Zusammenfassung
Daß sich die soziologische Strukturanalyse die künstlerische Verdichtungsleistung durch werkanalytische Rekonstruktion als Erkenntnisquelle zunutze macht, ja mehr noch: die Analyse von Kunstwerken als Königsweg der empirischen Sozialforschung beschreitet, ist der nach wie vor dominanten braven Befolgung der „normal science“-Sozialforschung unheimlich oder lächerlich. Adorno, für den diese Vorgehensweise selbstverständlich war, der aber leider eine explizite Methodik der Werkanalyse nicht, ja nicht einmal lückenlos explizierte Beispiele dafür hinterlassen hat, ist selbst im „eigenen Lager“ ohne Nachfolge geblieben. So gehen der historisch gerichteten wie der zeitdiagnostischen Sozialforschung wertvolle Erkenntnismöglichkeiten verloren.
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Literatur
Ich zitiere nach der Ausgabe: Arthur Schnitzler, Meisterdramen. Frankfurt a.M., S. Fischer Verlag, 1971, S. 365 – 491. Fortan abgekürzt als ASM
ASM, S. 368
ASM, S. 368
ASM, S. 369f.
ASM, S. 372
Vgl. zu dieser Strukturproblematik U. Oevermann, Versozialwissenschaftlichung der Identitätsformation und Verweigerung von Lebenspraxis: Eine aktuelle Variante der Dialektik der Aufklärung, in: B. Lutz (Hrsg.), Soziologie und gesellschaftliche Entwicklung. Vhdl. d. 22. Dt. Soziologentages in Dortmund 1984. Frankfurt a.M., 1985, S. 463–474;
U. Oevermann, Ein Modell der Struktur von Religiosität, in: M. Wohlrab-Sahr (Hrsg.), Biographie und Religion. Frankfurt a.M, 1995, S. 27–102;
U. Oevermann, Skizze einer revidierten Theorie professionalisierten Handelns, in: A. Combe/W. Helsper (Hrsg.), Pädagogische Professionalität. Frankfurt a.M., 1996, S. 70–182;
U. Oevermann, Gebildeter Fundamentalismus und pragmatische Krisenbewältigung, in: G. Kreysa/P. Stadler (Hrsg.), Potentiale und Grenzen der Konsensfindung zu Bio- und Gentechnik. 34. Tutzing Symposion. Frankfurt a.M.: DECHEMA, 1997, S. 125–187.
ASM, S. 373
ASM, S. 382 ff.
Vgl. hier und für die weiteren professionalisierungstheoretischen Interpretationen zur Explikation des Modells der Arzt-Patient-Beziehung in einer revidierten Theorie der Professionalisierung U. Oevermann, Skizze einer revidierten Theorie professionalisierten Handelns, in: A. Combe u. W. Helsper (Hrsg.), Pädagogische Professionalität. Untersuchungen zum Typus pädagogischen Handelns. Frankfurt a.M., 1996, S. 70–182 sowie
U. Oevermann, Struktureigenschaften supervisorischer Praxis. Exemplarische Sequenzanalyse des Sitzungsprotokolls der Supervsion eines psychoanalytisch orientierten Therapie-Teams im Methodenmodell der objektiven Hermeneutik, in: B. Bardé u. D. Mattke (Hrsg.), Therapeutische Teams. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 1993, S. 141–269.
Das Drama wurde schon 1912 uraufgeführt, entstand also wohl in demselben Jahr, und fiel dann zunächst der Zensur anheim.
ASM, S. 399
ASM, S. 433
ASM, S 444f.
ASM, S: 490f.
Vgl. die in Fußnote 3 genannten beiden Aufsätze und darunter insbesondere den von 1996, für den es eine ausführlichere, bisher unveröffentlichte Fassung gibt.
Man könnte hier hinzufügen, daß eine solche Analyse, sofern die Unterscheidung, die ich eben angeführt habe, in den Literaturwissenschaften überhaupt stabil gemacht worden ist, die literaturwissenschaftliche Textanalyse geradezu als Umkehrung der soziologischen unter diesem Gesichtspunkt erscheinen läßt: Während der Soziologe, sofern er nicht das künstlerische Handeln oder die Struktur des Kunstwerkes selbst zum Thema hat, aus einem Kunstwerk ein die Realität zutreffend charakterisierendes Modell herauszufiltern trachtet und dafür die methodischen Voraussetzungen klären muß (darum geht es ja hier), muß der Literaturwissenschaftler, sofern es ihm wirklich um den Gegenstand von Literatur als Literatur geht, umgekehrt methodisch Vorkehrungen treffen, die von einem literarischen Text gemeinte textexterne Realität, hier das professionalisierte ärztliche Handeln, gültig vor sich zu haben, um dann auf dieser Folie sein eigentliches Geschäft erst beginnen zu können: die Untersuchung der spezifisch künstlerischen Weisen der Realitätserfassung und der literarischen Gestaltung der Realitätserfassung bzw. einer fiktionalen Realität durch einen konkreten Autor in seiner Stilepoche. Ich habe allerdings Zweifel, daß in dieser Hinsicht im Verhältnis zwischen Soziologie und Literaturwissenschaft bisher wirklich methodische Klarheit geherrscht hat.
Insofern ist auch die Unterscheidung von Natur- und Kulturwissenschaften entlang der kategorialen Differenz von Beobachtungstatsachen und normativen oder interpretativen Sachverhalten ganz irreführend, ebenso wie die viel berufene, ins Unendliche verlaufende Aufsteigerung von Beobachtung zur Beobachtung der Beobachtung usf. forschungslogisch vollkommen folgenlos ist und nichts anderes als hirnathletisches Durchblickertum, das im subjektivistischen Relativismus befangen bleibt und den Grund der Sachhaltigkeit aufgegeben hat.
Vgl. hierzu U. Oevermann, „Il n’y a pas un problème du décrire dans les sciences sociales“, in: W. Ackermann, B. Conein, Ch. Guigues, L. Quéré’, D. Vidal (eds.), Décrire: Un Impératif?, Paris, 1985, T. 1, pp. 12–34.
In diesem Zusammenhang sei es erlaubt, eine kurze polemische Attacke gegen die allenthalben speziell unter den Kultursoziologen und Ethnologen gegenwärtig verbreitete, geradezu mystifizierende Wertschätzung der Methode der „dichten Beschreibung“von Clifford Geertz zu reiten. Was soll das eigentlich sein? Wenn es eine Beschreibung ist, dann hat es als Datenmaterial nur dann einen Vorteil gegenüber einer „nicht-subjektiven, unintelligenten“Aufzeichnung durch einen Apparat, wenn es tatsächlich in künstlerischer Verdichtung sich vollzog. Dann aber ist es nicht mehr so sehr die Beschreibung einer wirklichen Realität als die Gestaltung einer fiktionalen Realität. Dann liegt der Akzent auf dem Künstlerischen und dem Verdichteten. Und dann käme alles darauf an, diese spezifisch künstlerische Erkenntnisleistung durch werkanalytische Methoden zu heben. Davon hört man aber bei Geertz nichts. Wenn aber der Akzent auf einer irgendwie gearteten außerkünstlerischen Verdichtung liegen sollte, dann kann es sich letztlich nur daraum drehen, einem rohen Material durch geeignete Rekonstruktionsverfahren aufschlußreiche Einsichten zu entnehmen. Dann aber handelt es sich alle Male schon um Analyse und nicht mehr um Beschreibung. Denn ein Vorgang, in dem außerkünstlerisch, wahrscheinlich in irgendeiner mystifizierten Form ethnographischer Authentizität, statt einer viel zuverlässigeren apparatevermittelten Aufzeichnung eine subjektiv gerichtete, gestaltende Darstellung von einer zudem wohl noch fremdartigen Realität gegeben wird, die als „dichte Beschreibung“gelten soll, kann ja wohl nur einer sein, in dem unvoreingenommene Protokollierung mit aufschließender Analyse zusammenfallen muß. Und das muß methodisch gesehen auf jeden Fall schief gehen bzw. ist diejenige Form der Datenerhebung, die am ehesten zu zirkulären und immunisierenden Fehlern führt, weil sie von der Datenauswertung sich nicht mehr lösen läßt. Wir können also nur schließen, daß Geertz uns elitär ein genialisches, freakartiges Gemisch von künstlerischer Subjektivität und methodisch-argumentativer Schlüssigkeit suggerieren will, das sich mehr oder weniger charismatisch guruartig beherrschen und inszenieren läßt. Wer wollte da nicht zu den Eingeweihten gehören?
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© 1997 Leske + Budrich, Opladen
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Oevermann, U. (1997). Literarische Verdichtung als soziologische Erkenntnisquelle: Szenische Realisierung der Strukturlogik professionalisierten ärztlichen Handelns in Arthur Schnitzlers Professor Bernhardi . In: Wicke, M. (eds) Konfigurationen Lebensweltlicher Strukturphänomene. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-322-96030-6_16
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DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-322-96030-6_16
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