Zusammenfassung
Ein unzulässiger Rückzug auf angeblich anthropologisch Vorgegebenes wird gewöhnlich jenen vorgeworfen, deren politische Position gegenüber ‚ethnischer‘ Differenzierung als biologistisch oder rassistisch bezeichnet wird, weil sie sachlich nicht begründet und unwissenschaftlich sei. Im folgenden wird deshalb geprüft, ob bzw. in welcher Weise bei Max Weber, dem Institut für Staatsforschung und dem Reichsführer SS Heinrich Himmler sozialwissenschaftliche Untersuchungsergebnisse über die Ursachen des Landarbeitermangels im ‚deutschen Osten‘ mit ethnisierenden Topoi des Volkstumskamp-fes verknüpft werden. Einleitend wird die Rolle des Ethnischen in Max Webers Stellungnahmen zur ‚Polenfrage‘ dargestellt.1 Dem schließt sich ein Vergleich von zwei aufeinander bezogenen Texten an. Dabei handelt es sich einmal um eine Untersuchung der preußischen Politik zur Ansiedlung von Landarbeitern im Osten, die vom Institut für Staatsforschung an der Universität Berlin 1940 erstellt wurde. Auf der Grundlage dieser von ihm in Auftrag gegebenen Studie, die das Scheitern der preußischen Ansiedlungspolitik dokumentiert, entwickelte dann der Reichsführer SS in seiner Eigenschaft als Reichskommissar für die Festigung deutschen Volkstums seine Konzeption einer Landarbeiteransiedlungsstrategie in den „Ostprovinzen“und in den zu erobernden Gebieten, die er Hitler persönlich vorlegte. Als Reichskommissar für die Festigung deutschen Volkstums dirigierte Himmler die gesamte NS-Volkstumspolitik.2
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Anmerkungen
Vgl. zu den vielfältigen Aspekten der Behandlung von Ethnizität bei Weber den Beitrag von Theresa Wobbe in diesem Band. Zu früheren Darstellungen der Rassenfrage bei Weber vgl. Ernst Moritz Manasse: Max Weber on Race, in: Social Research, 14. Jg., 1947, S. 191–221; Paul Honigsheim: Max Weber as Applied Anthropologist, in: Applied Anthropology, Vol. 7, Number 4, Fall 1948; ders: Max Weber und die deutsche Politik. Bei Gelegenheit des gleichnamigen Buches von Wolfgang Mommsen, in: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, 13. Jg., 1961, S. 1–12; Hans-Walter Schmuhl: Max Weber und das Rassenproblem, in: Manfred Hettling (Hrsg.): Was ist Gesellschaftsgeschichte?: Positionen, Themen, Analysen. München 1991, S. 331–342.
Vgl. Robert L. Koehl: RKFDV: German Resettlement and Population Policy 1939–1945. A history of the Reich Commission for the Strengthening of Ger-mandom. Cambridge 1957; Czeslaw Madajczyk: Die Okkupationspolitik Nazideutschlands in Polen 1939–1945. Köln 1988, Zweiter Teil; Götz Aly/Susanne Heim: Vordenker der Vernichtung. Auschwitz und die deutschen Pläne für eine neue europäische Ordnung. Hamburg 1991, S. 125–187; Rolf-Dieter Müller: Hitlers Ostkrieg und die deutsche Siedlungspolitik. Frankfurt 1991, III. Kap.; Bruno Wasser: Himmlers Raumplanung im Osten. Der Generalplan Ost 1940–1944. Basel u.a. 1993. Mechthild Rössler/Sabine Schleiermacher (Hrsg.): Der „Generalplan Ost“. Hauptlinien der nationalsozialistischen Planungs- und Vernichtungspolitik. Berlin 1993.
Die Ausführungen lehnen sich häufig an Wolfgang J. Mommsen: Max Weber und die deutsche Politik 1890–1920 Tübingen 21974; sowie Wolfgang J. Mommsen/Rita Aldenhoff: Einleitung, in: Max Weber: Landarbeiterfrage, Nationalstaat und Volkswirtschaftspolitik. Schriften und Reden 1892–1899. Tübingen 1993, (Max Weber Gesamtausgabe, Bd. 4, 1. Halbband, S. 1–67) an.
Auf Webers Analyse der strukturellen Bedingungen der Zersetzung der patriarchalischen Arbeitsverfassung infolge der weltmarktbedingten Durchkapitalisierung der Landwirtschaft kann hier nicht näher eingegangen werden; vgl. Martin Riesebrodt: Einleitung, in: Max Weber: Die Lage der Landarbeiter im ostelbi-schen Deutschland. Tübingen 1984 (Max Weber Gesamtausgabe, Bd. 3, 1. Halbband, S. 1–17); W.J. Mommsen/R. Aldenhoff: Einleitung (Anm. 3); zu Webers besonderem Interesse an der Auflösung der Beziehung zwischen Grundherr und Instmann vgl. Martin Riesebrodt: Vom Patriarchalismus zum Kapitalismus. Max Webers Analyse der Transformation der ostelbischen Agrarverhältnisse im Kontext zeitgenössischer Theorien, in: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, 37. Jg., 1985, S. 546–567; Keith Tribe: Prussian agriculture — German politics: Max Weber 1892–7, in: Economy and Society, Vol. 12, Number 2, May 1983, S. 181–226.
M. Weber: Die Lage der Landarbeiter, S. 926, 2. Halbband (Anm. 4). Es ist wohl gerade Webers Bestreben, politisch wirksam sein zu wollen, geschuldet, daß die Beschäftigung mit der Landarbeiterfrage nicht einfach nur als eine frühe agrarhisto-rische Abhandlung anzusehen ist, sondern sein weiteres wissenschaftliches Schaffen prägte. „Die Ergebnisse dieser 891seitigen Untersuchung ziehen sich ab da wie ein roter Faden durch das Werk Max Webers, was deren Kenntnis für ein umfassendes Verständnis unverzichtbar macht…. (….) Zudem ist diese Enquête ein entscheidender Schritt für die Entwicklung einer spezifischen Methodologie der empirischen Sozialwissenschaften in Deutschland…“. Dirk Käsler: Max Weber, in: Ders. (Hrsg.): Klassiker des soziologischen Denkens, 2. Bd., München 1978, S. 70.
Max Weber: Entwickelungstendenzen in der Lage der ostelbischen Landarbeiter (Max Weber Gesamtausgabe wie Anm. 3), S. 458.
Max Weber: Der Nationalstaat und die Volkswirtschaftspolitik. Akademische Antrittsrede (Max Weber Gesamtausgabe wie Anm. 3), S. 553.
Ebd., S. 554f.
Max Weber: Deutschlands äußere und Preußens innere Politik. I. Die Polenpolitik, in: Ders.: Zur Politik im Weltkrieg. Schriften und Reden 1914–1918. Tübingen 1984 (Max Weber Gesamtausgabe, Bd. 15, Abt. I), S. 198.
Ebd., S. 199.
Deutschlands äußere und Preußens innere Politik. II. Die Nobilitierung der Kriegsgewinne; ebd., S. 209.
Zit. nach W.J. Mommsen: Max Weber und die deutsche Politik, S. 508, 510 (Anm. 3).
Beide Zitate nach W.J. Mommsen: Max Weber und die deutsche Politik, S. 336f, 338 (Anm. 3).
Diskussionsbeitrag; [Zur Frage der Grenzsperre für polnische Arbeiter], Sitzung vom 29. März 1919, nachmittags, in: Max Weber: Zur Neuordnung Deutschlands. Schriften und Reden 1918–1920. Tübingen 1988 (Max Weber Gesamtausgabe, Bd. 16, Abt. I), S. 263.
K. Tribe: Prussian agriculture, S. 212 (Anm. 4).
Ebd., S. 217.
Vgl. zu Höhn und dem Institut für Staatsforschung C. Klingemann: Soziologie im Dritten Reich. Baden-Baden 1996.
Bundesarchiv Koblenz, NS 19/3282 (Persönlicher Stab Reichsführer SS, ohne Paginierung).
Max Weber: Die ländliche Arbeitsverfassung (Max Weber Gesamtausgabe wie Anm. 3), S. 177.
Ebd., S. 185.
Reinhard Höhn/Helmut Seydel: Der Kampf um die Wiedergewinnung des deutschen Ostens. Erfahrungen der preußischen Ostsiedlung 1886 bis 1914, in: Festgabe für Heinrich Himmler. Darmstadt 1941, S. 65; hinter den Autorennamen werden auch ihre SS-Ränge vermerkt: SS-Standartenführer, SS-Obersturmführer. In diesem gut hundertseitigen Aufsatz werden einerseits in Übereinstimmung mit der Studie des Instituts für Staatsforschung die Gründe für das Scheitern der preußischen An-siedlungspolitik benannt, andererseits wird aber unter Verweis auf deren angeblich partielle Erfolge der Hoffnung Ausdruck verliehen, daß die aktuelle „zielsichere Ostsiedlung“nicht scheitern werde.
Bundesarchiv Koblenz, NS 19/3282 (Persönlicher Stab Reichsführer SS, ohne Paginierung); vgl. dort auch eine frühere Fassung vom 19.6.1940 mit Korrekturen von Himmlers Hand.
Das Führer-Hauptquartier befand sich zu der Zeit („Frankreichfeldzug“) auf dem Kniebis im Schwarzwald.
Vgl. zu Himmlers Vorstellung der Germanisierung eines Achtels der polnischen Bevölkerung dessen Denkschrift „Einige Gedanken über die Behandlung der Fremdvölkischen im Osten“(abgedruckt in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte, 5. Jg., 1957, S. 196–198), die knapp einen Monat vor der hier diskutierten Hitler vorgelegt worden war. Vgl. zur unterschiedlichen Einordnung dieser Denkschrift in Himmlers Kompetenzstrategie der Ausweitung seiner Befugnisse als Reichskommissar für die Festigung deutschen Volkstums R.-D. Müller: Hitlers Ostkrieg, S. 90–92 (Anm. 2); Götz Aly: „Endlösung“. Völkerverschiebung und der Mord an den europäischen Juden. Frankfurt am Main 1995, S. 140f.
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Klingemann, C. (1996). Ursachenanalyse und ethnopolitische Gegenstrategien zum Landarbeitermangel in den Ostgebieten: Max Weber, das Institut für Staatsforschung und der Reichsführer SS. In: Klingemann, C., Neumann, M., Rehberg, KS., Srubar, I., Stölting, E. (eds) Jahrbuch für Soziologiegeschichte 1994. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-322-95715-3_8
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