Zusammenfassung
Vor der Betrachtung weiterer Eigenschaften der hier vorzustellenden Politikwissenschaft wollen wir — auch unter dem Gesichtspunkt des soeben erörterten gesellschaftlichen Bezugs — einige konzeptionelle Hauptmerkmale der deutschen Politikwissenschaft aufzeigen, die sich nach 1945 in verschiedenen Zeitspannen ausprägten1. Die nach dem Ende des Nationalsozialismus mühsam wiederentdeckte und namentlich durch die amerikanischen Militärbehörden in die Universitäten eingebürgerte Politikwissenschaft konnte sich angesichts dieser Ausgangsbedingungen ihrer Institutionalisierung kaum anders denn als „Demokratiewissenschaft“ herausbilden. Die politischen Katastrophen der deutschen Geschichte wurden weitgehend dadurch erklärt, daß das deutsche Volk über keine demokratische Tradition verfügte. So erwies sich ein neuer politischer Standort als notwendig, war doch, wie Alfred Weber es bezeichnete, „gerade das Selbstverständliche der demokratischen Ziele ... das, was bei uns fehlt.
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Literatur
Heranzuziehen ist hierzu und zum folgenden: Hans Kastendiek, Desintegration einer Integrationswissenschaft. Konstituierung und Wandel der westdeutschen Politologie, in: Bernhard Blanke, Ulrich Jürgens, Hans Kastendiek, Kritik der Politischen Wissenschaft 1. Analysen von Politik und Ökonomie in der bürgerlichen Gesellschaft, Frankfurt/New York 1975 (eine detaillierte Darstellung, der die Passage verpflichtet ist); und:
Erwin Faul, Politikwissenschaft im westlichen Deutschland. Bemerkungen zu Entwicklungstendenzen und Entwicklungsanalysen, in: Politische Vierteljahresschrift 1979.
Alfred Weber et al., Die Wissenschaft im Rahmen der politischen Bildung, Berlin, S. 12.
Dieter Oberndörfer (Hg.), Wissenschaftliche Politik. Eine Einführung in die Grundfragen ihrer Tradition und Theorie, Freiburg i. Br. 1962, S. 20.
Wilhelm Hennis, Politik als praktische Wissenschaft. Aufsätze zur politischen Theorie und Regierungslehre, München 1968, S. 152.
Iring Fetscher (Hg.), Rechtsradikalismus, Frankfurt a. M. 1967, S. 79 und S. 81.
Raymond Aron, Die Gesellschaftsstruktur und die herrschende Klasse (1950), in: Wilfried Röhrich (Hg.), Demokratische Elitenherrschaft. Traditionsbestände eines sozialwissenschaftlichen Problems, Darmstadt 1975, S. 152.
Otto Stammer, Das Elitenproblem in der Demokratie (1951), in: Wilfried Röhrich (Hg.), a.a.O., S. 221.
Vgl. dazu u. a.: Wolfgang Abendroth, Antagonistische Gesellschaft und politische Demokratie. Aufsätze zur politischen Soziologie, Neuwied 1967, S. 356.
Robert A. Dahl, Modern Political Analysis, New Jersey 1963, S. XIII.
Ekkehart Krippendorff, Politikwissenschaft und Außerparlamentarische Opposition, in: Gerhard Lehmbruch, Klaus von Beyme und Iring Fetscher (Hg.), Demokratisches System und politische Praxis der Bundesrepublik (Festschrift für Theodor Eschenburg), München 1971, S. 100 f.
Ekkehart Krippendorff, a.a.O., S. 99.
Die „Stückwerkanalyse“ verdeutlicht sich nicht zuletzt in den „Bindestrich-Soziologien“ (Jugend-, Familien-, Betriebs-, Wahlsoziologie etc.). — Vgl. hierzu erneut: Hans Kastendiek, Desintegration einer Integrationswissenschaft. Konstituierung und Wandel der westdeutschen Politologie, in: Bernhard Blanke, Ulrich Jürgens und Hans Kastendiek, Kritik der Politischen Wissenschaft 1. Analysen von Politik und Ökonomie in der bürgerlichen Gesellschaft, Frankfurt/New York 1975, insbes. S. 115 ff.
Max Horkheimer, Traditionelle und kritische Theorie, in: Kritische Theorie. Eine Dokumentation, Bd. II, Frankfurt a. M. 1968, S. 155 und S. 158.
Max Horkheimer, Materialismus und Moral, in: Kritische Theorie. Eine Dokumentation, Bd. I, Frankfurt a. M. 1968, S. 109.
Die ursprünglichen Termini „Ausbeutung“ und „Klassenherrschaft“ wurden von Horkheimer beim Neudruck seiner frühen Arbeiten in („gesellschaftliches”) „Unrecht“ umgeändert. Dies erklärt sich daraus, daß sich Horkheimer in der dritten Periode seines Denkens vom Frühwerk seiner ersten Periode weitgehend distanzierte und dem von Alfred Schmidt herausgegebenen Neudruck lange Zeit Widerstand leistete.
Brief von Karl Marx an D. Oppenheim, Bonn, um den 25. 8. 1842, in: MEW, Bd. 27, S. 409.
Jürgen Habermas, Technik und Wissenschaft als ,Ideologie, Frankfurt a. M. 1970, S. 155.
Jürgen Habermas, Analytische Wissenschaftstheorie und Dialektik, in: Max Horkheimer (Hg.), Zeugnisse. Theodor W. Adorno zum sechzigsten Geburtstag, Frankfurt a. M. 1963, S. 479.
Max Horkheimer, Traditionelle und kritische Theorie, in: Kritische Theorie. Eine Dokumentation, Bd. II, Frankfurt a. M. 1968, S. 192.
Theodor W. Adorno, Gesellschaft, in: Evangelisches Staatslexikon, S. 637.
Theodor W. Adorno, Spätkapitalismus oder Industriegesellschaft? Einleitungsvortrag zum 16. Deutschen Soziologentag (8. 4. 1968), in: ders., Gesammelte Schriften, Bd. 8, Frankfurt a. M. 1972, S. 364 und S. 361.
Jörg Kammler, Gegenstand und Methode der politischen Wissenschaft, in: Wolfgang Abendroth und Kurt Lenk (Hg.), Einführung in die politische Wissenschaft, München 1973, S. 10f.
So der Titel des Buches von Wolfgang Abendroth: Antagonistische Gesellschaft und politische Demokratie, Neuwied 1967.
Herbert Sultan und Wolfgang Abendroth, Bürokratischer Verwaltungsstaat und soziale Demokratie. Beiträge zu Staatslehre und Staatsrecht der Bundesrepublik, Hannover/Frankfurt a. M. 1963, S. 87.
Georg Lukács, Geschichte und Klassenbewußtsein, Neuwied 1970, S. 279.
Hans-Ulrich Wehler (Hg.), Geschichte und Soziologie, Köln 1972, S. 12. Auf diesen Sammelband sei hier ebenso verwiesen wie auf den vom selben Herausgeber besorgten Sammelband: Geschichte und Ökonomie, Köln 1973.
Vgl. dazu: Max Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, 2. Hbd., Tübingen 1956, S. 1040 und 1047 f.
Möglicherweise — dies sei hier angemerkt — erscheinen manchem die Namen Marx und Engels suspekt; dann könnte die Antwort auf die Frage, warum politökonomische Problemstellungen in der deutschen Politikwissenschaft weitgehend ausgeklammert sind, in den „Auswirkungen eines hierzulande verstiegenen Antikommunismus auf den Wissenschaftsbetrieb vermutet werden“. — Kurt P. Tudyka, Politische Ökonomie — Ein Desiderat der Politikwissenschaft, in: Politische Vierteljahresschrift 1969, S. 130.
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Röhrich, W. (1986). Hauptmerkmale der deutschen Politikwissenschaft seit 1945. In: Politik als Wissenschaft. WV studium, vol 141. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-322-95705-4_3
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