Zusammenfassung
Auf wenige Sätze gebracht, läßt sich der Gedankengang Alberts etwa folgendermaßen wiedergeben:
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Wertungen und Entscheidungen spielen in den Sozialwissenschaften im Objektbereich, als Wissenschaftsbasis und als Ausdruck eines gesellschaftspolitischen Engagements des Sozialwissenschaftlers eine Rolle. In keinem dieser Fälle ist es aber notwendig oder zweckmäßig, sie in Form von Wertaussagen in die Objektsprache dieser Wissenschaften einzuführen. Als So-zialforschungsobjekte sind Werthaltungen nämlich Gegenstand von Sachaussagen, und als Voraussetzungen der Sozialforschung sind sie Teil eines metawissenschaftlichen Relevanzproblems, das nicht in den Bereich der sozialwissenschaftlichen Objektsprache fällt. Wertäußerungen qua Wertäußerungen haben präskriptiven, d. h. subjektiven, nicht-kognitiven Charakter. Es ist zwar möglich, aber weder notwendig noch zweckmäßig, sie zur technologischen Umformulierung und praktischen Anwendung sozialwissenschaftlicher Theorien in Form von normativen Systemen in die Sprache dieser Wissenschaften aufzunehmen; ja, eine Normativierung der Sprache würde keine zusätzlichen Probleme lösen, sondern nur neue aufwerfen. Ob man allerdings im Endeffekt eine rein kognitive, eine rein normative oder eine kognitiv-normative Sprache und Zielsetzung für die Sozialwissenschaften wählt, ist keine Sache der Erkenntnis, sondern eine der Entscheidung, wenn auch eine Sache der Entscheidung im Lichte von Erkenntnissen.1
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Literatur
Vgl. den obigen Abschnitt «Wertfreiheit als Wertaussagefreiheit» sowie die dort zitierten Publikationen Alberts.
Albert, Das Werturteilsproblem, S. 412.
Ebda., S. 439.
Mayntz, Soziologie in der Eremitage?, S. 531.
Vgl. König, Einige Überlegungen zur Frage der Werturteilsfreiheit bei Max Weber, S. 24–27.
König, Studien zur Soziologie, Vorwort, S. 8.
Vielleicht könnte man sagen, daß diese Irrelevanzbehauptung der Wertfreiheits/rage eine Konsequenz der Analysen Gouldners ist, die Gouldner selbst nicht zieht. (Überraschenderweise hält nämlich Gouldner, wie wir sahen, an dem von ihm selbst als vieldeutig und ambivalent nachgewiesenen Wertfreiheitsbegriff und -prinzip fest, ohne ihn/es an irgendeiner Stelle inhaltlich zu definieren.) Auch bei Luhmann lassen sich Äußerungen und Argumente dafür finden, daß es ihm nicht so sehr um eine Gegnerschaft zur Wertfreiheit, sondern grundsätzlicher zur Wertfreiheitsfrage geht (siehe z. B. Soziologische Aufklärung, S. 54 f.). Schließlich bezeichnet Adorno die Dichotomie von Wert und Wertfreiheit (= Objektivität) als Scheinproblem: «Die von Albert bei Dialektikern vermißte Lösung des angeblichen Wertproblems dürfte, um dies eine Mal einen positivistischen Begriff zu verwenden, darin zu suchen sein, daß die Alternative als Scheinproblem begriffen wird, als Abstraktion, die dem konkreten Blick auf die Gesellschaft und der Reflexion auf das Bewußtsein von ihr zergeht» (Der Positivismusstreit in der deutschen Soziologie, S. 73).
Albert, Wertfreiheit als methodisches Prinzip, S. 191.
Selbstverständlich soll damit nicht behauptet werden, daß dies in der Absicht der Befürworter des Wertfreiheitsprinzips, insbesondere Alberts, liegt. Vielmehr verfolgen wir hier die Strategie der immanenten Kritik, um Alberts Explikationsvorschlag bemessen an Alberts Vorstellungen eines kritischen Rationalismus als inadäquat (oder wenigstens zu weit) zu erweisen.
Albert, Sozialwissenschaft und politische Praxis, S. 268. Daß es sich bei derartigen Themenstellungen schon heute keineswegs mehr um völlig irreale Projekte handelt, wird an der amerikanischen Kontroverse um das sogenannte «Project Camelot» (das bisher finanzstärkste Forschungsvorhaben überhaupt) deutlich, das die Ursachen innerer Unruhen und Revolutionen in den Entwicklungsländern erforschen sollte und schließlich aus politischen Gründen abgebrochen werden mußte.
Im Gegensatz zu Weber scheint Albert allerdings den Erkenntnisprozeß selbst nicht als Selektionsprozeß und -problem zu sehen, sondern nur sein Davor und sein Danach.
«Strittig ist nur, ob man diese Entscheidungen durch Formulierung von Wertprämissen zum Ausdruck bringen oder ob man sie gar aus einem normativen System ableiten muß, das von expliziten Wertaxiomen ausgeht. Was die Verfechter des technologischen Positivismus leugnen, ist nicht etwa der moralische Charakter praktischer Anwendungs-problemesondern die Notwendigkeit normativer Systeme . . . Obwohl die Anwendung dẻ Wissenxhaft Entscheidungen voraussetzt, kann die ‹angewandte› Wissenschaft (Technologie) ihrer Auffassung nach ohne Wertprämissen auskommen» (Albert, Wissenschaft und Politik, S. 218).
Das Gewicht dieses Einwandes verstärkt sich, wenn man die zwei Kategorien möglicher wissenschaftlicher Wertentscheidungen folgendermaßen in Beziehung setzt:
Also: Gerade die vermeidbaren Wertentscheidungen, deren Realisierung zudem nicht in den Kompetenzbereich des Sozialwissenschaftlers fällt, erfordern Wertaussagen, während Entscheidungen, die die Sozialforschungspraxis ausrichten, als «wertfreie» (= wertaussagenfreie) Relevanzgesichtspunkte zu deuten sind.
Albert, Wertfreiheit als methodisches Prinzip, S. 181.
Hierzu u. a. auch die Ausführungen von Topitsch, Sozialphilosophie zwischen Ideologie und Wissenschaft, S. 47 ff.
Vgl. Bolte, Der achte Sinn, S. 49.
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Beck, U. (1974). Das Pro und Contra der Wertfreiheit: Ein Epilog. In: Objektivität und Normativität. Rororo Studium. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-322-95701-6_4
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DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-322-95701-6_4
Publisher Name: VS Verlag für Sozialwissenschaften
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