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Erzwungene Ästhetik: Repräsentation, Zeremoniell und Ritual in der Politik

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Zusammenfassung

Angesichts des wortreichen, öffentlichen Kommentierens und Analysierens von Politik gewinnt man den Eindruck, gegenwärtig trete an die Stelle des „Machens von Politik“ mehr und mehr das darüber Reden und Schreiben. So gesehen bestünde wenig Anlaß, das bestehende Überangebot an Geschriebenem noch zu vergrößern — es sei denn, es gäbe für die Diskussion über Politik zunehmend wichtige, aber bisher einseitig und lediglich oberflächlich behandelte Aspekte, über die es sich erneut und genauer nachzudenken lohne. Die „Darstellung von Politik (bzw. der Politiker als Darsteller) im Rahmen und unter dem Diktat einer umfassenden Medienpräsenz“ zählt zu einer solchen Thematik. Sie, wie üblich, wirkungsanalytisch in Formeln und Formen der Einschaltquotenmystik abzuhandeln, ist ebenso einseitig wie der Versuch, sie in die — gegenüber der „harten“ Realpolitik — weichen Wolken der symbolischen Politik auszusiedeln: Das erfolgreiche „Machen von Politik“ enthielt und enthält für den Politiker immer schon und notwendig den Zwang, dem „Macher“ im Darsteller eine sichtbare Gestalt zu verleihen. Aus dieser für politisches Handeln prinzipiell geltenden Konstellation legitimiert sich der folgende Versuch einer soziologischen Anthropologie2 der Darstellung von Politik — ein Versuch, der dementsprechend die „Gegenwartspolitik“ nur am Rande und aus einer aktualitätsdistanzierten, verfremdeten Perspektive in den Blick nimmt.

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Literatur

  1. Antrittsvorlesung an der Universität Konstanz am 18. Juli 1995.

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  2. Wie schon oft habe ich auch diesmal Thomas Luckmann zu danken: Für Ermunterungen, Hilfen und kritische Einwände.

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  3. Seit Machiavelli konkurrieren im Politikverständnis der Neuzeit zwei Begriffe von ‚Politik‘ miteinander: (1) der aristotelisch-christliche, an der Förderung des Gemeinwohls ausgerichtete und (2) der an Machtbildung und Machtkunst orientierte Politikbegriff. Max Weber, dessen Politikbegriff ich im folgenden übernehme, stellt ähnlich wie Machiavelli analytisch-nüchtern fest: „Wer Politik treibt, erstrebt Macht: Macht entweder als Mittel im Dienst anderer Ziele (idealer oder egoistischer), — oder Macht um ihrer selbst willen: um das Prestigegefühl, das sie gibt, zu genießen“ (Weber 1971, S. 507). Normative Vorgaben werden bei ihm also aus dem Politikbegriff selbst herausgenommen. In einem umfassenderen gesellschaftlichen Sinne jedoch, so konstatiert Weber, laste „der Fluch kreatürlicher Nichtigkeit auch auf den äußerlich stärksten politischen Erfolgen“ (Weber 1971, S. 548), wenn politisches Handeln nicht als „Dienst an einer Sache“ (Weber 1971, S. 547) betrieben werde: ohne ihn werde Machtpolitik zu einer ‚gänzlich leeren Geste‘. Beide Wurzeln des neuzeitlichen Politikbegriffs sind also auch bei Weber noch gut erkennbar. Die normativen Vorgaben des aristotelisch-christlichen Politikverständnisses (und seiner Nachfolger) werden jedoch analytisch einer anderen Handlungs- und Bewertungssphäre als der spezifisch politischen zugeordnet. Siehe Max Weber, Politik als Beruf, Gesammelte politische Schriften, hrsg. von J. Winckelmann, Tübingen 1971

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  4. Helmuth Plessner, Die Stufen des Organischen und der Mensch, Berlin/New York 1975 (1929), S. 288 ff.

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  7. Plessner 1975, S. 309ff.

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  8. Ronald Hitzler hat aus diesem Sachverhalt seine Überlegungen zu einer „dramatologischen Anthropologie“ und zu einer „Dramatologie des Politikers“ abgeleitet. Ronald Hitzler, Der Machtmensch. Zur Dramatologie des Politikers, Merkur 45.Jg./3 1991, S. 201–10; DerS., Der Goffmensch. Überlegungen zu einer dramatologischen Anthropologie, Soziale Welt 43 Jg./4 1992, S. 449–61

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  9. Vgl. Alfred Schütz/Thomas Luckmann, Strukturen der Lebenswelt Bd. 2, Frankfurt a.M. 1984; Hans Georg Soeffner, Zur Soziologie des Symbols und des Rituals, in: Jürgen Oelkers, Klaus Wegenast (Hg.), Das Symbol — Brücke des Verstehens, Stuttgart/Berlin/Köln 1991

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  10. Thomas Luckmann, Kommunikative Gattungen im kommunikativen „Haushalt“ einer Gesellschaft, in: Smolka-Koerdt et al. (Hg.), Der Ursprung von Literatur, München 1988

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  11. Der weite Bereich der öffentlichen und damit auch der politischen Rhetorik, der systematisch an dieser Stelle zu charakterisieren wäre, bleibt hier — aus Zeitgründen — ausgespart: damit — leider — auch die kaum je sorgfältig beschriebenen Entwicklungen, die innerhalb der politischen Rhetorik durch unterschiedliche mediale Rahmungen neu entstanden sind.

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  12. Max Weber, Soziologie. Universalgeschichtliche Analysen. Politik, hrsg. von Johannes Winckelmann, Stuttgart 1973, S. 172

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  14. Die absolute Ethik der Bergpredigt z.B. („den anderen Backen hinhalten“) ist am Seelenheil des einzelnen, nicht am Gemeinwohl orientiert. Deshalb, so Weber (1973, S. 175f.), gilt für den Politiker umgekehrt der Satz: „Du sollst dem Übel gewaltsam widerstehen, sonst — bist du für seine Überhandnahme verantwortlich“.

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  15. Weber 1973, S. 172

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  16. Karl Kraus, Sprüche und Widersprüche, Frankfurt a.M. 1988 (1924), S. 60

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  17. Heimito von Doderer, Die Merowinger oder die totale Familie, München 1994, S. 29

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  18. Erwin Panofsky, Gotic Architecture and Scholasticism, New York 1957, S. 125–58. Im Anschluß an den Habitus-Begriff bei Panofsky hat Bourdieu sein später immer wieder variiertes, hier nur begrenzt übernommenes Habituskonzept entwickelt und Chomsky’s Idee der ‚generativen Grammatik‘ auf bestimmte Strukturen sozialen Handelns übertragen.

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  19. Pierre Bourdieu, Zur Soziologie der symbolischen Formen, Frankfurt a.M. 1974, S. 143

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  20. Bourdieu 1974, S. 150

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  21. In unserem Zusammenhang interessanter als Patzelts Überblick (Werner J. Patzelt, Neuere Repräsentationstheorie und das Repräsentationsverständnis der Abgeordeneten, Zeitschrift für Politik 2, 1991, 166–99), weil konsistenter in der Verknüpfung von Symbol- und Repräsentationstheorie, ist Ronald Hitzlers (R. Hitzler, Der gemeine Machiavellismus, 1994, Habilitationsschrift, MS., S. 1–19) neuerer Versuch, „symbolisierende Politik“ analytisch aus jener zeitkritischen Begrenzung zu befreien, in die Ulrich Sarcinelli diesen Begriff geführt hatte (Ulrich Sarcinelli, Symbolische Politik, Opladen 1987).

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  22. Otto Brunner, Werner Conze, Reinhart Kosellek (Hg.), Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland, Stuttgart 1984, S. 509

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  23. Stowassers Lateinisch-Deutsches Handwörterbuch, Wien/Leipzig 1910

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  24. Brunner et al. (Hg.) 1984, S. 509

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  25. Brunner et al. (Hg.) 1984, S. 513

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  27. Immanuel Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sittten. Werke in zehn Bänden, hrsg. von Wilhelm Weischedel, Bd. 6, Darmstadt 1968 (1785)

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  28. Ivo Krbek, Repräsentation nach der Doktrin der Volkssouveränität, in: Karl Dietrich Bracher (Hg.), Moderne Demokratie und ihr Recht, Festschrift für Gerhard Leibholz Bd.1, Tübingen 1966, S. 66

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  29. Max Weber 1973, S. 172

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  30. Eric Voegelin, Die neue Wissenschaft der Politik, München 1965

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  31. Hitzler 1994

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  32. Irving Goffman, Interaktionsrituale. Über Verhalten in direkter Kommunikation, Frankfurt a.M. 1973, S. 25

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  33. Goffman 1973

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  34. Goffman (1973) verwendet diesen Ausdruck — ebenso wie andere Teile der oben zitierten Argumentation — ausschließlich im Zusammenhang unmittelbarer (vis-à-vis) Kommunikation. Ich glaube jedoch, daß man das Argument als ganzes auch auf umfassendere Zusammenhänge anwenden kann.

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  35. Klaus E. Müller, Das magische Universum der Identität. Elementarformen sozialen Verhaltens. Ein ethnologischer Grundriß, Frankfurta.M./New York 1987, S. 285

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  36. Vgl. Arnold van Gennep, Übergangsriten (Les rites des passage), Frankfurt a.M./New York 1986; Klaus E.Müller, a.a.O, S. 109

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  37. Helmuth Plessner, Macht und menschliche Natur, Gesammelte Schriften V, Frankfurt a.M. 1981, S.104

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  38. Plessner 1981

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  39. Bei diesen wie bei anderen Arten von Gesinnungsethikem erinnert man sich unwillkürlich an die Worte Max Webers: „In der Welt der Realitäten machen wir freilich stets erneut die Erfahrung, daß der Gesinnungsethiker plötzlich umschlägt in den chiliastischen Propheten, daß z.B. diejenigen, die soeben ‚Liebe gegen Gewalt’ gepredigt haben, im nächsten Moment zur Gewalt aufrufen, — zur letzten Gewalt, die dann den Zustand der Vernichtung aller Gewaltsamkeit bringen würde“ (Weber 1973:177)

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  40. Plessner 1981

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  41. Weber 1973, S. 177

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  42. Karl Kraus, Pro domo et mundo, Frankfurt a.M.1990 (1919), S. 37

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  43. Aber nicht nur sie, sondern auch jene, die hoffen (oder billigend ‚konstatieren‘), daß es zu einer „Politisierung des Handelns im Bereich des traditionell privaten Lebens“ komme. (Hitzler 1994 b:11; ebenso Beck 1993)

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  44. Immanuel Kant, Anthropologie in pragmatischer Absicht, Werke in zehn Bänden, hrsg. von Wilhelm Weischedel, Bd.10, Darmstadt 1971 (1798), S. 408

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  45. Die folgenden Überlegungen entstanden im Rahmen eines Forschungsprojektes zur Darstellung von Politik in Medien und in Zusammenarbeit mit Ronald Kurt, Thomas Lau, Christine Kugler, Stefan Lange, Markus Hablizel, Monja Messner und Vera Hepp.

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  46. Alfred Schütz, Gesammelte Aufsätze Bd.1, Den Haag 1971, S. 392ff.

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  47. Alred Schütz, Thomas Luckmann, Strukturen der Lebenswelt Bd.1, Frankfurt a.M. 1979, S. 49f.

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  49. Plessner 1981, S. 70

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  50. Plessner 1981, S. 75

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  51. Plessner 1981, S. 82

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  52. Was für die Distanz gegenüber Personen gilt, hat auch Geltung gegenüber Sachverhalten: „Distanzlosigkeit, rein als solche, ist eine der Todsünden jedes Politikers und eine jener Qualitäten, deren Züchtung bei dem Nachwuchs unserer Intellektuellen sie zu politischer Unfähigkeit verurteilen wird“. Was sonst noch als diese Feststellung Webers könnte man Betroffenheitspolitikern der Gegenwart entgegenhalten? Nur noch die ergänzende Einsicht Webers: „Politik wird mit dem Kopfe gemacht, nicht mit anderen Teilen des Körpers oder der Seele“ (Weber 1973, S. 168).

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  53. Ich übertrage hier forciert einen Teil der Argumentation, die Plessner für jedes Individuum „im öffentlichen Austausch“ (Goffman) entwickelt auf Distanz- und Absicherungsformen des Politikers.

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  54. Plessner 1981, S. 85

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  55. Weber 1973, S. 169

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  56. Plessner 1981, S. 87

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  57. Der Prestigebegriff, so wie er hier von mir in Anlehnung an Plessner verwendet wird, läßt sich — im Bereich alltäglicher Interaktion — gut mit Goffman’s Image-Konzept verknüpfen.

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  58. Charakterisierung des F.D.P.-Politikers Möllemann durch F.J. Strauß.

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  60. Georg Simmel, Philosophische Kultur. Über das Abenteuer, die Geschlechter und die Krise der Moderne, Gesammelte Essais, Berlin 1983, S. 37

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  61. Doderer 1994, S. 118

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  62. Plessner 1981, S. 96

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Michael Wicke

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© 1997 Leske + Budrich, Opladen

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Soeffner, HG. (1997). Erzwungene Ästhetik: Repräsentation, Zeremoniell und Ritual in der Politik. In: Wicke, M. (eds) Konfigurationen Lebensweltlicher Strukturphänomene. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-322-96030-6_14

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  • DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-322-96030-6_14

  • Publisher Name: VS Verlag für Sozialwissenschaften

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