Epochaler Umbruch oder ganz normaler Wandel? Wie weit reichen die neueren Veränderungen der Sozialstruktur in der Bundesrepublik?

Zusammenfassung

In den letzten Jahren haben sozialwissenschaftliche Befunde in der Öffentlichkeit für viel Aufsehen gesorgt und den Eindruck erweckt, daß sich die Sozialstruktur der Bundesrepublik auf nahezu allen Gebieten in einem epochemachenden Umbruch befindet: »Pillenknick« und Einwanderungswellen sorgen für abrupte Veränderungen der Bevölkerungsstruktur; neue Familien- und Haushaltsformen, unter anderem die »singles«, die nichtehelichen Lebensgemeinschaften und die Alleinerziehenden, drängen die »Normalfamilie« zurück; die »neuen sozialen Ungleichheiten«, von der »neuen Armut« bis hin zur »Pluralisierung der Lebensstile«, zerfasern die vertikale, berufsnahe Klassen- und Schichtstruktur; neue Lebensphasen — wie die »Postadoleszenz« und die »nachelterliche Gefährtenschaft« — kündigen das »Ende der Normalbiographie« an; Arbeitszeitflexibilisierung und Teilzeitarbeit signalisieren das »Ende des Normalarbeitszeitverhältnisses«; neue Technologien und mit ihnen der »neue Arbeiter«, die »neuen Selbständigen«, aber auch kleine Produktionsserien und computergesteuerte Produktion läuten das »Ende der Arbeitsteilung« ein; Schattenwirtschaft und alternative Betriebe lassen die ehedem unverrückbar erscheinende Grenze zwischen Erwerbsarbeit und Privatheit verschwimmen; die Fabriksirene und das Wort »Feierabend« verlieren ihren Symbolgehalt; »neue soziale Bewegungen« — wie die Friedens-, Frauen- und die Ökologiebewegung — ergänzen und bekämpfen das »normale«, hochinstitutionalisierte System der politischen Willensbildung in Parteien und Verbänden. Allein schon das Wort »neu« hat Hochkonjunktur. Grundstrukturen unserer Gesellschaft scheinen in Auflösung begriffen.