Zusammenfassung
Das Verhältnis der deutschen Sozialdemokratie zu Staat und Verfassung des Kaiserreichs bewegte sich zunächst weitgehend im skizzierten Rahmen der sich graduell unterscheidenden Überzeugungen von Marx und Lassalle. Der preußisch-deutsche „Scheinkonstitutionalismus“, der „Spätabsolutismus“, schließlich die „bonapartistische Diktatur“ Bismarcks — Schlagworte, die sich nicht nur in der sozialdemokratischen, sondern auch in der linksliberalen Agitation fanden — boten eine neue Basis politischer Praxis, nicht jedoch ein staatsformbezogenes Identifikationsobjekt.60 Bei dem neugegründeten deutschen Reich handelte es sich in der ätzenden Bemerkung von Karl Marx um einen „mit parlamentarischen Formen verbrämten, mit feudalem Beisatz vermischten und zugleich schon von der Bourgeoisie beeinflußten, bürokratisch gezimmerten, polizeilich gehüteten Militärdespotismus“, um eine politische Herrschaft, die man (noch nicht) als bürgerliche Klassenherrschaft deuten wollte, die man jedoch — wie die Bonapartismustheorie zeigt — als Herrschaft im Interesse der bürgerlichen Klasse empfand.61
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Literatur
So entzog sich die Sozialdemokratie der Teilnahme am ,Sedantag`, der Feier der französischen Niederlage, sondern beging am 18. März zum Gedächtnis an den Ausbruch der Märzrevolution von 1848 ihre ,Märzfeier’.
Karl Marx, Kritik des Gothaer Programms, in: MEW 19, Berlin (0) 1972, S. 29.
Besonders deutlich wird diese Zukunftserwartung, die feste Zuversicht, die kapitalistische Gesellschaft werde sich selbst zerstören, im ersten Teil des ,Erfurter Programms’ von 1891.
Unübersehbar ist, daß sich die Parteispitze bemühte, die Debatte über Zukunftsstaat und Zukunftsideale nicht ausgiebig führen zu lassen. Spektakulär war jedoch die sogenannte „Zukunftsstaatsdebatte des Deutschen Reichstages“ Anfang 1893. Vgl. Der sozialdemokratische,Zukunftsstaat’. Verhandlungen des Deutschen Reichstags am 31.1.; 3., 4., 6. und 7.2.1893, Berlin 1893.
Edward Bellamy, Ein Rückblick aus dem Jahr 2000. Übersetzt von Clara Zetkin, Frankfurt/M. 1973 (Es handelt sich um einen Rückblick auf das Jahr 1887 ), Vgl. auch Franz Xaver Riederer, Edward Bellamy’s utopischer Sozialismus und sein Einfluß auf das sozialistische Denken in Deutschland, Diss.phil. München 1962.
August Bebel, Die Frau und der Sozialismus, Berlin (0) 1864, S. 482.
Friedrich Engels, Herrn Eugen Dührings Umwälzung der Wissenschaft (Anti-Dühring), in: MEW 20, Berlin ( 0 ) 1972.
Vgl. Hans-Josef Steinberg, Sozialismus und deutsche Sozialdemokratie: Zur Ideologie der Partei vor dem I. Weltkrieg, Bonn-Bad Godesberg 19722; Susanne Miller, Zur Rezeption des Marxismus in der deutschen Sozialdemokratie, in: Heiner Flohr u.a., Hg., Freiheitlicher Sozialismus: Beiträge zu seinem heutigen Selbstverständnis, Bonn-Bad Godesberg 19732, S. 21 — 34, deutlich etwa S. 23.
Thomas Meyer, Grundwerte und Wissenschaft im Demokratischen Sozialismus, Berlin u. Bonn 1978, S. 24.
Ebda., S. 26.
August Bebel, Diese Einheit gewährt keine Freiheit (6.12.1870), in: ders., Ausgewählte Reden und Schriften Bd. 1., hg. v. Rolf Dlubek u.a., Berlin (0), 1970; ders., Politische Fragen sind Machtfragen (3.4.1871), in: ebda., S. 136 — 140.
der Liberalismus muß sich eingestehen, daß er, wenn er mit freiheitlichen Forderungen kommt und wenn er diese freiheitlichen Forderungen ernsthaft verficht, auf alle Fälle auf unsere Unterstützung rechnen kann. Er weiß aber auch, daß die Durchsetzung der freiheitlichen Forderungen wesentlich uns, der revolutionären Partei, zugute kommt...“ Bebel (3.4.1871), ebda., S. 139.
Diese Vorstellung taucht in der Phase der Novemberrevolution und während der Weimarer Republik als die Theorie vom „Maschinenstaat“ auf, der für Ziele einsetz-und instrumentalisierbar sei.
Marx, Kritik des Gothaer Programms (Anm. 61), S. 29.
Michael Stürmer, Staatsstreichgedanken im Bismarckreich, in: Historische Zeitschrift 209, 1969, S. 566 — 615.
Vgl. Zur Programmanalyse S. Miller, Problem der Freiheit (Anm. 33).
Vgl. dazu die Diskussion des Wydener Kongresses von 1880. August Bebel, Aus meinem Leben, Berlin (0) 1964, S. 733 ff.
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Steinbach, P. (1983). Verfassungsverständnis unter dem Sozialistengesetz. In: Sozialdemokratie und Verfassungsverständnis. Kleine politische Texte. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-322-95470-1_6
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