Zusammenfassung
Weniger medienwirksam als die iranische Revolution 1979, aber vielleicht genauso bedeutsam, scheint die 1992 feststellbare Mobilmachung gegen die islamistische Herausforderung in der arabischen Welt eine neue Zäsur in den Beziehungen zwischen Staat und Religion darzustellen. Nach einer in den 30er Jahren einsetzenden Bewegung zur “Islamisierung” der nordafrikanischen und nahöstlichen Staaten im Sinne einer konzeptionellen Umsetzung des politischen Islams,
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geprägt von Persönlichkeiten wie dem Begründer der Muslimbruderschaft Hasan al-Banna, dem Führer der pakistanischen Jama’at-i islami, al-Maududi, oder dem iranischen Ayatollah Khomeini,
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gekennzeichnet von unterschiedlichen Strategien zur Durchsetzung der religiösen Ideologie, wie z.B. der Strategie einer Islamisierung “von oben” bzw. “von unten”, wie sie vor allem die algerischen Islamisten seit Mitte der 80er Jahre praktizierten, und
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von verschiedenen Intensitätsphasen mit einem Kulminationspunkt 1979 (iranische Revolution) und einem daraus resultierenden Effekt des “Revolutionsexports”,
markieren die Gegenmaßnahmen des Jahres 1992 den Beginn einer an Umfang zunehmenden antiislamistischen Strategie zahlreicher Staatsführungen. Dem angestrebten “Kalifat”, dem “islamischen Staat” wird von Seiten der republikanischen, weitgehend weltlichen Staatsführungen Widerstand entgegengesetzt, wobei — abgesehen von Syrien und Irak, wo die seit den 60er Jahren dominierende Ba’th-Ideologie die Erneuerung der arabischen Welt ohne Rückgriff auf den Islam, sondern gemäß dem Leitmotiv “Einheit, Freiheit, Sozialismus” in säkularen Staaten umsetzen will — Tunesien und Libyen mit ihrer bereits seit den 80er Jahren praktizierten Konfrontationspolitik eine Vorreiterrolle übernahmen, bevor die Ereignisse in Algerien andere Staatsführungen zur Positionsbestimmung zwangen. Bei dem Ringen zweier Gesellschaftskonzeptionen und ihrer Hauptprotagonisten (Islamisten vs. Säkularisten, liberale Muslime, Reformisten) mit der Gesamtgesellschaft als involviertem Objekt haben sich die Staatsführungen auf die Seite der Gegner islamistischer Heilslehren gestellt und so das Feld der antiislamistisch eingestellten Schriftsteller und Journalisten, moderaten Theologen, säkularen Parteien, Menschenrechtsorganisationen, Gewerkschaften und Berufsverbände gestärkt. Die Islamisten konnten ihre Anhänger überwiegend nur auf seiten des radikalen, militanten Flügels mobilisieren.
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© 1993 Leske Verlag + Budrich GmbH, Opladen
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Mattes, H. (1993). Der antiislamistische Kurs der arabischen Staatsführungen. In: Koszinowski, T., Mattes, H. (eds) Nahost Jahrbuch 1992. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-322-96022-1_30
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