Zusammenfassung
Im Vergleich zu anderen Parlamenten in westlichen Demokratien, wie z.B. dem amerikanischen Kongreß oder dem britischen Unterhaus, kann der Bundestag als geschichtlicher „Neuling“ bezeichnet werden.21 Es sollte aber nicht übersehen werden, daß auch der Bundestag in einer parlamentarischen Entwicklung steht, die nicht viel jünger als die in anderen Demokratien ist. Stellung und Aufgaben der deutschen Parlamente haben sich seit Beginn des 19. Jahrhunderts jedoch grundlegend gewandelt. Allein auf gesamtstaatlicher Ebene markieren die Jahreszahlen 1871 (1867), 1919, 1933 und 1949 bedeutende Einschnitte: Von 1871 (1867) bis 1919 gab es auf „Reichsebene“ eine klare Gewaltentrennung von Regierung (Reichskanzler) und Parlament (Reichstag). Diese wurde nach 1919 durch die Einführung eines parlamentarischen Regierungssystems wesentlich modifiziert, allerdings mit einer sehr bedeutenden Stellung des Reichspräsidenten. Nach 1933 degenerierte der Reichstag zu einem Akklamationsorgan nationalsozialistischer Willkürherrschaft. 1949 wurde der Bundestag Bestandteil eines parlamentarischen Regierungssystems. Anders als in der Weimarer Republik ist dieses aber nicht durch eine Präsidial-, sondern durch eine Kanzlerhegemonie gekennzeichnet.
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Anmerkungen
So Steffani, Parlamentarische und präsidentielle Demokratie, a.a.O., S. 327.
Hans Troßmann, Reichstag und Bundestag — Organisation und Arbeitsweise, in: Ernst Deuerlein (Hrsg.), Der Reichstag, 2. Aufl. Bonn 1978, S. 125–143, hier: S. 125. Im gleichen Sinne:
Gerhard Löwenberg, Parlamentarismus im politischen System der Bundesrepublik Deutschland, Tübingen 1969, S. 169f. Zum Wunsch des 1. Bundestages, an die Tradition des Weimarer Reichstages anzuknüpfen, vgl auch:
Volker Szmula, Die Arbeit des Geschäftsordnungsausschusses — Aufgabe und Bedeutung eines Bundestagsausschusses, Diss. Heidelberg 1970, S. 5;ders.,
Volker Szmula, Zum Selbstverständnis des Deutschen Bundestages, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 39/74 (28. September 1974), S. 19–37, hier: S. 20.
Die letztgenannte Geschäftsordnungsreform führte u. a. zu einer neuen Numerierung der Paragraphen. Dies wird in dieser Abhandlung an vielen Stellen zu beachten sein. Grundsätzlich wird im folgenden die „neue“Geschäftsordnung von 1980 zitiert.
Kurt Pereis, Das autonome Reichstagsrecht. Die Geschäftsordnung und die Observanz des Reichstages in systematischer Darstellung, Berlin 1903, S. 1.
Ebenda, S. If.
Karl und Otto Neisser, Die Geschäftsordnung des Abgeordnetenhauses des Reichsrates. Ihre Geschichte und ihre praktische Anwendung von 1861 – 1909, 2 Bde., Wien-Leipzig 1909, hier: Bd. 1, S. 175. Bezüglich der Gleichartigkeit der Geschäftsordnungen hatte bereits im Jahre 1903 ein profunder Kenner der damals 54 Jahre alten Geschäftsordnung des Preußischen Abgeordnetenhauses und der 35 Jahre alten Geschäftsordnung des Reichstages bei einem Vergleich festgestellt: „Ein Unterschied besteht heute eigentlich nur in den Bestimmungen über die Anzweiflung der Beschlußfähigkeit, über die namentliche Abstimmung bei Schluß- und Vertagungsanträgen, und über die Redeordnung, abgesehen von den neuerdings in die Geschäftsordnung des Reichstages aufgenommenen Bestimmungen über den Ausschluß aus der Sitzung, die namentliche Zettelabstimmung, die Geschäftsordnungsbemerkungen. Die praktische Handhabung der Redeordnung ist übrigens jetzt in beiden Häusern fast völlig gleich.“(A. [August] Plate, Die Geschäftsordnung des Preußischen Abgeordnetenhauses, Berlin 1903, S. Vf.).
Plate, a.a.O., S. 4
Die Zweite Kammer wurde seit 1855 aufgrund eines neuen Gesetzes „Haus der Abgeordneten“genannt, vgl. Plate, a.a.0.r S. 9.
Vgl. Plate, a.a.O., S. 2ff.
Julius Hatschek, Das Parlamentsrecht des Deutschen Reichs, Erster Teil, Berlin/Leipzig 1915, S. 93ff.
Max Schwarz, MdR. Biographisches Handbuch der Reichstage, Hannover 1965, S. 124.
Schwarz, a.a.O., S. 516.
Peter Schindler (Bearbeiter), 30 Jahre Deutscher Bundestag — Dokumentation, Statistik, Daten -Hrsg. vom Presse- und Informationszentrum des Deutschen Bundestages, Bonn 1979, S. 64; vgl. Richard Ley, Die Mitglieder des Parlamentarischen Rates. Ihre Wahl, Zugehörigkeit zu Parlamenten und Regierungen, in: Zeitschrift für Parlamentsfragen, 4. Jg. (1973), S. 373–391, hier: S. 37 8f.
Vgl. Schwarz, a.a.O., S. 646 und S. 803.
Ebenda, S. 633 und S. 803.
Zu den Daten: Schwarz, a.a.O., S. 466 und S. 798f. Simson war außerdem noch von 1858 bis 1867 Mitglied des preußischen Abgeordnetenhauses. (Vgl. Schwarz, a.a.O., S. 466.)
Löwenberg, a.a.O., S. 174.
Vgl. §§ 10–12 der Geschäftsordnung der Frankfurter Nationalversammlung, abgedruckt in: A. Rauch (Hrsg.), Parlamentarisches Taschenbuch, 6. Lieferung, Erlangen 1850, S. 230–247, hier: S. 232f.
Hierzu und zum folgenden: Klaus Friedrich Arndt, Parlamentarische Geschäftsordungsauto-nomie und autonomes Parlamentsrecht, Berlin 1966, S. 28f.
Arndt, a.a.O., S. 29.
Vgl. Plate, a.a.O., S. 35–39.
Robert von Mohl, Kritische Erörterungen über Ordnung und Gewohnheiten des deutschen Reiches, Zweiter Artikel, in: Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft, Bd. 31 (1875), S. 39–113, hier: S. 40f. Vgl. auch ders.,
Robert von Mohl, Die Geschäftsordnungen der Ständeversammlungen, in: ders., Staatsrecht, Völkerrecht und Politik, Bd. 1, unveränderter Nachdruck der 1860 in Tübingen erschienenen Ausgabe, Graz 1962, S. 281–321, hier: S. 285.
Vgl. Hatschek, a.a.O., S. 216.
Ebenda. Der Reichstag hatte es am 8.3.1897 ausdrücklich abgelehnt, dem Präsidenten wegen seiner umfangreichen Haushaltung besondere Repräsentationsgelder zuzugestehen. (Vgl. Hat- schek, a.a.O., S. 216.) Karl Spengler schreibt in seiner Dissertation aus dem Jahre 1912, daß erst in „neuerer Zeit“in parlamentarischen Kreisen wieder Strömungen bemerkbar seien, „für den Präsidenten eine feste Repräsentationszulage zu erreichen, da bisher bei der Auswahl des Präsidenten auch finanzielle Gesichtspunkte von ausschlaggebender Bedeutung waren.“(Karl Spengler, Die rechtliche Stellung und die Befugnisse des Reichstagspräsidenten, Diss. Würzburg 1912, S. 12.)
Vgl. Karl Josef Partsch, Die Wahl des Parlamentspräsidenten, in: Archiv des öffentlichen Rechts, Bd. 86 (1961), S. 1–38, hier: S. 13f.;
Heinz Matthes, Die Präsidenten des Reichstages, in: Ernst Deuerlein (Hrsg.), Der Reichstag, 2. Auft Bonn 1978, S. 101–112, hier: S. 102.
Matthes, a.a.O., S. 101.
Partsch, ata.O., S. 14; vgl. auch Löwenberg, a.a.O., S. 175f.
Partsch, a.a.O., S. 15.
Die Wahlen vom 14.6.1928.
Partsch, a.a.O., S. 18.
Hierzu Partsch, a.a.O., S. 14f.
Hierzu Gerhard Lehmbruch, Parteienwettbewerb im Bundesstaat, Stuttgart usw. 1976, S. 21; vgl. auch
Jürgen Jekewitz, Die Wahl des Parlamentspräsidenten, in: Recht und Politik, Bd. 13 (1977), S. 98–102, hier: S. 100.
Vgl. Lehmbruch, a.a.O., S. 21.
Carlo Schmid, Erinnerungen, Bern-München-Wien 1980, S. 433.
Ebenda.
Hans Troßmann, Parlamentsrecht des Deutschen Bundestages. Kommentar zur Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages unter Berücksichtigung des Verfassungsrechts, München 1977, § 2 Rdnr. 2.3.
Siehe S. 20 dieser Abhandlung.
Es sollen hier nicht die Vorbehalte gegenüber einzelnen Kandidaten referiert werden, vgl. aber insb. die Wahlen vom 5.2.1969 und vom 14.12.1976.
BT 2./53./16.11.1954/S. 2694D — 2698B.
Ebenda, S. 2696A. (Hervorhebung im Original.)
Ebenda, S. 2696B.
Ebenda, S. 2697A, B.
Ebenda, S. 2698B.
Am 16.2.1981 in einem Brief an den Verfasser.
Hierzu S. 26–28 dieser Abhandlung und Abschnitt 4.4.
Vgl. Heinz Kraul, Zur Ausfüllung, von Lücken in parlamentarischen Geschäftsordnungen, Diss. München 1972, S. 85; Pressedienst der CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag, 8.10.1976/ Ko (Erklärung Dr. Jenninger); Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 29.5.1979.
Vgl. „Die Welt“vom 6.4.1983 und „Süddeutsche Zeitung“vom 19.4.1983.
Vgl. Troßmann, Parlamentsrecht… (1977), a.a.O., § 2 Rdnr. 1.3.
Vgl. Schindler, 30 Jahre Bundestag…, a.a.O., S. 81.
Vgl. Troßmann, Parlamentsrecht… (1977), a.a.O., § 2, Rdnr. 1.3.
BT1./47./16.3.1950/S. 1590D–1592B.
BT 1./11./30.9.1949/S. 207A.
Troßmann, Parlamentsrecht… (1977), a.a.O., § 2, Rdnr. 1.3.
Friedrich Sperling, Die Befugnisse des Reichstagspräsidenten, Diss. Kiel 1929, S. 10.
Vgl. Hatschek, a.a.O., S. 209.
Der Bundestagspräsident war auch Vorsitzender des bis Oktober 1969 bestehenden Vorstandes des Bundestages. Dieser war als Beschlußorgan für die sog. inneren Angelegenheiten des Bundestages zuständig, wie z. B. Haushaltsfragen, Raumvergaben, Bibliotheksangelegenheiten usw. Neben dem Bundestagspräsidenten gehörten dem Vorstand die Vizepräsidenten, je ein parlamentarischer Geschäftsführer der Fraktionen und die Schriftführer an. Die Aufgaben des Vorstandes werden seit der 6. Wahlperiode vom Ältestenrat zusätzlich wahrgenommen. Zum Vorstand vgl.: Hans Troßmann, Parlamentsrecht und Praxis des Deutschen Bundestages. Kommentar in alphabetischer Reihenfolge, Bonn 1967, S. 280;
Hubert Voigtländer, Artikel „Vorstand des Bundestages“, in: Hans-Helmut Röhring, Kurt Sontheimer (Hrsg.), Handbuch des deutschen Parlamentarismus, München 1970, S. 502f.
Vgl. Hatschek, a.a.O., S. 176f.
Ebenda, S. 178.
Ebenda, S. 176, S. 185–191.
Vgl. hierzu insb. Abschnitt 3.3 dieser Abhandlung und passim.
Zum näheren, insb. zur Problematik der Mindeststärke: Hatschek, a.a.O., S. 181 ff.
Ebenda, S. 180
§§10–12 GORT.
Vgl. § 6 Abs. 3 und 4 GOBT.
§ 6 Abs. 1 GOBT.
Vgl. Hermann Borgs-Maciejewski, Parlamentsorganisation. Institutionen des Bundestages und ihre Aufgaben, Heidelberg-Hamburg 1979, S. 58.
Vgl. z. B. S. 24, 42f, 98f dieser Abhandlung.
Rudolf Kabel, Ältestenrat. Wie er agiert und funktioniert, Bonn von a — z Nr. 4 (Neuauflage), Bonn 1979, S. 13; vgl. auch Troßmann, Parlamentsrecht… (1977), a.a.O., § 7 Rdnr. 31 und 33, §40Rdnr. 13, § 42 Rdnr. 3.
Vgl. Hatschek, a.a.O., S. 215f.; Sperling, a.a.O., S. 1 Of.; Reinhart Vogler, Die Ordnungsgewalt der deutschen Parlamente, Hamburg 1926, S. 21.
§ 6 Abs. 1 Satz 2 GOBT. Er muß ihn einberufen, wenn eine Fraktion dies verlangt (§6 Abs. 1 Satz 3 GOBT).
So der frühere Bundestagsvizepräsident Richard Jaeger am 10.7.1980 in einem Brief an den Verfasser.
Gerstenmaier, a.a.O., S. 379.
Im Vorwort (S. 15) zu: Emil Hübner, Heinrich Oberreuter, Heinz Rausch (Hrsg.), Der Bundestag von innen gesehen, München 1969.
In einem Brief vom 24.12.1980 (Hervorhebung im Brief).
Kai-Uwe von Hassel am 16.2.1981 in einem Brief an den Verfasser.
Am 24.12.1980 in einem Brief an den Verfasser.
Am 17.12.1980 in einem Brief an den Verfasser.
Vgl. BT 2./151./21.6.1956/S. 8061D — 8063A. Die Entscheidung des Plenums gegen den Ältestenrat wurde jedoch im Verlaufe der Debatte wieder aufgehoben: Ebenda, S. 8072C.
BT2./1511;/21.6.1956/S. 8062A.
Ebenda, S. 8062C.
Ebenda, S. 8062D.
Vgl. Troßmann, Parlamentsrecht… (1977), a.a.O., § 7 Rdnr. 12.
Nach § 5 GOBT bilden der Präsident und die stellvertretenden Präsidenten das Präsidium. Eine entsprechende Bestimmung fehlt in den Geschäftsordnungen der Reichstage des Kaiserreichs und der Weimarer Republik. Vgl. Deutscher Bundestag — Wissenschaftliche Abteilung, Synoptische Darstellung der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages und ihrer Vorläufer, Bonn 1961, S. 5f.
Vgl. Troßmann, Parlamentsrecht… (1967), a.a.O., S. 205.
In einem Brief vom 24.12.1980.
BT5./225./27.3.1969/S. 12373D.
So der ehemalige Vizepräsident Karl Mommer am 8.9.1980 in einem Brief an den Verfasser.
Kai-Uwe von Hassel am 16.2.1981 in einem Brief an den Verfasser. Im selben Brief schreibt von Hassel in einem anderen Zusammenhang noch, daß, wenn die Amtsführung eines Vizepräsidenten im Plenum Probleme ausgelöst habe, darüber meist eine Besprechung bei dem folgenden Präsidiumsessen stattgefunden habe.
Hierzu im einzelnen Abschnitt 4.4 dieser Abhandlung.
Brief vom 17.12.1980 an den Verfasser.
Ebenda.
Ebenda.
Im gleichen Sinne auch der frühere Bundestagspräsident Gerstenmaier, wenn er am 24.12.1980 in einem Brief an den Verfasser schreibt, daß nach seiner Zeit die Präsidialverfassung des Hauses „bedauerlicherweise“in eine Kollegialverfassung geändert worden sei. Vgl. auch Gerstenmaier, a.a.O., S. 374; Wolfgang Zeh, Der Deutsche Bundestag, 3. Auflage, Düsseldorf 1979, S. 98. Als Beispiel für die mangelnde Beachtung des Präsidiums auch noch in neuester Zeit vgl.:
Klaus Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 2, München 1980, S. 91.
Schindler, 30 Jahre Bundestag…, a.a.O., S. 87. Für die 1. abis 5. Wahlperiode wurden die Zahlen von Schindler nicht ermittelt, was der mangelnden Bedeutung des Präsidiums in dieser Zeit (s.o.) nur gerecht wird. Zum Vergleich die Zahl der Sitzungen des Ältestenrates: 6. Wahlperiode 104 Sitzungen, 7. Wahlperiode: 103 Sitzungen und in der 8. Wahlperiode bis zum 4. Juli 1979 61 Sitzungen. (Schindler, ebenda.)
Ebenda.
Grundsätzlich hierzu Abschnitt 5.1 dieser Abhandlung.
Eugen Gerstenmaier am 24.12.1980 in einem Brief an den Verfasser.
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Wermser, J. (1984). Grundlagen. In: Der Bundestagspräsident. Forschungstexte Wirtschafts- und Sozialwissenschaften, vol 10. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-322-95484-8_2
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