Zusammenfassung
Im Zusammenhang mit Einschätzungen der sozialen Ungleichheit kann auch auf die oben nur referierten Antworten hinsichtlich der Einschätzung der Bundesrepublik etwas näher eingegangen werden. Unübersehbar ist dabei zunächst, daß mit zunehmendem Alter die Zahl derer drastisch ansteigt, die der Meinung sind, “Hintermänner halten in der Politik die Fäden in der Hand”. Mädchen neigen hierzu um etwa 3–4% weniger als Jungen, so daß der Spitzenwert bei den männlichen Abiturienten (N = 262) mit 32% allein für “Hintermänner” und weiteren 8% für “Hintermänner” in Kombination mit einer weiteren Antwort (überwiegend der Antwort “viele Interessen”) erreicht wird.
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Literatur
Vgl. die grundsätzlichen älteren Arbeiten von Helmut Plessner, Die verspätete Nation. Über die politische Verführbarkeit bürgerlichen Geistes, Frankfurt 3. Auflage 1988,
sowie Kurt Sontheimer, Antidemokratisches Denken in der Weimarer Republik, München 1961;
ferner Norbert Elias, Studien über die Deutschen. Machtkämpfe und Habitusentwicklung im 19. und 20. Jahrhundert, Frankfurt 1989;
sowie Hans Mommsen, Die Last der Vergangenheit, in: Jürgen Habermas, Hrsg., Stichworte zur geistigen Situation der Zeit, Bd. 1, Frankfurt 1979, S. 164–184;
Wilfried Röhrich, Die verspätete Demokratie, Köln 1983, insbesondere S. 48f.;
Kurt Sontheimer, Deutschlands politische Kultur, München 1990, insbesondere S. 89f.; Wolfgang H. Lorig, Sonderweg oder Sonderbewußtsein der Deutschen, zu einer Kategorie des deutschen Geschichtsbewußtsein, in: Politische Bildung, 20, H. 1, S. 13–29;
Jürgen Habermas, Heinrich Heine und die Rolle des Intellektuellen in Deutschland, in: Jürgen Habermas, Die Moderne — ein unvollendetes Projekt, Leipzig 1990, S. 130–158.
So u.a. Peter Förster/Walter Friedrich, Politische Einstellungen und Grundpositionen Jugendlicher in Ostdeutschland, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 38/1992, S. 3–15. Von den Schülern der 8. bis 10. Klassen wissen 22% hierzu nichts zu sagen und ordnen sich 40% in der Mittelgruppe “weder links noch rechts” ein (ebendort, S. 4). Ursula Hoffmann-Lange, die in der von ihr geleiteten Untersuchung des Deutschen Jugendinstitutes ebenfalls diese Selbsteinschätzungsfrage verwendet, weist zurecht darauf hin, “daß Befragte ohne feste Meinung dazu neigen, sich in der Mitte der vorgegebenen Skalen einzuordnen, sofern sie nicht gleich auf die Kategorie ‘kann ich nicht beurteilen’ ausweichen, so daß beide Kategorien teilweise deckungsgleich sind. “(Schüler an der Schwelle zur deutschen Einheit, Opladen 1992, S. 16, Anm. 5). Bei dieser Befragung nahmen sogar 43,6% der befragten Schüler 9. Schulklassen keine Selbsteinstufung vor, weitere 23% wählten die neutrale Mittelposition. Bei denen, die sich rechts oder links einstufen, glauben die Autoren eine hohe Plausibilität hierfür feststellen zu können durch den Vergleich mit anderen Einstellungsfragen (Hoffmann-Lange, a.a.O., S. 16, S. 163; Förster/Friedrich, a.a.O., S. 5). Bewährt scheint dies aber nur für das rechte Segment zu sein, wo bestimmte Themen und Schlagworte so eindeutig als “rechts” verortet sind, daß jemand, der ihnen zustimmt, auch weiß, daß er damit “rechts” einzuordnen ist. Für das linke Segment scheint dieser Sinn des Begriffes aber viel diffuser zu sein. Wolfgang Melzer verwendet ebenfalls diese Selbsteinstufung, allerdings bei Jugendlichen von 15–24 Jahren und ohne neutrale Mittelkategorie. Er arbeitet dann aber mit anderen inhaltlichen Fragen zur politischen Standortbestimmung der Befragten, ohne auf die Skala links — rechts weiter einzugehen (Jugend und Politik in Deutschland, Opladen 1992, S. 93).
Dieser Befund entspricht im Grunde dem, den Manfred Teschner 30 Jahre früher bei einer Untersuchung von Primanern feststellte. Zwar fand er unter ihnen 19% “Autoritäre”, 52% “formale” und 29% “überzeugte Demokraten”, was der gegenwärtigen Situation weder von der Fragestellung noch vom Ergebnis her entspricht. Gleichzeitig stellte er aber hinsichtlich der “Autoritären” fest: “Dieser Befund spricht nicht dafür, daß es sich in der Mehrzahl um militante Antidemo-kraten handelt…. Offensichtlich gibt es unter den befragten Primanern nur wenige, die dem klassischen Typ des Autoritären noch genau entsprechen. Bei den politisch Gleichgültigen dieser Gruppe dürfte die Ansprechbarkeit autoritären Formeln gegenüber zumeist nicht Ausdruck eines spezifisch politischen Bewußt-seins sein, sondern eher dessen Mangel dokumentieren… Die Befunde legen den Eindruck nahe, daß sich die politische Einstellung wohl der meisten Primaner durch die traditionelle Unterscheidung demokratisch — autoritär kaum angemessen beschreiben läßt. Die vielfach unpolitischen Maßstäbe, die ihren Urteilen zugrundeliegen, und ihre insgesamt recht oberflächliche Beziehung zum öffentlichpolitischen Bereich verbieten es, von einem strukturierten politischen Bewußtsein zu sprechen” (Politik und Gesellschaft im Unterricht, Frankfurt 1968, S. 71–72). Dies entspricht auch den heutigen Befunden. Es fehlt das Verständnis für Politik, und es fehlt heute wie damals an ausreichend gezielten Bemühungen schulischer politischer Bildung, ein solches Verständnis zu fördern und damit zugleich demokratische Werthaltungen wirklich zu festigen und zum handlungsleitenden Besitz zu machen, der sich dann auch in Krisensituationen und gegenüber demagogischen Versuchungen bewähren kann. Was sich gegenüber der Zeit der Untersuchung von Teschner gewandelt hat, ist sehr viel, aber es scheint sich vielmehr der Tatsache zu verdanken, daß die heutigen Jugendlichen geprägt wurden durch das unmittelbare Aufwachsen in einer gefestigten pluralistischen Demokratie.
Vgl. Niedersächsisches Kultusministerium, Hrsg., Lebenssituation von Jugendlichen und jungen Erwachsenen in Niedersachsen; Jugendkompaß Niedersachsen 1989, Hannover 1989, S. 44. 63% der 6.500 befragten Jugendlichen im Alter von 14 bis unter 21 Jahren wollen dort die Ausländer mit ihren Sitten annehmen und gewähren lassen. Eine ähnliche Frage wurde im Rahmen der allgemeinen Bevölkerungsumfrage ALLBUS gestellt. “Gastarbeiter sollten ihren Lebensstil ein bißchen besser an den der Deutschen anpassen”. 1990 stimmten dieser Aussage 34% der Befragten zu, 23% lehnten sie ab. Die Rate der Ablehnung war am stärksten in der Gruppe der 18–34jährigen (35%) und der Befragten mit Hochschulreife (41%). Von ihnen stimmten nur 22% bzw. 17% zu. (Statistisches Bundesamt, Hrsg., Datenreport 1992, S. 615).
So Wilhelm Heitmeyer, Rechtsextremistische Orientierungen bei Jugendlichen, Weinheim 4. Auflage 1992, S. 156, S. 162;
oder Peter Förster/Walter Friedrich, Politische Einstellungen und Grundpositionen Jugendlicher in Ostdeutschland, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 38/1992, S. 3–15, S. 8.
So lauten zwei der sieben von Heitmeyer verwendeten Statements, die übrigen sind Varianten davon (vgl. Heitmeyer, a.a.O., S. 246).
So lauten drei von vier Statements bei Förster/Friedrich. Das vierte lautet: “Riskante Sachen reizen mich” (a.a.O., S. 8).
Gerda Lederer kam 1979 in einer international vergleichenden Untersuchung, die sich zwar nicht politischen Einstellungen, sondern klassischen Fragestellungen der Autoritarismusforschung zuwandte, zu dem Ergebnis einer “großen Ähnlichkeit zwischen den jungen Amerikanern und den jungen Westdeutschen. Die klassischen autoritären Einstellungen… sind unter den Jugendlichen in dieser Form kaum noch vertreten.” (Jugend und Autorität, Opladen 1983, S. 113). Im Langzeitvergleich einiger ausgewählter Aspekte “zeigt sich bei jeder der acht Fragen ein höherer Autoritarismusanteil in der amerikanischen Stichprobe”. (G. Lederer, Autoritarismus — Einstellungen bei westdeutschen und amerikanischen Jugendlichen, in: Klaus Wasmund, Hrsg., Jugendliche — neue Bewußtseinsformen und politische Verhaltensweisen, Stuttgart 1982, S. 122–129, S. 127).
Vgl. auch G. Lederer, u.a., Autoritarismus unter Jugendlichen der ehemaligen DDR, in: Deutschland-Archiv, 1991, S. 587–596.
Die Bundesrepublik erscheint inzwischen als eine gefestigte, gleichsam eingelebte Demokratie, insbesondere auch für jüngere Menschen (vgl. die vielfachen Daten bei Dieter Fuchs, Die Unterstützung des politischen Systems der Bundesrepublik Deutschland, Opladen 1989, insbesondere S. 99, S. 144, S. 165;
sowie Oskar W. Gabriel, Demokratiezufriedenheit und demokratische Einstellungen in der Bundesrepublik Deutschland, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 22/1987, S. 32–45, S. 41;
ferner Kendali L. Baker/Russell J. Dalton/Kai Hildebrandt, Germany transformed, political Culture and the New Politics, Harvard 1981, S. 24, S. 40, mit der Schlußfolgerung: “… that considerable support for the present German system is found among the population in general and the youth in particular, especially when viewed in comparative perspective” (S. 272);
oder David P. Conradt, Changing German Political Culture, in: Gabriel A. Almond/Sidney Verba, ed., The Civic Culture Revisited, Boston 1980, S. 212–272, vgl. S. 224f., der ebenfalls die Bedeutung jüngerer Generationen betont (S. 256f.) und vergleichend bemerkt: “… by the mid-1970s Germans had greater feelings of trust in the government and were more supportive of their political system than mass publics in Britain” (S. 264). Das wichtige Moment gelebter demokratischer Erfahrungen der jüngeren Generationen betont auch Martin Greiffenhagen als Hauptursache für die positive Entwicklung und Festigung der politischen Kultur. “… daß neue Generationen nachwachsen, mit neuen politischen Überzeugungen”. (Vom Obrigkeitsstaat zur Demokratie: Die politische Kultur in der Bundesrepublik, in: Peter Reichel, Hrsg., Politische Kultur in Westeuropa, Bonn 1984, S. 52–76, S. 64; vgl. auch M. Greiffenhagen, Die Bundesrepublik 1945–1990, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 1–2/1991, S. 16–26.
G. D. Wilson/J. R. Patterson, A New Measure of Conservatism, in: British Journal of social and clinical psychology, 7, 1968, S. 264–269;
sowie G. D. Wilson, ed., The Psychology of Conservatism, London 1973, mit entsprechender Schlagworttabelle (S. 52). Zum Verfahren vgl. ferner Siegfried Schumann, Wahlverhalten und Persönlichkeit, Opladen 1990, S. 62, S. 197; sowie S. Schumann, Politische Einstellungen und Persönlichkeit, Frankfurt 1986, S. 167.
Vgl. Joachim Hofmann-Göttig, Die neue Rechte: Die Männerparteien, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 41–42/1989, S. 21–31;
Birgit Meyer, Mädchen und Rechtsradikalismus, in: Blätter für deutsche und internationale Politik, 1991, S. 601–611. Andere Autoren sehen dagegen durchaus Verlockungen rechter Klischees auch für Frauen.
So Kurt Möller, Geschlechtsspezifische Aspekte der Anfälligkeit für Rechtsextremismus in der Bundesrepublik Deutschland, in: Frauenforschung, 9. Jahrgang, 3/1991, S. 27–49 oder Ursula Birsl, Frauen und Rechtsextremismus, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 3–4/1992, S. 22–30. Der damit verbundenen “Vermutung…, daß keine signifikanten Unterschiede in der Verbreitung rechtsextremistischer Orientierungsmuster zwischen Männern und Frauen vorhanden sind” (Birsl, S. 29) oder der Aussage “geschlechtsspezifische Gefahrdungskonstellationen stellen sich… erheblich brisanter, insgesamt auf jeden Fall, drastisch komplexer dar, als ein oberflächlicher Blick sie bislang wahrnimmt” (Möller, S.43) widersprechen die obigen Befunde bei Gymnasialschülern jedoch deutlich gerade im Bezug auf eine der tieferen Dimensionen rechter Einstellungen. Hierbei spielt die höhere Bildung bzw. Sozialschicht allerdings eine bedeutende Rolle, so daß diese Ergebnisse nicht einfach auch auf Hauptschülerinnen bzw. den gesamten Altersjahrgang übertragen werden können (vgl. zu schichtspezifischen Differenzen Juliane Jacobi, Sind Mädchen unpolitischer als Jungen?, in: Wilhelm Heitmeyer/Juliane Jacobi, Hrsg., Politische Sozialisation und Individualisierung, Weinheim 1991, S. 99–118, S. 114).
So u.a. von einer Leipziger Forschungsgruppe, vgl. Harry Müller/Wilfried Schubarth, Rechtsextremismus und aktuelle Befindlichkeiten von Jugendlichen in den neuen Bundesländern, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 38/1992, S. 16–28, S. 21;
oder von Deutsches Jugendinstitut, Hrsg., Schüler an der Schwelle zur deutschen Einheit, Opladen 1992,
Frage 15 C. Eigentliche differenzierte Ethno-zentrismusskalen finden sich bei Theodor W. Adorno u.a., The authoritarian personality, New York 1950, S. 104f., S. 110–111. (In der von Max Horkheimer herausgegebenen deutschen Teilausgabe: Th. W. Adorno u.a., Der autoritäre Charakter, Band 1, Amsterdam 1968, S. 92f.). Vgl. auch die differenzierte Skala “Fremdgruppenvorurteile” bei Wolfgang Gessenharter/Helmut Fröchling/Burkhard Krupp, Rechtsextremismus als normativ-praktisches Forschungsproblem, Weinheim 1978, S. 99, S. A7–A8.
Vgl. Werner W. Ernst, Zu einer Theorie des Populismus, in: Anton Pelinka, Hrsg., Populismus in Österreich, Wien 1987, S. 10–25;
oder Hans Georg Betz, Radikal rechtspopulistische Parteien in Westeuropa, in: Aus Politik und Zeitgeschichte B 44/1991, S. 3–14, S. 8, S. 11.
Diesem Befund entsprechen auch die Ergebnisse, die Elmar Bränler und Hans-Jürgen Wirth 1989 bei einer psychologischen Untersuchung von 2.025 Personen über 18 Jahren mit dem Gießen-Test fanden. Bezüglich autoritärer Neigungen und Einstellungen stellten sie fest, daß die besser Gebildeten eindeutig weniger autoritär waren, und daß die Teilgruppe der 18–25Jährigen (N = 259) eindeutig weniger autoritär waren als die Älteren. Zugleich zeigten sich die Jüngeren auch dominanter und weniger zwanghaft. Branler und Wirth fassen dies so zusammen: “… Die jüngeren Leute sind zwar sehr dominant was ihre Bereitschaft anbelangt, sich durchzusetzen… doch gleichzeitig sind sie nicht autoritär, d.h. ihr Durchsetzungsvermögen richtet sich auch gegen ‘oben’. Sie sind nicht mehr so gefügig… Die erhöhte Durchsetzungsfahigkeit der Jüngeren ist Zeichen ihres Selbstbe-wußtseins und ihrer Emanzipation vom Syndrom des ‘autoritären Charakters’, das sich durch Zwanghaftigkeit, Rigidität, Autoritätshörigkeit und reaktionäre politische Gesinnung auszeichnet.” (Branler/Wirth, Abwendung von sozialen Orientierungen: Auf dem Weg in einen modernisierten Sozialdarwinismus?, in: Wilhelm Heitmeyer/Juliane Jacobi, Hrsg., Politische Sozialisation und Individualisierung, Weinheim 1991, S. 77–97, S. 95). Zur Verteilung autoritärer Einstellungen, die allerdings nur durch drei Fragen ermittelt wurden, in der Gesamtbevölkerung Berlins vgl. Dieter Fuchs/Hans-Dieter Klingemann/Carolin Schöbel, Perspektiven der politischen Kultur im vereinigten Deutschland, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 32/1991, S. 35–46, S. 39 Anmerkung 30, S. 41. Sie sind in Ostberlin deutlich stärker ausgeprägt als in Westberlin.
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Rothe, K. (1993). Politische Einstellungen der Schüler. In: Schüler und Politik. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-322-96013-9_4
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