Zusammenfassung
Der öffentliche Diskurs über die fremdenfeindliche Gewalt und ihre Ursachen wird mit einer Intensität geführt, wie sie der Empörung über die Brandanschläge und Morde angemessen ist. Die wissenschaftliche Analyse des Phänomens ist dabei jedoch bisher zu kurz gekommen, weil das Urteil häufig schon formuliert wurde, bevor Informationen über die Täter, über deren soziale Lage und über den ‘Sinn’, den ihre Taten für sie haben, verfügbar waren. So haben sich zunächst Erklärungsmuster öffentlich durchgesetzt, die bereits aus anderen Auseinandersetzungen geläufig und eingeübt waren:
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Die ‘antiautoritär-unerzogene Jugend’, das war der Vorwurf, den konservative Zeitkritiker schon immer erhoben hatten und der nun — zum ersten Mal — von vielen Traditionshütern der ‘antiautoritären Revolte’ angenommen wurde. Die Plausibilität des Vorwurfs schien die Analyse zu ersparen, ob denn die Gewalttäter überhaupt aus den antiautoritären Milieus des bundesrepublikanischen Bildungsbürgertums kommen, und in welchem Maße Erziehungsdefizite für die Gewaltphänomene verantwortlich zu machen sind.
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‘Individualisierung’ und ‘Desintegration’ aufgrund fortschreitender Durchkapitalisierung der Gesellschaft lautete die Gegendiagnose von links. Kommen die Täter aber wirklich aus den individualisierten Milieus, die es in Deutschland sicherlich vereinzelt, aber nach den empirischen Studien eben nicht flächendeckend gibt? Sind sie desintegriert, also aus den traditionellen, ländlichen, kirchlichen, gewerkschaftlichen, politischen Bindungen herausgefallen oder stammen sie gerade aus eher traditionellen Milieus, die mit der Aufnahme und Alimentierung von’Fremden’ nicht zurecht kommen?
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Politiker sind schuld! Diesen Vorwurf gibt es in zwei Ausführungen: einmal sind es diejenigen, die mit ihrer Weigerung das Asylrecht zu ändern, die Konflikte in den Gemeinden eskalieren ließen, ein andermal sind es diejenigen, die mit der ‘Asylantenflut’ auf Stimmenfang gegangen sind.
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Die ‘Einäugigkeit’ der Polizei und Justiz ist ein weiterer Vorwurf — ohne zu klären, was zum Beispiel in den neuen Bundesländern klammheimliches Sympathisantentum und was bloße Hilflosigkeit oder gar Unfähigkeit war.
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Einig sind sich alle wieder rasch mit der Schuldzuweisung an die Medien — ob hier freilich nur der Bote für die Nachricht gescholten wird, bleibt unklar, solange nicht der Eskalationsbeitrag der Medien tatsächlich im Einzelnen bestimmt ist.
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© 1993 Leske + Budrich, Opladen
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Willems, H. (1993). Einleitung. In: Fremdenfeindliche Gewalt. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-322-96049-8_1
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