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Rational Choice, Macht und die korporative Organisation der Gesellschaft

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Theorien der Organisation

Part of the book series: Organisation und Gesellschaft ((OUG))

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Der Versuch, organisationstheoretische Grundlagen aus einer allgemeinen Sozialtheorie abzuleiten, verspricht, den unvermeidlichen Verlust an konkreter Organisationsanalyse durch den Gewinn eines soliden Theoriefundaments, das weitgehend von den jeweiligen organisationstheoretischen Modeströmungen abgekoppelt ist, mehr als nur zu kompensieren. In diesem Sinne soll im folgenden versucht werden, das Potential der Rational Choice-Theorie für eine zu entwik-kelnde allgemeine Organisationstheorie auszuloten.1

Zunächst wird die Rational Choice-Theorie als allgemeine Sozialtheorie vorgestellt (1.). Dabei steht eine kritische Analyse des rationalen Handlungsmodells und des zugrunde liegenden methodologischen Individualismus im Vordergrund. Die Reichweite der Rational Choice-Theorie wird in bezug auf eine Analyse der Machtproblematik diskutiert, die für die zu entwickelnde Organisationstheorie von besonderer Bedeutung ist. Zusätzlich werden Aspekte einer Komplexitätstheorie erörtert, die die für den Mikro-Makro-Übergang erforderlichen systemtheoretischen Grundlagen enthält, ohne die soziale Systeme rational choice-theo-retisch nicht analysiert werden können. Im Anschluß daran wird zunächst das allgemeine Problem sozialer Ordnung, also der gesellschaftlichen Organisation antagonistischer Kooperation, behandelt (2.). Dabei erscheinen traditionale Gemeinschaften und Märkte ebenso als Lösungen des allgemeinen Organisationsproblems wie formale Organisationen im engeren Verständnis der Organisationstheorie. Alle diese konkurrierenden und einander ergänzenden Organisationsformen können allgemein als soziale Tauschsysteme verstanden werden, die allerdings abweichend von der in der Institutionenökonomik üblichen Sichtweise als dynamische Ungleichgewichts systeme analysiert werden müssen. In diesem Zusammenhang zeigt sich auch das Problem der Gestaltung der institutionellen Rahmenbedingungen und der Effizienz sozialer Organisationsformen in einem neuen Licht. Formale Organisationen werden in der Rational Choice-Theorie als soziale Tauschsysteme besonderer Art konzipiert, nämlich als korporative Akteure mit einer für sie konstitutiven Verfassung (3.). Fragen des Organisationellen Designs erscheinen aus der konstitutionellen Perspektive als Gestaltungsprobleme der Verfassung, die wiederum auf die Interessen und Machtressourcen der beteiligten Akteure zurückverweisen.

Innerhalb der Rational Choice-Theorie konzentriert sich unsere Diskussion paradigmatisch auf die herausragenden Arbeiten von James S. Coleman, die neben einer allgemeinen Fundierung der Sozialtheorie als Rational Choice-Theorie (1991) auch eine kritische Analyse der modernen Organisationsgesellschaft vor dem Hintergrund der durch das Auftauchen der korporativen Akteure erfolgten Machtverschiebungen enthalten (1992). Die Darstellung soll die besondere Stärke der Rational Choice-Theorie in der handlungstheoretisch abgestützen Analyse von Machtstrategien in sozialen Interdependenzsystemen verdeutlichen, gleichzeitig aber auch die inhärenten Schwächen in der Erfassung des Gebildecharakters sozialer Organisationsformen und ihrer institutionellen Voraussetzungen herausarbeiten.

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Literatur

  1. Ich spreche bewußt von der Rational Choice-Theorie und nicht von dem Rational Choice-Ansatz um den Status einer allgemeinen, präzise ausformulierten Sozialtheorie zu betonen. Leider kann gegenwärtig nicht von einer einheitlichen Organisationstheorie gesprochen werden, sondern eher von einer bunten Mischung von organisationstheoretischen „Ansätzen“, die oft nichts anderes darstellen als die mehr oder weniger systematische Ausarbeitung eines bestimmten Aspekts von Organisation. Solche theoretisch beschränkten und empirisch eng focussierten Ansätze aus der Sicht einer allgemeinen Sozialtheorie zu integrieren, ist eine vordringliche Aufgabe der Organisationstheorie. Die Leistungsfähigkeit der Rational Choice-Theorie in dieser Hinsicht soll in den folgenden Überlegungen deutlich werden (vgl. auch 4.).

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  2. Die gängige Auffassung von Rational Choice-Theoretikern ist es daher, die Entstehung von Werten theoretisch über Brückenhypothesen, etwa lerntheoretischer oder evolutionstheoretischer, letztlich sogar soziobiologischer Art, zu erklären. Die Brückenhypothesen können aber nicht problemlos im Sinne von Hilfstheorien in die Rational Choice-Theorie integriert werden, sondern repräsentieren eigenständige, teilweise sogar konkurrierende Theorietraditionen, die nur um die Gefahr eines theoretischen Synkretismus integriert werden können, es sei denn, man würde sich um eine systematische Vereinheitlichung der theoretischen Grundlagen bemühen, wozu allerdings kaum Ansätze bestehen.

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  3. Die Verwendung von Cobb-Douglas-Nutzenfunktionen impliziert eine Einkommenselastizität der Nachfrage von eins (vgl. Coleman 1994, S. 12, 23, 36 f.), d.h. die Regel der proportionalen Ressourcenallokation. Dadurch wird das Modell linearisiert und mathematisch in der dargestellten Form überhaupt erst handhabbar.

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  4. Wert und Macht werden durch die Lösung von Eigenwertgleichungen bestimmt. Bei geeigneten Voraussetzungen kann die Existenz, Eindeutigkeit und Stabilität einer Lösung nachgewiesen werden (vgl. Kappelhoff 1993, S. 102 ff).

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  5. Vgl. Coleman (1991) sowie die Beiträge von Wieland und von Pirker in diesem Band.

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  6. Der Versuch einer Letztbegründung fuhrt notwendig entweder in einen infiniten Regreß, in einen logischen Zirkel oder zu einem dogmatischen Abbruch — also in das von Albert (1991, S. 15) so genannte Münchhausen-Trilemma.

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  7. Noch einmal wollen wir darauf hinweisen, daß gemäß der Rational Choice-Theorie natürlich auch Moralphilosophen als Mitglieder eines konkreten Handlungssystems ihre Argumente zu Gehör bringen können — allerdings wird das Gewicht dieser Argumente durch die Macht bestimmt, die zu ihrer Unterstützung mobilisiert werden kann. In diesem Zusammenhang wird man unwillkürlich an die legendäre Frage Stalins erinnert, über wie viele Divisionen eigentlich der Papst verfüge.

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  8. Allerdings ist der Begriff der Rationalität in Situationen struktureller Interdependenz nur noch kontextabhängig zu interpretieren (vgl. Coleman 1994, S. 333 ff).

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  9. Positive (negative) Netzwerkexternalitäten entstehen, wenn das Handeln eines Akteurs positive (negative) Effekte für einen anderen Akteur hat, z.B., wenn der Nutzen eines Produkts von der Anzahl der Nutzer abhängt — so hängt z.B. der Nutzen eines Telefons von der Anzahl der Teilnehmer im Telefonnetz ab. Kommt es in einem solchen Zusammenhang zu einer Konkurrenzsituation zwischen mehreren Anbietern, die verschiedene, nicht miteinander kompatible technische Lösungen (z.B. Video-Systeme oder PC-Prozessoren) oder verschiedene Standardisierungen (z.B. die QWERTY-Tastatur oder ein bestimmtes Betriebssystem) vertreten, so können historisch kontingente Anfangsvorteile zu einer langfristigen Marktbeherrschung fuhren. Generell gilt, daß solche Entwicklungen durch Pfadabhängigkeit, Irreversibilität und multistabile Gleichgewichte charakterisiert sind — insbesondere muß sich nicht notwendig die effizienteste Lösung durchsetzen (vgl. z.B. Arthur 1988a sowie Ortmann 1995a, S. 253 ff.).

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  10. Vgl. etwa Griffiths/Gray (1994) oder generell die Diskussion um den Hauptartikel von Mayr (1994) in „Ethik und Sozialwissenschaften“.

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  11. Dies gilt auch für die Evolution des Gehirns. Die spezifische Struktur der zerebralen Schaltkreise hängt auch von der individuellen Aktivität des Organismus und den Einflüssen der natürlichen und sozialen Umwelt ab. Dies betrifft insbesondere die evolutionär modernen Gehirnteile, die sich bis ins Jugendalter hinein in Wechselwirkung mit der Umwelt in einem selbstorganisierten Prozeß auf genetischer Grundlage entwickeln (vgl. Damasio 1995, S. 155 ff). Das menschliche Gehirn ist also ein Produkt der Gen-Kultur-Koevolution (allgemein zur Gen-Kultur-Koevolution vgl. Boyd/Richerson 1985). Auch die neuronale Organisation des Gehirns ist also zumindest partiell sozial konstituiert — ein weiteres Argument gegen den methodologischen Individualismus.

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  12. Die Frauen der eigenen Abstammungsgruppe stellen jeweils Parallelkusinen, die der anderen Abstammungsgruppe dagegen Kreuzkusinen in dem klassifikatorischen Verwandschaftssy-stem dar (vgl. Kappelhoff 1993, S. 7). Die bilaterale Kreuzkusinenheirat schreibt die Heirat von Frauen aus der jeweils anderen Abstammungsgruppe vor. Der dadurch induzierte wechselseitige Frauentausch impliziert eine duale Organisation, die einfachste denkbare gesellschaftliche Organisationsform. Die matrilaterale Kreuzkusinenheirat schreibt die Heirat der Mutterbrudertochter vor — ein wechselseitiger Frauentausch ist in diesem Fall strukturell ausgeschlossen.

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  13. Die Untersuchung der Verbundenheitsstruktur von Organisationsprozessen ist die unabdingbare Grundlage einer jeden Analyse von Netzwerken in und zwischen Organisationen. Theoretisch wichtige Unterscheidungen, etwa die zwischen wechselseitiger, unabhängiger und globaler Existenzfähigkeit sowie die zwischen vorwärts und rückwärts gerichteter Kontrolle, können nur vor dem Hintergrund einer solchen Analye der Verbundenheitsstruktur von Organisationsprozessen sinnvoll getroffen und verfeinert werden (vgl. Coleman 1992, S. 134 ff).

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  14. Nach Coleman (1991, S. 53 ff.) ist die ursprüngliche Sozialorganisation durch einfache (persönliche, bilaterale) soziale Beziehungen charakterisiert und die konstruierte Sozialorganisation durch komplexe (formale, multilaterale). Diese Gegenüberstellung ist im Lichte der Diskussion in 2.1.1 nicht aufrechtzuerhalten und bedingt eine schiefe theoretische Perspektive, die zu entsprechenden Verzerrungen in der sozialkritischen Analyse der modernen Organisationsgesellschaft fuhrt (vgl. insbesondere 3.3).

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  15. Allerdings argumentiert die Machtabhängigkeitstheorie der Emerson-Gruppe auf der Ebene von Netzwerken von Tauschbeziehungen, d.h. die elementare Analyseeinheit der Theorie ist die durch die verbundenen bilateralen Austauschbeziehungen implizierte Abhängigkeitsstruktur der Akteure untereinander. Eine explizite theoretische Ableitung der resultierenden Machtverteilungen aus dem strategischen Handlungskalkül der beteiligten Akteure fehlt bisher (vgl. Kappelhoff 1993). Damit wird noch einmal die für die Rational Choice-Theorie zentrale, aber überaus schwierig zu bewältigende Mikro-Makro-Problematik angesprochen (vgl. 1.4). Selbst im Fall einer exakt spezifizierten Netzwerkstruktur erweist es sich als äußerst schwierig, aus Annahmen über das individuell rationale Verhalten der Akteure auf emergente Systemeigenschaften zu schließen.

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  16. Wird z.B. durch die Produktion in einem Unternehmen die Umwelt belastet, so stehen die Interessen des produzierenden Unternehmens denen der durch die Umweltverschmutzung betroffenen Akteure gegenüber. Überwiegen die machtgestützten Interessen des Unternehmens an der umweltverschmutzenden Produktion, so wird es auf jeden Fall produzieren, unabhängig davon, wie die Verfügungsrechte verteilt sind. Liegen diese nämlich anfangs bei den betroffenen Akteuren, wird das soziale Optimum dadurch erreicht, daß das Unternehmen den betroffenen Akteuren diese Rechte abkauft — eine effizienzsteigernde Transaktion, da qua Annahme die machtgestützten Interessen des produzierenden Unternehmens überwiegen. Sind dagegen die machtgewichteten Interessen der betroffenen Akteure stärker, so wird es auf keinen Fall zu einer Umweltverschmutzung kommen, da die betroffenen Akteure gegebenenfalls in der Lage sind, dem Unternehmen die Eigentumsrechte für die Produktion abzukaufen. Das soziale Optimum wird also unabhängig von der ursprünglichen Verteilung der Verfügungsrechte erreicht — der vollkommene Markt sorgt stets für eine effiziente Rechtsallokation. Allerdings hat die Verfassung des Systems, also die ursprüngliche Verteilung der Verfügungsrechte, Einfluß auf die Machtverteilung (Kaufkraft der Akteure) und damit auf die Gestalt des erreichten Optimums. Auch hier besteht eine exakte Parallele zu einem vollkommenen Markt ohne externe Effekte, denn auch hier hängt das erreichte soziale Optimum von der Anfangsverteilung und damit von der Ressourcenmacht der Akteure ab (vgl 1.3).

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  17. Im Falle des in der vorangegangenen Fußnote diskutierten Beispiels wären hier zunächst einmal die Organisationskosten zu nennen, die die betroffenen Akteure aufbringen müßten, um dem umweltverschmutzenden Unternehmen als kollektiver Akteur gegenübertreten zu können. Darüber hinaus würden bei der vertraglichen Regelung der Rechtsallokation Anbahnungskosten (Informationsbeschaffung), Vereinbarungskosten (Aushandeln des Vertrags) und Kontrollkosten (Durchsetzung des Vertrags) entstehen.

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  18. Man kann allerdings fragen, welchen Sinn es macht, einen Zustand wechselseitiger Kooperationen als soziales Optimum zu bezeichnen, der zwar modelltheoretisch möglich ist, aber mangels einer Kooperationsnorm, also wegen fehlender sozialer Ressourcen, überhaupt nicht erreicht werden kann. Betrachtet man die soziale Situation als geschlossenes System mit vorgegebener Ressourcenausstattung, so ist der erreichte Pareto-inferiore Zustand notwendig systemrelativ optimal Erweitert man umgekehrt das System durch Einführung zusätzlicher Ressourcen, wird auch ein vorher paretoeffizientes Marktgleichgewicht suboptimal, nämlich dann, wenn man die Kaufkraft (also die Ressourcenausstattung der Akteure) erhöht. Anders ausgedrückt Im Falle des N-Personen-Gefangenendilemmas liegt die wechselseitige Kooperation außerhalb der Produktionsmöglichkeitskurve des Systems — einzig und allein durch den Übergang zu einem offenen System, das die zusätzliche Produktion einer Kooperationsnorm gestattet, kann das System Zustände höherer Effizienz erreichen. In letzter Konsequenz bedeutet dies, daß im Rahmen einer gegebenen Ressourcenausstattung jedes System notwendig sozial effizient ist, wenn man einen rationalen (und damit optimalen) Ressourceneinsatz voraussetzt.

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  19. Natürlich sind zwischen den beiden Extremen einer rein konjunkten und einer rein dis-junkten Norm einer Reihe von Zwischenformen denkbar (vgl. Coleman 1991, S. 318 ff.).

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  20. Wie wir in der abschließenden Diskussion sehen werden, hält Coleman diesen radikalen Positivismus allerdings nicht konsequent durch, insbesondere dann, wenn er kritisch die Problematik der Konzentration korporativer Macht in der modernen Gesellschaft diskutiert (vgl. 3.3).

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  21. Soziale Normen ermöglichen es, eine Kollektivgutproblematik zu bewältigen und das damit verbundene Trittbrettfahrerproblem erster Ordnung zu lösen — allerdings nur um den Preis, daß bei der Durchsetzung der Norm erneut ein Kollektivgutproblem entsteht Das ursprüngliche Trittbrettfahrerproblem wird also lediglich in ein Trittbrettfahrerproblem zweiter Ordnung transformiert.

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  22. Die Bedeutung sozialen Kapitals wird auch in der Organisationstheorie zunehmend erkannt (vgl. z.B. den Begriff des Organisationskapitals bei Sadowski 1991 sowie die Diskussion der Bedeutung sozialen Kapitals in strategischen Netzwerken bei Sydow et al. 1995, S. 27 ff.).

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  23. Neben den bereits zitierten Arbeiten von Coleman wird der konstitutionelle Ansatz vor allem von Vanberg (1982, 1983, 1992) vertreten.

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  24. Außerdem erweist sich die Zurückfuhrung der Organisationsziele allein auf die Interessen der Prinzipale als zu restriktiv (vgl. auch die Erweiterung des konstitutionellen Ansatzes weiter unten und die Kritik in 3.3).

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  25. Es geht also nicht um eine in einem sozialphilosophischen Sinne gerechte Verfassung, sondern um eine effektive Verfassung auf der Grundlage einer gegebenen Machtverteilung. In Abgrenzung etwa zur Theorie der Gerechtigkeit von Rawls betont Coleman ausdrücklich, daß „der Übergang von den normativen Überlegungen der politischen Philosophie zu einer positiven Sozialtheorie das Lüften des Schleiers des Nichtwissens“ (1992, S. 29) erfordert.

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  26. Allerdings wird die Frage, wie es zu solchen von einer als objektiv unterstellten Situation abweichenden Einschätzungen bzw. Fehleinschätzungen kommen kann, rational choice-theoretisch nicht thematisiert. Dies würde auch allenfalls über Brückenhypothesen aus dem Bereich der kognitiven Psychologie und vor allem der Wissenssoziologie möglich sein, die den engen Theorierahmen der Rational Choice-Theorie sprengen würden.

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  27. Diese weitgehende Übertragung von Rechten an die Agenten der Organisation ist in der Organisationstheorie in den verschiedensten Zusammenhängen thematisiert worden, so von Michels als das eherne Geset2 der Oligarchie in bezug auf Verbände und von Berle und Means als Revolution der Manager in bezug auf Wirtschaftsunternehmen.

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  28. Diese Sichtweise unterläuft gleichzeitig die unglückliche Trennung in technische und institutionelle Umwelten und die damit verbundene Organisationstypologie, die Organisationen danach unterscheidet, ob sie primär mit Problemen einer effizienten Koordination von Arbeitsprozessen und marktlichem Austausch konfrontiert sind, oder ob die Beschaffung institutioneller Legitimität in einer organisationalen Umwelt, die von Rationalitätsmythen beherrscht wird, im Vordergrund steht (vgl. Meyer/Rowan 1977). Diese Typologie, die sich implizit an der Unterscheidung zwischen Profit- und Non Profit-Organisationen orientiert, wird in der Rational Choice-Theorie durch einen einheitlichen Organisationsbegriff ersetzt, d.h. durch den in einem komplexen organisationalen Umfeld agierenden korporativen Akteur, für den die oben angeführte Unterscheidung lediglich als analytische zu begreifen ist (vgl. auch DiMaggio/Powell 1991b). Damit kann auch weiterhin mit einem einheitlichen Rationalitätsbegriff operiert werden, der auf beide Bereiche anwendbar ist und auch die gleichzeitige Bewältigung beider Problematiken in einem einheitlichen Rationalitätskalkül in den Blick bekommt Dabei ist zu berücksichtigen, daß Rationalität grundsätzlich, also sowohl im technischen wie auch im institutionellen Problembereich, sozial konstituiert ist und somit immer nur im Rahmen allgemeiner Weltbilder und Überzeugungssysteme sowie einer konkreten Situationsinterpretation verstanden werden kann — das hat nichts mit Rationalitätsmythen (Meyer/Rowan 1977) zu tun. Die daraus abgeleitete verfehlte Gegenüberstellung von Legitimität und Effizienz ist also lediglich einem eingeengten Rationalitäts- und damit auch Effizienzbegriff geschuldet.

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  29. Natürlich ist es immer möglich, die Interessen von Positionsinhabern so abzuleiten, daß sie letztlich als Interessen von natürlichen Personen erscheinen. So könnte man argumentieren, daß Manager ein Interesse an persönlicher Macht haben, das sie dazu veranlaßt, eine solche Position anzustreben. Weiter hängt ihre professionelle Reputation und damit ihr beruflicher Marktwert von dem Erfolg ab, den sie bei der Führung der Geschäfte als Agent eines korporativen Akteurs haben. Allerdings ergibt sich aus dieser Interessenlage lediglich eine generelle Motivation zur optimalen Durchsetzung der Organisationsinteressen, aber keine Spezifikation konkreter Organisatonsinteressen.

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  30. In diesem Zusammenhang sind auch die Ergebnisse der modernen Neurobiologie von Interesse. So entwickelt Damasio (1995) eine Theorie menschlicher Vernunft, die auch die Ebene der Gefühle berücksichtigt. Ohne Gefühle ist kein vernünftiges Handeln möglich: „Im Idealfall lenken uns Gefühle ... in einem Entscheidungsraum an einen Ort, wo wir die Instrumente der Logik am besten nützen können“ (S. 13). Damasio weist die enge Verknüpfung von Denken und Fühlen im Gehirn und damit die Beschränkung einer rein kognitiven Psychologie nach und zeigt darüber hinaus, daß Geist und Körper eine engere Einheit bilden, die für die Konstitution des Selbst fundamental ist, als dies eine dualistisch-rationale Philosophie in der Tradition von Descartes zuzugestehen bereit ist.

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Kappelhoff, P. (1997). Rational Choice, Macht und die korporative Organisation der Gesellschaft. In: Ortmann, G., Sydow, J., Türk, K. (eds) Theorien der Organisation. Organisation und Gesellschaft. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-322-95661-3_10

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