Zusammenfassung
In einem demokratischen Regierungssystem kommt der Kompetenzaufteilung zwischen Exekutive und Legislative gerade im Falle eines äußeren ‘Notstandes, das heißt des Krieges oder der Kriegsgefahr, eine große Bedeutung zu. Diese Kompetenzaufteilung ist in der amerikanischen Verfassung nur scheinbar klar umrissen: Danach kann allein der Kongreß der Vereinigten Staaten die förmliche Feststellung treffen, daß sich die USA in einem Krieg befinden, während der Präsident in seiner Eigenschaft als Oberbefehlshaber den Einsatz der Streitkräfte anordnen muß. Er kann darüber hinaus gewohnheitsrechtlich ohne Mitwirkung der Legislative den „nationalen Notstand“ ausrufen, der möglicherweise11) eine Fülle von exekutiven Eingriffen in die freie Marktwirtschaft, das Arbeitsleben oder auch in die Wahrnehmung von Grundrechten durch die einzelnen Staatsbürger auslöst12).
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Literatur
Vgl. hierzu die Studie des Verfassers: Betrachtungen zur amerikanischen Notstandsgesetz-gebung, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B. 3/68.
S.: Provisions of Federal Law in Effect in Time of National Emergency — A Report to the Committee on the Judiciary, Washington DC 1962, 87. Kongr. 2. Sess.
Vgl. die präsidentielle Notstandsproklamation in der Koreakrise Dezember 1950.
S. Hearings before the Committee on Armed Services and the Committee on Foreign Relations, US-Senate (82. Kongr., 1. Sess.), To conduct an inquiry into the Military Situation in the Far East and the Facts surrounding the relief of General of the Army Douglas MacArthur, Washington 1951, 4 Bände mit einem Bd. Anhang.
Vgl. zu dem Problem öffentliche Meinung und Außenpolitik op. cit. unter la; siehe auch Anm. Nr. 39 unten.
S. u. Kap. VII; Joint Resolutions haben Gesetzeskraft, sobald sie vom Präsidenten unterzeichnet worden sind.
S. Schweitzer, Theorie und Praxis einer gemeinsamen Außenpolitik, a.a.O., S. 6 ff.
Ebenda, S. 14.
Was die intelligence-Funktion betraf, mußten sich die Mitglieder des Kongresses bei ihrer Beurteilung und Bewertung der amerikanischen Vietnam-Politik in jenen Jahren in erster Linie auf Erkenntnisse verlassen, die sie sich bei Informationsreisen nach Vietnam selber erwarben. Besonders bekannt und in ihren Auswirkungen politisch bedeutungsvoll wurde Ende 1965 die Reise einer Gruppe unter Führung von Senator Mansfield, zu der u. a. der republikanische Senator Aiken gehörte. Auch die Informationsreise des führenden demokratischen Mitgliedes des Sjenatsausschusses für die Streitkräfte, Symington, spielte in den Beratungen des Senates eine erhebliche Rolle (s. u. Anm. 197). In Senats- und Repräsentantenhaus-Debatten beriefen sich Mitglieder des Kongresses wiederholt auf ihre unmittelbaren Beobachtungen in Vietnam. Allein im Jahr 1966 waren 10 Senatoren und 24 Mitglieder des Repräsentantenhauses in Südvietnam. Angesichts des fehlenden Instrumentariums einer Fragestunde, d. h. der Möglichkeit eines Direktdialoges zwischen Exekutive und Legislative im Plenum des Kongresses, ist interessant, daß gerade im Zusammenhang mit der Vietnampolitik des öfteren der Regierung in schriftlicher Form Fragen gestellt wurden, die mit der Antwort der Exekutive im Congressional Record (CR) Aufnahme fanden: z. B. CR 24. 8. 1965, S. 21 634 ff.
Text der Rundfunkansprache in: DoSB, 24. 8. 1964; Botschaft an den Kongreß s. ebenda und CR, Bd. 110, T. XIV, S. 18 132 f. Zur damaligen Darstellung des Tongking-Zwischenfalles — insbesondere in bezug auf den Zeitpunkt des amerikanischen Gegenschlages — s. Aussagen des Verteidigungsministers McNamara in: Joint Hearings before the Committee on Foreign Relations and the Committee on Armed Services, US-Senate, 88. Kongreß, 2. Sess. zur: South-East-Asia-Resolution, 6. 8. 1964, Washington DC 1966, S. 7 ff. McNaanara gab hier den Angriffsbeginn auf Nordvietnam („launch...“) mit „ungefähr Mitternacht“ 4./5. August Washingtoner Zeit an. In dem Hearing vom 20. 2. 1968 (s. Anmerkung 6) berichtigte er sich indirekt, indem er nun die Angriffszeit („launch...“) auf 22.00 Uhr am 4. 8. (Washingtoner Zeit) fixierte. Die endgültige Entscheidung sei durch den Präsidenten und ihn bereits um 18.30 Uhr gefallen (s. ebenda S. 23). Vgl. dazu Johnson in seiner Radioansprache ab 23.36 Uhr: „... (die) Antwort wird jetzt, wo ich zu Ihnen spreche, erteilt... gerade vor wenigen Minuten konnte ich Senator Goldwater erreichen“ (zit. nach Public Papers of the Presidents, L. B. Johnson 1963–1964, II, 927–8). Während über den ersten nordvietnamesischen Angriff auf US-Kriegsschiffe am 2. 8. nie ernsthafte Zweifel aufkamen — diesen Angriff beantworteten die USA noch mit einem öffentlichen Protest und einer Warnung an Hanoi —, ging es in dem Hearing 1968 zunächst um die entscheidende Frage, ob ein zweiter Angriff der Nordvietnamesen am 4. 8. unter den damals vorherrschenden Sichtbedingungen (Nacht, schlechtes Wetter etc.) überhaupt jemals mit Sicherheit festgestellt werden konnte bzw. festgestellt wurde.
So am 10. 8. 1960, s. DoSB 31. 8. 1964.
Außenminister Rusk erläuterte in den Ausschüssen zusätzlich die Vorstellungen der Exekutive bezüglich dieser Resolution in allen Einzelheiten. S. Joint Hearings: South-East-Asia-Resolution a.a.O., S. 64.
Vgl. Untersuchung über den außenpolitischen Entscheidungsprozeß Großbritanniens am Beispiel der Chinapolitik 1949/50, erwähnt in Anmerkung 1.
Im Senat eingebracht von den Demokraten Fulbright und Russell sowie den Republikanern Hickenlooper und Saltonstall in Form der Senate-Joint-Resolution 189 —, ident. mit der House of Representative-Resolution HR 1145, zit. in: CR Bd. 110, T. XIV, S. 18 471. Zur „legislativen Vorgeschichte“ s. u. a. Vietnam-Hearings Senat 1966 a.a.O., S. 53. In dem Hearing vom 20. 2. 1968 (Gulf of Tonking 1964, a.a.O., S. 22 f.) spielte die Frage Fulbrights an McNamara eine Rolle, ob der Pentagon schon im Juli 1964 empfohlen habe, den Krieg nach Nordvietnam zu tragen und schon vor dem August ein sogenannter „contingency-draft“ der Resolution ausgearbeitet worden sei. McNamara bestritt ersteres und verneinte eine persönliche Kenntnis eines Vorentwurfes.
Im Repräsentantenhaus vor allem von Halleck, der der republikanische Minderheitsführer bis Ende 1964 war.
Wesentliche Komponenten einer bipartisan foreign policy sind: gegenseitiger Informationsaustausch zwischen Exekutive, Regierungspartei und Oppositionspartei; Konsultation der Opposition; Beteiligung führender Mitglieder der Opposition an der Festlegung der Richtlinien der Politik; Berufung von Mitgliedern der Oppositionspartei auf diplomatische Posten; Honorierung der aktiven Mitbeteiligung am Entscheidungsprozeß durch Zustimmung der Opposition zu außenpolitischen Maßnahmen im Kongreß sowie gelegentliche Ausklammerung außenpolitisch kontroverser Themen aus Wahlkämpfen (s. hierzu B 3/68, a.a.O.).
Zur Unterscheidung legislativer Führungspersönlichkeiten vgl. W. Riker, Schwäche und Stärke der Demokratie, Köln 1954, Kap. V. Votum Lausche s. CR 100, T XIV, S. 18 084.
Halleck wurde mit Beginn der neuen Legislaturperiode 1965 durch C. Ford als Minderheitsführer abgelöst. Er wies in der Debatte allerdings ausdrücklich darauf hin, daß die Besprechung im Weißen Haus erst nach Erteilen der amerikanischen Angriffsbefehle erfolgte. Vgl. Kritische Äußerungen zum exekutiven Alleingang auch von den republikanischen Abgeordneten Adair, Alger und Derwinski; CR 110, Bd. XIV.
Mansfield hatte sich schon als Mitglied der amerikanischen Delegation bei der Manila-Konferenz 1954 zur Vorbereitung des SEATO-Paktes außenpolitisch auf Probleme des Fernen Ostens spezialisiert. Er war in Personalunion Vorsitzender des Democratic Policy (Steering) Committee, zu dem u. a. noch die Senatoren Long, Dodd, Russell, Hayden, Pastore und Symington gehörten (später auch McCarthy). Dem Republican Policy Committee im Senat unter seinem Vorsitzenden Hickenlooper gehörten u. a. die Senatoren Saltonstall, M. R. Young aus North-Dakota, Dirksen, Mundt, Case, Cooper und Margarethe C. Smith an. Saltonstall war gleichzeitig Vorsitzender der Republican Conference. Long war ab 1965 Majority Whip als Nachfolger von H. H. Humphrey. Church zit. nach CR 110, XIV, S. 18 421, Humphreys Votum vom 6. 8. 64 ebenda: „Auch ich habe gelegentlich meine Sorge über gewisse Aspekte unserer Südostasienpolitik zum Ausdruck gebracht... und Vorschläge für eine Modifizierung, Ergänzung oder Stärkung dieser Politik gemacht“ Die kommunistische Seite müsse wissen, daß die USA zu Verhandlungen bereit sein werden, sobald „law and order“ garantiert seien. Andere Redner in der Senatsdebatte in dieser Richtung werden hier außer Betracht gelassen, da sich die Studie auf die für die Außenpolitik wichtigsten legislativen Funktionsträger beschränken muß.
S. u. a. CR vom 1. 2. 1965 über die Ratifizierungsdebatte zum SEATO-Vertrag; nachzulesen in den Hearings before the Committee on Foreign Relations, US-Senate, 89. Kongr., 2. Session vom April/Mai 1966 (Foreign Assistance 1966 Senat), S. 624 und 628 f., sowie im Bericht über die Plenumdebatten, CR 112, IV, S. 4379. Alle hier zitierten Voten vom August 1964 in CR Bd. 110, T XIV. Cooper hatte zwar einige diplomatische Erfahrungen, gehörte aber nicht dem Auswärtigen Ausschuß an und wird daher in dieser Studie nicht oft herangezogen werden.
CR 6. 8. 1964, Bd. 111, T. XIV, S. 18 410.
Zit. nach Background Information 1965, a.a.O., S. 99 ff.
Der CIA-Bericht wurde teilweise von der New York Times v. 24. 8. 1964 (amerik. Ausg.) wiedergegeben.
In der obengenannten Ratifizierungsdebatte über den SEATO-Vertrag 1955 war von Vertretern der Exekutive und Legislative betont worden, daß die USA im Kriegsfall lediglich zu einer Konsultation ihrer Verbündeten verpflichtet sein würden. S. Foreign Assistance Hearings Senate 1966, a.a.O., S. 624. In den Vereinten Nationen rechtfertigte der amerikanische Delegationschef Stevenson aim 5. 8. 1964 den „Vergeltungsschlag“ der USA unter Bezugnahme auf das auch in der UN-Charta verankerte Recht auf Selbstverteidigung. Diese Argumentationslinie wurde später u. a. von einem Komitee amerikanischer Völkerrechtslehrer zurückgewiesen. S. u. Kap. V, dort auch zur Einschaltung der UN durch die Vereinigten Staaten generell.
Der Senat stimmte 28:2, das Repräsentantenhaus ohne Gegenstimmen der Resolution zu: CR Bd. 110, T. XIV, S. 18 471 u. 18 555.
Zit. von ihm selber, CR ebd., S. 18 413. Es handelt sich um eine Rede vom 10. 3. 1964.
S. hierzu Schweitzer: Die amerikanische China-Politik 1949/50, a.a.O., S. 13 ff.
jMorse äußerte sich u. a. am 5. 8., 6. 8, 17. 8., 21. 8., 2. 9., 14. 9. 1964, 6. 1., 19. 1., 1. 4., 8. 4., 21. 4., 26. 4., 5. 5., 6. 5., 3. 6., 7. 6., 14. 6., 16. 6., 1. 7., 8. 7., 3. 8., 23. 9., 15. 10. 1965; 19. 1., 29. 1., 31. 1., 7. 2., 25. 2., 1. 3. und 17. 3. 1966.
Am 17. 8. 1964, CR Bd. 110 T. XV, s. auch 6./7. August. In dem Hearing vom 20. 2. 1968 (Gulf of Tonking, a.a.O.) hielten die Kritiker der Administration — vor allem die Senatoren Fulbright, Morse und Gore — die Behauptung aufrecht, daß die USA auf jeden Fall den nordvietnamesischen Angriff vom 4. 8. provoziert hätten, und zwar provoziert im Sinne einer be-wußten Herausforderung der anderen Seite. Für Senator Gore stand am Schluß des Hearing fest, daß die Administration die „Tatsachen verdreht“ habe und die „Existenz“ eines nordvietnamesischen Angriffes am 4. 8. „durch die Aussagen“ McNamaras „überhaupt nicht bewiesen wurde“ (S. 102, ebenda). Eine große Rolle spielte für die Kritiker u. a. ein Funkspruch des US-Zerstörers „Maddox“, der in Washington um 13.27 Uhr am 4. 8. einging, wonach die Vorkommnisse noch nicht geklärt werden konnten (S. 55 ff). McNamara wies demgegenüber darauf hin, daß die Exekutive in Washington sich durch zahllose Telegrammwechsel und Telefonanrufe zwischen 13.27 und 18.07 Uhr die Vorgänge hinreichend verifizieren ließ. Gleich zu Anfang seiner Aussagen hatte McNamara mit Empörung („I find it inconceivable“) die Verdächtigung zurückgewiesen, daß eine „Verschwörung“ innerhalb der Exekutive bestanden, d. h., daß diese den ganzen Zwischenfall bewerkstelligt habe (S. 19, ebenda: „that anyone even remotely familiar with our society and our system of government could suppose“). Zu einem in das Protokoll aufgenommenen anonymen Brief, in dem Behauptungen aus angeblich berufener Quelle in dieser Richtung aufgestellt wurden, nahm der Ausschuß nicht Stellung (S. 84 f.). Für die Kritiker genügte zur Untermauerung der Provokationsthese die in dem Hearing mehr oder weniger bewiesene Tatsache, daß die US-Flotteneinheiten im Golf von Tongking seinerzeit nicht nur in gefährlicher Nähe von kämpfenden südvietnamesischen Einheiten operiert, sondern diesen auch Feindbeobachtungen mitgeteilt hatten. Darüber hinaus aber hatten ihrer Ansicht nach die US-Schiffe vor der Küste Nordvietnams „elektronische Spionage“ betrieben (vgl. die Pueblo-Affäre 1967/68) und in der Nähe der Dreimeilenzone operiert — ganz unabhängig von der Frage, ob Nordvietnam damals schon (wie das kommunistische China) eine Zwölfmeilenzone für sich in Anspruch nahm.
Am 17. 8. 1964.
Am 14. 9. 1964.
S. z. B. CR Bd. 110 durchgehend.
Für die Zeitungen s. u. a. Anmerkung 71. 44) Zit. nach DoSB 31. 8. 1964.
Zum Begriff der legislativen Sperrminorität s. B. 3/68, a.a.O.
S. u. Kap. VII.
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Schweitzer, CC. (1969). Die Einleitung von Kriegshandlungen im Sommer 1964 unter dem Interdependenz-Aspekt der amerikanischen Innen- und Außenpolitik. In: Die USA und der Vietnam-Konflikt 1964–1967. Schriftenreihe der Bundeszentrale für Politische Bildung, vol 78. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-322-96206-5_2
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