Zusammenfassung
Will man die Differenz herausstellen, die die Konzeption der Kunst im Werk von Marx und Engels von dem trennt, was das 19. Jahrhundert an ästhetischen Konzeptionen entwickelt hatte, dann hat man es nicht leicht; denn Marx und Engels begründeten keine „marxistische Ästhetik“, sie wiesen vielmehr in einzelnen und verstreuten Bemerkungen auf die utopischen und erkenntnisproduktiven Potentiale der Kunst jenseits aller ideologischen Verrechenbarkeit hin. Diese Beurteilung der Kunst, die sie in keiner sozialen Determiniertheit aufgehen läßt, unterscheidet Marx und Engels ebensowenig von dem gängigen ästhetischen Selbstverständnis ihres Jahrhunderts wie die im Kern romantische Hoffnung auf ein Ende „autonomer“ Kunst in einer nachmodernen Zukunftsgesellschaft, die alle Differenzierung und Arbeitsteilung, alle „Entfremdung“ hinter sich lassen und das „totale Individuum“ möglich machen werde, welches die ehedem „autonome“ Kunst in seinen Alltag integriert. An beide Aspekte der ursprünglichen marxistischen Kunstreflexion ist im 20. Jahrhundert angeknüpft worden: an die Betonung der Erkenntnisrelevanz von Kunst in der Ästhetik von Georg Lukács, der die Unterscheidung von „Erkennen“ und „Verkennen“ zur Kennzeichnung „fortschrittlicher“ bzw. „reaktionärer“ Kunst einsetzte; an die Erwartung einer „Aufhebung autonomer Kunst“ in der Ästhetik Herbert Marcuses, die der Schillerschen Konzeption sehr nahe kommt. Beide Tendenzen marxistischer Kunsttheorie verbleiben ganz und gar im ästhetischen Dispositiv des 19. Jahrhunderts, was insbesondere auch an Marcuse zu zeigen wäre, der in seinen späten Jahren die vorher so bekämpfte „autonome“ Kunst resigniert rehabilitierte und — ähnlich wie Adorno — gerade als autonome zur einzig möglichen kritischen Instanz gegen die Gesellschaft aufbot, statt weiter auf eine „kulturrevolutionäre“ Entfesselung ehedem gebundener ästhetischer Energien in den befreiten Alltag zu hoffen.1
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Literatur
Vgl. Herbert Marcuse: Die Permanenz der Kunst. Wider eine bestimmte marxistische Ästhetik. München 1977.
Vgl. Wolfgang Gersch: Film bei Brecht. München 1975, S. 58 ff.
Vgl. zu diesem Zusammenhang von Film und Recht Bernard Edelman: Le droit saisi par la photographie. Paris 1973.
Gershom Sholem: Walter Benjamin - die Geschichte einer Freundschaft. Frankfurt/M. 1975, S. 257 f.
Bertold Brecht: Arbeitsjournal. Hrsg. v. W. Hecht. Bd. 1. Frankfurt/M. 1973, S. 16.
Edgar Allan Poe: Der Massenmensch. In: Gesamtausgabe der Werke. Bd. 2. Olten/Freiburg i. Br. 1967, S. 707 u. S. 712 f.
Im Sinne von Claude Lévi-Strauss: Die Ebenen der Authentizität. In: „Primitive“ und „Zi- vilisierte”. Nach Gesprächen aufgezeichnet von G. Charbonnier. Zürich 1972, S. 45 ff.
Siegfried Kracauer: Kult der Zerstreuung. In: Das Ornament der Masse. Frankfurt/M. 1977, S. 314 f.
Hans Magnus Enzensberger: Baukasten zu einer Theorie der Medien. In: Kursbuch 20 (1970), S. 165.
Hans Magnus Enzensberger: Mittelmaß und Wahn. Frankfurt/M. 1988, S. 98 f.
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Plumpe, G. (1993). Marxistische Medientheorie. In: Ästhetische Kommunikation der Moderne. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-322-97031-2_4
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