Zusammenfassung
In der deutschen Vergangenheit sind politische Symbole häufig dazu eingesetzt worden, Staatstreue und nationale Identität zu erzeugen und zu festigen. Reichsinsignien und Fahnen, Siegesfeiern und Heldengedenktage, aber auch Denkmäler und Bauwerke dienten dazu, den Deutschen Nation und Staat näher zu bringen. Wie das Brandenburger Tor ist auch der Reichstag eines dieser symbolträchtigen Bauwerke, die für die nationale Identität der Deutschen von besonderer Bedeutung waren und es für manche auch heute noch sind. Kaiserverehrung oder Führerkult verstärkten die Wirkung dieser Symbolik im Zweiten und Dritten Reich noch, verkörperte die Person an der Spitze doch symbolhaft die Einheit von Staat und Nation. Dabei spielte angesichts der vielfältigen und schmerzhaften Brüche in der deutschen Geschichte die Beschwörung der Vergangenheit stets eine bedeutende Rolle. Konnten die Hohenzollernkaiser immerhin an das Heilige Römische Reich deutscher Nation und dessen Kaisermythos anknüpfen, so griff Hitler auf die urgermanische Sagenwelt zurück, ohne allerdings darauf zu verzichten, auch die preußische Tradition für sich in Anspruch zu nehmen. Fand der staatlich verordnete Germanenkult seinen Ausdruck im Runengebrauch und in den Sonnenwendfeiern des Dritten Reichs, so wurde der Preußenmythos mit der Glorifizierung des Alten Fritz — auf Briefmarken, Plakaten und in Kinofilmen — ebenso in Gebrauch genommen wie die Bismarckverehrung der Deutschen. Symptomatisch für die Beschwörung der Vergangenheit zu politischen Zwecken war der „historische Händedruck“ des greisen Reichspräsidenten von Hindenburg in der Uniform des Generalfeldmarschalls, der er als „Sieger von Tannenberg“ im Ersten Weltkrieg gewesen war, mit dem „böhmischen Gefreiten“ Adolf Hitler, der sich anschickte, als soeben ernannter Reichskanzler zunächst Deutschland und dann die Welt zu erobern.
„In solchen Symbolen [Wie dem Reichstag] bündeln sich wie in einem Brennglas die historischen Erfahrungen eines Volkes. Es sind ruhende Pole, Achsen, um die das Mit- und Gegeneinander der politischen Kräfte über Jahrzehnte kreist. Insofern verbinden sie ein Volk auch und gerade im Widerstreit der Interessen, der Ziele und der Überzeugungen. In solchen Symbolen kann sich die innere Einheit eines Volkes verkörpern. Die ganze staatliche Gesellschaft soll sich in solchen Symbolen wieder finden können.“
(Wolfgang Schäuble in der in diesem Band dokumentierten Bundestagsdebatte am 25. Februar 1994).
„Wenn einst Leopold von Ranke jede Epoche unmittelbar zu Gott sah, damit ihr individuelle, historische Gerechtigkeit werde, so ist heute im gängigen politischen Geschichtsbewußtsein der Deutschen jede Epoche unmittelbar zu Hitler. Das übermächtige historische Feindbild sperrt den positiven Zugang zur deutschen Geschichte, verbietet die unbefangene Identifikation des Deutschen mit der Vergangenheit seines Volkes und verwehrt ihm, sich selbst ohne weiteres als Kind und Erbe dieses Volkes zu akzeptieren.“
(Isensee 1986: 13).
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Literatur
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Voigt, R. (1995). Politische Symbolik und postnationale Identität. In: Klein, A., Braun, I., Schroeder, C., Hellmann, KU. (eds) Kunst, Symbolik und Politik. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-322-95708-5_30
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