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Entwurf einer Theorie der Schulkultur — strukturtheoretische, anerkennungstheoretische und mikropolitische Perspektiven

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Schulkultur und Schulmythos

Part of the book series: Studien zur Schul- und Bildungsforschung ((SZSBF,volume 13))

Zusammenfassung

In diesem Kapitel wird der Versuch unternommen, unseren Entwurf einer Theorie der Schulkultur zu skizzieren. Dafür werden struktur- und handlungstheoretische Ansätze aufgegriffen, auf mikropolitische Theorien und anerkennungstheoretische Überlegungen Bezug genommen und rekonstruktive Perspektiven angedeutet, die in den empirischen Teilen in diesem Band expliziert werden. Im ersten Abschnitt wird die expansive Thematisierung der Schulkultur in den letzten Jahren in der widerspruchsvollen Gleichzeitigkeit einer Relativierung bürokratischer Rationalität durch eine „reflexiv-professionelle Rationalität“ einerseits und einer staatlich-fiskalischen Krise als Hintergrund von Deregulationsprozessen andererseits begriffen. Im zweiten Abschnitt wird — zumindest für wissenschaftlich-theoretische Zugänge — für einen nicht normativen, ethnographisch-analytischen Schulkulturbegriff votiert und gleichzeitig auf dessen immanente Probleme eingegangen. Im dritten Abschnitt wird eine Theorie der Schulkultur skizziert. Schulkultur wird hier als symbolische Ordnung der Einzelschule konzipiert, die durch symbolische Kämpfe und Aushandlungen der einzelschulischen Akteure in Auseinandersetzung mit den Strukturen des Bildungssystems im Rahmen sozialer Kämpfe um die Definition und Durchsetzung kultureller Ordnungen generiert wird. Sie wird als spannungsvolles Verhältnis zwischen dem Realen, dem Symbolischen und dem Imaginären bestimmt, um eine Theorie schulischer Anerkennungsverhältnisse zentriert und in vier Dimensionen ausdifferenziert.

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Literatur

  1. Die Relevanz anerkennungstheoretischer Überlegungen für pädagogische Prozesse ist umfassender in den folgenden Arbeiten ausformuliert: Helsper 1995b u. Lingkost/Helsper 1998.

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  2. Vgl. die Ausführungen zu den struktur- und anerkennungstheoretisch reformulierten mikropolitischen Aushandlungen und Auseinandersetzungen in den einzelschulischen Streitarenen als Grundlage für die einzelschulspezifische Ausgestaltung der Schulkultur.

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  3. Auch Kades Versuch, mit der Unterscheidung von Vermittlung und Aneignung dieser grundlegenden Paradoxie professionellen-pädagogischen Handelns zu entkommen, trägt zumindest nicht zur Gänze. Sein Vorschlag lautet: „Über die Unterscheidung von Vermitteln und Aneignen konstituiert sich daher das Verhältnis des pädagogischen Systems zu seinen Adressaten nicht als Einheit, sondern als Differenz von Systemen, von pädagogischem und biographischem System. Es bilden sich eine autonom operierende pädagogische Selbstreferenz heraus, die sich auf den Code ‚vermittelbar/nicht-vermittelbar‘ zusammenzieht, sowie eine autonom als Aneignen operierende Selbstreferenz der Adressaten“ (Kade 1997, S. 50). Damit plädiert Kade für eine lose Kopplung zwischen pädagogischen Vermittlungsabsichten und individuellen Aneignungsoptionen: Pädagogik hätte es dann nicht mehr mit der Kontrolle der Vermittlungsergebnisse, also den Ergebnissen der Aneignung zu tun, müßte nicht eine Überwachungspädagogik der Aneignungsmodi sein, sondern dies wäre eine Angelegenheit der ‚Adressaten‘ und ‚Teilnehmer‘, die als autonom entworfen werden (vgl. ebd., S. 56): „Sie sind es, die — um es paradox zu sagen — die Resultate des pädagogischen Handelns bestimmen“ (ebd., S. 59). Damit wären auf einem Schlag — als Ergebnis dieser Neukonzeption des pädagogischen Systems durch den Code „vermittelbar/nicht-vermittelbar“, der an die Stelle des Luhmannschen Vorschlages „besser-schlechter“ tritt, und die Unterscheidung von Vermitteln und Aneignen — alle Probleme „gelöst“, die als Technologiedefizit, als Absichts- bzw. Ungewißheitsproblematik des pädagogischen Handelns gefaßt wurden. Denn: „Wenn das pädagogische System sich in seinen Vermittlungsoperationen nur noch auf sich selbst bezieht, gerade auch indem diese sich auf den Teilnehmer richten, dann hat sich das viel erörterte Problem des Technologiedefizits gewissermaßen von selbst erledigt. Die Vermittlung von Wissen im pädagogischen System wird indifferent gegenüber dessen Aneignung. Solange nur überhaupt etwas angeeignet wird, gleichgültig was, kann von Wissensvermittlung gesprochen werden und reproduziert sich die Pädagogik als Vermittlungssystem. Die lose Kopplung von Vermittlung und Aneignung ermöglicht eine gegenseitige Stabilisierung durch Indifferenz“ (ebd., S. 57f.). Allerdings weist Kade — in Fußnoten ungebührlich an den Rand der Argumentationsführung gedrängt — selbst auf zwei Problempunkte dieser Argumentation hin und unterschlägt dabei einen dritten, auf den hier zusätzlich verwiesen werden soll: 1. Überall dort — so Kade — ist die Kontrolle der Aneignung (und damit auch das Technologiedefizit des pädagogischen Handelns) unvermeidbar, wo es dominant um Evaluation und Selektion geht, also die „besser-schlechter-Codierungen“ im Vordergrund stehen und biographische Folgen für die dann abhängigen ‚Teilnehmer Innen‘ gewinnen. Dies trifft natürlich besonders deutlich für die Schule und das Lehrerhandeln zu. Auch wenn Kade recht zu geben ist, daß der Selektionscode eher nicht als genuine pädagogische Codierung zu verstehen ist, sondern vielmehr aus der strukturellen Kopplung von Schule und Gesellschaft und damit der Funktion des Schulsystems für das Gesellschaftssystem resultiert, trifft damit Kades Versuch der „Entparadoxierung“ für das Schulsystem in seiner gegenwärtigen organisatorischen Ausformung nicht zu. 2. Kade weist daraufhin, daß seine Reformulierung des pädagogischen Systems von der „Differenz von pädagogischem System einerseits, pädagogischer Profession und pädagogischen Organisationen“ ausgeht (ebd., S. 63). Dabei kehrt er die bislang dominierende Definition des Pädagogischen über Profession und Organisation insofern um, als Profession und Organisation lediglich noch als mögliche Varianten der Ausformung des pädagogischen Systems begriffen werden. Genau für diese Formen, die nach wie vor den zentralen Bereich der beruflich handelnden Professionellen umschließt, gelten aber die Bestimmungen von Vermittlung und Aneignung nicht. Zum einen weil die Profession mit dem Strukturmoment der ‚Ungewißheit‘ verbunden ist (vgl. Combe/Helsper 1996a) und pädagogisches Handeln im Modus des Risikos operiert (ebd., S. 64ff.). Zum anderen, weil professionelles Handeln systematisch auf der Interaktionsebene angesiedelt ist, also gerade die unmittelbare Face-to-face-Interaktion erfordert. Gerade von der Interaktionsebene aber hält Kade fest: „Die Interaktionsebene aber könnte sich für das Pädagogische — systemisch gesprochen — zu einer Art Indifferenzsphäre entwickeln, einer unruhigen >Unentschiedenheit< (Deleuze), die durch Ambivalenzen, Uneindeutigkeiten und systemisches Oszillieren bestimmt wird, nicht durch code-gesteuerte eindeutige Grenzziehungen“ (ebd., S. 63). 3. Schließlich unterstellt die Figur des autonomen, selbstverantwortlichen Teilnehmers, der seine Aneignungsmodi und -möglichkeiten autopoietisch selbst reguliert, implizit lebenspraktische Autonomie. Für alle jene, die aufgrund sozialisatorischer Defizite, phasenweiser psychsozialer Destabilisierung, massiver situativer und sozialer Beeinträchtigungen bzw. noch nicht entfalteter kognitiver, symbolischer und sozialer Kompetenzstrukturen über jene lebenspraktische Autonomie noch nicht, nicht mehr oder vorübergehend nicht verfügen, kann die Indifferenz gegenüber der Aneignungsseite und die selbstreferenzielle Beschränkung auf Vermittlung und den Anschluß für weitere Vermittlungen nicht hinreichen. Damit aber würde für die Schule und das professionelle Lehrerhandeln — und zwar nicht nur durch die Okkupation des Pädagogischen durch den Selektionscode — der Entparadoxierungsvorschlag von Kade ebenfalls nicht greifen, da Lehrer es in der Regel mit dem Aufbau, der Entfaltung und Herausbildung jener Kompetenzstrukturen zu tun haben, die erst lebenspraktische Autonomie ermöglichen sollen.

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  4. Vgl. hierzu etwa den Versuch im Anschluß an die Vertrauens- bzw. Asymmetrie-Symmetrieparadoxie weitere Paradoxien dazu in einen systematischen Zusammenhang zu stellen (vgl. Schütze 1996, S. 193f.).

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  5. Dabei gibt es zwei grundlegende Formen, in denen diese zentrale Bedeutung von Lehrern als ‚Krisenauslöser‘ verfehlt wird: Zum einen können Lehrer durch ihre Interventionen und Aufforderungen auf seiten der Schüler gerade daran scheitern, derartige Krisen der kognitiven und psychischen Struktur zu entbinden, in denen die Potentialität der Entstehung neuer Deutungsweisen, Wissensbestände und Erklärungsmöglichkeiten wurzelt. In einer einseitigen Orientierung auf die Reproduktion vorgefertigter Wissensformeln und -bestände können Schüler das ‚neue‘ Wissen auf der Grundlage alter Deutungsbestände und kognitiver Strukturen reproduzieren — etwa in Form auswendig gelernter, vorgestanzter Formeln — so daß es zu einer Simulation emergenter Lernprozesse käme, eine Simulation, die den Lehrern aber gerade entgehen würde bzw. die sie nicht durchbrechen würden, wenn sie vornehmlich an der Wissensreproduktion orientiert wären. Zum anderen können Lehrer — ob intendiert oder beiläufig — gerade gegenüber bestehenden Kompetenzen, Wissensbeständen und Deutungsmustern Krisen auslösen, diese irritieren, sich aber systematisch — etwa in einem engen Verständnis als Fachlehrer und Sachwalter der Inhaltsstruktur — von der Wahrnehmung dieser Krisen abschotten, sich dafür unzuständig erklären und sich damit gerade gegenüber den Folgen und den daraus resultierenden Anforderungen umfassender Bildungskrisen auf seiten der Schüler abschirmen. Beide Formen unterlaufen die Struktur professionellen Handelns und stellen Ausblendungsstrategien dar, durch die Ansprüche abgewehrt und Handlungsaufforderungen ausgeblendet werden können (vgl. auch Schütze u.a. 1996).

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  6. Dies faßt Oevermann unter der Perspektive, daß nur von diffusen Sozialbeziehungen, zumeist Primärbeziehungen aus, auf stärker spezifische Beziehungen ‚übertragen‘ werden kann. In diesem Sinne eignen sich dann Lehrer besonders dazu, daß mit ihnen auch stellvertretend affektive Krisen gegenüber den signifikanten Primärpersonen ausgelebt werden können (vgl. Oevermann 1996).

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  7. An dieser starken Stellung der „prophylaktisch-therapeutischen“ Dimension kritisiert Wagner, daß damit der therapeutische Fokus zum Bezugspunkt des professionellen Lehrerhandelns erklärt werde. Demgegenüber müsse das professionelle Lehrerhandeln aber — um den Oevermannschen Kategorien- fehler zu vermeiden — um „die emergierende pädagogische Handlung unter der Perspektive des Lernens von Neuem“ zentriert werden (Wagner 1998, S. 96). Wagner plädiert also gewissermaßen für den Primat von Lernen und Bildung gegenüber dem Therapeutischen. Aus psychoanalytischer Perspektive entspricht dieser Position Datler mit seinem Plädoyer, das Heilen als einen Sonderfall von Bilden zu begreifen (Datler 1995). Allerdings leidet die Kritik Wagners an einer Unschärfe, denn 0evermann spricht ja nicht von ‚Therapie‘, sondern von „prophylaktisch-therapeutischem“ Handeln, das ja gerade auf die Emergenz neuer Erfahrungen und psychischer Strukturbildungen orientiert. Und schließlich gibt es bei Oevermann selbst einen bedeutsamen Hinweis, daß er das therapeutische Modell eher als einen Sonderfall eines umfassenden pädagogischen Handelns betrachtet: „Man kann sogar hinzufügen, daß die manifest therapeutische Praxis einen Spezialfall einer explizit auf Prophylaxe bedachten professionalisierten pädagogischen Praxis bzw. sozialisatorischen Beeinflussung jenseits der naturwüchsigen Sozialisation im Elternhaus darstellt und nicht umgekehrt die pädagogische Praxis einen Spezialfall der therapeutischen“ (Oevermann 1996, S. 150). Daß Oevermann von der detaillierten Analyse der therapeutischen Beziehung aus das Modell für pädagogisch-professionelles Handeln entwickelt und die Differenzpunkte herausarbeitet, hängt damit zusammen, daß in diesem Bereich auf besonders exponierte Weise ein Setting entwickelt wurde, daß dem idealtypischen Modus professionalisierten Handelns am nächsten kommt und von dem aus — gedankenexperimentell — ein analoges idealtypisches Modell einer professionalisierten pädagogischen Praxis konzipiert werden könnte. Von daher trifft die Kritik Wagners die Oevermannsche Position nur zum Teil, etwa hinsichtlich der Altersbegrenzung (vgl. Oevermann 1996, Wagner 1998, S. 96f.).

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  8. Versuche, diese pädagogisch-professionelle, konstitutive Antinomie und vor allem die erziehungswissenschaftlichen Formulierungen dieser Antinomie als Ausdruck eines unreflektierten Restbestandes von Subjekt-Objekt- bzw. instrumentalistischen Zweck-Mittel-Schemata zu interpretieren (vgl. Masschelein 1991) bzw. diese antinomischen Formulierungen als ungetilgte und unbegriffene Spuren einer religiösen Steigerungs- und Vervollkommnungsmetaphorik zu deuten (vgl. Lenzen 1994a, 1996a, b) sind u.E. unhaltbar. Im ersten Fall negieren diese Kritiken die unaufhebbare Symmetrieantinomie im pädagogischen Handeln und im zweiten Fall schlägt der Versuch einer nicht-paradoxen Reformulierung der Autonomieantinomie durch Lenzen insofern fehl, als die Antinomie lediglich verschleiert wird, aber als Sinngehalt auch in dieser Formulierung rekonstruiert werden kann (vgl. Lenzen 1996b, S. 276ff.).

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  9. Hier ist der Ort, an dem die von Schütze als „Verlaufskurvenparadoxie“ beschriebene Anfälligkeit des professionellen und insbesondere des Lehrerhandelns (vgl. Schütze u.a. 1996, S. 341ff.) dafür, daß Lehrer auftauchende Probleme, abweichende Handlungen von Schülern, Normverstöße etc. lediglich unter einer organisatorischen Perspektive betrachten und nicht mehr in den biographischen Gesamtzusammenhang von Schülern einbetten, besonders zugespitzt wird. Denn notwendigerweise wird damit in der bestehenden Organisationsform der Schule einem Teil der Schüler eine von den institutionellen Verhaltens- und Leistungsnormen abweichende Haltung zugeschrieben und sie damit mehr oder weniger deutlich institutionell marginalisiert. Damit aber setzen Lehrer nicht selten einen sich verstärkenden Circulus vitiosus in Gang, der verlaufskurvenförmige Entwicklungen bei Schülern verstärkt und antreibt.

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Helsper, W., Böhme, J., Kramer, RT., Lingkost, A. (2001). Entwurf einer Theorie der Schulkultur — strukturtheoretische, anerkennungstheoretische und mikropolitische Perspektiven. In: Schulkultur und Schulmythos. Studien zur Schul- und Bildungsforschung, vol 13. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-322-96398-7_1

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  • DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-322-96398-7_1

  • Publisher Name: VS Verlag für Sozialwissenschaften

  • Print ISBN: 978-3-8100-2719-1

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