Biographien, Autobiographien und Nationalbiographien — aber keine guten Romane Zum literarischen Jahrgang 1989 und zur gegenwärtigen Literatur in Frankreich

Zusammenfassung

Eine Bezeichnung, die früher der Demographie, den Armee- und Schulbehörden sowie — nicht zuletzt — dem Weinbau vorbehalten war, ist in Frankreich in den letzten Jahren auch auf die Literatur übertragen worden. Es handelt sich um die des Jahrgangs, l’année. Immer häufiger also werden die Veröffentlichungen eines einzigen Jahres zusammen beurteilt und wird danach der ganze Jahrgang taxiert. Dabei gibt es jedoch die Besonderheit, daß das literarische Jahr in Frankreich nicht mit dem kalendarischen zusammenfällt und die weitere, daß der Jahresrückblick nicht zu Sylvester, sondern Anfang Juli stattfindet; die Jahresbilanz in litteris wird also zur Jahresmitte gezogen. Die Erklärung dafür findet sich im Publikationsrhythmus der französischen Verlagsindustrie, die, zu über neunzig Prozent in Paris konzentriert, ihre Bücher alljährlich innerhalb einer kurzen Zeitspanne in die Öffentlichkeit bringt.² Für die Belletristik (und seit langem auch schon für viele andere Bereiche) gilt: Die wichtigsten Neuerscheinungen kommen in den Monaten September bis November auf den Markt. Dies ist die Zeit, in der die großen, bekannten und verkaufsstimulierenden Pariser Literaturpreise vergeben werden, die deutliche Auswirkungen auf das buchhändlerische Weihnachtsgeschäft haben. Der begehrteste Preis ist der Goncourt, der dem Preisträger eine Auflage von einer halben Million garantiert; die weiteren nennen sich Médicis, Renaudot, Interallié und Fémina.

... und dann diese Franzosen, mein Gott, bei denen ist doch auch nichts mehr los mit der Literatur, aber die haben’s noch nicht gemerkt...¹