Zusammenfassung
Trotz der mittlerweile fast schon zum feuilletonistischen Ritual gewordenen Beschwörung einer “Krise” oder gar des “Entschwindens” der Arbeitsgesellschaft (Dahrendorf 1980; vgl. die frühen Beiträge zu dieser Debatte bei Matthes 1983) und der fieberhaften Suche nach einem neuen Paradigma zur Beschreibung und Erklärung gegenwärtiger sozialer Realität erweist sich die wirklichkeitsstrukturierende und existenzprägende Kraft der gesellschaftlichen Organisation von Arbeit als überraschend zählebig (vgl. Kohli 1989: 264). Selbst für sich genommen durchaus anregende gesellschaftstheoretische De-und Rekonstruktionsversuche jüngeren Datums, seien es der Diskurs eines modemitätsverändemden Übergangs von der Logik der Reichtumsproduktion und -verteilung zu einer Logik der Risikoproduktion und -verteilung oder aber die Vorstellung des Vordringens einer gruppenspezifisch sich ausdifferenzierenden, milieukonstituierenden ‘Erlebnisrationalität’, sollten nicht den Blick dafür verstellen, daß sich fortgeschrittene kapitalistische Gesellschaften nach wie vor als Erwerbsarbeitsgesellschaften reproduzieren.1
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Literatur
Und nicht als “Risiko”- (Beck 1986) oder “Erlebnis”-Gesellschaften (Schulze 1992).
“Die Probleme und Vorgaben der Erweibsaibeit durchstrahlen die gesamte Gesellschaft. Die Industriegesellschaft ist auch außerhalb der Arbeit... durch und durch eine Erwerbsarbeitsgesellschaft.” (Beck 1986: 222; Hervorh. im Olig.)
So Ulrich Becks Analyse des “risikogesellschaftlichen Unterbeschäftigungssystems” (1986: 222–236).
Vgl. zur “funktionalen Zuordnung der staatlichen Sozialpolitik zu den Strukturproblemen der Vergesellschaftung von Arbeit” grundlegend Lenhardt/Offe (1977: 101–113, hier 113).
Zum primären und sekundären Machtgefälle auf Arbeitsmärkten vgl. Büchtemann (1984: 54–60), sowie ausführlich Offe/Hinrichs (1984) und Kreckel (1992: 165–211).
Bei Anthony Giddens(1979: 155–161) ist der der Weberschen Terminologie entlehnte Begriff der Lebenschancen Grundlage einer Theorie gesellschaftlicher Ausbeutungsbeziehungen. Hinter seiner Konzeption von Ausbeutung als “jegliche gesellschaftlich bedingte Form asymmetrischer Produktion von Lebenschancen” (1979:159) steht das klassische Marxsche Konzept der Entfremdung als Trennung des produzierenden Maischen von den Produkten seiner Tätigkeit Gddens deutet dieses Trennungsverhältnis um in die Spannung zwischen der sozialen Erzeugung menschlicher Chancen auf Befriedigung und Erfüllung auf der einen Seite und der gleichzeitigen gesellschaftlichen Verweigerung der effektiven Nutzung jener Chancen auf der anderen Unterschiedliche entwickelte Gesellschaftsformen zeichnen sich demnach durch eine je spezifische Organisation dieser Ausbeutungsbeziehungen aus: “In Klassenstrukturen reprochrziert sich das Ausbeutungssystem über Unterschiede in der Marktchance” (1979: 160).
Zur funktionalen Ausrichtung von Sozialpolitik auf die Kommodifizierung von Arbeitskraft, “auf jenes objektive Strukturproblem... der Konstitution und kontinuierlichen Reproduktion des Lohnarbeitsverhältnisses”, vgl. Lenhardt/Offe (1977, hier: 113).
Diese Doppeldeutigkeit kennzeichnet auch das Prinzip der Inklusion, das Niklas Luhmann (1981: 25–32) als dem modernen Wohlfahrtsstaat und seiner Entwicklungsdynamik zugrundeliegendes Moment thematisiert “Der Begriff der Inklusion meint die Einbeziehung der Gesamtbevölkerung in die Leistungen der einzelnen gesellschaftlichen Funktionssysteme. Er betrillt einerseits Zugang zu diesen Leistungen, andererseits Abhängigkeit der individuellen Lebensführung von ihnen.” (1981: 25; Hervorh im Orig.)
Die Herausbildung von Regime-Typen und deren in sich konsistente Weiterentwicklung führt Esping-Andersen (1990: 29, 80) in erster Linie auf bestimmte politische Kräfteverhältnisse, Machtkonstellationen und Interessenkoalitionen sowie auf die Eigendynamik einmal getroffener institutioneller Richtungsentscheidungen zurück.
ZumKonzept des “Public/Private Mix” vgl. ausführlich auch Rein/Rainwater(1986).
“The variability of welfare-state evolution reflects competing responses to pressures for de-commodification. To understand the concept, de-commodification should not be confused with the complete eradication of labor as a commodity.... Rather, the concept refers to the degree to which individuals... can uphold a socially acceptable standard of living independently of market participation.” (Esping-Andersen 1990: 37) Kritisch zur Verwendung dieses Konzeptes bei Esping-Andersen äußert sich Offe (1993: 83/84); vgl. allgemein zur Kritik auch Krätke (1990: 680).
“A... basic question... is what kind of stratification system is promoted by social policy. The welfare state is not just a mechanism that intervenes in, and possibly corrects, the structure of inequality; it is, in its own right, a system of stratificatioa It is an active force in the ordering of social relations.” (Esping-Andersen 1990: 23)
Zu den Möglichkeiten und Grenzen der sozialpolitischen Idealtypenbildung vgl. auch Kohl (1993: 68–70).
Vgl. zu den Grenzen herkömmlicher quantitativ-komparativer Analysen Kohl (1993: 80); ein systematischer Überblick über den Forschungsstand findet sich bei Wilensky u.a. (1987) und Uusitalo (1984).
Vgl. hierzu Titmuss (1974: 30, 32): “social policy... is... involved in choices in the ordering of social change.... The three contrasting models of social policy represent different criteria for making choices.”
Es sei vorab nochmals darauf hingewiesen, daß es sich bei den skizzierten Regimetypen um Modellbildungen handelt, die in der sozialpolitischen Praxis nicht in Reinkultur auftreten. Verschiedene Länder, die ähnliche Strukturmuster wohlfahrtsstaatlicher Intervention aufweisen, weichen selbstverständlich nichtsdestotrotz auch in vielen Aspekten ihrer sozialpolitischen Systeme voneinander ab (vgl. diesbezüglich für die skandinavischen Staaten Esping-Andersen/Korpi 1987: 43; Allardt 1986: 107–109). Her soll es aber in erster Linie um die Konvergenz und weniger um die Variationen innerhalb der einzelnen Regimes gehen. Detaillierte Darstellungen der verschiedenen skandinavischen Wohlfahrtsstaaten finden sich bei Flora (1986); vgl. dort insb. Olson (1986) zu Schwaden.
Mt don Begriff der halbierten Modeme faßt Beck (1986: 118) einen Grundwiderspruch der Industriegesellschaft, “die die unteilbaren Prinzipien der Modeme — individuelle Freiheit und Gleichheit jenseits der Beschränkung von Geburt — immer schon geteilt und qua Geburt dem einen Geschlecht vorenthalten, dem anderen zugewiesen hat”
Vgl. zur Skizzierung des Systems Döring (1989: 61–65), Alber (1982: 44/45) sowie Schmidt (1988: 159); eine umfassende Darstellung des deutschen Wohlfahrtsstaates findet sich bei Alber (1986).
Vgl. zu Entstehungszusammenhang und Funktionsweise “lohnarbeitszentrierter Sozialpolitik” Vobruba (1990: 18–30).
Denn die Orientierung des Systems auf abhängig beschäftigte Arbeitnehmer geht (im Wortsinne) systematisch zu Lasten eines eigenständigen sozialen Sicherungsanspruches von Frauen. — Während die an Titmuss’ Terminologie angelehnten Typologisierungen die skandinavischen Wohlfahrtsstaaten als ‘institutionelle’ Regimes bezeichnen (vgl. bspw. Esping-Andersen/Korpi 1987: 40), schließe ich mich hier erneut Leibfried an, der die konservativen Wohlfahrtsstaaten mit dieser Begrifflichkeit belegt und dies folgendermaßen begründet (1990: 299; Hervorh. im Orig.): “Als Titmuss die Bezeichnung ‘institutioneller Wohlfahrtsstaat’ verwandte, bezog er sich in der Regel auf Gesellschaften, in denen zwar die Männer, aber nicht die Frauen ‘individualisiert’ waren.”
Rose (1986: 96–100) zeigt, daß der britische ‘welfare mix’ langfristig relativ stabil geblieben ist Gleichwohl muß mit Lawson (1987: 32) festgehalten werden, daß “der Spaltung der Sozialen Sicherheit in ‘öffentlich’ und ‘privat’” im Großbritannien der achtziger Jahre politisch neue Dimensionen eröffnet worden sind. Dementsprechend sehen die meisten Typologisierungen den britischen Wohlfahrtsstaat als zunehmend charakteristischeren Repräsentanten des liberalen Regimes an; vgl. etwa Esping-Andersen (1990: 33, 65), Leibfried (1990: 300/301) oder Schulte (1991: 551), anders hingegen Therborn/Roebroek (1986: 72/73). — Eine ausführliche Darstellung des Falles Großbritannien bietet Parry (1986).
In diesem Sinne ist eine, insbesondere im britischen Fall, grundlegende Spielart privatisierter sozialer Sicherung die Vereinbarung betrieblicher Sozialleistungen und Versorgungssysteme (“occupational welfare”); vgl. hierzu aasfuhrlich Lawson (1987: 24–33).
Dabei verlaufen allerdings auch innerhalb des marktvermittelten Sektors klar erkennbare Spaltungslinien, denn die betrieblichen Sozialleistungssysteme umfassen keineswegs alle Erwerbstätigen; insbesondere Arbeitnehmer in niedrig entlohnten Beschäftigungsverhältnissen, und somit die Mehrzahl der Frauen, gehören zu den Ausgeschlossenen (vgl. Lawson 1987: 29).
Vgl. auch die — äußerst wohlwollende — Charakterisierung eines meditemmen Systems sozialer Sicherheit bei Prieto (1985). In mancherlei Hinsicht ist auch Italien diesem Modell zuzurechnen, etwa im Hinblick auf Art und Ausmaß der Mindestsicherungssysteme (vgl. Schulte 1991:614–619) zu den ähnlichen Strukturmerkmalen der politischen und ökonomischen Entwicklung dieser vier nördlichen Mittelmeerstaaten vgl. allgemein Giner (1985: 309–313).
Zu den südeuropäischen Demokratisierungsprozessen vgl. bspw. Kraus (1990), Schmitter (1986), Logan (1985) sowie die Beiträge zu Pridham (1984).
Dietrich Rüschemeyer (1979: 382) versteht darunter einen “Prozeß sozialen Wandels, der zur Institutionalisierung relativ moderner Sozialformen neben erheblich weniger modernen Strukturen in ein und derselben Gesellschalt führt”; vgl. hierzu auch Bernecker (1984: 415/416) sowie Tezanos (1984: 59).
Vgl. hierzu Bernecker (1992a: 206–209), Wellhöner (1990: 158/159) und Fontana/Nadal (1980: 371–373). Über die Interpretation der Prosperitätsphase der spanischen Ökonomie zwischen 1959 und 1973 hat es wiederholt wissenschaftliche Kontroversen gegeben; vgl. bspw. die jüngste deutsche Debatte zwischen Wellhöner (1990) bzw. Jordana/Wellhöner (1991) und Sundt (1991).
Die Bezeichnung des Frankismus als autoritäres Modernisierungsregime geht auf die konzeptionellen Überlegungen Guy Hermets (1977: 595–600) zurück; vgl. hierzu auch ausführlich Maravall (1973). — Die auffällige Häufung empirischer Abweichungen von dem allgemeinen modernisierungstheoretischen Entwicklungsschema führt Hans-Ulrich Wehler (1975: 12, 68/69) zu der plausibel erscheinenden Vermutung, die sog. partielle Modernisierung sei im Grunde “schon historisierter Regelfall von ‘Modernisierung’ überhaupt”; er schlägt daher zur Charakterisierung von Sonderfallen wirtschaftlicher Modernisierung unter Bedingungen politischer Repressivität den analytisch gehaltvolleren Begriff der defensiven Modernisierung vor.
Insofern scheint es zu hoch gegriffen, wenn Zelinsky (1984: 279) die Ende der fünfziger Jahre erfolgte wirtschaftspolitische Kurskorrektur als “fundamentale Umorientierung der politischen Ökonomie Spaniens” bezeichnet Vielmehr stand wie erwähnt auch diese Wende eindeutig unter dem Primat autoritären Machterhalts und hatte dementsprechend zuallererst “strukturkonservierende Effekte, deren Widersprüche durch günstige externe Umstände zeitweilig kaschiert wurden” (vgl. Sundt 1991: 147).
Ley 193/1963, de Bases de la Seguridad Social (LBSS), in Verbindung mit Decreto 907/1966, sowie Ley 24/1972, General de la Seguridad Social (LGSS), in Verbindung mit Decreto 2065/1974; vgl. Ferreras (1988: 401) und Reinhard (1986: 21).
Der Anteil der Sozialausgaben am BIP betrug 1975, zu Beginn des spanischen Demokratisierungsprozesses, 12,1% gegenüber Quoten von bspw. 19,4% in Irland, 22,9% in Frankreich oder 28,0% in der Bundesrepublik; vgl. Guillén (1992: 140).
“Nun rächte sich, daß Spanien zu Beginn der sechziger Jahre wohl die Grundstruktur des fordistischen Akkumulationsregimes... übernommen hatte, nicht aber das typische Arsenal staatlicher Regulationsinstrumente.” (Wellhöner 1990: 171; vgl. hierzu Kap. III.4 u. IV.4.)
Vgl. zu diesem Interpretationsschema des Niedergangs des Frankismus u.a. Maravall (1973:432/433), Bemecker (1984: 422/423), Sundt (1991: 147/148), Makel (1990: 3) und Kraus (1990: 202).
Zur wirtschaftlichen Entwicklung zwischen 1973 und 1982 vgl. überblickartig z.B. García Delgado (1990: 3–57) oder González (1991). Zur Geschichte der transición vgl. bspw. Maravall/Santamaría (1986) oder Tezanos (1989); zur Begrifflichkeit O’Donnell/Schmitter (1986: 6).
In diesem Zusammenhang waren insbesondere folgende Gesetze und Gesetzesdekrete von Bedeutung (vgl. auch Kap. V.2.4): für die Arbeitslosenversicherung (vgl. García de Blas 1985, Escudero 1992) Ley 51/1980, Basica de Empleo (LBE); Ley 31/1984, de Protección por Desempleo (LPD); zuletzt Real Decreto-Ley 1/1992, de Medidas Urgentes sobre Fomento de Empleo y Protección por Desempleo; für die Rentenversicherung (vgl. Ferreras 1990, 1988: 408–410; Reinhard 1990) Ley 26/1985, de Reforma de las Pensiones (LRP); Ley 2671990, por la que se establecen en la Seguridad Social prestaciones no contributivas.
Von den sozialpolitischen Ausgrenzungsprozessen sind Frauen besonders stark betroffen; vgl. hierzu ausführlich Koller-Tejeiro (1988). Im Zuge der fortschreitenden Dezentralisierung sozialer Dienste (vgl. Adolph 1994: 28–30, 35–40) stellen im übrigen die großen regionalen Entwicklungsunterschiede in Spanien einen weiteren Faktor ungleicher Versorgung dar.
Zwischen 1979 und 1989 erhöhte sich die Zahl der Arbeitslosen von (jeweils im Jahresdurchschnitt) 1,12 auf 2,56 Mo. Personen, die Quote verdoppelte sich von 8,7% auf 17,3% (bei zwischenzeitlichen 21,9% im Jahr 1985); vgl. Tamames/ Revueita (1992: 450).
Vgl. zum potentiell problematischen Verhältnis von Normalitätsnormen im Arbeitsrecht und Normalitätsannahnen im Sozialleistungsrecht ausführlich Vobruba (1990: 30–35; ähnlich Mückenberger 1986: 40/41).
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Lessenich, S. (1995). Einführung: Wohlfahrtsstaat, Arbeitsmarkt und Sozialpolitik. In: Wohlfahrtsstaat, Arbeitsmarkt und Sozialpolitik in Spanien. Gesellschaftspolitik und Staatstätigkeit, vol 9. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-322-95765-8_2
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