Zusammenfassung
Mit dem folgenden Referat will ich versuchen, einen Überblick über die aktuelle Massenkommunikationsforschung in der Bundesrepublik Deutschland zu geben, soweit sie von politikwissenschaftlichem Interesse ist, d.h. im weitesten Sinne Bezüge zum politischen Willensbildungs- und Entscheidungsprozeß bzw. zum Prozeß von „Machterwerb und Machtverderb“ hat. Um nicht bei der üblichen Aufzählung laufender Projekte stehenzubleiben, soll zunächst ein theoretischer Bezugsrahmen für das Verhältnis von Politik und Massenkommunikation skizziert werden, der eine kritische Bewertung des anschließend zu referierenden Forschungsstandes erlaubt. Grundlage für diesen Bezugsrahmen ist eine kapitalismuskritische Perspektive, die das politisch-administrative System jedoch nicht, wie das in mancher Agenturtheorie geschieht, als willenlosen Handlanger von Kapitalinteressen sieht, sondern als relativ autonomen Handlungsträger, dessen Autonomie innerhalb relativ enger Grenzen prinzipiell nach systemeigenen Rationalitätskriterien genutzt werden kann. Die folgenden Ausführungen stellen insofern den Versuch dar, eine analytische Konzeption von der Art, wie sie Claus Offe zuletzt im theoretischen Teil seiner Studie zur Berufsbildungsreform entwickelt hat,1zur Theoretisierung des Verhältnisses von Politik und Massenkommunikation zu verwenden.
Access this chapter
Tax calculation will be finalised at checkout
Purchases are for personal use only
Preview
Unable to display preview. Download preview PDF.
Anmerkungen
Vgl. C. Offe, Berufsbildungsreform, Frankfurt 1975.
SPD-Vorstand, Hrsg., CDU/CSU und Rundfunkfreiheit, Eine Dokumentation, Manuskriptdruck, Bonn, 1.8.77.
Vgl. die gleichlautende Kritik bei W. R. Langenbucher, Möglichkeiten und Grenzen der staatlichen Reformpolitik im Medienbereich, in: PVS, Sonderheft 6/75, S. 453: speziell zur Kritik der Bundesfilmförderung s. P. Buchka, Wir Leben in einem toten Land, in: SZ, 21.8.77, S. 73.
Vgl. Abschnitt 5.
Zum Begriff: F. Naschold, Zur Politik und Ökonomie von Planungssystemen, PVS, Sonderheft 4/72, S. 18 f.
So z.B. Bell, Etzioni, Glabraith bzw. für die Bundesrepublik Borchardt, Scharpf u.a.
Vgl. hierzu stellvertretend J. O’Connor, Die Finanzkrise des Staates, Frankfurt 1974
sowie C. Offe, Krisen des Krisenmanagements, in: M. Jaenicke, Hrsg., Herrschaft und Krise, Opladen 1973, S. 197.
Vgl. F.W. Scharpf et al., Politikverflechtung, Kronberg/Ts. 1976, u.a., S. 276 ff.
So R. Dahrendorf, in: Die Zeit, 11.8.77 und folgende Nummern.
Dies gilt jedenfalls solange nicht gleichzeitig neue Selbstregulierungs- bzw. Disziplinierungs-möglichkeiten in Sicht sind; vgl. zu diesem Problemkreis des sozialen Wandels K.W. Deutsch, Social Mobility and Political Development, Auszug in: W. Zapf, Theorien des sozialen Wandels, Berlin/Bonn 1969; zur Funktionalität von politischer Apathie s. auch S. M. Lipset, Soziologie der Demokratie, Neuwied 1962 S. 239 ff. mit Verweis auf Wilson, Tingsten, Riesman u.a.; für die mikroskopische Ebene schon W.E.Moore und M. M. Tumin, Some Social Functions of Ignorance, in: Am. Soc. Review, Vol 14, Dez. 1949, S. 7 87 ff. -, vgl. auch J. Aufermann, Politische Medienfunktionen in funktionalistischer Sicht — Exemplarische Darstellung und Kritik, in: PVS, Sonderheft 6/75, S. 444, mit spezieller Kritik an Wildenmann/Kaltefleiter.
Vgl. hierzu M. Edelman, The Symbolic Uses of Politics, Auszug (Die symbolische Seite der Politik) in: W.D. Narr und C. Offe, Wohlfahrtsstaat und Massenloyalität, Köln 1975, S. 307 ff. Sowie ders., Politik als Ritual, Frankfurt 1976.
Begriff und systematische Begründung bei C. Offe, Berufsbildungsreform, 1975, S. 31 ff.
Vgl. hierzu A. Downs, Ökonomische Theorie der Demokratie, Tübingen 1968; in diesem Interessenkonflikt hat wohl auch der von der Bürokratie oft artikulierte Gegensatz von „sachlich“ und „politisch“ seine tiefere Ursache.
Die hiermit angesprochene,,Situationslogik“ entspricht der „bounded rationality“, wie sie schon von H.A. Simon, Administrative Behavior, N.York 1957, S. 81 f. konzipiert wurde; zum Begriff der (individualen) Situationslogik s. ferner K.R. Popper, La rationalité et le status du principe des rationalité, in: E.M. Ciaassen, Hrsg., Les Fondements Philosophiques des Sysémes Economiques Paris 1976, u.a. S. 142ff. ähnlich J.C. Jarvie, Die Logik der Gesellschaft, München 1974, u.a. S. 24.
E. Noelle-Neumann, Der Einfluß des Fernsehens auf die Entscheidung der Wähler, ferner: Ein Fernseh-Duell kann über den Wahlsieg entscheiden, in: Die Welt, 30.9. bzw. 1.10.76; vgl. dazu auch dieselbe, Öffentlichkeit als Bedrohung, Freiburg/München 1977.
Vgl. dazu die entsprechenden Äußerungen des Leiters der Öffentlichkeitsarbeit beim Bundesvorstand der CDU, Radunski, in Nr. 1/77 der Zeitschrift,,Sonde“; s. ferner o. Verf., Biedenkopfgreift Elektronikmedien an, in: SZ, 10.1.77.
S. hierzu die hilfreiche Argumentation in: P. Glotz/W. R. Langenbucher, Der mißachtete Leser, Köln/Berlin 1970, S. 29 f.
Vgl. dazu u.a. H.W. Hartelt, Wie rot ist der Funk am Rhein? in: Die Zeit, 14.3.75, S. 12; W. Donner, Ein Mann sieht rot, in: Die Zeit, 4.4.75, S. 19 f. sowie o. Verf., WDR: Kein Rouge für die Brustwarzen, in: Der Spiegel Nr. 18/1975, S. 57; o. Verf., Voll auseinandernehmen, in: Der Spiegel Nr. 32/175, S. 28f. sowie das Spiegel-Interview mit Heinrich Windelen in: Der Spiegel, 6/1977, S. 130 f.
Vgl. dazu E. Müller-Meinigen jr., Provinzialismus im Äther, in: SZ, 25.7.77, S. 4.
S. hierzu u.a. W. Lerg, Die Entstehung des Rundfunks in Deutschland, Frankfurt 19702; Zum Dilemma der Medienpolitik der Parteien in bezug auf die neuen Medien s. W. R. Langenbucher, op. cit., PVS 6/75, S. 455.
Einzelheiten dazu bei G. Kistenmacher, NDR-Intendant verklagt Verwaltungsrat, in: SZ, 21.4.77, S. 2; J. Kranz, Neufer macht sich einer Rechtsbeugung schuldig, in: Die Welt, 22.4.77, S. 4; K.-O. Saur, Machtkampf der Parteien um den Norddeutschen Rundfunk, in: SZ, 25.4.77; o. Verf., Lob und Tadel für Stoltenberg, in: Generalanzeiger Bonn, 16./17.7.77, S. 2.
O.Verf., Dauert ’ne Weile, in: Der Spiegel, Nr. 18/1977, S. 92.
Zweckmäßigerweise finanziert eine Regierungspartei ihre Öffentlichkeitsarbeit aus den Etats ihrer Presseämter und Ministerien. Daß die CDU diesen Weg durch ihre Klage vor dem Bundesverfassungsgericht nun weitgehend blockiert hat, kann nur als „Eigentor“ klassifiziert werden, es sei denn, die Parteiführung geht davon aus, daß sie in den nächsten Wahlperioden in Bonn nicht an die Macht kommen wird.
Zu den Begriffen vgl. H. Schatz, Auf der Suche nach neuen Problemlösungsstrategien ..., in: R. Mayntz, F.W. Scharpf, Planungsorganisation, München 1973, S. 9ff.
Diese Gliederung erfreut sich nach wie vor in der Publizistikwissenschaft großer Beliebtheit; vgl. hierzu stellvertretend J. Hackforth, Die Massenmedien und ihre Wirkung, Göttingen 1976, S. 72 ff.
Vgl. dazu die Lasswell-Kritik bei W. Gehrmann, Massenkommunikation: individuelle Kompetenz und institutionelle Macht, Dissertation, Abteilung für Sozialissenschaft der Ruhr-Universität Bochum, 1976, S. 13 ff.
Entsprechende Hinweise in den Dokumentationen des Zentralarchivs Köln, z.B. in: T. Herz et. al., Hrsg., Empirische Sozialforschung 1973, Pullach 1974, S. XII.
Gefragt wurde nach allen Forschungsprojekten, die 1. von deutschen Autoren und/oder mit Bezug auf das Massenkommunikationssystem der Bundesrepublik, 2. ab 1. Januar 1972 in Angriff genommen wurden und 3. entweder Fernsehnachrichtenanalysen zum Gegenstand haben oder 4. im weitesten Sinne politikwissenschaftliche Fragestellungen behandeln (z.B. politische Funktionen von Massenmedien, Problematik der öffentlich-rechtlichen Organisationsform von Rundfunk- und Fernsehanstalten, Medienpolitik der politischen Parteien, vor allem „Parteipolitisierung“ der Rundfunk- und Fernsehanstalten, Alternative Organisationsmodelle, Fragen der inneren Rundfunkfreiheit und andere medienpolitische Themen).
Vgl. Presse- und Informationsamt der Bundesregierung, Hrsg., Kommunikationspolitische und kommunikationswissenschaftliche Forschungsprojekte der Bundesregierung (1971 bis 1974), Bonn 1974, Auszug aus dem Bericht der Bundesregierung über die Lage von Presse und Rundfunk in der Bundesrepublik Deutschland (1974), Bundestagsdrucksache 7/2104 vom 15.5.74 sowie Fortsetzung dieses Berichts für die Jahre 1975 bis 1977 (Veröffentlichung in Vorbereitung): der Erhebungszeitraum des Berichts der Bundesregierung umfaßt also nur ein Jahr (1971) mehr als das IZS-Material.
BPA, op.cit. (s. Anmerkung 27), S. 3.
BPA, op.cit., S. 72.
BPA, op.cit., S. 163.
Man vgl. in diesem Zusammenhang die Begründung von W. Schluchter, warum er seine Mitarbeit an einem Forschungsprojekt einstellte, das die Bundesregierung an das Frankfurter Batelle-Institut zum Thema,,Kernernergie und Bürgerinitiativen “vergeben hatte (W. Schluchter, Polizei und Wissenschaft vereint gegen Bürgerinitiativen, in: Psychologie heute, Nr. 7/1977, S. 12 ff.).
Vgl. dazu B. Frank, Die teleskopie-Zuschauerforschung, in: Media Perspektiven, 9/1976, S. 401ff.; Kritisch zum Verfahren: H. Bessler, Das Programm am Gängelband der Demoskopen?, in: ARD-Jahrbuch 1976, Hamburg 1977, S. 41 ff.; Ferner W.Donner, Jedem sein Knöpfchen, in: Die Zeit, 31.1.75, S. 11.
Vgl. hierzu wie zum folgenden das ZDF-Jahrbuch 1976, S. 147 ff.
Vgl. zum folgenden die Darstellung bei Marianne Schatz-Bergfeld, Massenkommunikation und Herrschaft, Meisenheim 1974, S. 34 ff. mit ausführlichen Literaturnachweisen.
So J. Hackforth, Massenmedien und ihre Wirkungen, Göttingen 1976, S. 20; dort auch (passim) eine detaillierte Darstellung der verschiedenen Ansätze der Wirkungsforschung.
K. Renckstorf, Massenmedien, Gesellschaft und sozialwissenschaftliche Massenkommunikationsforschung, in: Hans Bredow-Institut, Hrsg., Internationales Handbuch für Rundfunk und Fernsehen 1973/75, Hamburg 1974, S. A 21; zum letzten Stand der Entwicklung vgl. J.G Blumler, The Role of Theory in Uses and Gratification Studies, Paper für die Jahreskonferenz der ICS, Berlin, Juni 1977 sowie L.B. Becker, Methodological Advances in Uses and Gratifications Research, ICA-Paper, Berlin, Juni 1977.
Vgl. dazu die Kritik von L. Huth et. al., Nachrichten sehen — Nachrichten verstehen — Nachrichten verwenden, zu einem neueren Ansatz der Rezeptionsanalyse, in: Publizistik, 2/1977.
E. Noeile-Neumann, Kumulation, Konsonanz und Öffentlichkeitseffekt. Ein neuer Ansatz zur Analyse der Wirkung der Massenmedien, in: PuB, Heft 1/1973, S. 26 ff.
Vgl. Anmerkung 15.
Editor information
Rights and permissions
Copyright information
© 1978 Westdeutscher Verlag GmbH, Opladen
About this chapter
Cite this chapter
Schatz, H. (1978). Zum Stand der politikwissenschaftlich relevanten Massenkommunikationsforschung in der Bundesrepublik Deutschland. In: Bermbach, U. (eds) Politische Wissenschaft und politische Praxis. Politische Vierteljahresschrift, vol 9. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-322-96988-0_23
Download citation
DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-322-96988-0_23
Publisher Name: VS Verlag für Sozialwissenschaften
Print ISBN: 978-3-531-11458-3
Online ISBN: 978-3-322-96988-0
eBook Packages: Springer Book Archive