Zusammenfassung
In der alten Bundesrepublik Deutschland hat im Anschluß an die Hippie- und Studentenbewegung gegen Ende der 60er und zu Anfang der 70er Jahre fair Jugendliche in nahezu allen Lebensmilieus eine massenmedial unterstützte deutliche sexuelle Enttabuisierung eingesetzt (vgl. hierzu insbesondere auch den 12. Punkt im 9. Kapitel in diesem Band; vgl. zum folgenden auch Brinkhoff/Ferchhoff 1990, S. 90ff.; Brinkhoff 1992, S. 66 u. S. 105ff.; Ferchhoff/Neubauer 1997), die das bildungsbürgerliche Reformprojekt Jugend in den bis dahin diese Lebensphase wesentlich mitkonstituierenden Bereichen von körperlicher Askese und antisexueller Aufklärung grundlegend verändert hat. Waren noch vor 35 Jahren Erotik, Sexualität und voreheliche Paarbeziehungen traditionelle Tabuzonen, denen man sich allenfalls zum Ende der Jugendphase sehr vorsichtig, rigiden und geschlechtsspezifisch (ob der Doppelmoral) differenzierten Regeln folgend, nähern konnte, zählt heute, selbst wenn wir die Gefahren von Aids in Rechnung stellen, die lebensaltersspezifisch gesehen sehr frühe Eröffnung erotisch-variantenreicher, sexueller Möglichkeiten gewissermaßen zu den „Zugewinnen“ der modernen individualisierten Jugendphase. Eine, im Zusammenhang vieler anderer Normaufweichungstendenzen stattgehabte deutlich spürbare Lockerung und Liberalisierung von ehemals allzu repressiven sexuellen Verhaltensstandards vollzog sich. Dem im klassischen, bildungsbürgerlichen Sinne auch körperasketischen Moratorium Jugend eröffnen sich nun „neue“, von weiten Kreisen der Erwachsenen tolerierte Erfahrungsräume, die nicht ohne grundlegende Folgen auf „alternative“ Beziehungsformen, aber auch auf Bewegungs- und Körpertechniken geblieben sind. Im Gegensatz zu den etwa vor 1968 Geborenen, deren Aufwachsen noch mit vergleichsweise repressiven Formen von triebstruktureller und sexueller Körperunterdrückung durchsetzt war, gehen seit den 70er Jahren die meisten Jugendlichen mit den erkämpften „Errungenschaften“ der massenkulturell weit verbreiteten erotischen Sexuellen Liberalisierung heute ganz souverän um. Sie haben es nicht mehr nötig, — wie in vielen anderen Lebensbereichen auch — für die „sexuelle Enttabuisierung und Befreiung“ zu kämpfen oder in voyeuristischer Perspektive durch das Schlüsselloch zu schauen. Die eine ist ihnen auch massenmedial und warengemäß kommerziell in manchmal übersättigten Variationen beschert und präsentiert worden, die andere finden sie ganz einfach vor.
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© 1999 Leske + Budrich, Opladen
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Ferchhoff, W. (1999). Idealisierung und Individualisierung von Jugend am Beispiel Mode und Sport. In: Jugend an der Wende vom 20. zum 21. Jahrhundert. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-322-95187-8_9
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DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-322-95187-8_9
Publisher Name: VS Verlag für Sozialwissenschaften
Print ISBN: 978-3-8100-2351-3
Online ISBN: 978-3-322-95187-8
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