Soziale Bewegung oder Kommerzfunk? Die Entwicklung der privaten Radios in Frankreich

Zusammenfassung

Ein verwirrendes Akustik-Patchwork erwartet den neugierigen Wanderer auf der Pariser UKW-Skala. Zwischen 87 und 108 Megahertz drängen sich rund 60 Sender und verbreiten eine vielstimmige Kakophonie. Disko-Getöse, zerhackte Rap-Klänge, Akkordeon-Nostalgie, arabisches Schluchzen, das dröhnende Pathos von Johnny Halliday — es dudelt, jingelt und plaudert in mancherlei Zungen und „Musikfarben“. Dominierende Größen sind jene PopMusik-Kanäle mit Werbeeinschüben und minimalen Wortbeiträgen, die man auch anderswo kennt und gerne abschätzig als „Dudelfunk“ bezeichnet. Dennoch: es gibt auch anderes. Wer geduldig sucht, findet zwischen den lauten Musikmaschinen überraschende kleine Reservate: Da schimpfen Anwohner über Sanierungsvorhaben, Anarchisten feiern ihren antiklerikalen Sonntag, Jugendliche ereifern sich über Drogenprobleme, nordafrikanische Frauen diskutieren über Gewalt in der Ehe, Rabbis streiten über jüdische Identität, Geschichtenerzähler aus Guadeloupe erzählen endlose Geschichten auf kreolisch. Auf dem Pariser FM-Band, ebenso wie in anderen Städten, wenn auch in entsprechend geringerer Zahl, haben sich kleine Nischen erhalten, die einen Kontrast zur üblichen Allerweltsbeschallung darstellen. Daß sie existieren, ist den besonderen Umständen der Rundfunkliberalisierung in Frankreich geschuldet.