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Typik I (Generationstypik): Gesellschaftlich-politische Prozesse und Individualentwicklung

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Geschichte, Biographie und friedenspolitisches Handeln

Part of the book series: Biographie & Gesellschaft ((BUG,volume 20))

  • 30 Accesses

Zusammenfassung

Die biographischen Prozesse, die die Gesprächspartner in ihren Erzählungen zur Sprache bringen, werden in der ersten Typik als subjektivierte Formen von allgemeineren, gesellschaftlich-politischen Verhältnissen und historischen Wandlungen thematisiert. Die Lebensgeschichten individueller Subjekte werden damit explizit als sozial konstituierte Phänomene vorgestellt, als Elemente gesellschaftlich-sozialer Verhältnisse und Bestandteile historischpolitischer Prozesse, in denen die Handlungen und Unterlassungen zahlreicher Akteure ineinandergreifen, einander bedingen, verstärken oder behindern. Die Lebensgeschichten der interviewten Naturwissenschaftler erscheinen in dieser Perspektive als Phänomene, die gerade nicht mit den bewußten und absichtsvollen Gehalten biographisch relevanter Handlungen der jeweiligen Subjekte in eins gesetzt werden können. Die Individualgeschichte eines bestimmten Menschen gehört in dieser Sicht vielmehr und in einer vielleicht besonders offenkundigen Weise zur Historie. Dadurch wird weder die vielfältige Heterogenität menschlicher Einzelschicksale nivelliert, noch wird verkannt, daß die zu einem Kollektiv gehörenden und durch eine “gemeinsame” Geschichte aufeinander bezogenen Individuen (in unterschiedlichem Maße) daran beteiligt gewesen sein mögen, den Gang dieser Geschichte mitzubestimmen oder mitzugestalten.

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Literatur

  1. Die im folgenden angefühlten Namen der Forschungspartner sind, wie gesagt, Phantasienamen. Darüberhinaus wurden auch alle jene expliziten Indexikalisienmgen (Orts-und Zeitangaben, Personennamen etc.) maskiert, die eine sofortige Identifizierung der interviewten Naturwissenschaftler ermöglichen würden.

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  2. Derartige Reaktionen waren durchaus typisch für viele Jugendliche und junge Erwachsene. Bude beschreibt konzise die psychische Verfassung der Angehörigen der sogenannten Flakhelfer-Generation, also der zwischen 1926 und 1929 Geborenen. Kröner wurde, wie dargestellt, nicht mehr als Flakhelfer ausgebildet, aber doch noch als einer der “letzten Helden des Führers” eingesetzt, so daß Ähnlichkeiten zu den Personen, über die Bude schreibt, nicht verwundern: Die Flakhelfer wehrten, so Bude, zunächst die Anerkennung der Niederlage ab. “Diese Abwehr jedoch dient dem Schutz der Idealisierungen des Selbst, das ohne diese zusammenfallen würde. Letztlich ist es also nicht eine Abwehr der Schmach der Niederlage, sondern eine Abwehr der existentiellen Angst vor der Nihilierung des Selbst…” (Bude 1987, 28).

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  3. Alexander und Margarete Mitscherlich (1967) haben diese “Unfähigkeit zu trauern” zum Titel ihres berühmten Buches gemacht, in dem sie insbesondere den 1945 bereits Erwachsenen eine von jeder Trauerarbeit befreite Flucht in eine “Zukunft ohne Vergangenheit” attestierten. In ihrer individual- und sozialpsychologischen Diagnose analysieren sie diesen Prozeß der psychischen Abwehr und Derealisierung geschichtlicher und lebensgeschichtlicher Wirklichkeiten detailliert und bringen die diagnostizierte, über Jahrzehnte hinweg zu beobachtende Unfähigkeit zu trauern auch mit der politischen Interesselosigkeit und Apathie vieler Bundesdeutschen in Zusammenhang.

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  4. In diesem Zusammenhang muß allerdings berücksichtigt werden, daß Schelsky seine Diagnosen und Reflexionen im Kontext des Entwurfs einer allgemeinen soziologischen Theorie der “Jugend in den modernen Industriegesellschaften” entwickelt. Bude etwa weist auf diesen Aspekt hin, wenn er schreibt: “In der zeitgeschichtlich-konkreten Gestalt der “skeptischen Generation” verwirklicht sich Schelskys Auffassung zufolge die Verhaltensstruktur der Jugend, die sich in allen komplexen Industriegesellschaften herausbildet Die “skeptische Generation’ ist die erste deutsche Jugendgeneration, deren Lebensformen den Anforderungen der Modernität gerecht werden” (Bude 1987, 45). Dieser Gesichtspunkt kann hier vernachlässigt werden.

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  5. Für andere der Interviewpartner war dies bereits sehr viel früher so. Manche berichten davon, daß die amerikanische Lebensweise, so weit man damals bereits etwas davon erfahren oder kennengelernt hatte, schon in der letzten Zeit des Zweiten Weltkrieges eine gewiße Attraktivität besaß. Schörken (1984) beschreibt dieses Phänomen in seinem (aus der Perspektive eines ehemals selbst Betroffenen geschriebenen) Buch über die “Luftwaffenhelfer des Dritten Reiches” ausführlicher. Der Autor, der sich gegen das Klischee einer von der nationalsozialistischen Ideologie und Praxis durch und durch infizierten Jugend wendet, zeigt, wie brüchig, ja wie nichtig insbesondere in der letzten Zeit des Krieges die Identifikationen der “Luftwaffenhelfer-Generation” mit dem NS-System (geworden) waren. Das diffus-kritische “vorpolitische Bewußtsein” dieser jungen Menschen sei vielmehr durch eine vielfältig zum Ausdruck gebrachte Distanz gegenüber dem Nationalsozisalismus charakterisiert gewesen. Schörken demontiert das Klischee vom fanatisch-nationalsozialistischen “Kinder-Soldaten”, wenngleich er an einigen Stellen seinerseits vor Über-Pointierungen und Über-Generalisierungen der ihm wichtigen Aspekte nicht zurückscheut, etwa wenn er sagt, “daß die Aufnahmebereitschaft für nationalsozialistisches Gedankengut in dieser Generation beinahe auf den Nullpunkt fiel” (a.a.O., 219), oder wenn er den Eindruck vermittelt, als übten sich die Flakhelfer in der Endzeit des NS-Systems schon “mal in neue Lebensformen amerikanischer Prägung ein. Insgesamt jedoch zeichnet Schörken ein komplexes Bild der widersprüchlich-polyvalenten Bewußtseinslage, Mentalität und Lebenspraxis der Flakhelfer-Generation. Ohne “letzte Schlüssigkeit” wurde der Nationalsozialismus gerade für diese Generation auch zum “Gegenstand der Abneigung und Angst”, “wenn er uns nicht einfach gleichgültig geworden war” (a.a.O., 161). In dieses diffuse Gefühl und Bewußtsein des Unbehagens mischte sich dann eben auch, im Laufe des Jahres 1944, eine immer stärkere Neugier auf die Amerikaner: “Da lockte etwas” (a.a.O., 142).

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  6. Insbesondere wenn man zur Widerstandsbewegung ausschließlich jene Gruppierungen und Personen zählen möchte, die es auf einen politischen Umsturz des nationalsozialistischen Systems anlegten, wären aus dem Umkreis der Bekennenden Kirche nur wenige, wie zum Beispiel Dietrich Bonhoeffer, zu nennen. Darüberhinaus ist festzuhalten, daß sich innerhalb der “Bekennenden Kirche” einflußreiche Gruppierungen und Personen “immer wieder ausdrücklich von Erklärungen, Denkschriften und Gebetsliturgien Mer BK’ (distanzierten), die als politisch motiviert mißverstanden werden konnten. (…) In der BK selbst verdächtigte also eine Gruppierung die andere, ihre Opposition sei politisch motiviert! Schon dieser Dissens weist darauf hin, daß es sich auch bei der Sammelbezeichnung “Bekennende Kirche” um eine begrifflich höchst unscharfe Zusammenfassung sehr heterogener Gruppierungen und Strömungen in der evangelischen Kirche handelt, deren gemeinsamer Minimalkonsens in der Negation offenkundiger Häresien der “Deutschen Christen” bestand. (…) Schon in den 1950er Jahren schrieb Martin Niemöller unzweideutig:’Die Bekennende Kirche hat niemals, weder im Hitlerreich noch später, Wert darauf gelegt, als’Widerstandsbewegung’, als’Opposition’, als’Front’ verstanden zu werden. Sie wollte das eine Wort Gottes in unserer Welt und Zeit bezeugen’” (Besier 1985, 265 ff).

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  7. Eine ähnliche Erfahrung wie Kubisch machte der Interviewpartner Sahner. Auch er war, “wie’s so schön hieß damals, Mischling zweiten Grades” und als solcher ab einem bestimmten Zeitpunkt zunehmend aus dem sozialen Leben ausgeschlossen. Auch er fühlte sich schließlich zwangsläufig “außerhalb der Gemeinschaft” und bekam die sozialen Stigmatisierungen und Herabminderungen seiner Person zu spüren. Die Freunde der Familie zogen sich zurück; seine altersgleichen Freunde und Freundinnen hielten Abstand, im Tanzkurs fand er keine Partnerinnen mehr. Die Verwandten, “die Eltern, Tanten und alle, die wurden eben entlassen und aus-, mhm, und kaltgestellt. Aber, und, und auf der anderen Seite hat man dagegen auch einen sehr geschärften Blick für vieles gehabt damals. (…) Äh, äh und das war natürlich auch den ganzen Krieg über ein, ein fürchterlicher Zwiespalt, denn man war, das hatte, man äh wußte, wenn, wenn, wenn, äh, Deutschland den Krieg gewinnen würde, daß man dann ein Mensch zweiter Klasse nur wäre, und auf der anderen Seite war man ja doch so national, daß man sich nicht vorstellen konnte einfach äh, daß Deutschland den Krieg verlieren würde, vor allem nicht in Rußland, das war damals eben doch sehr, äh, äh, es stand einem schrecklich bevor.” Sahners Vater wurde aus den angesprochenen Gründen 1936 zwangspensioniert, er selbst meldete sich 1940 freiwillig zum Kriegsdienst. Nach mehrfachen Verwundungen erlebte er die bedingungslose Kapitulation Deutschlands schließlich als eine längst ersehnte Befreiung von den Leiden der Kriegsjahre.

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  8. Mit diesem Interviewpartner wurden zwei Interviews geführt (3a, 3b). Im Erstinterview enthielt sich der Interviewer strikt aller exmanenten Nachfragen. Im Zweitinterview wurde zunächst auf Stellen des bereits transkribierten Textes Bezug genommen, die einer näheren Klärung bedurften oder eine weitergehende Erörterung nahelegten. Anschließend wurden auch exmanente Fragen gestellt. — Das Transkript des Erstinterviews wurde dem Interviewpartner vor der Durchführung des Zweitgesprächs zugesandt Der Informant hat daraufhin teilweise sehr ausführliche Erweiterungen und Kommentare zum Erstinterview angefertigt. Die Realisierung dieses Verfahrens war in einem methodischen Interesse begründet, bei dem es um die Beurteilung des Stellenwertes von Zweitinterviews und der angesprochenen Kommentierungspraxis geht. Dieser Aspekt wird im folgenden nicht behandelt. Ich werde dennoch das gesamte empirische Material heranziehen (Erstinterview, Kommentar, Zweitinterview), insofern dies für die verfolgten Darstellungs- und Argumentationsinteressen nützlich erscheint.

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  9. Die gerade erwähnten alternativen Texte stammen von Interviewpartnern, die jünger sind als Toberg. Sie sind etwa in dem Alter derjenigen Forschungspartner, deren autobiographische Texte bereits analysiert wurden. Ich erwähne dies, um prophylaktisch dem möglichen Einwand zu begegnen, die im folgenden entwickelten Analysen und Interpretationen seien auf das Leben und den Text eines Menschen bezogen, der doch einer anderen Generation als die übrigen Interviewpartner angehöre und der sich deshalb in der illustrierten Weise in seinem Denken, Sprechen und Handeln von den bisherigen Fällen unterscheide. Ich betrachte die interindividuellen Differenzen, mit denen ich bei der Entwicklung der folgenden Interpretationen arbeite, jedoch nicht als generationsspezifisch. Soweit es im vorliegenden Zusammenhang um (freilich auch vorhandene) generationsspezifische Eigenheiten der zu analysierenden Lebensgeschichten geht, kann für die hier verfolgten Darstellungs- und Argumentationszwecke von diesem Aspekt abstrahiert werden. Die im vorliegenden Kontext vorgestellten Analysen und Interpretationen treffen, insofern sie auf Typisches Bezug nehmen, ebenfalls auf manche Texte von Forschungspartnern zu, die die Zeit der dreißiger und vierziger Jahre aus eigener Erfahrung kennen, aber dennoch deutlich jünger sind als Toberg.

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  10. Lise Meitner verließ Deutschland im Jahre 1938 wegen der nazistischen Rassengesetzgebung fluchtartig. Trotz der Interventionen Otto Hahns und Max Plancks blieb der jüdischen Mitarbeiterin des Berliner Kaiser-Wilhelm-Institutes nur die Emigration. Damit verlor Hahn eine sehr enge und nach allen Darstellungen auch sehr geschätzte Mitarbeiterin. Meitner hatte später auch die Haltung Otto Hahns und seiner Kollegen während des “Dritten Reiches” in einem Brief an Hahn, den dieser allerdings niemals erhielt, scharf kritisiert. Sie warf Hahn, mit dem sie sich weiterhin freundschaftlich verbunden fühlte, unter anderem vor, daß er die wirkliche Lage im nationalsozialistischen Deutschland nicht begriffen hatte: “Ihr habt auch alle für Nazi-Deutschland gearbeitet und habt auch nie nur einen passiven Widerstand zu leisten versucht. Gewiß, um Euer Gewissen los zu kaufen, habt ihr hier und da einem bedrängten Menschen geholfen, aber Millionen unschuldiger Menschen hinmorden lassen, und keinerlei Protest wurde laut” (Meitner, zit. nach Kerner 1986, 100). — Meitner hatte mit Hahn unter anderem einige radioaktive Isotope der natürlichen Zerfallsreihen entdeckt und sie lieferte 1939 zusammen mit O.R. Frisch eine theoretische Erklärung für die von Hahn und F. Straßmann entdeckte Kernspaltung. Inwieweit Tobergs kritische Deutung des Einflußes von Meitner auf Hahn gerechtfertigt ist, vermag ich nicht zu beurteilen. Bemerkenswert ist vielleicht, daß Toberg Lise Meitner kritisiert, ohne zu erwähnen, daß diese enge Mitarbeiterin Hahns Opfer der nationalsozialistischen Politik geworden war und um ihr Leben zu fürchten hatte.

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  11. Daß die programmatische gesellschaftliche Erneuerung faktisch wohl ebenso durch restaurative Tendenzen, wie durch innovative Reformen geprägt wurde, braucht hier nicht diskutiert zu werden.

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  12. Diese Ohne-uns-Bewegung” ist nicht zu verwechseln mit der im vorigen Kapitel (z.B. 8.1.2) erörterten “Ohne-mich-Haltung” einiger meiner Interviewpartner, die mit dieser Haltung ja gerade ihre Skepsis und ihr Desinteresse gegenüber jeder politischen Partizipation während der Nachkriegszeit zum Ausdruck brachten.

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  13. Die SPD-Führung befürwortete damals das Verbot der “kommunistischen Volksbefragung” in vollem Einklang mit der Bundesregierung. Der Text des antikommunistischen Plakates der SPD lautete: “Wer ja sagt zur kommunistischen Volksbefragung sagt ja zur Aufrüstung in der Sowjetzone. Für Frieden und Freiheit mit der SPD.” Erst zur Zeit der Paulskirchenbewegung hatten führende Sozialdemokraten ihre Position entscheidend geändert.

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  14. “Das Manhattan-Projekt ist das erste Vorhaben, in dem von einer theoretischen Möglichkeit — hier der Entwicklung und dem Bau der Atombombe — ausgegangen wurde und unter Anwendung neuester Planungsmethoden und Organisationstechniken sowie mittels eines gigantischen Aufwandes an Forscherpotential, Ressourcen und Kapital in relativ kurzer Zeit alle noch notwendigen Erfindungen und technischen Losungen generalstabsmäßig abgewickelt wurden. (…) Die Verschmelzung von Wissenschaft, Industrie und Politik — einschließlich militärischem Bereich — setzte in großem Umfang bereits Anfang der vierziger Jahre in den Vereinigten Staaten ein” (Kreibich 1986, 336f). Die Forscher und Techniker des Manhattan-Projektes arbeiteten erstmals in einer vollkommen durchrationalisierten “wissenschaftlichen Waffenschmiede” (Kreibich) von bislang unbekannten Ausmaßen.

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  15. Was viele Wissenschaftler wiederum nicht daran hinderte, neben ihren im psychologischen Sinne entlastenden Versuchen, vor den Gefahren bestimmter wissenschaftlich-technischer Entwicklungen zu warnen und jede Politik, die diese Gefahren nicht ernstnimmt, öffentlich zu kritisieren, gleichzeitig für die Freiheit der Forschung einzutreten und an möglicherweise prekären Projekten mitzuarbeiten. Während man auf der einen Seite die Regierungen in kritischer Absicht zu einer weltumspannenden Politik des Friedens aufrief, bemühte man sich andererseits weiterhin um die Finanzierung und Realisierung einer Forschung, deren nächstes Ergebnis — beispielsweise — die Wasserstoffbombe werden sollte. Wagner analysiert und kritisiert die paradoxe Haltung derjenigen Kernforscher, die bestimmte Waffen “gleichzeitig perhorreszierten und weiterentwickelten”. Er erkennt darin eine Parallele zur “Zweigleisigkeit der amerikanischen Politik, die als ideales Ziel die Ausschaltung dieser Waffe verfolgte, während sie ihre Rüstung und Strategie darauf aufbaute” (Wagner 1964, 175). (Was sich wohl nicht nur über die Politik der USA sagen ließe.) Natürlich gab es auch Wissenschaftler, die entschieden die Entwicklung von Atomwaffen verteidigten und sogar den Einsatz dieser Waffen befürworteten, obwohl sie hiermit unbestritten auch ihr eigenes Gewissen belasteten. Das bekannteste Beipiel für eine solche zynische Haltung liefert Edward Teller, der am 2. Juli 1945, also noch vor dem Abwurf der Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki und während des politischen Engagements von Franck, Bethe (Franck-Report) und anderen gegen den Einsatz dieser Bomben, in einem Brief an Szilard schrieb: “Seit unserem Gespräch, lieber Leo Szilard, habe ich über Deinen Widerstand gegen einen sofortigen Einsatz der Waffe, die wir womöglich herstellen, nachgedacht Ich habe mich entschlossen, nichts zu tun. Gerne gebe ich Dir meine Gründe an. Vor allem will ich Dir gestehen, daß ich mich keiner Hoffnung hingebe, jemals (?) mein Gewissen läutern zu können. So schrecklich sind ja unsere Forschungen, daß unsere Seelen weder durch Proteste noch durch politische Einmischungsversuche gerettet werden können. (…) Ich kann auch nicht behaupten, daß ich lediglich meine Pflicht zu erfüllen suchte. Im Gegenteil, echtes Pflichtgefühl hätte mich doch von solcher Arbeit ferngehalten. Freilich glaube ich auch nicht, daß irgendwelche Hoffnungen berechtigt sind, irgendeine Waffe je gesetzlich verbieten zu können. Ja, wenn wir überhaupt eine Chance haben zu überleben, dann liegt sie in der Möglichkeit, Kriege schlechthin abzuschaffen. (…) Unsere einzige Hoffnung ist die Veröffentlichung unserer Forschungsergebnisse. Sie könnte jedermann von der Tödlichkeit des nächsten Krieges überzeugen. Und zu diesem Behufe wäre der Kampfeinsatz (einer Atombombe) vielleicht das beste Mittel” (Brief von Teller an Szilard, zit. nach Lenk 1986a, 36).

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  16. Hierbei wäre freilich zu berücksichtigen, daß man das Problem moderner Waffen-entwicklungen keinesfalls individualistisch behandeln und den Naturwissenschaftlern als individuellen Personen gleichsam die Schuld für solche Prozesse zuschreiben kann (vgl. z.B. Handschuh 1982). Selbstverständlich handelt es sich im Falle solcher Entwicklungen um ein gesellschaftliches und politisches Phänomen. Demgemäß dürfte es in aller Regel nicht nur unter politischen Gesichtspunkten, sondern auch in einer psychologischen Perspektive eine äußerst fragwürdige Angelegenheit sein, einzelne Naturwissenschaftler moralisch anzuklagen, weil sie an bestimmten wissenschaftlichen Entdeckungen, Erfindungen und Entwicklungen Anteil hatten, die schließlich zu bedenklichen Folgen führten. In diesem Zusammenhang ist nicht zuletzt zu beachten, daß auch Naturwissenschaftler den Zwängen der eigenen Existenzsicherung unterworfen sind. Wenn ich che oben angesprochene Ambivalenz für interessant halte, mit der einige Naturwissenschaftler leben, weil sie zu einer Arbeit beitragen, deren — vorhersehbare — Ergebnisse und Konsequenzen sie aus politischen oder moralischen Gründen ablehnen, so ist dieses Interesse psyschologischer Art: Wie lebt ein Mensch, dessen Denken und Tun in einem solchen unversöhnlichen Spannungsverhältnis stehen? Welche psychologischen Mechanismen werden hier wirksam? Welche psychischen Prozesse werden wirksam, wenn dieses Spannungsverhältnis derartig aufgelöst wird, daß die eigene (wissenschaftliche) Tätigkeit jeder moralischen und politischen Reflexion entzogen wird etc.?

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  17. Die Geschichte(n) der Atomforscher wurde(n) auch zum Thema von populärwissenschaftlichen Abhandlungen, die teilweise hohe Auflagen erreichten (z.B. Jungk 1986/1956).

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  18. Als Beleg für diese Deutung, nach der die “Göttinger Erklärung” als unmittelbar politischer Akt verstanden wird, können beispielsweise folgende Zeilen gelten: “Wir wissen, wie schwer es ist, aus diesen Tatsachen die politischen Konsequenzen zu ziehen. Uns als Nichtpolitikern wird man die Berechtigung dazu abstreiten wollen; unsere Tätigkeit, die der reinen Wissenschaft und ihrer Anwendung gilt und bei der wir viele junge Menschen unserem Gebiet zuführen, belädt uns aber mit einer Verantwortung für die möglichen Folgen dieser Tätigkeit Deshalb können wir nicht zu allen politischen Fragen schweigen” (Göttinger Erklärung 1957, s. Anhang C). Im weiteren Textverlauf führen die Naturwissenschaftler ihre politischen Kommentare und Stellungnahmen in Kürze aus. Die politischen Stellungnahmen betreffen nicht allein das Konzept einer auf Atomwaffen gestützten Sicherheitspolitik der Bundesrepublik. Die “Göttinger 18” äußern sich auch zu Fragen der zivilen Nutzung der Kernenergie (die sie ausdrücklich bejahen) und zu der sehr allgemeinen, gesellschaftspolitischen Alternative “westliche Demokratie versus östlicher Kommunismus”. Dabei wird auch die Spannung zwischen der Loyalität der “Göttinger 18” gegenüber der westlichen Demokratie und der Bundesregierung, die diese Gesellschaftsform “gegen den Kommunismus” verteidigt, sowie ihrer Kritik an bestimmten Aspekten der Regierungspolitik deutlich. Zu einer kritischen Analyse der politischen Haltungen und Intentionen der “Göttinger 18” vgl. die kleine Schrift der Friedensinitiative Garchinger Naturwissenschaftler (1987, insb. 73ff). In diesem Text wird auch erkennbar, wie sehr die aktuellen friedenspolitischen Aktivitäten von Naturwissenschaftlern in ihrer Genese und ihren Sinngehalten von der Initiative der “Göttinger 18” bestimmt sind, wenngleich sich die Naturwissenschaftler heute in manchen Aspekten durchaus sehr kritisch auf die Erklärung aus dem Jahre 1957 beziehen.

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  19. Es ist mehrfach darauf hingewiesen worden, daß die undifferenzierte Bezeichnung der gesamten außerparlamentarischen Protestbewegungen der 60er Jahre als “Studentenbewegung” oder gar als “Jugendbewegung” der Sache nicht gerecht wird: “In der BRD fungierte bis zur Verselbständigung des Studentenprotestes 1967/68 nicht eine Studentenorganisation, sondern die aus der Ostermarsch-Bewegung gegen Atomwaffen hervorgegangene “Kampagne für Abrüstung” (KfA) politisch und organisatorisch als Zentrum der außerparlamentarischen Opposition. Ihre Aufrufe zur Unterstützung der von der KfA organisierten jährlichen Osterdemonstrationen (die Zahl der Marsch- und Kundgebungsteilnehmer stieg von 1.000 im Jahr 1960 über 50.000 im Jahr 1963 auf 150.000 zu Ostem 1967 und 1968 noch weit darüber hinaus) wurden z.B. 1967 von 1.416 Geistlichen und Theologen, 1.507 Pädagogen, 486 Hochschullehrern und Wissenschaftlern, 1.378 Gewerkschaftsfunktionären, 1.008 Vertretern von Jugend- und Studentenorganisationen, 891 Künstlern sowie 577 Schriftstellern und Publizisten unterzeichnet” (Otto 1980, 193). Wenn ich i.f. von der Studentenbewegung spreche, tue ich das nicht zuletzt deshalb, weil in den vorliegenden autobiographischen Texten ebenfalls diese Bezeichnung verwendet wird

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  20. Als sozialwissenschaftliche Analysen der außerparlamentarischen Bewegungen der sechziger Jahre, auf die ich mich speziell bei der nun präsentierten Einteilung in verschiedene Phasen der Studentenbewegung stütze, seien beispielsweise genannt: Brand (1985), Brand, Büsser und Rucht (1983), Habermas (1969), Langguth (1983), Otto (1977). Bei Entwicklungsmodellen, die mehrere Phasen der Studentenbewegung voneinander unterscheiden, muß freilich berücksichtigt werden, daß “in der Bundesrepublik durch die Ungleichzeitigkeit der Geschehnisse in den einzelnen Hochschulorten eine unterschiedliche Entwicklung vonstatten ging. Allerdings wurde der Gang der Ereignisse zumeist in Berlin eingeleitet und dann nach und nach in den einzelnen Regionen der Bundesrepublik nachvollzogen” (Langguth 1983, 24).

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  21. Als “Legitimationstheorien” des studentischen Protestes dienten, so etwa Habermas (1969, 18ff; vgl. auch Langguth 1983), die dem Marxismus entstammende Imperialismustheorie, neoanarchistische Ansätze und kulturrevolutionäre Theorieelemente. Hinzuzufügen wären dem noch verschiedene Varianten psychoanalytischen Gedankengutes. Zu sponta-neistischen Elementen im theoretischen “Überbau” der APO vgl. Schütte (1980).

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  22. Wie in der gesamten Arbeit ist auch im folgenden ausschließlich von der sogenannten “alten” Bundesrepublik Deutschland die Rede. Die Friedensbewegung in der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik findet keine Berücksichtigung.

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  23. Einige ebenfalls überblicksartige, gleichwohl detailliertere Ausführungen über die Entstehung und über ausgewählte Merkmale der neuen Friedensbewegung finden sich auch im Einfuhrungskapitel (Kapitel 1).

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  24. Analoges ließe sich auch für das übernächste Kapitel sagen. Auch in der dort präsentierten “Geschlechtstypik” geht es unter anderem noch einmal um Personen, die in den späten siebziger oder in den achtziger Jahren zu ihrem friedenspolitischen Engagement fanden. In diesem Kapitel, in dem ausschließlich Frauen zu Wort kommen werden, stehen allerdings geschlechtsspezifische Aspekte der Konstitution und Charakteristik friedenspolitischen Denkens und Handelns im Zentrum der interpretativen Analysen.

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Straub, J. (1993). Typik I (Generationstypik): Gesellschaftlich-politische Prozesse und Individualentwicklung. In: Geschichte, Biographie und friedenspolitisches Handeln. Biographie & Gesellschaft, vol 20. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-322-96038-2_8

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