Zusammenfassung
Wir haben bereits in Kap. I. 1 auf ein zentrales Spezifikum der bäuerlichen Arbeit, ihre Natur„wüchsigkeit“118 und Naturgebundenheit ausführlicher hingewiesen. Um die Folgen der Revolutionierung der landwirtschaftlichen Produktivkräfte, die wir unter dem Etikett „Industrialisierung der Landwirtschaft“ zusammenfassen, besonders auch im Hinblick auf die betroffenen Produzenten abschätzen zu können, scheint es uns notwendig, einige weitere Merkmale der traditionalen bäuerlichen Arbeit nachzutragen, die sie mit anderen vorindustriellen Produktionsweisen, v.a. mit dem traditionellen Handwerk gemeinsam, wenngleich — eben aufgrund ihres besonderen Naturbezugs — jeweils spezifisch ausgeprägt hat.
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Literatur
Vgl. I. Ostner 1978, S. 116 ff.
Wir folgen hierbei der Begriffsbildung, die O. Ullrich 1979a im Anschluß an J. Habermas 1968, S. 56 ausgeführt hat; vgl. O. Ullrich 1979a, S. 53 ff. und S. 201 ff. „Instrumentales Handeln“ ist nicht zu verwechseln mit „instrumenteller Orientierung”, die — wie gesagt — bei den Bäuerinnen nur selten „rein“ anzutreffen war.
O. Ullrich 1979a, S. 53.
R. zur Lippe 1976, S. 123.
R. zur Lippe schlägt vor, mithilfe dieser Wahrnehmungs-und Beschreibungskategorien neue Bestandsaufnahmen in verschiedenen Arbeitskontexten zu machen: „Beim Melken z.B. können nur durch einen Gesamtrhythmus das komplexe Zusammenspiel beider Hände und Arme, der verschiedenen Gelenke und Muskelsysteme, des Wechselns, des Richtungsgebens und des Gespürs für die Reaktionen des Tieres in Übereinstimmung gebracht werden.“ Vgl. dazu unsere Kommentare zum Melken-Lernen, Kap. V.
R. zur Lippe 1976, S. 124.
Vgl. hierzu Mumfords Ausführung zur polytechnischen Tradition und Entwicklung: L. Mumford 1977, S. 487 ff.
C. Amery 1976, S. 80.
Vgl. U. Jeggle 1977, S. 132 ff.
Die Qualitätsnormen für Markt-Obst und -Gemüse bzw. deren Handelsklassenbestimmungen sind ein Spiegel heutzutage propagierter Qualitätsvorstellung: Die sogenannten Mindesteigenschaften, die die Waren zu erfüllen haben, wie „gesund“, „sauber”, „frisch“, „frei von fremdem Geruch und Geschmack”, „frei von anormaler Feuchtigkeit“ sind in den Handelsklassenbestimmungen gänzlich auf Dimensionen der Äußerlichkeit reduziert: „Eine Bestimmung des vorhandenen Gehalts an Chemikalien in oder auf den Erzeugnissen wird nicht in Handelsklassen-Bestimmungen geregelt.” (AID (Hg.) 1975, (335),S. 8) „gesund“: „frei von Krankheiten oder ernsthaften FehlernChrw(133), die Aussehen oder Marktwert beeinträchtigen bzw. sie zum Verzehr ungeeignet machen.” (AID (Hg.) 1975 (353), S. 8) „sauber“: „frei von jeglicher Spur von Erde, Staub, Schmutz, sichtbaren Unsauberkeiten jeglicher Art und auch ohne sichtbare Rückstände von Dünge-, Schädlingsbekämpfungs-und anderen Behandlungsmitteln” (AID (Hg.) 1975 (353), S. 9).
Vgl. S. Weil 1978 (1951), S. 77 ff.
Die Abtrennung der geistigen Potenzen aus dem unmittelbaren Arbeitsprozeß und deren isolierte Weiterentwicklung bis hin zum Einbau in den ursprünglichen Arbeitsvorgang, aber auch die umfassenderen Qualifikationsveränderungen, die jede technische Innovation begleiten, sind bisher in ihren Bedingungen und Folgen hauptsächlich für die industrielle Produktion untersucht und beschrieben worden. Dagegen fehlt ein Beitrag zum Thema Qualifikation und Dequalifikation des bäuerlichen Produzenten im Zuge des Wandels im Agrarsektor seit langem. Die folgenden Ausführungen sollen einen Einstieg in diesen Themenkomplex bieten.
Dieser quasi-spontane Prozeßrhythmus unterscheidet sich von den „erzwungenen“, von Menschen hergestellten regelmäßigen Bewegungen einer Maschine, bei denen im Normalbetrieb jeder Zyklus mit dem vorhergehenden und dem nachfolgenden identisch ist.
Eine gute Zusammenfassung wichtiger Merkmale naturwissenschaftlichen Wissens gibt O. Ullrich 1979a, S. 75 ff.
Umso erstaunlicher ist in vielen Fällen das außerordentlich hohe Alter der Regeln. Manche reichen bis in die sumerisch-babylonische Kulturepoche, viele in das klassische Altertum zurück; vgl. hierzu Hauser 1975, S. 28 ff.; vgl. auch U. Jeggle 1981.
Vgl. hierzu die Arbeit von M. Thun und H. Heinze 1973 und die Dissertationen von U. Abele 1973 und H. Graf 1977 sowie U. Graf und E. R. Keller 1978.
A. Hauser 1975, S. 88.
Vgl. I. Ostner 1978, S. 122 ff.
Dies zeigte schon die Untersuchung von Sachs, wonach sich die Landwirtschaftsschulen einer allgemeinen Wertschätzung bei der bäuerlichen Bevölkerung erfreuen, freilich weniger aufgrund des dort erlernbaren technischen Wissens und der im bäuerlichen Alltag erforderten Fähigkeiten; im Gegenteil: sie werden wegen ihrer „Betriebsfremdheit“ kritisiert und geschätzt aufgrund des dort möglichen „sozialen Erlebens” der Kontaktaufnahme und Kommunikationsmöglichkeit; R. E. G. Sachs 1972, S. 169.
In zahlreichen der tradierten Mondregeln wird ein Zusammenhang hergestellt zwischen dem Mondstand und den Mondphasen einerseits, dem Wetter, dem Wachstum von Fauna und Flora andererseits. Unsere Wahl fiel auf diese „Mondfrage“, weil einige Zeit vorher in den Landfrauenzirkeln, denen die meisten Bäuerinnen des einen Untersuchungsgebietes angehören, ein Vortrag zu diesem Thema stattgefunden hatte, der allerdings keine Frau nachhaltig umgestimmt hat.
Weitere Ergebnisse von A. Hauser 1975, S. 58 ff.: Die junge Generation ist sehr kritisch gegenüber Bauernregeln. Haupterwerbsbauern stehen ihnen positiver gegenüber als Nebenerwerbsbauern. Gut ausgebildete Personen sind kritischer und skeptischer als weniger gut ausgebildete. Männer sind kritischer als Frauen. Größere Skepsis besteht gegenüber Regeln, die nicht zum eigenen Regelvorrat gehören. Die Tradierung der Regeln erfolgt zumeist übers Elternhaus.
Gerste sollt mer noch im März nausbringen. Wenn’s geht, machen wir’s ja, aber wir haben schon im April auch noch gesät und den gleichen Erfolg gehabt.“ (10)
U. Graf hat in ihrer Dissertation 1977 versucht, den Zusammenhang zwischen der Wirtschaftsweise und der Gültigkeit bestimmter Regeln über Gestirnseinflüsse zu ermitteln. Demnach ist er bei modernem chemisiertem Landbau nicht mehr existent, bei „biologischem“ Landbau — allerdings in Abhängigkeit vom jahresdurchschnittlichen Wetter — nachweisbar.
In letzter Zeit nimmt die Kritik an der Haltung, die wissenschaftliche Vernunft verabsolutiert und zum alleinigen Maßstab für die Beurteilung anderer Erfahrungs-und Erkenntnisweisen erhebt sowie die Rehabilitierung anderer Denkweisen zu; vgl. K. Hübner 1978; P. Feyerabend 1980; H. Novotny/H. Rose (Hg.) 1979; hierin bes. S. Peters, S. 251–275.
Vgl. A. J. Büchting/A. Gutschow 1976, S. 18 f.; O. Ullrich 19796, S. 85 ff. Als drittes Moment wäre noch die Harmlosigkeit suggerierende, den Entstehungsprozeß wie die Wirksamkeit verschleiernde schlichte Form und die freundliche Bezeichnungsweise („Gelbpulver”, „Grüne Tropfen“, „Flohpulver”, „Schneckenkorn“ in der Terminologie der Hersteller oder der Bäuerinnen) zu nennen. Solche Verschleierungsformen sind kürzlich im Zusammenhang mit der Frage der offenen oder geschlossenen Gemengteildeklaration bei Mischfuttermitteln ins Kreuzfeuer der Kritik gekommen (vgl. Bauernblatt Nr. 11, Juni 1979 ).
Vgl. hierzu die im Spiegel Nr. 44 (1978) S. 90 zitierte Untersuchung über die Kenntnisse von Landwirten im aktiven Umgang mit der Agrochemie: „Die Hälfte bekannte sich zu Schwierigkeiten bei der Entscheidung, ob überhaupt, und wann und wogegen und welches der vielen Mittel sie zu spritzen hätten (aber sie spritzen). 13% gaben offen zu, sie nähmen eine höhere als die in strengen Gebrauchsanweisungen vorgeschriebene DosisChrw(133)“ Eine solche Haltung hängt sicherlich mit der totalen Oberforderung und Resignation der Bauern vor der Aufgabe, sich im Dilemma von ökonomischer Konkurrenz und ökologischer Gefährdung zu bewegen, zusammen.
Hier liegt ein auch von der Wissenschaft noch nicht gelöstes Problem. So bezeichnet Ham-picke 1977, S. 378 den gegenwärtigen Zustand geologisch und ökologisch gesehen als eine „Abnormität“, zumindest was einen wichtigen Düngerbestandteil, den Phosphor, betrifft: „Offenbar wird in der Praxis davon ausgegangen, daß sich das Ertragsniveau nur durch fortwährende Oberschußgaben halten ließe. Andererseits haben Mangelzeiten gezeigt, daß das Ausbleiben der Phosphor-Düngung über Jahre hinaus keine Ertragsausfälle verursachte. Es scheint dringend erforderlich, über diese Zusammenhänge in eine vertiefte Diskussion einzutreten, denn die gegenwärtige Ungleichgewichtssituation wird sich zwar lange, aber nicht auf ewige Zeiten durchhalten lassen.”
Eine Untersuchung der BAYWA bestätigte kürzlich, daß hier ein großes Problem zu liegen scheint: Von den im Laufe von 7 Jahren untersuchten 10% der eingesetzten Sprüh-und Nebelgeräte waren 4/5 nicht in Ordnung; vgl. Spiegel Nr. 44 (1978), S. 90.
Aus der Tatsache daß noch kein Fall bekannt geworden ist, in dem nach sicherer wissenschaftlicher Kenntnis breiten Bevölkerungsschichten schwerer Schaden zugefügt wurde, kann auf keinen Fall eine generelle Unschädlichkeit abgeleitet werden, im Gegenteil: „Jedes Urteil über die toxikologischen Probleme in ökologischer und physiologischer Sicht muß von der Unsicherheit des heutigen Wissens hierüber ausgehen.“ (Hampicke 1977, S. 243)
Bezeichnenderweise werden von den Bäuerinnen Tierärzte dann lobend erwähnt, wenn sie in der Lage bzw. bereit sind, in ihrer Diagnose sehr stark auf das einzugehen, was die Bäuerin beobachtet hat und ansonsten von dem Tier weiß: So erzählt die oben zitierte Bäuerin vom Hoftierarzt: „Viel kann man auch mit Gspür machen. Es gehört auch a Erfahrung dazu und ein umsichtiges Auge und FingerspitzengefühlChrw(133) Im Schweinestall geht des oft sehr schnellChrw(133) Da muß ich ganz schnell handeln, ganz genau beobachten. Und da hab ich schon manches gerettetChrw(133) Da braucht mer schon Erfahrung. Und da find ich, muß man das richtige Herz mitbringenChrw(133) Wenn man so ein Wurschtl von vornherein ist, dann ist man’s wahrscheinlich in seiner Familie schon und dann ist man’s auch bei den Tieren. Wenn man das richtige Auge und Ohr hat, und das Herz dazu, dann haut des schon hin!“ (13)
Der Prozeß der Auslagerung vieler produktiver Zweige aus der Landwirtschaft hat zwar die Vielfalt möglicher Arbeiten auf dem Hof reduziert, die Schrumpfung des Arbeitskräftepotentials hat aber die verbliebenen Arbeitsaufgaben immer weniger Personen zugewiesen, so daß im Extremfall eine Person eben „alles“ können muß. Die einzige weitere Arbeit, von der oft behauptet wird, daß der sie verrichtende Mensch „alles” können muß, ist die Hausarbeit. Der Eindruck bzw. die Tatsache hängt mit den Dimensionen Naturnähe, Lebendigkeit, Ganzheitlichkeit usw. zusammen, die beiden Arbeitssorten gleichermaßen zukommt.
Trotz der Aktualität des Themas gibt es zum ökologischen Bewußtsein bisher nur wenige empirische Befragungen; vgl. das Forschungsprojekt „Umweltinformation in der Landwirtschaft“ von A. Hennecke/H. Kessel/H. I. Fietkau/B. Glaeser 1980. Unsere Ergebnisse verstehen sich auch nur als erste Ansätze.
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Inhetveen, H., Blasche, M. (1983). Bäuerin und Produktivkraftwandel. In: Frauen in der kleinbäuerlichen Landwirtschaft. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-322-96993-4_4
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