Zusammenfassung
Bei den Demokratisierungen der letzten zwanzig Jahre ist deutlich ein „Schneeball-Effekt“ in Südeuropa, Lateinamerika, Osteuropa und Afrika südlich der Sahara wahrzunehmen. Nachdem sich ein Land in einer dieser Regionen demokratisiert hat, sind viele oder sogar alle Nachbarländer diesem Beispiel gefolgt. Mal Diffusion, mal Demonstrations-Effekt, manchmal Nachahmung oder gar „Ansteckung“ genannt, ist der „Schneeball-Effekt“ ein Prozeß, in dem eine Demokratisierung eine Reihe anderer Demokratisierungen auslöst. Nach Samuel P. Huntington findet „democratic snowballing“ (wie er dieses Phänomen nennt) statt, wenn 1) die Probleme in anderen (noch nicht demokratischen) Ländern ähnlich zu sein scheinen und/oder 2) die Lösungen, die die Demokratie anzubieten hat, attraktiv sind und/oder 3) das Land, das sich demokratisiert hat, als ein passendes politisch-kulturelles Modell erscheint.1
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Literatur
Samuel P. Hungtinton, The Third Wave: Democratization in the Late Twentieth Century (Norman, Oklahoma: University of Oklahoma Press, 1991), S. 100.
Der ASEAN-Kleinstaat Brunei wird hier nicht behandelt wegen seiner Größe (nur 300,000 Einwohner), einseitiger Wirtschaft (Öl und Gas machen mehr als die Hälfte des Bruttosozialproduktes des Landes aus) und seines untypischen politischen Systems (eine absolutistische Monarchie ohne politische Parteien). Vietnam wurde ebenfalls nicht berücksichtigt, da es zur Zeit der Abfassung dieses Aufsatzes (Frühjahr 1995) noch kein ASEAN-Mitglied war.
Diese Gründe entsprechen Hungtingtons ersten zwei Argumenten über den „Schneeball-Effekt“. Huntingtons dritte These, daß nämlich das neudemokratisierte Land als ein passendes Modell gesehen werden muß, wird hier weniger berücksichtigt. Die Philippinen wurden von den anderen ASEAN-Staaten als ein „in vieler Hinsichten gescheitertes Land“ angesehen („Across Southeast Asia, Awakenings to Democracy“, The New York Times, May 24, 1992, S. 3). Aber das Beispiel der Philippinen wurde von Oppositionellen in anderen asiatischen Diktaturen, z.B. Pakistan, Südkorea und Taiwan, mit großem Interesse beobachtet. Das erlaubt die Schlußfolgerung, daß interne Faktoren in Indonesien, Malaysia und Singapur entscheidender für die Abwehr der Demokratie waren als die fehlende Attraktivität des philippinischen Beispiels. Für eine Diskussion über Auswirkung von „People Power“ und eine Analyse des philippinischen Übergangs zur Demokratie siehe Mark R. Thompson, The Anti-Marcos Struggle: Personalistic Rule and Democratic Transition in the Philippines (New Haven: Yale University Press, 1995).
Daten in diesem Absatz sind, wenn nicht anders zitiert, von der World Bank, World Development Report: Development and the Environment (Oxford: Oxford Universty Press, 1992).
Weltbank Daten für 1985–1989 zitiert nach „A question of government“, The Economist, November 16, 1991, S. 23.
Ein Weltbankbericht, zitiert nach Blair A. King, „The 1992 general election and Indonesia’s political landscape“, Contemporary Southeast Asia, Jg. 14, Nr. 2 (1992), S. 165.
Ulf Sundhaussen, „Indonesia: past and present encounters with democracy“, in Larry Diamond, Juan J. Linz and Seymour Martin Lipset, (Hrsg.), Democracy in Developing Countries: Vol. 3, Asia (Boulder, Colorado: Lynne Rienner Publishers, 1989), S. 469.
Zakaria Haji Ahmad, „Malaysia: Quasi Democracy in a Divided Society“, in Diamond et al., (Hrsg.), Democracy in Developing Countries, 1989, S. 374.
Sie die interessante Diskussion der Modernisierungstheorie und ihre aktuelle Anwendung auf die ost- und südostasiatischen Staaten bei James W. Morley (Hrsg.), Driven by Growth: Political Change in the Asia-Pacific Region (Armonk, New York: M.E. Sharpe, 1993).
Morley (Hrsg.), Driven by Growth, op. cit., S. 279–80 und Karl Deutsch, „Social Mobilization and Political Development“, American Political Science Review, Jg. 60, Nr. 3 (September 1961), S. 493–514.
Barrington Moore, Soziale Ursprünge von Diktatur und Demokratie (Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1969), S. 481. Moores Originaltext ist: „No bourgeois, no democracy“.
Umfrage der Social Sciences Association of Thailand, 17 Mai 1992 zitiert nach Manager, einer führenden Zeitschrift der thailändischen Geschäftswelt, Juli 1992, S. 25. (Der Autor bedankt sich bei Duncan MacCargo für diesen Hinweis.) Obwohl methodologisch etwas „unsauber,“ unterstreichen diese Umfrageergebnisse die häufig bemerkte „Überrepräsentation“ der Mittelklasse an diesen Demonstrationen.
World Bank Development Report, op. cit., 1992, n. 12, S. 238.
Gary Hawes, The Philippine State and the Marcos Regime: The Politics of Export (Ithaca, New York: Cornell University Press, 1987) und
Stephan Haggard, „The political economy of the Philippine debt crisis“, in Joan M. Nelson (Hrsg.), Economic Crisis and Policy Choice: The Politics of Adjustment in the Third World (Princeton, New Jersey: Princeton University Press, 1990), S. 215–255.
„The elections and the political transformation of Indonesia,“ Indonesian Human Rights Forum, 5, 1992, S. 6–11.
William Case, „Malaysia in 1992“, in Asian Survey, Jg. 33 (February 1993), S. 184–191. Auch erwähnungswert ist, daß die politischen Stimmen in ländlichen Gebieten mehr gewichtet werden als diejenigen in Städten. Dadurch hat die herrschende Nationale Front Partei zwischen 18.6% und 27.8% mehr Abgeordnete bekommen als Anteil an Stimmen in Wahlen zwischen 1974 und 1990. Ahmad, „Malaysia,“ S. 358, Tabelle 9.1. Wahlergebnisse von 1990 habe ich aus Suhaini Aznam, „Price of victory,“ Far Eastern Economic Review, November 1, 1990, S. 11 entnommen. Dieses Phänomen ist zwar typisch für „West-minster-Systeme“, hat aber in Malaysia eine andere politische Bedeutung, weil Malayen auf dem Land überrepräsentiert sind, während Chinesen in den Städten konzentriert sind.
N. Balakrischnan, „Diminishing returns“, Far Eastern Economic Review, 12 September 1991, S. 11 und
Chan Heng Chee, „The PAP and the structuring of the political system“, in Kernial Sing Sanu und Paul Wheatley, (Hrsg.), Management of Success: The Moulding of Modern Singapore (Singapore: Institute of Southeast Asian Studies, 1989), S. 86.
John McBeth, „Widening ripples: Magazine closures continue to stir opposition“, Far Eastern Economic Review, July 14, 1994, S. 17–18.
Die Auslandspresse — z.B. The Asian Wall Street Journal, the Far Eastern Economic Review und The Economist — hat oft mit Verbot innerhalb Singapur oder Angklagen zu rechnen, wenn kritische Artikel veröffentlicht werden. Vor kurzem wurde ein amerikanischer Professor von der Polizei vernommen, weil er einen kritischen Artikel im International Herald Tribune publizierte. „Singapore Rejects U.S. View on Questioning Academic,“ International Herald Tribune, October 22–23, 1994, S. 5. Während das US State Department die Regierung Singapurs kritisierte, entschuldigte sich ein um seine vielen Leser in Singapur besorgter International Herald Tribune in einer vollseitigen Annonce in der eigenen Zeitung.
Far Eastern Economic Review, Asia 1989 Yearbook (Hongkong: Review Publishing Company, 1989), S. 166–169.
Chan Heng Chee, „The PAP and the structuring of the political system“, in Kernial Sing Sanu und Paul Wheatley, (Hrsg.), Management of Success, 1989, S. 65.
Chan Heng Chee, „The PAP and the structuring of the political system“, in Kernial Sing Sanu und Paul Wheatley, (Hrsg.), Management of Success, 1989, S. 87
Far Eastern Economic Review, Asia 1992 Yearbook (Hongkong: Review Publishing Company, 1992) S. 186.
Zitiert nach Michael Vatikiotis, „The Mahathir paradox“, Far Eastern Economic Review, August 20, 1992, S. 18–19.
Benedict Anderson, „Old state, new society: Indonesia’s new order in comparative historical perspective“, Journal of Asian Studies, XLII (3), 1983, S. 490. Pancasila ist die offizielle Ideologie Indonesiens. Buchstäblich als die „fünf Säulen“ zu übersetzen, beinhaltet Pancasila: Glauben an einen Gott, Humanismus, ein einheitliches Indonesien, konsultative Demokratie und soziale Gleichheit. In der Praxis aber wird Pancasila heute nur benutzt, um die Herrschaft eines „starken Mannes“ (Suharto) zu rechtfertigen.
Diese Zitat stammt von Suhartos Vorgänger Sukarno, der „Vater“ der Pancasila-Ideologie.
Trotzdem versuchen Demokraten in Indonesien die 50er Jahre als Demokratiemodell für das Land darzustellen. Eine Konferenz mit dem Thema „Indonesien Democracy, 1950s and 1990s“, an der viele führende indonesische Oppositionelle teilnahmen, wurde an der Monash University (Melbourne Australien) am 17. bis 20. Dezember 1992 abgehalten.
Chai-Anan Samudavanija, „Thailand“, in Diamond et al., (Hrsg.), Democracy in Developing Countries, 1992, S. 322, Table 8.3 auf den Stand von 1995 gebracht.
Für einen aktuellen Überblick siehe David Brown, The State and Ethnic Politics in Southeast Asia (London: Routledge, 1994).
Die größten ethnischen Gruppen Indonesiens und auf den Philippinen sind die Javanesen bzw. die Tagalogs. Die malaysische Regierung behauptet, daß die „Söhne der Erde“ (bu-miputras) die absolute Mehrheit der Bevölkerung ausmachen (im Gegensatz zu den überwiegend urbanisierten Einwanderungsgruppen, nämlich die Chinesen und Tamilen). Aber diese offizielle Definition von „Einheimischen“ schließt auch die Urbevölkerung Sabahs und Sarawaks ein. Aber gerade dieser Unterschied zwischen der auf der Halbinsel lebenden malaysichen Bevölkerung und der auf den Inseln Borneos lebenden „Volksstämmen“ ist ein Teil des „ethnic divide“ in Malaysia, der oft übersehen wird.
Auf den Philippinen trägt die Demokratie sogar zur nationalen Integration bei. Für mein Argument dazu siehe „Democracy and National Integration in the Philippines“, in Ingrid Wessel (Hrsg.), Nationalism and Ethnicity in Southeast Asia (Münster: LIT-Verlag, 1994), S. 209–229. In Thailand ist die Nation vor allem durch den König symbolisiert. Die Monarchie sorgt für nationale Integration, egal ob das Regime demokratisch, quasi-demokra-tisch oder autoritär ist.
Suhaini Aznam, „Removing the Hardcore: Fates of ISA detainees are decided“, Far Eastern Economic Review, January 7, 1988, S. 13–14.
Herb Feith, „New Moves for Peace in East Timor“, Inside Indonesia 31 (1992), S. 14 und
Andrew Symon, „Riding the Tiger“, in Inside Indonesia 31 (1992), S. 27
Ob diese tatsächlich die „richtige“ Schlußfolgerung ist, bleibt unklar. Der Zusammenbruch Jugoslawiens und der Sowjetunion war mit einem (gescheiterten) Demokratisierungsprozeß verbunden. Dies legt die These nahe, daß ein Übergang zur Demokratie die staatliche Einheit aufrechterhalten kann, wenn Demokratisierung zuerst auf der staatlichen Ebene staatfindet, diese legitimiert und sich erst später auf der kommunalen Ebene fortsetzt. Siehe Juan J. Linz und Alfred Stepan, Political Identities and Electoral Sequences: Spain, the Soviet Union, and Yugoslavia, Daedalus, Jg. 121 (Spring 1992), S. 123–139.
Über drei Viertel aller Bürger Singapurs betrachten sich as „Singaporeans“ und nicht als Chinesen, Malayen, oder Inder. Chiew Seen-Kong, „The Socio-Cultural Framework of Politics,“ in Jon S.T. Quah, Chang Heng Chee and Seah Chee Meow (Hrsg.), Government and Politics of Singapore (Singapore: Oxford University Press, 1985), S. 66. In der Schweiz dagegen identifizieren sich nur etwas mehr als die Hälfte der Bevölkerung primär als „Schweizer“.
Siehe Donald Horowitz, Ethnic Groups in Conflict (Berkeley: University of California Press, 1985), S. 18.
Shee Poon Kim, „The Evolution of the Political System“, in Government and Politics of Singapore, 1985, S. 15–16.
Im Falle Afrikas hat Frankreich — in Zusammenarbeit mit den USA, der Weltbank und des Internationalen Währungsfonds — „explizit gefördert, daß politische Änderungen eine Voraussetzung für weitere Darlehen für afrikanische Länder sein sollen“. Samuel Decalo, „The Process, Prospects and Constraints of Democratization in Africa,“ African Affairs Jg. 91 (1992), S. 19.
World Bank Development Report, op. cit., S. 256–257. Die Philippinen bekamen 1990 Entwicklungshilfe, dessen Umfang 2.9% des nationalen BSPs betrug.
Decalo, „Constraints of Democratization in Africa,“ op. cit., S. 18 und Anneliese Wide-hopf, „Der Präsident spricht: Indonesien 1990“, Internationales Asienforum, 22 (1991), S. 335.
Vatikiotis, „The Mahathir paradox“, op. cit., S. 17.
„Competitive Order“, The Economist, February 15, 1992, S. 58–59.
Für sprachliche Hilfen bei der Abfassung dieses Artikels bedanke ich mich bei Dr. Rolf Becker und Dr. Julia Sünskes Thompson.
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Thompson, M.R. (1997). Der Schneeball schmilzt: die Grenzen der Demokratisierung in den ASEAN-Staaten. In: von Bredow, W., Jäger, T. (eds) Demokratie und Entwicklung. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-322-95759-7_6
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