insbes. 2.4. Allerdings war die evangelische Kirche kein homogenes soziales Milieu. Vgl. Schmid in: Müller-Enbergs, Wielgohs, Schulz 1991, S. 356ff zur Heterogenität der Strömungen und Interessen, die in der evangelischen Kirche der DDR zusammentrafen. Programmatisch hat Neubert (1991) vom Zusammenhang zwischen “protestantischer Kultur und DDR-Revolution” gesprochen. Dabei wird folgende Charakterisierung von protestantischer Kultur formuliert: “Der Protestantismus ist seinem Wesen nach auf gesellschaftliche Kommunikationn angelegt und findet seine Identität in gesellschaftlicher Partizipation, wenn es gelingt, eine theologische und institutionelle Selbständigkeit zu bewahren. Die Ausgrenzungsstrategie des sozialistischen Staates verstärkte den Selbstbehauptungswillen und das Suchen nach einem eigenen gesellschaftlichen Standard. Der DDR-Protestantismus konnte mit seinem Konzept der ‘kritischen Solidarität’ trotz Anpassungsleistungen seinen Anspruch auf gesellschaftliche Mitwirkung behaupten.”(ebd., Zusammenfassung).

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  22. Im Sinne der bürgerlichen Revolutionen, als deren letzte die deutsche Revolution von 1848 angesehen werden kann.

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  23. Wie allen anderen erwähnten Deutungen soll auch dieser hier nicht die Funktion einer exklusiven oder bevorzugten theoretischen Erklärung der informellen Gruppen zukommen, sondern in der Diskussion über die Bürgerbewegungen bereits geäußerte oder von ihren eigenen Äußerungen und Verhaltensweisen her naheliegende Deutungen sollen gesammelt und zur Diskussion gestellt werden.

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  24. Einem Hinweis von Jan Wielgohs folgend wären als Gruppen, die theoretisch gearbeitet haben, zu nennen: die aus dem Vorbereitungskreis zum ersten Menschenrechtsseminar in der DDR hervorgegangene Gruppe “Gegenstimmen” und die Arbeit der Gruppe, die den “Antrag auf Absage an Praxis und Prinzip der Abgrenzung” formulierte; daneben gab es weitere, allerdings fast unbekannte theoretische Zirkel. Ferner wäre anzumerken, daß eine unbestreitbar deutliche allgemeine Politisierung der informellen Gruppen erst im letzten Jahr der DDR, vor den Kommunalwahlen vom Mai1989, stattgefunden hat.

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  25. Nach: Blake in: Blanke, Erd 1990, S. 192; vgl. Grunenberg, ebenda, S. 171 ff und Neubert, a.a.O., S. 21 ff, Schmid 1990, S. 41ff. Weitere Krisenanalysen, in der die Ursachen ähnlich dargestellt werden: Brie in: Knabe 1989, S. 181ff; Pollack in: Grabner, Heinze, Pollack 1990, S. 12ff.

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  26. Sie finden sich in verschiedenen Krisenanalysen wieder, z.B. bei Brie (in: Knabe 1989, S. 1811f); vgl. a. die Debatten in den beiden Ausgaben des Forschungsjournals “Neue Soziale Bewegungen” (Nr. 2/90 und 1/92) über die Bürgerbewegungen in der DDR.

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  27. Vgl. etwa den “Aufruf zur Einmischung in eigener Sache” der Bürgerbewegung “Demokratie Jetzt” vom 12. September 1989, wo von der “staatliche(n) Durchdringung und Uniformisierung der Gesellschaft” die Rede ist (vgl. Dokumente im Anhang).

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  28. In den Arbeiten von Knabe (s. z.B. ders. 1990, S.72ff) wird die Zeit der achtziger Jahre, bis zum Oktober 1989, als “Latenzphase” der Bürgerbewegungen bezeichnet, die anschließende als Phase der Entfaltung. Diese Kategorien werden auch in dem von Wielgohs und Schulz herangezogenen Entwicklungsmodell verwendet (vgl. dies. 1991, S. 385). Zur Diskussion dieser Phasenmodelle vgl. Kap. 2. 4.

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  29. Die vor kurzem von Opp (1992; vgl. a. ders. 1991) vorgestellte erste grundsätzliche Untersuchung zur “Erklärung der Revolution in der DDR” und Wielgohs, Schulz 1991 verwenden bei der Deutung der Entwicklung der Bürgerbewegungen analytische Modelle, auf die in Kap. 2.4. eingegangen wird.

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Bruckmeier, K. (1993). Vorgeschichte und Entstehung der Bürgerbewegungen in der DDR. In: Haufe, G., Bruckmeier, K. (eds) Die Bürgerbewegungen in der DDR und in den ostdeutschen Bundesländern. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-322-97037-4_1

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