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Bindungs- und Zerstreuungskräfte in der modernen Großstadt

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Die dreiteilige Großstadt als Heimat
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Zusammenfassung

Der Dichter Wolfgang Koeppen schreibt 1958 über die Großstadt London:

„Dies ist wirklich eine Stadt. Wir haben nichts dergleichen mehr. London ist eine Einheit, eine Hauptstadt, eine Weltstadt, eine Metropole mit einem Zentrum und mit Zentren, mit einem kräftigen, spannungsreichen Gefälle von Reich und Arm und Vornehm und Niedrig und Laut und Still, von Öffentlichkeit, Geschäftigkeit und privater Zurückgezogenheit und Einsiedelei. Nirgendwo anders kann man so einsam, so glücklich oder unglücklich einsam in der Menge sein. Noch immer ist die Stadt ein Schmelztiegel der Völker und der Rassen.“ (Koeppen 1986, S. 215)

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Literature

  1. Hierbei wird auf das Konzept von Norbert Elias Bezug genommen. Sein Figurationsmo-dell besagt, daß Regelmäßigkeiten und Muster von gesellschaftlichen Entwicklungsprozessen nicht auf Entscheidungen der Individuen basieren, sondern überindividuell herausgebildet werden. Es handelt sich um Produkte langfristiger Prozesse. Was sich dabei herausschält, sind Verflechtungszusammenhänge, die Menschen miteinander bilden. Figurationen wie Familie, Staat, Gruppe oder Gesellschaft bestehen aus Individuen, Machtbalancen und Valenzen. Sie zeigen, daß und wie die Menschen aufeinander ausgerichtet sind und welche Bindungen sie untereinander eingehen. Die handelnden Menschen sind in Interdependenzgeflechte eingebunden. Diese sind, theoretisch betrachtet, zwischen atomistischer, individueller Sichtweise und holistischer, gesamtgesellschaftlicher Vorstellung plaziert. Menschen werden „als semi-autonome Einheiten unter anderen, nicht als absolut autonome Einheiten“ wahrgenommen. Dabei ist zu beachten, „daß labile Machtbalancen und die entsprechenden Machtproben zu den Grundeigentümlichkeiten aller menschlichen Bindungen gehören, ob es sich um Bindungen zwischen zwei Menschen handelt oder um vielgliedrige Figurationen von Menschen“ (Elias 1970, S. 11).

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  2. Beim Begriff Lebenswelt wird hier auf die Ausführungen von Alfred Schütz, der sich auf Husserl bezieht, verwiesen. „Zu jedem Augenblick meiner Existenz finde ich mich im Besitz eines gewissen Ausschnittes des Universums, den ich in der natürlichen Einstellung kurz ,meine Welt’ nenne. Diese Welt besteht aus meinen aktuellen und meinen früheren Erfahrungen von bekannten Dingen und ihren Beziehungen untereinander. Natürlich sind sie mir in verschiedenem Ausmaß und in mannigfachen Graden der Klarheit, Deutlichkeit, Konsistenz und Kohärenz bekannt. Diese Welt besteht auch aus einigen mehr oder minder leeren Erwartungen von noch nicht erfahrenen Dingen, die deswegen noch nicht bekannt sind, aber meiner möglichen Erfahrung trotzdem zugänglich sind und somit von mir potentiell gewußt werden können. ... Meine Welt trägt den Sinn, schon seit jeher ein Sektor einer höheren Einheit zu sein, die ich das Universum nenne: der offene äußere Horizont meiner Lebenswelt.“ (Schütz 1971, S. 179 f.) Lebenswelt kann, den hier behandelten Fragen angemessen, als sozial-räumlich relevanter Kontext für handelnde Individuen aufgefaßt werden.

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  3. Bei der Frage nach einer Systematisierung stadtkritischer Konzepte ergaben sich unterschiedliche Möglichkeiten. Wir könnten, wie Saunders vorschlägt, ökologische, kultura-listische, weberianische und marxistische Ansätze voneinander unterscheiden (Saunders 1987, S. 16 f.) Hierfür gibt es gute Gründe, aber es entstehen auch Zuordnungsprobleme. Denn diese Unterteilung reicht kaum aus, um Fragen der Stadtkritik hinlänglich zu strukturieren, (vgl. dazu auch Berteis 1990, S. 11 ff.) Großstadtforschung, sei sie naturwissenschaftlich, ökonomisch oder sozialwissenschaftlich orientiert, geht von einem statischen Begriff aus. Seit 1897 werden in Deutschland statistische Jahrbücher geführt. Ihnen gilt eine Stadt als Großstadt, wenn sie mehr als 100.000 Einwohner hat. Für die eher willkürlich anmutende Festsetzung spricht, daß sich mit der Größe auch die Struktur ändert. Dies hat soziale Konsequenzen. Elisabeth Pfeil meint: „Wie in der gesamten Lebenswelt gibt es auch in den menschlichen Ballungen Stellen, wo Quantität umschlägt in Qualität. Bei der Größe von 100.000 Einwohnern beginnt die Unübersichtlichkeit eines Gemeinwesens: Seine Verhältnisse sind nicht mehr durch den bloßen Augenschein beurteilbar, seine Verwaltung bedarf der Statistik.“ (Pfeil 1972, S. 6)

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  4. In seiner „Typologie der Städte“ heißt es: „Wir wollen von ,Stadt’ im ökonomischen Sinn erst da sprechen, wo die ortsansässige Bevölkerung einen ökonomisch wesentlichen Teil ihres Alltagsbedarfs auf dem örtlichen Markt befriedigt, und zwar zu einem wesentlichen Teil durch Erzeugnisse, welche die ortsansässige und die Bevölkerung des nächsten Umlandes für den Absatz auf dem Markt erzeugt oder sonst erworben hat. Jede Stadt im hier gebrauchten Sinn des Wortes ist ,Marktort’.“ (Weber, Max 1985, S. 728)

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  5. Für ihn war „stadthaft siedeln“ oder wohnen gegen die Natur gerichtet. Gebäude aus Stein und Eisen wurden der Natur aufgezwungen — das sei letztlich „Vergewaltigung der natürlichen Gegebenheiten der Umwelt“ (Sombart in: Vierkandt 1931, S. 527). Neben dem kulturellen, dem geographischen und dem ökonomischen (synthetischen) Stadtbegriff erkannte Sombart auch einen soziologischen: „... eine Siedlung, in der sich die Einwohner nicht mehr untereinander kennen.“ (ebenda). Eine »Soziologie der Stadt’ sieht er jedoch nicht.

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  6. „Die Großstadt besteht ... aus lauter freien Personen, die im Verkehre einander fortwährend berühren, miteinander tauschen und zusammenwirken, ohne daß Gemeinschaft und gemeinschaftlicher Wille zwischen ihnen entstünde“ (Tönnies 1963, S. 246). Darüber hinaus, als Steigerung, die Hauptstadt und schließlich die Weltstadt, in der Geld, Kapital „unendlich und allmächtig“ (ebenda, S. 247) vorhanden sind.

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  7. „Nicht durch die seßhafte, sondern durch die flutende und schwebende Bevölkerung werden unsre Großstädte so ungeheuerlich. ... Die ländliche Bevölkerung lebt größtenteils familienweise zusammen, die städtische dagegen zu einem starken Teil vereinzelt. Diese Vereinzelung nimmt zu, je mehr die größeren Städte Großstädte werden. Schon hierdurch ist eine sehr bedeutende Kluft zwischen Stadt und Land gesetzt, die sich leider durchaus nicht verringert, sondern vielmehr zusehends erweitert ... Die Herrschaft der Großstädte wird zuletzt gleichbedeutend werden mit der Herrschaft des Proletariats.“ (Riehl 1925a, S. 103 f.)

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  8. Der populäre Kulturkritiker Oswald Spengler sieht den Steinkoloß „‘Weltstadt’ (...) am Ende des Lebenslaufes einer jeden großen Kultur“ (Spengler 1923, Bd. 2, S. 117). Die Stadt, zunächst ein Geschöpf des vom Lande gestalteten Kulturmenschen, macht ihn zu ihrem Opfer. Der zivilisierte Mensch, ein intellektueller Nomade, ist heimatlos geworden.

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  9. „Vordem hat der Kaiser durch seine Privilegien Städte gemacht, jetzt macht die Eisenbahn Städte. Mauern und Tore, auch wenn sie nur ein Dutzend Bauernhütten beschlossen, bildeten sonst das äußere Wahrzeichen der Stadt. In Zukunft wird man die Stadt an dem inneren Wahrzeichen von Beruf und Sitte ihrer Einwohner erkennen. An die Stelle der oft willkürlichen Scheidung von Stadt- und Landgemeinden tritt mehr und mehr die notwendige soziale.“ (Riehl 1925a, S. 129)

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  10. „Die Bourgeoisie hat das Land der Herrschaft der Stadt unterworfen. Sie hat enorme Städte geschaffen, sie hat die Zahl der städtischen Bevölkerung gegenüber der ländlichen in hohem Grade vermehrt und so einen bedeutenden Teil der Bevölkerung dem Idiotismus des Landlebens entrissen.“ (Marx 1970, S. 47 f.)

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  11. Simmel 1903, in: Petermann (Hg.), S. 185–206. Bezüglich der kulturgeschichtlichen Hauptgedanken verweist er auf sein Werk „Philosophie des Geldes“.

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  12. Insbesondere dem Pflanzenphysiologen Frederic E. Clements verdankt diese Schule die Konzepte von Invasion und Sukzession wie auch die Vorstellung einer ,natural area’. (dazu Lindner 1990, S. 78)

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  13. Er, der herumbummelte und herumschnüffelte („nosing around“), der unermüdliche Fußgänger (Rene König) wollte seinen Studenten die Kunst des Sehens vermitteln („get the feeling“, „become acquainted with the people“). (Lindner 1990, S. 10)

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  14. Quelle: Park, Robert E., Ernest W. Burgess, Roderick McKenzie, 1967 (zuerst 1925)

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  15. Seine theoretische Grundrichtung basierte auf den Fragen der Kulturforschung. Er bediente sich dabei vor allem der Reportage und der Methoden teilnehmender Beobachtung und biographischer Interviews. Burgess hingegen, ebenfalls der Chicagoer Schule zugehörig und der ökologischen Forschung verpflichtet, interessierte sich insbesondere für die Kategorien Größe und Dichte sowie für die räumlichen Verschiebungen in großstädtischen Agglomerationen. Die unterschiedlichen Nutzungen und Bevölkerungsstrukturen, die sich durch Invasions- und die daran anschließenden Sukzessionsprozessen ergaben, wurden im Rahmen eines konzentrischen Stadtmodells von ihm idealtypisch dargestellt („Zonentheorie“). Insgesamt konnten die Chicagoer auf eine relativ breite Datenbasis über die Stadt und ihre Bevölkerung zurückgreifen und auch deshalb ihre Erkenntnisse empirisch besser fundieren als beispielsweise Wilhelm Heinrich Riehl in Deutschland.

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  16. In gewisser Weise hat Park — so Lindner — seinen wichtigen Lehrer Georg Simmel bezüglich dialektischer Vorstellungen von Auflösung und Freisetzung und der Ausbildung individualistischer Besonderheiten naiv empirisch verarbeitet. (Lindner 1990, S. 90) Unter dem Aspekt von besseren und schlechteren Wohngegenden hatte Charles Booth bereits gegen Ende des 19. Jahrhunderts die Stadt London kartiert. (Booth, 1889)

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  17. Etwa als Typ (Max Weber) oder als Individualisierungsvorgänge mit stilisiertem, distanziertem Verhalten und vergrößerten sozialen Bezugsgruppen infolge der Dominanz von Markt und Geldrechnung (Georg Simmel) wie auch als frei gebildete Nachbarschaftseinheiten (Robert E. Park) — oder auch als konzentrisches Stadtmodell mit speziellen Nutzungen (Ernest W. Burgess).

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  18. Nach Bahrdts Auffassung haben sich die sozialen Merkmale der industriellen Großstadt aus den Marktfunktionen der mittelalterlichen Städte entwickelt. In der modernen Großstadt führte dies zur Herausbildung von öffentlichen Räumen. Auf dem Markt werden gesellschaftliche Beziehungen der Individuen untereinander deutlich. Die Menschen befinden sich nicht (mehr) in einem Abhängigkeitsverhältnis, sondern sie sind Käufer, die als Anbieter und Nachfrager grundsätzlich gleichrangig und -wertig hinsichtlich ihrer sozialen Herkunft sind.

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  19. Seine These lautet: „Eine Stadt ist eine Ansiedlung, in der das gesamte, also auch das alltägliche Leben die Tendenz zeigt, sich zu polarisieren, d.h. entweder im sozialen Aggregatzustand der Öffentlichkeit oder in dem der Privatheit stattzufinden. Es bilden sich eine öffentliche und eine private Sphäre, die in engem Wechselverhältnis stehen, ohne daß die Polarität verlorengeht. Die Lebensbereiche, die weder als »öffentlich’ noch als ,privat’ charakterisiert werden können, verlieren hingegen an Bedeutung. Je stärker Polarität und Wechselbeziehung zwischen öffentlicher und privater Sphäre sich ausprägen, desto ,städtischer’ ist, soziologisch gesehen, das Leben einer Ansiedlung. Je weniger dies der Fall ist, desto geringer ist der Stadtcharakter einer Ansiedlung ausgebildet.” (Bahrdt 1974a, S. 60) Dabei erweist sich die zugrunde gelegte Dichotomie keineswegs als statisch. Bahrdt deutet auf historische Entwicklungslinien dieses Verhältnisses hin: Die Industrialisierung verschob die städtische Sozialstruktur — neben dem alten Bürgertum steht nun die Arbeiterschaft. Und deren privates oder öffentliches Leben hat einen anderen Stellenwert. Großbetriebe, Verwaltungen, Kaufhäuser, deren innere Ordnung eher halb-öffentlich ist, entstehen. Die zunehmenden überlokalen Verflechtungen fuhren dazu, daß lokale Themen eine nationale Öffentlichkeit finden (Lokalradio, Regionalfernsehen als jüngere Medienbeispiele). Die Statik des Gebauten wird nach und nach ausgehöhlt. Der äußere Gehalt steht im Widerspruch zum jeweiligen Inhalt — und damit werden auch die Städte unübersichtlicher. Auch die fortschreitende Technisierung des Lebens, die bedeutsamer werdenden Kommunikationssysteme entwerten — so Bahrdt — alte Formen der Wechselbeziehung zwischen Öffentlichkeit und Privatheit oder geben ihnen andere Bedeutungen, (siehe Bahrdt 1974a, S. 97)

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  20. Für Immanuel Kant sind Raum und Zeit reine Formen sinnlicher Anschauung. Vom Raum schreibt er in metaphysischer Erörterung (Kritik der reinen Vernunft), er enthalte, „was den Begriff als a priori gegeben darstellt“ (Kant, S. 62). Demnach ist der Raum kein empirischer, von äußeren Erfahrungen abgezogener Begriff, er ist eine notwendige A-priori-Vorstellung, kein „allgemeiner Begriff von Verhältnissen der Dinge überhaupt, sondern eine reine Anschauung“ (ebenda). Er geht davon aus, daß der Raum allen Anschauungen, aller sinnlichen Wahrnehmung schon zugrunde liegt. Ohne räumliche Ausdehnung können wir uns weder etwas vorstellen, noch können wir uns den Raum selbst als geteilt oder als nicht existent vorstellen.

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  21. Dies geschieht aufgrund der hochgradigen Mobilität, der Niederlassungsfreiheit, der globalen Kommunikationssysteme und der sozialen Differenzierungsprozesse in den Gesellschaften.

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  22. So führt Georg Simmel aus: „Wenn eine Anzahl von Personen innerhalb bestimmter Raumgrenzen isoliert nebeneinander hausen, so erfüllt eben jede mit ihrer Substanz und ihrer Tätigkeit den ihr unmittelbar eignen Platz, und zwischen diesem und dem Platz der nächsten ist unerfüllter Raum, praktisch gesprochen: Nichts. In dem Augenblick, in dem diese beiden in Wechselwirkung treten, erscheint der Raum zwischen ihnen erfüllt und belebt. Natürlich ruht dies nur auf dem Doppelsinn des Zwischen: daß eine Beziehung zwischen zwei Elementen, die doch nur eine, in dem einen und in dem andern immanent stattfindende Bewegung oder Modifikation ist, zwischen ihnen, im Sinne des räumlichen Dazwischentretens stattfinde.“ (Simmel 1908, S. 616) Und weiter heißt es mit Bezug auf Kant: „die Wechselwirkung macht den vorher leeren und nichtigen zu etwas für uns, sie erfüllt ihn, indem er sie ermöglicht. Die Vergesellschaftung hat, in den verschiedenen Arten der Wechselwirkung der Individuen, andre Möglichkeiten des Beisammenseins — im geistigen Sinne — zustande gebracht; manche derselben aber verwirklichen sich so, daß die Raumform, in der dies wie bei allen überhaupt geschieht, für unsre Erkenntniszwecke besondere Betonung rechtfertigt. So fragen wir im Interesse der Ergründung der Vergesellschaftungsformen nach der Bedeutung, die die Raumbedingungen einer Vergesellschaftung für ihre sonstige Bestimmtheit und Entwicklungen in soziologischer Hinsicht besitzen.“ (ebenda, S. 616 f.)

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  23. In der Nähe des Central Parks in New York.

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  24. „Das Geld steht vermöge der Abstraktheit seiner Form jenseits aller bestimmten Beziehungen zum Raum: es kann seine Wirkungen in die weitesten Fernen erstrecken, ja es ist gewissermaßen in jedem Augenblick der Mittelpunkt eines Kreises potentieller Wirkungen; aber es gestattet auch umgekehrt, die größte Weitsumme in die kleinste Form zusammenzudrängen.“ (Simmel 1957, S. 575)

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  25. Läpple bedient sich in diesem Zusammenhang des „relationalen Raumbegriffs“ beziehungsweise der Vorstellung des „Matrix-Raumes“. Die Charakteristika sind a) das materiell-physische Substrat, das sind menschliche, oft ortsgebundene Artefakte, kulturell überformte Natur und die körperlich-räumliche Leiblichkeit des Menschen, Wohnungen, Infrastruktur etc. b) gesellschaftliche Interaktions- und Handlungsstrukturen, die Akteure in der gesellschaftlichen Praxis im Rahmen von Schicht- und Klassenverhältnissen, soziales und expressives Verhalten von Bewohnern, Arbeitern, Konsumenten. Darin ist auch ein mehr oder weniger konflikthaftes Zusammenleben mit Ausgrenzungsprozessen durch Unterschiede in den Lebensstilen oder Verdrängungsvorgängen aufgrund ökonomischer Überlegenheit einbezogen. c) ein institutionalisiertes, normatives Regulationssystem — bestehend aus Eigentumsformen, Kontrollbeziehungen, rechtlichen Regelungen, Planungsrichtlinien, Normen -, das den Umgang mit raumstrukturierenden Artefakten wie Arbeitsstätten, Wohnen, Verkehr, Kommunikation regelt. d) ein Zeichen-, Symbol- und Repräsentationssystem, Artefakte in der Bedeutung als Träger von Zeichen. Die soziale Funktion und die affektive Identifikation wird durch sie vermittelt (Semiotik des Raumes). Durch sie kann in gewisser Weise das Verhalten der Menschen vorstrukturiert werden — sie sind so etwas wie „Gebrauchsanweisungen“. Darüber hinaus verkörpern sie Geschichte im Sinne eines kollektiven Gedächtnisses. Gefühle von Zugehörigkeit, Aus- und Abgrenzung können in den unterschiedlichen Schichten hervorgerufen und verschieden gedeutet werden. (Läpple 1991, S. 196 f.) Die Grundlage für diese Sichtweise ist das Konzept des Ökonomen Perroux, der die mathematische Vorstellung von abstrakten Räumen (losgelöst von den dreidimensionalen Raumvorstellungen der klassischen Physik) in die Ökonomie überträgt, (ebenda, S. 192)

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  26. Aneignung des Raumes aus soziologischer Sicht „ist das Resultat der Möglichkeiten, sich im Raum frei bewegen, sich entspannen, ihn besitzen zu können, etwas empfinden, bewundern, träumen, etwas kennenlernen, etwas den eigenen Wünschen, Ansprüchen, Erwartungen und konkreten Vorstellungen gemäßes tun und hervorbringen zu können“ (Chombart de Lauwe 1977, S. 7). Bei Karl Marx wird der Aneignungsbegriff als analytische Kategorie verwendet. Der Mensch nutzt die Natur für seine Bedürfnisse. Im Zuge der Veränderung der natürlichen Dinge durch den Arbeitsprozeß werden die körperlichen und geistigen Fähigkeiten entwickelt. Bei entfremdeter, zerstückelter Arbeit im Kapitalismus geht diese produktive Seite verloren. Leontjew, Vertreter der sowjetischen Psychologie, faßt den Aneignungsprozeß ontogenetisch. Die historisch akkumulierten Erfahrungen werden in individuelle Fähigkeiten transformiert. Die objektiven Gegenstandsausprägungen werden verinnerlicht, indem materielle Handlungsformen sprachlich symbolisch gefaßt werden und zu geistigen Operationen fuhren. Dabei weist Leontjew den objektiven Gegebenheiten für die psychische Entwicklung des Kindes eine hohe Bedeutung zu. Allerdings vollzieht er dies eher schematisch, quasi als individuellen Nachvollzug gesellschaftlich vorgegebener Strukturen. (Brunns 1985, S. 72 ff.)

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  27. Siehe dazu die ausführliche Darstellung in Kapitel 4.1.

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  28. Beispiele Lewins dazu: „Eine bestimmte Landschaft ,lockt’ den Erwachsenen zum Spazierengehen; eine Treppenstufe ,reizt’ das Zweijährige zum Hinauf- und Herunterspringen.“ (in: Kruse/Graumann 1978, S. 187) Ähnliches gilt für ,lockende Urlaubsspiele’, den abstoßenden oder anziehenden Wald, das Dunkel, das Dickicht der Städte. Die verschiedenen Kulturepochen zeitigen unterschiedliche Raumpräferenzen, Architekturstile, Ferienregionen etc. Wenn Orte über eindeutig dominierende Verhaltensaufforderungen verfügen, werden entsprechende Interaktions- und Verhaltensmodi hervorgerufen.

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Bertels, L. (1997). Bindungs- und Zerstreuungskräfte in der modernen Großstadt. In: Die dreiteilige Großstadt als Heimat. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-322-95792-4_2

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  • Publisher Name: VS Verlag für Sozialwissenschaften

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