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Handlungsbegriff, Handlungsverstehen und die Rationalisierung sozialen Handelns: Max Weber

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Zusammenfassung

Am Beginn des Kapitels „Soziologische Grundbegriffe“, mit dem er sein Werk „Wirtschaft und Gesellschaft“ einleitet, definiert Weber Soziologie als „...eine Wissenschaft, welche soziales Handeln deutend verstehen und dadurch in seinem Ablauf und seinen Wirkungen ursächlich erklären will“ (Weber 1980, 1). Soziologie wird so als Wissenschaft vom sozialen Handeln bestimmt.1 Dieser Bestimmung folgt die Definition der Begriffe „Handeln“ und „soziales Handeln“:

„‚Handeln‘ soll dabei ein menschliches Verhalten (einerlei ob äußeres oder innerliches Tun, Unterlassen oder Dulden) heißen, wenn und insofern als der oder die Handelnden mit ihm einen subjektiven Sinn verbinden. ‚Soziales Handeln‘ aber soll ein solches Handeln heißen, welches seinem von dem oder den Handelnden gemeinten Sinn nach auf das Verhalten anderer bezogen wird und daran in seinem Ablauf orientiert ist“ (Weber 1980, 1).2

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Literatur

  1. Oder, wie Weber an anderer Stelle formuliert: “…die verstehende Soziologie… (behandelt) das Einzelindividuum und sein Handeln als unterste Einheit, als ihr ‘Atom’ - wenn der an sich bedenkliche Vergleich hier einmal erlaubt ist” (Weber 1985b, 439).

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  2. Siehe dazu auch die (freilich mit anderer Zielrichtung geführte) Kritik von Schütz (1960, 27f.), derzufolge “…die Abscheidung dieser beiden Verstehensarten eine willkürliche und innerlich unbegründete ist”. Mit den im Text folgenden Argumenten, die denen von Schütz als Beleg für diese Kritik angeführten im wesentlichen entsprechen, versuche ich zu zeigen, daß Webers Unterscheidung einen rein methodologischen Status ohne ontologisches Äquivalent hat und eines solchen Äquivalentes auch nicht bedarf.

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  3. Dies vor allem aus Gründen der Darstellungsmethodik. Denn für die Soziologie steht das Verstehen des “durchschnittlichen und annäherungsweise gemeinten… Sinnes oder Sinnzusammenhanges” im Vordergrund, der dem Handeln einer Vielzahl von Akteuren zugrunde liegt (Weber 1980, 4). Für die Erreichung dieses Zieles kann die Untersuchung des Handelns einzelner Akteure freilich eine wichtige Grundlage sein.

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  4. Daß die Soziologie und andere Wissenschaften vom Handeln auch “sinnfremde Vorgänge und Gegenstände” zu berücksichtigen hat, steht dabei außer Frage. Faktoren dieser Art kommen als “…Anlaß, Ergebnis, Förderung oder Hemmung menschlichen Handelns in Betracht” (Weber 1980, 3). Entsprechendes gik auch, sofern Möglichkeiten gefunden würden, sinnhafte Tatbestände auf sinnfreie Faktoren zurückzuführen: “Die Möglichkeit ist nun gegeben, daß künftige Forschung auch unverstehbare Regelmäßigkeiten für sinnhaft besondertes Verhalten auffindet, so wenig dies bisher der Fall ist. Unterschiede des biologischen Erbguts (der ‘Rassen’) z.B. würden - wenn und soweit der statistisch schlüssige Nachweis des Einflusses auf die Art des soziologisch relevanten Sichverhaltens, also: insbesondere des sozialen Handelns in der Art seiner Sinnbezogenheit, erbracht würde, - für die Soziologie als Gegebenheiten ganz ebenso hinzunehmen sein, wie die physiologischen Tatsachen etwa der Art des Nahrungsbedarfs oder der Wirkung der Seneszens (des Alterungsprozesses; W.L.S.) auf das Handeln. Und die Anerkennung ihrer kausalen Bedeutung würde natürlich die Aufgaben der Soziologie (und der Wissenschaften vom Handeln überhaupt): die sinnhaft orientierten Handlungen deutend zu verstehen, nicht im mindesten ändern. Sie würde in ihre verständlich deutbaren Motivzusammenhänge an gewissen Punkten nur unverstehbare Tatsachen (etwa: typische Zusammenhänge der Häufigkeit bestimmter Zielrichtungen des Handelns, oder des Grades seiner typischen Rationalität, mit Schädelindex oder Hautfarbe oder welchen anderen physiologischen Erbqualitäten immer) einschalten, wie sie sich schon heute (s.o.) darin finden” (Weber 1980, 3).

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  5. Dieser Anspruch blieb selbstverständlich nicht ohne Kritik. Bereits unmittelbar nach ihrem Erscheinen löste Webers These heftigen Widerspruch aus. Als zusammenfassende Dokumentation der zeitgenössischen Reaktionen und deren Beantwortung durch Weber siehe Weber 1978.

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  6. Der von Bourdieu (1979, 139ff.) verwendete Begriff des “Habitus” bezieht sich auf ein derartiges Ensemble von Handlungsdispositionen, deren Sinn den Akteuren selbst im wesentlichen unzugänglich bleibt.

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  7. Bereits in der Vorbemerkung zu den “Soziologischen Grundbegriffen” notiert Weber: “Von Simmels Methode (in der ‘Soziologie’ und in ’Philos. des Geldes’) weiche ich durch tunlichste Scheidung des gemeinten vom objektiv gültigen ‘Sinn’ ab, die beide Simmel nicht nur nicht immer scheidet, sondern oft absichtsvoll ineinander fließen läßt” (Weber 1980, 1). Kurz darauf (a.a.O., lf.) wird dann die schon früher zitierte und für Weber zentrale Differenz zwischen dem subjektiv gemeinten und einem objektiv richtigen bzw. metaphysisch wahren Sinn hervorgehoben als diejenige Unterscheidung, welche die Grenzlinie zwischen den empirischen Wissenschaften vom menschlichen Handeln und den dogmatischen Disziplinen (Jurisprudenz, Logik, Ethik, Ästhetik) definiert.

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  8. Die Unhaltbarkeit von Webers Reduktion des Verstehens auf das Verstehen von subjektiv gemeintem Sinn wurde allerdings schon früh bemerkt. In seiner 1934 erschienenen Studie “Max Webers Wissenschaftslehre” weist Alexander von Schelting darauf hin, daß Weber es versäumt, zwischen dem motivationsmäßigen Verstehen und dem Verstehen von Sinngebilden explizit zu unterscheiden, daß aber gleichwohl das Verstehen von Sinngebilden unter Absehung von ihrer motivationalen Bedeutung in Webers empirischen Untersuchungen eine wesentliche Rolle spielt. Talcolt Parsons, der sich dieser Kritik anschließt, nennt als Beispiele für das Verstehen von Sinngebilden die idealtypische Rekonstruktion religiöser Ideensysteme, wie der Calvinistischen Theologie, der Brahmanischen Philosophie etc, die zunächst als zusammenhängende Aussagensysteme verstanden werden müssen, bevor es in einem zweiten Schritt möglich ist, ihre motivationale Relevanz für das Handeln von Akteuren zu bestimmen (vgl. Parsons 1968, Bd.2, 636f.). Vgl. dazu auch das Vorwort von Johannes Winckelmann zur fünften Auflage von “Wirtschaft und Gesellschaft” sowie die dort angegebene Literatur (Weber 1980, X X ).

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  9. Eine soziale Beziehung kann ganz vorübergehenden Charakters sein oder aber auf Dauer… eingestellt sein…“, vermerkt Weber (1980, 14).

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  10. Der Einwand liegt nahe, daß doch auch der Begriff “Sitte” normative Konnotationen anklingen läßt. Webers Erläuterung zu diesem Begriff schließt derartige Bedeutungsmomente jedoch explizit aus: “Sitte in diesem (von Weber zuvor bestimmten; W.L.S.) Sinn wäre also nichts ‘Geltendes’: es wird von niemandem ’verlangt’, daß er sie mitmache.… Es ist heute ’Sitte’, daß wir am Morgen ein Frühstück ungefähr angebbarer Art zu uns nehmen; aber irgendeine ’Verbindlichkeit’ dazu besteht (außer für Hotelbesucher) nicht” (Weber 1980, 15).

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  11. Nicht ganz klar ist der Status der “Mode”. Die Formulierung Webers, nach der sie “ihre Stätte in der Nachbarschaft der ‘Konvention”’ habe (1980, 15), die durch Mißbilligung gesichert ist, macht jedoch deutlich, daß auch hier stabilisierende Faktoren anzunehmen sind. Wie man sich diese vorzustellen hat, läßt sich etwa an der Reaktion auf offensichtlich ’unmoderne’ Kleidung ablesen, die Belustigung auslösen und zu Scherzen (’Frotzeleien’) auf Kosten des so Gekleideten Anlaß geben kann.

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  12. Ebenso wie für die bisher skizzierten Typologien Webers gilt auch hier, daß es sich dabei um reine Typen handelt, die empirisch in dieser Reinheit immer nur in mehr oder weniger starker Annäherung zu finden sind. Die Konstruktion reiner Typen entwickelt ein begriffliches Instrumentarium, das als Grundlage für die Analyse empirischer Zusammenhänge dient. Ein empirisch vorgefundener Zusammenhang sozialen Handelns kann dann als weitgehend typuskonforme historisch-spezifische Ausprägung, als Variation eines bestimmten Typus oder als Kombination der Aspekte verschiedener Typen beschrieben werden. Zur empirisch gehaltvollen Spezifikation und Differenzierung der reinen Typen legitimer Herrschaft vgl. Webers Herrschaftssoziologie, Weber 1980, Kap. IX. Zur Rekonstruktion der Weberschen Herrschaftssoziologie siehe besonders Schluchter 1979, Kap.5 und Schluchter 1988, Bd.2, Kap.12.

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  13. Weber macht jedoch deutlich, daß es sich bei der Zerstörung der wertrationalen Grundlagen gesellschaftlichen Handelns um eine Entwicklungstendenz handelt, die sich zwar durch Beobachtungen belegen läßt, bei der aber keineswegs sicher ist, ob ihr extrapolierter Endpunkt empirisch jemals erreicht wird: “Auf dem Gebiet der höchsten Entfesselung, in den Vereinigten Staaten, neigt das seines religiös-ethischen Sinnes entkleidete Erwerbsstreben heute dazu, sich mit rein agonalen Leidenschaften zu assoziieren, die ihm nicht selten geradezu den Charakter des Sports aufprägen. Niemand weiß noch, wer künftig in jenem Gehäuse wohnen wird und ob am Ende dieser ungeheuren Entwicklung ganz neue Propheten oder eine mächtige Wiedergeburt alter Gedanken und Ideale stehen werden, oder aber - wenn keins von beiden - mechanisierte Versteinerung, mit einer Art von krampfhaftem Sich-wichtig-nehmen verbrämt. Dann allerdings könnte für die ‘letzten Menschen’ dieser Kulturentwicklung das Wort zur Wahrheit werden: ’Fachmenschen ohne Geist, Genußmenschen ohne Herz: dies Nichts bildet sich ein, eine nie vorher erreichte Stufe des Menschentunis erstiegen zu haben’” (Weber 1920, 204).

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Schneider, W.L. (2002). Handlungsbegriff, Handlungsverstehen und die Rationalisierung sozialen Handelns: Max Weber. In: Grundlagen der soziologischen Theorie. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-322-95625-5_2

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  • DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-322-95625-5_2

  • Publisher Name: VS Verlag für Sozialwissenschaften

  • Print ISBN: 978-3-531-13556-4

  • Online ISBN: 978-3-322-95625-5

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