Zusammenfassung
Eines der Hauptprobleme der empirischen Demokratieforschung bezieht sich auf den Zusammenhang zwischen Sozialstruktur, Elitebildung und gesellschaftlicher Integration. Das gilt besonders in Phasen raschen sozialen Wandels, in denen die Zirkulation der Elite, der Auf- und Abstieg von Führungsgruppen, beschleunigt vor sich geht. In diesen historischen Situationen hängt das Ausmaß der gesellschaftlichen Integration entscheidend davon ab, inwieweit es gelingt, neue, bisher nicht repräsentierte Bevölkerungsgruppen in die Elitestruktur zu integrieren und inwiefern die neuen Eliten ihrerseits bereit sind, die in der Führungsschicht geltenden Werte und Normen zu akzeptieren und auf dieser Basis mit den anderen Teileliten zu kooperieren. Die so bezeichnete horizontale Integration der Führungsschicht war eines der charakteristischen Merkmale der alten Bundesrepublik (Hoffmann-Lange 1992). Sie verdichtete sich zu einer Elitenkohäsion, die von Dahrendorf (1966) bis Scheuch/Scheuch (1995) wegen ihrer engen Kooperationsbeziehungen bereits als „Elitenkartell“ bezeichnet wurde.
Die Begriÿe Elite, Führungsschicht und Führungsgruppe werden im folgenden synonym gebraucht, ohne damit eine schichtungstheoretische Aussage implizieren zu wollen. Der Begriff Elite wird im Singular verwendet, wenn es um Aussagen über die gesamte Elitenformation geht, im Plural, wenn es um Individuen oder Untergruppen einer Elite geht; vgl. dazu Hoffmann-Lange (1992: 20).
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Literatur
Lehmbruch (1995) verwendet zur Charakterisierung des Aufbaus der Politikwissenschaft in den neuen Ländern den Begriff der „Landnahme“. Der Begriff der Kolonialisierung wird in dieser Diskussion bewußt wertend gebraucht und insinuiert eine Analogie des deutschen Vereinigungsprozesses zur Kolonialisierung im imperialistischen Zeitalter. Politische Kampfbegriffe dieser Art sind für eine empirisch-wertfreie Analyse allerdings nicht brauchbar.
Das Verhalten großer Organisationen wird darüber hinaus nicht allein vom Verhalten ihrer Führungsgruppen bestimmt, sondern auch von den objektiven Organisationsinteressen. Schließlich haben die großen Organisationen zwar erheblichen Einfluß auf die gesellschaftliche Entwicklung, können sie aber nicht allein bestimmen.
Durch enge Elitenkooperation lassen sich kontroverse Standpunkte vielfach schon im Vorfeld von Entscheidungen abklären. Auch für weniger einflußreiche Eliten ist diese Entscheidungsstruktur vorteilhafter als die ideologische Konfrontation, da ihre Zustimmung bei den je nach Sachfrage wechselnden Entscheidungskoalitionen ausschlaggebend werden kann. Um ihre Zustimmung zu sichern, werden die einflußreicheren Akteure auch in anderen Fragen den Konsens mit ihnen suchen (Laumann/ Knoke 1987: 386ff.). 5 Die Feldzeit lag zwischen April und Juli 1995, die Feldarbeit lag bei Infratest, München. Finanziert wird das Projekt von der Deutschen Forschungsgemeinschaft.
Zum Auswahlverfahren siehe Machatzke (1995) sowie das analoge Auswahlverfahren bei Hoffmann-Lange (1992: 90ff.).
Als „Ostdeutscher“ wurde nur klassifiziert, wer zwischen dem Bau der Mauer (1961) und ihrem Fall (1989) in der DDR lebte und damit dort seine politische Prägung erhalten haben konnte. Personen, die auf dem Gebiet der späteren DDR geboren sind, aber vor dem Mauerbau nach Westen übersiedelten und dort in Führungspositionen aufgestiegen sind, wurden als Westdeutsche klassifiziert. Das waren insgesamt 79 Personen (3 Prozent). Ein weiterer Befragter gab an, zwischen 1961 und 1989 in den Westen übersiedelt zu sein. Da er schon 1962 überwechselte, wurde er ebenfalls als Westdeutscher klassifiziert.
Zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung zählt das Bundesverfassungsgericht im SRP-Urteil von 1952; BVerfGE 2, S.1: die Menschenrechte, insbesondere das Recht der Person auf Leben und freie Entfaltung, die in Wahlen konkretisierte Volkssouveränität, das Prinzip der Gewaltenteilung, die Verantwortlichkeit der Regierung, die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, die Unabhängigkeit der Gerichte und das Mehrparteienprinzip mit der Chancengleichheit für alle politischen Parteien und dem Recht auf verfassungsmäßige Bildung und Ausübung einer Opposition.
In einer Faktoranalyse laden die entsprechenden Skalensätze 3, 6 und 9 auf der ersten Dimension, die in der westdeutschen Elite 26 Prozent, in der ostdeutschen sogar 28 Prozent der Varianz erklärt. Auf dem zweiten Faktor skalieren die Items 7, 8 und 10, die sich auf die Legitimität (partei-) politischen Konfliktes beziehen (13 versus 12 Prozent). Der Skalensatz 4 operationalisiert in beiden Teileliten gleichermaßen eine von diesen Dimensionen unabhängige Einstellung zur Kompromißbereitschaft.
Diese Unterschiede zeigen sich in der multidimensionalen Analyse dieser Skalen an den Mehrfachladungen auf beiden Faktoren, insbesondere daran, daß Ostdeutsche die Aussagen zur Konfliktbereitschaft (7, 8, 10) und zur Notwendigkeit von Kritik und Opposition (Nr. 1, 2) stärker der Dimension „repräsentative vs. plebiszitäre Demokratie“ zuordnen. Diese aus Platzgründen hier nicht wiedergegebene Faktorstruktur führte dazu, daß bei der anschließenden Skalenbildung die Items mit Mehrfachladung ausgeschlossen wurden, um eindeutige Skalen zu erhalten.
Zur Diskussion der alternativen Thesen zum Wertewandel in der ehemaligen DDR (Arzheimer/Klein in diesem Band); sie unterscheiden zwischen der Konservierungsthese, die von einer Konservierung der traditionellen preußischen Werte in der DDR Nischen-Gesellschaft ausgeht, der Sozialisationsthese, die erhebliche Einflüsse institutioneller Wertprägung während der sozialistischen Epoche annimmt und der Kongruenzthese, die von einem in beiden Systemen etwa gleichlaufenden Wertewandel ausgeht.
Ein weiteres Problem der Skala ist darin zu sehen, daß in Zeiten niedriger Inflationsraten das Ziel der Preissicherung als so unwichtig eingeschätzt wird, daß die Gruppe der „Materialisten“, d.h. Personen, die „Preissicherung“ und „Ruhe und Ordnung“ an erste/zweite Stelle setzen, systematisch unterschätzt wird. Aus diesem Grund ist davon auszugehen, daß der für 1995 berechnete Anteil von fünf bzw. ein Prozent Materialisten tatsächlich höher liegt. Siehe zur Diskussion dieses Problems zuletzt Bürklin/Klein/Ruß (1994) und die dort angegebene Literatur.
Klages/Gensicke (1993a) unterscheiden ebenfalls drei theoretische Dimensionen: Pflicht- und Akzeptanzwerte, Selbstentfaltungs- und Engagementwerte und Hedo-nismus-Materialismus. Da sich diese Dimensionen im Elitesample unterschiedlich darstellen, wurden die resultierenden Skalen anders benannt. Der Skalensatz zur kreativen Selbstverwirklichung wurde hier nur zur analytischen Klärung getrennt berechnet; die Eigenwertstatistik (.91) rechtfertigt dies nicht.
In diesem Aspekt unterscheiden sich die Eliten von der Bevölkerung, für die Pflicht-und Akzeptanzwerte durchaus höhere Bedeutung haben (Klages/Gensicke 1993b; Veen/Zelle 1994). Die Erklärung dieser Differenzen bleibt einer getrennten Analyse vorbehalten.
Die hier notwendig gewordene Charakterisierung in Neue Politik mit sozialstaatlichem Profil ist theoretisch-konzeptuell von weitreichender Bedeutung, da die Agenda der Neuen Politik gerade durch die Abkehr von den Werten, Zielen und Interessengegensätzen der traditionellen Verteilungskonflikte definiert ist. Siehe dazu Baker/Dalton/Hildebrandt (1981). Die gefundene Prioritätenordung spricht dagegen stärker für einen Gegensatz zwischen Establishment-Anti-Establishment, bzw. Realismus-Idealismus (Bürklin 1984).
Die Skalen Plebiszit/Repräsentation, Pflicht-/Akzeptanz, und Idealistisches Engagement wurden als Faktorskalen auf der Grundlage einer varimax-rotierten Faktoranalyse der demokratischen Einstellungen aus Tabellen 2 und 5 gebildet. Die Variablen Staat soll Aufgaben abgeben und aktive Rolle in der Weltpolitik wurden zwecks vereinfachter Darstellung und dann möglicher Berechung des Koeffizienten eta dicho-tomisiert. Der Skala Neue Politik lagen die in Tabelle 6 aufgelisteten Wichtigkeitsränge aktueller politischer Sachfragen zugrunde. Nach schrittweisem Ausschluß schlecht skalierender Items ordnen sich diese Sachfragen nach den zwei Dimensionen der Alten und Neuen Politik. Zur Neuen Politik gehören die Ziele Umweltschutz, Sozialstaat sichern und Integration von Ausländern, zur Alten Politik die Ziele Standortsicherung, Abbau der Staatsverschuldung, Kriminalität bekämpfen und Sozialmißbrauch verhindern.
Hier sind die etas der letzten Zeile im ersten und zweiten Teil der Tabelle mit der ersten Zeile im dritten Teil zu vergleichen; für die Skala Plebiszit/Repräsentation also die eta-Koeffizienten .36, .55 und .22.
Die Variable Parteibindung wurde durch Kombination der Parteimitgliedschaft (bei Parteimitgliedern) und Wahlabsicht (bei Nichtmitgliedern) gebildet, um das Gesamtsample nach einem gemeinsamen Merkmal klassifizieren zu können. Die Bezeichnung Parteibindung oder auch parteipolitisches Lager wurde wegen der geringeren Festlegung der Nicht-Parteimitglieder gewählt.
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Bürklin, W.P. (1997). Einstellungen und Wertorientierungen ost- und westdeutscher Eliten 1995. In: Gabriel, O.W. (eds) Politische Orientierungen und Verhaltensweisen im vereinigten Deutschland. Beiträge zu den Berichten der Kommission für die Erforschung des sozialen und politischen Wandels in den neuen Bundesländern e.V. (KSPW), vol 3.3. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-322-95869-3_10
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Publisher Name: VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden
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