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Humboldts Bildungspolitik und die Französische Revolution

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Zusammenfassung

In jener bemerkenswerten Gruppe von Dichtern, Schriftstellern und Denkern, die das klassische Zeitalter der deutschen Literatur und Philosophie prägten, war Wilhelm von Humboldt als einziger imstande, die Ideen und Ideale der klassischen Kultur von Jena und Weimar in ein Langzeitprogramm politischen Handelns zu übersetzen. Humboldt, in eine Lage realer Macht versetzt, hatte keinerlei Skrupel, diese Macht für eine bleibende Umwandlung der sozialen und politischen Ordnung in Deutschland und Preußen einzusetzen.1 Obwohl auf dem Wiener Kongreß seine Versuche scheiterten, Deutschland eine liberale Verfassung zu geben, und 1819 auch seine Bemühungen, Preußen aus einem autokratischen Staat in eine demokratisch aufgebaute Gesellschaft zu überführen, zu völligem Fall gebracht wurden, waren seine Bildungsreformen von 1809/10 teilweise erfolgreich und von bleibender Wirkung.2 Das gesamte deutsche Bildungssystem, wie es während des neunzehnten Jahrhunderts und weit hinein ins Zwanzigste bestand, ehtsprang den radikalen Reformen von 1809/10, deren maßgebender Architekt Humboldt war. Und als in der ersten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts das moderne amerikanische System öffentlicher Erziehung aufgebaut wurde, übernahm es das Modell Humboldts. Gleichermaßen richtete sich die moderne amerikanische Universität, die aus der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts stammt, nach dem Modell Humboldts, dessen Prototyp, die Universität Berlin, er 1810 geschaffen hatte. Heute über Humboldts politische Philosophie und Praxis zu sprechen, heißt demnach, einen wichtigen Teil unserer eigenen Institutionsgeschichte nachzuzeichnen.

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Anmerkungen

  1. Für eine Übersicht über Humboldts Laufbahn vgl. Paul R. Sweet, Wilhelm von Humboldt. A Biography, 2 Bände, Columbus, Ohio, 1978–1980; Bruno Gebhardt, Wilhelm von Humboldt als Staatsmann, 2 Bände, Stuttgart 1896–1899, Reprint Aalen 1965; ferner die Dokumentation in: Wilhelm von Humboldt, Werke in fünf Bänden, Hgg. A. Flitner und K. Giel, Darmstadt 1964 und 1981, Bd. IV und V sowie in: Wilhelm von Humboldt, Studienausgabe, Hg. E. Mueller-Vollmer, Frankfurt/M. 1971, Bd. II.

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  2. Clemens Menze, Die Bildungsreform Wilhelm von Humboldts, Hannover-Dortmund-Darmstadt-Berlin 1975.

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  3. Joachim Heinrich Campe, Briefe aus Paris während der Französischen Revolution geschrieben, Hg. H. König, Berlin 1961, S. 115.

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  4. Vgl. folgenden Tagebucheintrag Humboldts: “Ich kann mich nicht in die art finden, wie er die dinge ansieht. Seine und meine gesichtspunkte liegen himmelweit auseinander. Ewig hat er vor augen, und führt er im munde das was nützlich ist, was die menschen glücklicher macht, und wenn es nun darauf ankommt zu bestimmen was das ist, so ist diese bestimmung immer so eingeschränkt (…) Vom Rheinfall bei Schaffhausen sagte er mir, ‘ich sehe lieber einen kirschbaum, der trägt früchte, und so schön und gross der Rheinfall ist so ist er doch ein unnützes geplätscher, das niemandem nützt.”’ (Wilhelm von Humboldt, Gesammelte Schriften, Hg. A. Leitzmann, Berlin 1903–1936, Bd. XIV, S. 85f.).

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  5. Über den Einfluss des Theismus, Atheismus und Skeptizismus auf die Sitten der Menschen (1788/89), von Leitzmann veröffentlicht unter dem Titel “Ober Religion” (Wilhelm von Humboldt; Anm. 5), Bd. I, S. 45–76).

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  6. Wie weit darf sich die Sorgfalt des Staats um das Wohl seiner Bürger erstrecken?, in: Wilhelm von Humboldt (Anm. 5), Bd. I, S. 106–123; Zitat S. 106.

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  7. Die Begriffe von Mannigfaltigkeit oder Verschiedenheit und die eng verwandten von Unterschied oder Differenzierung spielen in Humboldts Denken eine zentrale Rolle und kehren lebenslang in seinen ästhetischen, anthropologischen und linguistischen Schriften wieder. Sein letztes Werk, das magnum opus von 1835, trägt den Titel: Uber die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaus.

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  8. ldeen über die Staatsverfassung, durch die neue französische Constitution veranlasst (1791), in: Wilhelm von Humboldt, Gesammelte Schriften (Anm. 5), Bd. I, S. 77–96.

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  9. G. Lefebvre, La Révolution française, Paris 1956; B. Melchior-Bonnet, Dictionnaire de la Révolution et de l’Empire. Paris 1965, S. 101–104; D. Woronoff, The Thermidorean Empire and the Directory 1774–1799, Cambridge/England-New York-Sydney 1984.

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  10. Zitiert in: Murray Forsyth, Reason and Revolution. The Political Thought of Abbé Sieyès, Leicester-New York 1987, S. 103 (aus Sieyès’ “Projet d’un decret provisoire sur le clergé”, 1890).

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  11. Hannah Arendt, The Human Condition, Chicago 1958.

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  12. Zur Stützung dieser Ansicht kann, wie häufig geschehen, Humboldt selbst zitiert werden, der 1809 an Nicolovius schrieb: “Es kann Niemand unvorbereiteter in einen Posten kommen als ich in den meinen” (Werke in fünf Bänden (Anm. 1), Bd. V, S. 504). Vgl. auch Menze, Die Bildungsreform (Anm. 2), S. 59. Aber daß Humboldt keine praktische Erfahrung in der Organisation und Führung von Erziehungseinrichtungen hatte, um von einem ganzen Nationalerziehungssystem zu schweigen, heißt keineswegs, daß er nicht mit den praktischen und politischen Problemen bei Planung und Errichtung eines Nationalerziehungssystems tiefgreifend beschäftigt war, wie seine Pariser Tagebücher bezeugen.

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  13. Humboldt teilte die Skepsis einiger seiner französischen Bekannten und Freunde, zumal Sieyès’, ob die historische Wahrheit von Ereignissen, etwa der verschiedenen Phasen der Revolution, je zu erlangen sei (Gesammelte Schriften (Anm. 5), Bd. XIV, S. 404, 414, 422, 431, 464f., 627f., 649). Deshalb versucht Humboldt, statt auf eine Einheitsinterpretation des französischen Gesellschaftslebens zu zielen, möglichst viele exakte Tatsachen und Beobachtungen zu mannigfachen Phänomenen zu sammeln, um dem Leser so etwas wie ein Netzwerk semiotischer Orientierungspunkte zu schaffen, das es ihm erlauben soll, unterschiedliche Kraftlinien des Sozialen und Kulturellen am Werk zu sehen.

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  14. Zur Zusammensetzung des Instituts vgl. A. Potiquet, L’Institut National de France. Ses diverses organisations,ses membres, ses associés et ses correspondants, Paris 1871.

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  15. Ch. H. Van Duzer, Contribution of the Ideologues to French Revolutionary Thought, Baltimore 1935 (The Johns Hopkins University Studies in Historical and Political Science, Reihe LIII, Nr. 4). Humboldts Tagebuch enthält kritische Exzerpte aus Tracys an das Institut gerichteter Denkschrift “Comment acquerons-nous la connaissance des corps extérieurs et du nôtre?” (22. 2. 1798, Gesammelte Schriften (Anm. 5), Bd. XIV, S. 423). Nach Lektüre der offiziellen Resumés des Instituts “Travaux pendant l’an, V” kommentiert Humboldt: “Tracy sur la faculté de penser. Schlägt eine neue Wissenschaft darüber vor: l’Idéologie.” (Ebd., S. 426).

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  16. Nachdem Humboldt Tracys Bekanntschaft gemacht hatte, organisierte dieser im Mai 1798 eine metaphysische Debatte, wo Humboldt über vier Stunden lang vergebens versuchte, die Prinzipien von Kants und Fichtes Transzendentalphilosophie zu verteidigen und zu erklären. Neben Tracy nahmen an der Debatte folgende Ideologen teil: Jacquemont, Cabanis, La Romiguière, Le Breton und Sieyès (Humboldt, Gesammelte Schriften (Anm. 5), Bd. XIV, S. 483–487. Vgl. auch Humboldts Bericht über das Treffen in seinem Brief an Schiller vom 23. Juni 1798.

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  17. Letzthin gab es zwischen Linguisten eine erhitzte Debatte, ob Humboldt - und falls ja, in welchem Ausmaß - von den Ideologen abhängig war. Aber weder H. Aarsleff (From Locke to Saussure, Essais on the Study of Language and Intellectual History, Minneapolis 1968), der diese Abhängigkeit bejaht, noch auch seine deutschen Gegner (H. Gipper, Schwierigkeiten beim Schreiben der Wahrheit in der Geschichte der Sprachwissenschaft. Zum Streit um das Verhältnis von Wilhelm von Humboldt zu Herder, Logos Semantikos, Bd. I, Studia Linguistica in Honorem Eugenio Coseriu,Hg. J. Trabant, Berlin-New York-Madrid 1981, S. 87–99; W. Osterreicher, Wem gehört Wilhelm von Humboldt? Zum Einfluß der französischen Aufklärung auf die Sprachphilosophie der deutschen Romantik, Logos Semantikos, Bd. I, S. 117–135) untersuchen Humboldts Beziehung zu den Ideologen außerhalb eines eng definierten linguistischen und epistemologischen Kontexts.

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  18. Le Moniteur,Sitzung vom 6. November 1793, XVIII, S. 361, zit. in: Van Duzer, Contribution of the Ideologues (Anm. 33), S. 93.

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  19. M. Forsyth, Reason and Revolution (Anm. 19), S. 204.

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  20. Artikel XXI der Verfassung von 1791, von Sieyès formuliert. Vgl. Forsyth, Reason and Revolution, ebd., S. 206.

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  21. Robespierre, Textes choisis, Hg. J. Poperen, 3 Bände, Paris 1973, Bd. II, S. 157–158, zit. in: Forsyth, Reason and Revolution, ebd., S. 208.

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  22. Robespierre, Textes choisis,Bd. Il, ebd., S. 157–158, zit. in: Forsyth, ebd., S. 208.

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  23. Für eine Darlegung dieser Ziele siehe Van Duzer, Contribution of the Ideologues (Anm. 33), S. 101–103.

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  24. Das Gesetz vom dritten Brumaire statuiert im Artikel I des für die Normalschulen angenommenen Projekts: “Il sera établi à Paris une Ecole normale où seront appelés de toutes les parties de la République des citoyens déjà instruits dans les sciences utiles, pour apprendre, sous les professeurs les plus habiles dans tous les genres, l’art d’enseigner.” (Van Duzer, Contribution of the Ideologues, ebd., S. 109) Der Verfasser des Normalschulplans war Lakanal.

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  25. Wilhelm von Humboldt, Gesammelte Schriften (Anm. 5), Bd. XIV, S. 635 (24. September 1798): “Séances des écoles normales recueillies par des sténographes et revues par les professeurs. Première partie. Leçon. T. 1 a. 2, Paris 1798. Die Normal Schulen waren ein schöner, aber ungeheurer Plan, der durch seine Größe selbst sinken mußte.”

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  26. Auf einer Abendgesellschaft im Salon von Madame Helvétius sagte Cabanis zu Humboldt: “Sie werden jetzt die écoles centrales nach der Grösse der Städte verschieden einrichten; Lyceen, besonders ein großes in Paris établiren, die eigentliche Universitäten seyn werden; und jedem jury d’instruction (dem Modell für Humboldts nachmalige ”wissenschaftliche Deputation“ in seinen Reformplänen für die Universität Berlin) zur Seite wird ein Commissaire des gouvernements seyn. Die Hauptschwierigkeiten, die die Commission findet, sind: 1. die Praetension jedes Deputirten auf Gleichheit aller Départements zu bestehn, und für jedes eine école centrale zu verlangen. 2. die republikanische Form der jury d’ instruction, wo zum Theil ganz unwissende Menschen die Stellen der Schulen besetzen. 3. das Vorurtheil gegen einen ministre de l’instruction publique…” (Wilhelm von Humboldt, Gesammelte Schriften, ebd., Bd. XIV, S. 536f.).

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  27. Königsberger Schulplan, in: Wilhelm von Humboldt, Gesammelte Schriften (Anm. 5), Bd. XIII, S. 260f.

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  28. Königsberger Schulplan, in: Wilhelm von Humboldt, ebenda. Humboldts Unterscheidung zwischen Primär-und Sekundärerziehung scheint auf die Unterscheidungen gegründet, die das Gesetz vom dritten Brumaire einrichtete, als es die Primärerziehung auf Unterricht in Lesen, Schreiben, Rechnen und Moral beschränkte. Humboldt übernahm von den Ideologen auch die dreiteilige Organisation der Sekundärerziehung, veränderte und vereinfachte ihr Schema jedoch recht erheblich. Während der Plan von Lakanal und Sieyès zwischen drei Fächergruppen unterschied - erstens Zeichnen, Naturgeschichte und Sprache, zweitens Mathematik, Physik und Chemie, drittens Literatur, Geschichte und Regierung -, teilte Humboldt alle Fächer in erstens linguistische, zweitens historische und drittens mathematische Gegenstandsbereiche ein. Vgl. Van Duzer, Contribution of the Ideologues (Anm. 33), S. 108 sowie WI-helm von Humboldt, Gesammelte Schriften (Anm. 5), Bd. XIII, S. 262.

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  29. Wilhelm von Humboldt, Gesammelte Schriften (Anm. 5), Bd. XIV, S. 483. Bei Gelegenheit einer seiner Besuche bei Sieyès schreibt Humboldt: “Sieyès sagte, daß große Unglück der Schul - so wie vieler andern Anstalten sey, daß man ihre fondationen aufgehoben habe, wogegen er sich genug, aber vergeblich erklärt hätte.” Sieyès in seinen Observations sommaires sur les biens ecclésiastiques, du 10 août 1789, Versailles 1789, und in seinem Projet d’un décret provisoire sur le clergé du 12 février 1790, Paris 1790, hatte argumentiert, daß Kirche und Klerus ihre Besitztümer unter dem Ancien Régime von Rechts wegen nur treuhänderisch innehatten, nämlich mit der Verpflichtung, für Erziehung und Wohlfahrt der Nation zu sorgen, und daß folglich das Kircheneigentum nicht in Privatbesitz überführt, sondern als Schenkung zur Finanzierung öffentlicher Erziehung verwendet werden sollte.

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  30. Forsyth, Reason and Revolution (Anm. 19), S. 204.; Wilhelm von Humboldt, Gesammelte Schriften (Anm. 5), Bd. XIII, S. 277 (Litauischer Schulplan).

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  31. Chénier in seiner Ansprache vor der Nationalversammlung am 6. November 1793 (Moniteur,XVIII, S. 351), zitiert bei Van Duzer, Contribution of the Ideologues (Anm. 33), S. 94f.

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  32. Die innige Verbindung, die Humboldt zwischen politischer Verfassung und öffentlichem Erziehungssystem sah, sowie seine Definition politischer Tätigkeit als eines Erziehungsprozesses erweisen ihn einmal mehr als engen Verbündeten der französischen Ideologen. Lakanal in seiner Ansprache vor der Nationalversammlung am 24. Oktober 1794 hatte es so formuliert: “L’éducation, en effet, tient si essentiellement aux premières institutions sociales d’un peuple, la constitution doit être tellement faite pour l’éducation et l’éducation pour la constitution, que toutes les deux sont manquées si elles ne sont pas l’ouvrage des mêmes esprits, du même génie; si elles ne sont pas en quelque sorte des parties correlatives d’une seule et même conception.” (Van Duzer, Contribution of the Ideologues (Anm. 33), S. 96f., zitiert nach Le Moniteur, XXII, S. 347.).

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Friedrich A. Kittler Manfred Schneider Samuel Weber

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Mueller-Vollmer, K. (1990). Humboldts Bildungspolitik und die Französische Revolution. In: Kittler, F.A., Schneider, M., Weber, S. (eds) Diskursanalysen 2: Institution Universität. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-322-96997-2_4

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