Zusammenfassung
Die vorstehenden Explikationen der wissenssoziologischen Ausgangslage erfolgte dezidiert problemorientiert, und zwar „problemorientiert“ in zweifacher Hinsicht: erstens wurden „Probleme“ als der grundlegende Bezug von Wissen dargestellt, und zweitens wurde das Problem der wissenssoziologischen Analyse als ein spezifischer Umgang mit den Objektivationen des Wissens vorgestellt. Nun gilt es, die Besonderheiten des Erfahrungsfeldes „Wirtschaft“ und damit des wirtschaftlichen Wissens und Handelns zu kennzeichnen. Üblicherweise wird an dieser Stelle anthropologisch argumentiert. Die Überlebensnotwendigkeiten zwängen das Einzelwesen wie die Gattung „Mensch“ dazu, Objekte der nicht-menschlichen Welt („Natur“) in bedarfsgerechte Objekte umzuformen. Dieses Natur-Verhältnis wird — unter dem Titel „Arbeit“ — als anthropologische Basis jeglicher konkreter Wirtschaftsformen bestimmt. Nimmt man jedoch die wissenssoziologische Ausgangshypothese von der sozialen Konstruktion jeglicher Weltverhältnisse ernst, dann kann solch ein kompaktes und vages Konstrukt wie „Natur“ nicht einfach als Bestimmungsmuster eines so bedeutenden und sozial stark geprägten Erfahrungsbereichs wie der Wirtschaft eingesetzt werden. Ähnliches gilt für das Konstrukt der „Knappheit“. Auch Knappheit — definiert als Attribut jener Objekte, von denen der Menge nach mehr begehrt wird, als zur Verfügung steht — wird oftmals als „naturgegebener Grundtatbestand“ eingeführt, auf den sich die Gattung und mit ihr das Einzelwesen Mensch einzurichten hätte. Sowohl „Arbeit“ als auch „Knappheit“ sind kategoriale Zuordnungen, die einer typischen Art von Erfahrungen entsprechen, die aber selbst keine Beschreibungen dieses Erfahrungstypus liefern.
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Literatur
Auf den ersten Blick sehr ähnlich heißt es bei Max Weber (1976, § 1, S.31): “Wirtschaftlich orientiert’ soll ein Handeln insoweit heißen, als es seinem gemeinten Sinn nach an der Fürsorge für einen Begehr nach Nutzleistungen orientiert ist.” Auf den zweiten Blick fällt allerdings der für die nachstehenden Ausführungen folgenreiche Unterschied auf, daß bei Weber die Exklusivität des Zugriffs nicht grundlegend, sondern erst an sehr später Stelle seiner Begriffsanordnung, unter “Appropriation” und “Expropriation” (H18–23, S. 67–79) auftritt. Für Weber stehen der wirtschaftende Verband und die Rationalität der verbandlichen Planung im Vordergund.
So auch Alois Hahn ( 1987, S.I21): “Grundsätzlich scheint es im übrigen problematisch zu sein, die Knappheit an die Disparität von Bedürfnissen und natürlichen Ressourcen derart zu binden, als ergäbe sich dieses Mißverhältnis immer und überall aus historisch nur gering modifizierbaren anthropologischen Ursachen.
Schütz/Luckmann 1984, S.25.
Schütz/Luckmann 1984, S.24.
zur entscheidenden Frage, welche selbstreferentielle Operation Knappheit konstituiert (…). Wir verstehen diese Operation als Zugriff auf eine Menge unter der Bedingung, daß der Zugriff die Möglichkeit weiterer Zugriffe beschränkt. Der Zugriff erzeugt mithin Knappheit, während zugleich Knappheit als Motiv für den Zugriff fungiert. “ (Luhmann 1989, S. 179 ).
Paradoxerweise ist die Spanung zwischen Bedürfnis und Befriedigungsmöglichkeit nicht in jedem Fall da am ausgeprägtesten, wo tatsächlich die Ressourcen nur in dürftigstem Maße vorhanden sind. Zumindest legen etwa die Überlegungen von Sahlin (1972) den Gedanken nahe, daß in steinzeitlichen Verhältnissen eher Überfluß als Knappheit herrscht, und zwar aufgrund der Angepaßtheit der Bedürfnisse an die verfügbaren Möglichkeiten.“ (Hahn 1987, S.121; siehe auch die schon erwähnte Studie von Mauss 1990, desweiteren Goody 1977a.
Siehe für die Antike Aristoteles 1991 (Politik Buch I), Xenophon 1992, hierzu auch Foucault 1989a, S.194–210. Für das Mittelalter und den Übergang zur Neuzeit Bauer/Matis 1989, S. 43–54.
Hahn 1987, S.122.
Luhmann 1989, 5.188–194. “Eigentum bildet sich, wenn das Zugreifen auf knappe (als knapp angesehene und dadurch knapp werdende) Mengen Positionen des Habens bzw. Nichthabens kondensiert.” (S.188)
Luhmann setzt für diese Abstützung den Begriff der “Kontingenzformel”: Knappheit determiniert nicht, sondern orientiert darüber, was getan werden könnte - und was nicht. Der europäische Agrarmarkt und der
Siehe Redlich 1964, S.225–232.
Die Erwerbskunst ist “ein Teil der Kunst der Haushaltsführung; denn ein reichlicher Vorrat an Gütern, die für das Leben unerläßlich und für die staatliche und häusliche Gemeinschaft nützlich sind, muß vorhanden sein - oder die Erwerbskunst muß diesen Vorrat bereitstellen, damit er vorhanden ist.” (Aristoteles, Politik Buch I, 1256 b 25.)
Händlertätigkeit“ und ”Ökonomik“ sind bei ihm vor allem in moralischer Hinsicht deutlich gegeneinander getrennt: ”Nun gibt es aber zwei Formen von Gütern, wie wir schon sagten: die eine fällt in den Bereich gewinnsüchtiger Händlertätigkeit, die andere in den der Ökonomik. Aber nur diese (zweite) erfüllt notwendige Bedürfnisse und findet lobende Anerkennung, während die Erwerbskunst nach Art des gewinnsüchtigen Handels mit Recht getadelt wird - denn sie wird nicht entsprechend der Natur ausgeübt, sondern besteht darin, daß Menschen aus (geschäftlichem Verkehr) untereinander Güter gewinnen.“ (Aristoteles, Politik Buch I, 1257 a 35 bis 1258 b 1).
Le Goff 1988.
Eingehend hierzu siehe Bauer/Matis 1989, Polanyi 1990.
Zur Dogmengeschichte der Nationalökonomie siehe Kruse 1959.
Luhmann 1991a, S.30f.
Vgl. Luhmann 1995.
Gross ( 1994, S.136) spricht hier von der “Verwandlungskraft des Marktes. Er verwandelt die Dinge und a verwandelt uns. Er verändert unsern Blick…. Er definiert die Dinge um.”
Baecker 1993, S.87, S.65ff..
Vgl. auch Lorei 1987, S.16, S.353ff. Statt “Erweiterung des wirtschaftlich Möglichen” heißt es bei ihr jedoch im Anschluß an Max Weber “Erweiterung der materialen (im Gegensatz zur formalen, A.B.) Rationalität” (S.362), wobei jedoch nicht klar wird, wieso bezüglich der Struktur unternehmerischen Handelns bereits von Vernünftigkeit/Nicht-Vernünftigkeit und “Rationalität” gesprochen werden sollte. Hinsichtlich der Vernünftigkeit bzw. Rationalität der “rechenhaften Prüfung”, die Lorei als “formale” Rationalität ihrer “materialen” Rationalität kommentarlos an die Seite stellt, siehe hier Kapitel 5.
Knight 1921.
Schumpeter 1993 (zuerst 1911), 1928, 1980 (zuerst 1942).
Vgl. beispielsweise Seidl, ed., 1984.
Schumpeter 1980, S.217, 223 u.ö.
Niemand ist ununterbrochen Unternehmer und niemand kann immer nur Unternehmer sein.“ (Schumpeter 1961, S.111).
Die vollkommen bürokratisierte industrielle Rieseneinheit verdrängt nicht nur die kleine oder mittelgroße Firme und `expropriiert` ihre Eigentümer, sondern verdrängt zuletzt auch den Unternehmer“. (Schumpeter 1980, S.218).
Zuletzt bleibt niemand mehr übrig, der sich wirklich dafür einsetzen will - niemand innerhalb und niemand außerhalb der Bezirke großer Konzerne.“ (Schumpeter 1980, S.230).
Zwar ist das Unternehmen ein bestimmter Typ von Organisation: eine Organisation im System der Wirtschaft. Zugleich ist das Unternehmen aber jener Spezialfall von Organisation, in dem die Organisation ihrerseits Gegenstand unternehmerischen Kalküls ist. Das Unternehmen ist nicht einfach eine Organisation, sondern, mit einer Formulierung Daniel Bells, ein erneuerbares System der Organisation.“ (Baecker 1993, S.65f.).
So beispielsweise Girard 1987, S.211–247.
Luhmann 1995.
The search for the source of dynamic entrepreneurial performance has much in common with hunting the Heffalump. The Heffalump is a rather large and very important animal. He has been hunted by many individuals using various ingenious trapping devices, but no one so far has succeeded in capturing him. All who claim to have caught sight of him report that he is enormous, but they disagree on his particularities. Not having explored his current habitat with sufficient care, some hunters have used as bait their own favorite dishes and have then tried to persuade people that what they caught was a Heffalump. However, very few are convinced, and the search goes on.“ (Peter Kilby 1971, S.1, den Geschichten von A.A.Milne über ”Winnie-The-Pooh“ and ”The House at Pooh Corner“ nacherzählt.)
In dieser Perspektive ist es sicherlich auch “originell”, dem Einzelwerkzeug “Rechner”- auf standardisierte Arbeitsaufgaben zugeschnitten, massenhaft produziert und aufgestellt - den Ehrentitel “persönlich” zu verleihen.
Simmel 1992a, S.764.
Simmel 1992a, S.756. Eingehend zur Rolle des Händlers als “Fremden” Baecker 1993, S.74–78.
Braudel 1990a, S. 11–14, 1990b, S. 50–55.
Eine rührende Verfilmung dieses Problems war 1994 im deutschsprachigen Fernsehen zu sehen: ‘Der große Bellheim“, der in vier Folgen mit einem Team altgedienter Verkaufs-, Verhandlungs-und Finanzierungsstrategen sein Lebenswerk, eine renommierte Kaufhauskette, vor dem Zugriff eines Finanzhais zu retten versuchte - erfolgreich, wie es das Format der Fernsehserie verlangt, in dem die Moral am Ende - nach einer abzuarbeitenden Folge großer Anfechtungen - immer siegt.152 Gross 1983, S.44–85.
Erzeugnisse“ im oben (Kapitel 1) dargestellten Sinne: Werkzeuge, Kunstwerke, etc.
So auch Heinz Hartmann (1964), der von “funktionalen Autorität” spricht; was ebenfalls die besagte Frage, in einer anderen Formulierung, provoziert: Um welche “Funktionen”, also um welche Probleme geht es in einer Unternehmung, und wer gelangt wie an Autorität in deren Behandlung? Hartmann trennt explizit funktionale und formale Autorität: Chef-Sein allein genügt nicht.
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Brosziewski, A. (1997). Wirtschaft und unternehmerisches Handeln aus wissenssoziologischer Sicht. In: Unternehmerisches Handeln in moderner Gesellschaft. Deutscher Universitätsverlag. https://doi.org/10.1007/978-3-322-95355-1_4
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DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-322-95355-1_4
Publisher Name: Deutscher Universitätsverlag
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