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Zusammenfassung

Carl Schmitt, Kronjurist der Präsidialkabinette v. Papen, Schleicher und schließlich Hitlers, gefürchteter wie geachteter Staatsrechtler, kannte den Begriff der „streitbaren Demokratie“ noch nicht, als er 1928 zuerst sein Werk „Der Begriff des Politischen“ vorlegte. Doch was er hier schrieb, könnte man als ein Schreckgespenst bezeichnen, welches über allen Bemühungen um Republikschutz (so der Weimarer Begriff), Verfassungsschutz, Staatsschutz steht. 1933 geht Schmitt in seinem Aufsatz „Totaler Staat“ noch einen Schritt weiter, indem er die Art und Weise des Umgangs mit Staatsfeinden skizziert. Der „totale Staat“ lasse „in seinem Innern keinerlei staatsfeindliche, staatshemmende oder staatszerspaltende Kräfte aufkommen Er denkt nicht daran, die neuen Machtmittel seinen eigenen Feinden und Zerstörern zu überliefern und seine Macht unter irgendwelchen Stichworten, Liberalismus, Rechtsstaat oder wie man es nennen will, untergraben zu lassen. Ein solcher Staat kann Freund und Feind unterscheiden“ (Schmitt, 1940, S. 186). Die Befürworter eines starken Staates mögen sich in solchen Formulierungen ebenso wiedererkennen wie auch seine schärfsten Kritiker. Die einen könnten bei Schmitt eine Rechtfertigung für das entschiedene, „wehrhafte“ Eintreten für Staat und Verfassung und gegen deren Gegner ablesen. Sie könnten beispielsweise den Terrorismus als Beleg für die Fortexistenz von Staatsfeinden anführen und daraus eine entschiedene Wehrhaftigkeit des Rechtsstaates und die Notwendigkeit der Unterscheidung von „Freund“ und „Feind“ ableiten. Die anderen könnten aus seinen Überlegungen die vermeintlich ungeschminkte Wahrheit über den militanten Charakter aller Staatsschutzbemühungen herauslesen: War Staats- und Verfassungsschutz nicht seit der Herausbildung der Staaten von Anfang an verbunden mit Denunziation, Kriminalisierung von Minderheiten, zur Staatsräson verklärter Verfolgung Andersdenkender? Beide Deutungsvarianten werden noch dadurch bekräftigt, daß Schmitt keineswegs tagespolitisch zu argumentieren glaubte. Er hat die Freund-Feind-Unterscheidung als Wesensmerkmal des Politischen schlechthin betrachtet. Ohne sie zerfasere alle Politik in eine entpolitisierte Universalgesellschaft, in bloßes Verwaltungshandeln, in reine Ökonomie, in unendliche, unverbindliche Diskussion. „Politisches Denken und politischer Instinkt bewähren sich also theoretisch und praktisch an der Fähigkeit, Freund und Feind zu unterscheiden“, heißt es, und: „Überall in der politischen Geschichte, außenpolitisch wie innerpolitisch, erscheint die Unfähigkeit oder Unwilligkeit zu dieser Unterscheidung als Symptom des politischen Endes“ (Schmitt, 1963, S. 67).

„Die Leistung eines normalen Staates besteht aber vor allem darin, innerhalb des Staates und seines Territoriums eine vollständige Befriedung herbeizuführen, ‚Ruhe, Sicherheit und Ordnung‘ herzustellen und dadurch die normale Situation zu schaffen, welche die Voraussetzung dafür ist, daß Rechtsnormen überhaupt gelten können, weil jede Norm eine normale Situation voraussetzt und keine Norm für eine ihr gegenüber völlig abnorme Situation Geltung haben kann.

Diese Notwendigkeit innerstaatlicher Befriedung führt in kritischen Situationen dazu, daß der Staat als politische Einheit von sich aus, solange er besteht, auch den ‚inneren Feind‘ bestimmt. In allen Staaten gibt es deshalb in irgendeiner Form das, was ... das römische Staatsrecht als hostis-Erklärung kannte, schärfere oder mildere, ipso facto eintretende oder auf Grund von Sondergesetzen justizförmig wirksame, offene oder in generellen Umschreibungen versteckte Arten der Ächtung, des Bannes, der Proskription, Friedloslegung, hors-la-loi-Setzung, mit einem Wort, der innerstaatlichen Feinderklärung.“

(Schmitt, 1963, S. 46f.).

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Literatur

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  14. Auch innerhalb des Systems der anerkannten Spielregeln müssen die Mehrheiten sich gegenüber den Minderheiten Zurückhaltung auferlegen. Sie dürfen, obwohl - auf Zeit - im Besitz der Staatsgewalt, nicht als die Monopolisten der Wahrheit und des Gemeinwohls auftrumpfen. Denn nur wenn die Minderheiten für die Zukunft ihre unverkürzte Chance behalten, kann man von ihnen verlangen, daß sie sich den Mehrheitsentscheidungen fügen. Wer darum unbequeme Meinungen und Bewegungen diffamiert und irgendwie versucht, sie administrativ zu erstikken, ihnen den Zugang zu den Medien abzuschneiden, ihnen das Demonstrationsrecht zu verkürzen oder wie immer, der leistet in Wahrheit der eigenen Sache einen Bärendienst; er zerstört die Legitimität, das Fundament, auf dem Mehrheitsbefugnisse überhaupt erst begründet werden können. Er darf sich daher weder wundern noch beklagen, wenn im Gegenzuge die Minderheiten den Gehorsam aufkündigen und sich subversiv verhalten. In solcher Perspektive ist an unser problematisches Erbe aus dem Obrigkeitsstaat zu erinnern, an die Neigung, der eigenen Person und Partei eine Art von Gralshüterschaft am Tor der freiheitlich demokratischen Grundordnung zu bescheinigen, um - eben damit - den Andersdenkenden an oder über den Rand der Verfassung zu drängen; es ist zu erinnern an die zweischneidigen Beschwörungsrituale einer Gemeinsamkeit der Demokraten, deren Hintersinn doch nur die Ausgrenzung jener sein kann, denen mit der Gemeinsamkeit die demokratische Zuverlässigkeit aberkannt werden soll“ (v. Krockow, 1985, S.456f.).

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  15. Vgl. Dudek/Jaschke, 1984, Jaschke, 1989, und 1990; der systematische Zusammenhang von Extremismusforschung und “Streitbarkeits”-Postulat ist vorgestellt in: Jaschke, 1990a.

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Jaschke, HG. (1991). Einleitung. In: Streitbare Demokratie und Innere Sicherheit. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-322-97015-2_1

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